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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 17.01.2003
Aktenzeichen: 1Z AR 162/02
Rechtsgebiete: ZPO, InsO


Vorschriften:

ZPO § 19a
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 3
InsO § 180 Abs. 1
Zur Frage der Bestimmung des gemeinschaftlich zuständigen Gerichts, wenn gegen einen Insolvenzverwalter und andere auf Schadensersatz und auf Aussonderung aus der Insolvenzmasse geklagt wird.
Gründe:

I.

Der Antragsteller hat gegen die Antragsgegner beim Amtsgericht München Klage eingereicht; die Klageschrift ist den Antragsgegnern noch nicht zugestellt worden. Nach dem Klagevorbringen hat der Antragsteller am 28.1.2000 für 7000 DM Anteilsrechte am Aktienkapital der S. AG erworben. Die S. AG stand mit der später zusammengebrochenen Firmengruppe der X. AG in Verbindung. Sie wurde als Publikumsgesellschaft, die von Kapitalanlegern stille Beteiligungen und Aktienkapital einwarb, 1996 mit Sitz in Sachsen gegründet und am 13.8.1996 in das Handelsregister beim Amtsgericht Chemnitz eingetragen. Einziges Vorstandsmitglied war in den ersten Jahren der Antragsgegner zu 1. Die Beteiligung des Antragstellers steht im Zusammenhang mit der 1999 beschlossenen zweiten Kapitalerhöhung der S. AG. Der Antragsteller trägt vor, es habe eine Treuhandabrede dahin bestanden, dass die auf das Konto der S. AG bei der Landesbank eingezahlte Einlage erst nach Eintragung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister freigegeben werde.. Noch vor Eintragung und Durchführung der zweiten Kapitalerhöhung wurde im Frühjahr 2000 über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren bei dem Amtsgericht Chemnitz eröffnet. Zum Insolvenzverwalter wurde der Antragsgegner zu 2 bestellt. Die Antragsgegnerin zu 3 war in früheren Jahren kontoführendes Geldinstitut der S. AG.

Der Antragsteller macht gegen die Antragsgegner Schadensersatzansprüche aus dem Gesichtspunkt des Kapitalanlagebetrugs und der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung geltend, gegen den Antragsgegner zu 2 als Insolvenzverwalter auch einen auf die Treuhandabrede gestützten Aussonderungsanspruch. Er behauptet einen breit angelegten Betrug zu Lasten der Anleger, der mittels irreführender Angaben in den Emissionsprospekten, durch Abschluss von Scheingeschäften, Entzug von Kapital, Gründungsschwindel und Kapitalerhöhungsschwindel begangen worden sei. Die S. AG hafte für die deliktischen Handlungen ihres Vorstands. Die Antragsgegnerin zu 3 sei als Mittäterin oder Gehilfin beteiligt gewesen.

Der Antragsteller beantragt die Bestimmung des zuständigen Gerichts, da die Antragsgegner ihren allgemeinen Gerichtsstand in unterschiedlichen Amtsgerichtsbezirken haben (Antragsgegner zu 1: Laufen; Antragsgegner zu 2: Chemnitz; Antragsgegnerin zu 3: München). Als gemeinsames zuständiges Gericht schlägt er das Amtsgericht München vor. Der Antragsgegner zu 1 spricht sich für Laufen aus. Der Antragsgegner zu 2 beantragt unter Hinweis auf die ausschließliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Chemnitz nach § 180 Abs. 1 Satz 2 InsO die Zurückweisung des Bestimmungsantrags. Die Antragsgegnerin zu 3 ist mit der Bestimmung des Amtsgerichts München einverstanden.

II.

1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist nach § 36 Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO für die Bestimmung zuständig, da die allgemeinen Gerichtsstände der Antragsgegner in den Bezirken eines bayerischen und eines außerbayerischen Oberlandesgerichts liegen und ein bayerisches Gericht zuerst mit der Sache befasst wurde.

2. Die Voraussetzungen für eine Bestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen vor.

a) Nach dem maßgeblichen Vorbringen des Antragstellers sind die Antragsgegner Streitgenossen im Sinne des § 60 ZPO, weil gegen sie Ansprüche aufgrund eines im wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grundes geltend gemacht werden.

b) Ein gemeinsamer allgemeiner oder besonderer Gerichtsstand, der eine gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung ausschlösse, besteht nicht. Für die Ansprüche auf Schadensersatz kann ein Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO) in München in Betracht kommen; für den Anspruch auf Aussonderung ist jedoch ein besonderer Gerichtsstand in München nicht gegeben.

Ein ausschließlicher Gerichtsstand besteht nicht, insbesondere auch nicht der ausschließliche Gerichtsstand nach § 180 Abs. 1 Satz 2 InsO. Diese Vorschrift gilt nur für die in § 180 Abs. 1 Satz 1 InsO geregelten Klagen auf Feststellung des Bestehens einer Insolvenzforderung zum Zwecke ihrer Eintragung in die Insolvenztabelle. Für andere Klagen gegen den Insolvenzverwalter, wie etwa auf Aussonderung oder abgesonderte Befriedigung, verbleibt es bei den allgemeinen Vorschriften, wobei § 19a ZPO zu beachten ist (vgl. MünchKommInso § 180 Rn. 13 und § 47 Rn. 476; Zöller/Vollkommer ZPO 23. Aufl. § 19a Rn. 5 f.). Hier verfolgt der Kläger nicht die Feststellung zur Insolvenztabelle, sondern auch gegen den Antragsgegner zu 2 als Insolvenzverwalter im Hauptantrag einen Zahlungsanspruch, hilfsweise Aussonderung des geltend gemachten Geldbetrages aus der Insolvenzmasse. Für diese Ansprüche gilt nicht § 180 Abs. 1 InsO, sondern § 19a ZPO; danach wird der allgemeine Gerichtsstand eines Insolvenzverwalters für Klagen, die sich auf die Insolvenzmasse beziehen, durch den Sitz des Insolvenzgerichts, hier das Amtsgericht Chemnitz, bestimmt, allerdings nicht als ausschließlicher Gerichtsstand (Zöller/Vollkommer,§ 19a Rn. 1).

3. Der Senat ist an den Antrag des Antragstellers, das Amtsgericht München als zuständig zu bestimmen, nicht gebunden. Er hält es für zweckmäßig, das Amtsgericht Chemnitz als gemeinsames Gericht zu bestimmen.

a) Schwerpunkt des Rechtsstreits bilden die ursprünglich gegen die S. AG, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Insolvenzverwalter gerichteten Ansprüche. Die S. AG hatte seit ihrer Gründung im Jahre 1996 ihren Sitz und allgemeinen Gerichtsstand im Bezirk des Amtsgerichts Chemnitz, das nunmehr auch Insolvenzgericht und allgemeiner Gerichtsstand des Insolvenzverwalters ist. Bei Klagen, die von enttäuschten Kapitalanlegern einer Publikumsgesellschaft gegen die Gesellschaft und gesellschaftsnahe Personen geltend gemacht werden, besteht in der Regel ein Bedürfnis, dass ein und dasselbe - ortsnahe - Gericht entscheidet (vgl. BGHZ 76, 231/235). Aus dieser Überlegung heraus hat der Senat etwa in Fällen, in denen Prospekthaftungsansprüche gegen den der Prospekthaftung unterliegenden Personenkreis und zugleich gegen Anlagevermittler geltend gemacht wurden, aus Zweckmäßigkeitsgründen nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO als gemeinsames Gericht das Gericht des Sitzes der Publikumsgesellschaft bestimmt.(vgl. Senatsbeschlüsse vom 18.7.2002 - 1Z AR 62/02; vom 21.8.2002 - 1Z AR 86/02). Für Ansprüche von Kapitalanlegern gegen die Gesellschaft, den Vorstand der Gesellschaft und die mit in Anspruch genommene kontoführende Bank gelten im Grundsatz die gleichen Überlegungen. Hier kommt hinzu, dass über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Der Gesetzgeber hat aus wohl erwogenen Gründen eine Konzentration der gegen den Insolvenzverwalter geführten Prozesse beim Insolvenzgericht für sachgerecht gehalten und für den Regelfall der Klagen auf Feststellung zur Insolvenztabelle insoweit sogar eine ausschließliche Zuständigkeit bestimmt. Der Gesichtspunkt der Konzentration der Klagen beim Insolvenzgericht verdient auch Beachtung, wenn dessen Zuständigkeit nur eine von mehreren möglichen Gerichtsständen ist, zumal nach den Gesamtumständen mit weiteren Klagen anderer enttäuschter Anleger zu rechnen ist, für die, anders als hier, der ausschließliche Gerichtsstand nach § 180 Abs. 1 Satz 2 InsO beim Amtsgericht Chemnitz durchaus einschlägig sein kann.

b) Soweit der Senat bei Klagen gegen eine andere Publikumsgesellschaft aus dem Firmenverbund der X. AG Gerichte in München als zuständig bestimmt hat (vgl. insb. Beschluss vom 28.5.2002 - 1Z AR 49/02), lag der Sachverhalt anders. Im dort entschiedenen Fall war die Gesellschaft in München gegründet worden und hatte dort auch über Jahre hinweg ihren Sitz beibehalten; erst wesentlich später war der Sitz nach Thüringen verlegt und schon bald darauf das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Das Oberlandesgericht Thüringen hatte in einer solchen Fallkonstellation den Schwerpunkt des Rechtsstreits in München gesehen (Beschluss vom 27.11.2001 4 SA 12/01); der Senat hat dies für vertretbar gehalten und - auch im Interesse der Einheitlichkeit der Bestimmungen in gleich gelagerten Fällen - im gleichen Sinn entschieden. Diese Fallkonstellation liegt hier aber nicht vor. Der bei Erlangen wohnhafte Antragsteller ist Anfang 2000 einer seit ihrer Gründung im Jahr 1996 in Chemnitz ansässigen Gesellschaft beigetreten. Er hat seine Einlage auf ein Konto dieser Gesellschaft bei der Landesbank in Erfurt gezahlt. Seinen Aussonderungsanspruch stützt er auf eine Treuhandabrede, die er aus einem Schriftstück herleitet, in dem die S. AG unter der Anschrift des Vermittlers/Info-Centers in Niedersachsen auftritt. Nichts davon weist einen Bezug zu München auf. Bei dieser Sachlage wiegt der Umstand, dass der Antragsteller seine Schadensersatzansprüche auf unerlaubte Handlungen stützt, die vor Beitritt des Antragstellers im Raum München begangen worden sein sollen und Gegenstand von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München I waren, weniger schwer als die oben dargestellten für Chemnitz sprechenden Gesichtspunkte.

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