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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 18.03.2004
Aktenzeichen: 1Z AR 20/04
Rechtsgebiete: ZPO, UrhG, KunstUrhG


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 3
ZPO § 28
UrhG § 10
KunstUrhG § 22
LGVÜ Art. 6 Nr. 1
1. Keine Bindungswirkung der Abgabe eines Rechtsstreits wegen funktioneller Unzuständigkeit.

2. Ansprüche aus §§ 22 ff. KunstUrhG sind keine Urheberrechtsstreitigkeiten im Sinn des § 105 UrhG.

3. Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr 3. ZPO, wenn unter Berücksichtigung des gemeinsamen besonderen Gerichtsstands der Streitgenossenschaft nach Art.6 Nr. 1 LGVÜ verschiedene Gerichtsstände im Inland gegeben sind.


Gründe:

Die Antragstellerin hat bei dem Amtsgericht Lindau Klage eingereicht mit dem Antrag, die Antragsgegner als Gesamtschuldner zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr, in Veröffentlichungen, Tonträgern, Fotos oder im Internet damit zu werben, dass die Antragstellerin die Sängerin einer bestimmten Band sei. Nach Hinweis des Amtsgerichts Lindau auf seine Unzuständigkeit (Streitwert 6.000 EUR) hat die Antragstellerin die Abgabe des Rechtsstreits an das Landgericht Kempten beantragt. Das Amtsgericht Lindau hat daraufhin noch vor Zustellung der Klage mit Beschluss vom 8.10.2003 das Verfahren an das Landgericht Kempten abgegeben.

Das Landgericht Kempten hat zugleich mit Zustellung der Klage darauf hingewiesen, dass Zweifel an seiner örtlichen Zuständigkeit bestünden, weil die Antragsgegner zu 2 bis 4 ihren allgemeinen Gerichtsstand nicht im Bezirk des Landgerichts Kempten hätten. Im Übrigen dürfte es sich um eine Urheberrechtsstreitssache handeln, für die das Landgericht München I örtlich zuständig sei. Auf Grund des gerichtlichen Hinweises haben die Antragsgegner zu 2, 3 und 4 die örtliche Unzuständigkeit des Landgerichts Kempten geltend gemacht und zur Begründung insbesondere auch darauf hingewiesen, dass die Antragsgegner zu 2 und 3 ihren Wohnsitz in den Oberlandesgerichtsbezirken Karlsruhe bzw. Stuttgart und der Antragsgegner zu 4 seinen Wohnsitz in der Schweiz hätten. Außerdem sei für den Antragsteller zu 4 auch die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nicht gegeben. Der Antragsteller hat die Verweisung des Verfahrens an das Landgericht München I beantragt.

Mit Beschluss vom 12.11.2003 hat das Landgericht Kempten den Rechtsstreit an das Landgericht München I abgegeben. Zur Begründung wurde ausgeführt, das Landgericht München I sei funktional zuständig, da es sich bei dem Rechtsstreit um eine Urheberrechtsstreitsache gemäß §§ 73 ff., 97, 104 UrhG handele. Mit den sonstigen von den Antragsgegnern erhobenen Zuständigkeitsrügen hat sich das Landgericht Kempten nicht befasst.

Die Beklagten zu 2, 3 und 4 haben auch die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts München I gerügt.

Mit Schriftsatz vom 28.1.2004 hat die Antragstellerin beantragt, gemäß § 36 Abs. 1 Nr.3 ZPO das Landgericht München I als zuständiges Gericht zu bestimmen. Die Antragsgegner sind diesem Antrag unter Hinweis darauf, dass der Antragsgegner zu 4 keinen Gerichtsstand in Deutschland habe und der räumliche Schwerpunkt des Rechtsstreits im Bodenseekreis liege, entgegengetreten.

II.

Als zuständiges gemeinsames Gericht war das Landgericht Kempten zu bestimmen.

1. Die Voraussetzungen für eine Bestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr.3 ZPO liegen vor. Nach § 36 Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO ist das Bayerische Oberste Landesgericht zur Entscheidung über den Bestimmungsantrag zuständig, da die allgemeinen Gerichtsstände der Antragsgegner innerhalb und außerhalb Bayerns liegen.

2. Der Umstand, dass die Antragsgegner zu 1 bis 4 nicht, wie es § 36 Abs. 1 Nr.3 ZPO wörtlich voraussetzt, "verklagt werden sollen", sondern bereits verklagt sind, steht einer Bestimmung des zuständigen Gerichts nach dieser Vorschrift grundsätzlich nicht entgegen (BayObLG NJW-RR 1994, 890; Zöller/Vollkommer ZPO 24.Aufl. § 36 Rn.16).

3. Nach dem maßgeblichen Vorbringen der Antragstellerin sind die Antragsgegner Streitgenossen im Sinne des § 60 ZPO, weil gegen sie als Gesamtschuldner Ansprüche auf Grund eines im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grundes geltend gemacht werden. Im Bestimmungsverfahren ist nicht zu prüfen, ob das anspruchsbegründende Vorbringen schlüssig ist; es ist lediglich zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die beantragte Gerichtsstandsbestimmung vorliegen. Dazu gehört die Frage, ob das Vorbringen die Annahme einer Streitgenossenschaft rechtfertigt (vgl. Zöller/Vollkommer § 36 Rn.18).

4. Der Umstand, dass der Antragsgegner zu 4 seinen Wohnsitz in der Schweiz und daher keinen allgemeinen Gerichtsstand (§§ 12, 13 ZPO) im Inland hat, steht der beantragten Bestimmung des zuständigen gemeinsamen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr.3 ZPO nicht entgegen. Für die Klage besteht nämlich der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft gemäß Art.6 Nr. 1 des Luganer Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16.9.1988 (LGVÜ; BGBl 1994 II 2658). Auch nach Inkrafttreten der EuGVVO, die grundsätzlich nur im Verhältnis zu den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gilt, ist das LGVÜ im Verhältnis zur Schweiz weiterhin anzuwenden (Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO 25. Aufl. Vorbem.3 zu Art.1 EuGVVO). Art.6 Nr. 1 LGVÜ bestimmt, dass eine Klage gegen mehrere Personen, die ihren Wohnsitz in unterschiedlichen Vertragsstaaten haben, vor dem Gericht erhoben werden kann, in dessen Bezirk einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat. Diese Vorschrift regelt nicht nur die internationale Zuständigkeit, sondern auch die örtliche (vgl. BGH NJW 1988, 646). Nach dem maßgeblichen Vortrag der Antragstellerin ist die von Art.6 Nr. 1 LGVÜ vorausgesetzte enge Beziehung zwischen den Klagen gegen die Antragsgegner gegeben. Ein die Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr.3 ZPO ausschließender gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand (§ 36 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 2 ZPO) ist damit aber nicht begründet, da für den Antragsgegner zu 4 auf Grund Art.6 Nr. 1 LGVÜ ein Gerichtsstand im Inland sowohl am Gericht des Wohnsitzes des Antragsgegners zu 1 als auch an den Gerichten des Wohnsitzes der Antragsgegner zu 2 und 3 gegeben ist.

5. Eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist auch nicht auf Grund des Abgabebeschlusses des Landgerichts Kempten vom 12.11.2003 eingetreten. Das Landgericht Kempten hat den Rechtsstreit nicht gemäß § 281 ZPO an das Landgericht München I verwiesen, sondern den Rechtsstreit an dieses Gericht abgegeben und zur Begründung auf dessen funktionelle Zuständigkeit hingewiesen. Das Landgericht Kempten hat damit zutreffend berücksichtigt, dass § 281 ZPO nur bei örtlicher und/oder sachlicher Unzuständigkeit, nicht jedoch bei funktioneller Unzuständigkeit gilt (vgl. Zöller/Greger § 281 Rn.4). Der Abgabebeschluss des Landgerichts Kempten hat daher keine Bindungswirkung im Sinne des § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO.

6. Ein die Gerichtsstandsbestimmung ausschließender gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO) lässt sich nicht sicher feststellen. Zwar ist § 36 Abs. 1 Nr 3 ZPO dann nicht anwendbar, wenn für mehrere als Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand zu verklagende Parteien ein gemeinschaftlicher allgemeiner oder besonderer Gerichtsstand im Inland gegeben ist (vgl. Zöller/Vollkommer § 36 Rn.15). Für eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr.3 ZPO genügt es aber, wenn für den Gegenstand der Klage, wie er sich auf Grund der von der Klagepartei vorgetragenen Tatsachen darstellt, ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nicht zuverlässig festgestellt werden kann und die übrigen Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr.3 ZPO gegeben sind (vgl. BayObLGZ 1985, 314/317). So liegt der Fall hier.

7. Es erscheint zweckmäßig, das Landgericht Kempten als örtlich zuständig zu bestimmen, in dessen Bezirk der Antragsgegner zu 1 seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Im Bezirk des Landgerichts Kempten hat auch die Antragstellerin ihren Wohnsitz und war der Rechtsstreit von der Antragstellerin anhängig gemacht worden.

Eine Zuständigkeit des Landgerichts München I gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 1 GZVJu, die zur Bestimmung des Landgerichts München I nach § 36 Abs. 1 Nr.3 ZPO führen könnte, ist nicht gegeben. Mit § 24 Abs. 2 Nr. 1 GZVJu werden auf Grund des § 105 Abs. 1 UrhG Urheberrechtsstreitsachen, für welche die Landgerichte in erster Instanz zuständig sind, für die Landgerichtsbezirke des Oberlandesgerichts München dem Landgericht München I übertragen. Bei dem mit der Klage geltend gemachten Anspruch handelt es sich jedoch um keine Urheberrechtsstreitsache im Sinne dieser Vorschrift. Die Antragstellerin hat ihre Klage nicht auf Urheberrecht gestützt; die Vorstellung, dass es sich um eine Urheberrechtsstreitsache handeln könnte, ist vielmehr erst vom Landgericht Kempten entwickelt worden. Der von der Antragstellerin geltend gemachte Anspruch wäre, soweit er das Bild der Antragstellerin betrifft, im Übrigen nicht in § 72 UrhG normiert; allenfalls könnte ein Anspruch nach § 22 KunstUrhG in Betracht kommen. Ansprüche aus §§ 22 ff. KunstUrhG sind keine Urheberrechtsstreitigkeiten im Sinne des § 105 UrhG (vgl. Schricker/Wild Urheberrecht 2. Aufl. § 104 Rn.2). Für Ansprüche nach dem KunstUrhG besteht keine gesetzliche Konzentrationsregelung (vgl. Schricker/Wild § 105 Rn.1).



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