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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 28.05.2002
Aktenzeichen: 1Z AR 49/02
Rechtsgebiete: ZPO, InsO


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 3
InsO § 180 Abs. 1 Satz 2
InsO § 180 Abs. 1 Satz 3
Zur Frage der Bestimmung eines gemeinschaftlich zuständigen Gerichts, wenn einer der beklagten Streitgenossen Insolvenzverwalter ist, für den kraft Gesetzes ein ausschließlicher Gerichtsstand besteht.
Gründe:

I.

Die Kläger haben gegen die Beklagten als Streitgenossen vor dem Landgericht München I Klage auf Schadensersatz und Feststellung erhoben. Die Kläger gehören zu den ca. 1500 Aktionären der A-AG, die in der Zeit von 1995 bis 1999 Kapital bei der AG angelegt und Aktienzertifikate zu unterschiedlichen Beträgen erworben haben. Die AG wurde am 3.11.1995 mit Sitz im Bezirk des Landgerichts München I gegründet und dort zum Handelsregister angemeldet. Am 23.4.1999 wurde der Sitz der Gesellschaft nach Thüringen verlegt. Unter dem 11.7.2000 wurde über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet. Zum Insolvenzverwalter wurde der Beklagte zu 1 bestimmt.

Der Beklagte zu 4 war Vorstandsmitglied der B-AG im Bezirk des Landgerichts München I, die die A-AG im Jahr 1995 gründete. Der Beklagte zu 3 war Mitglied des Vorstandes der A-AG. Die Beklagte zu 2 war das kontoführende Geldinstitut sowohl der B-AG als auch der A-AG. Die Kläger machen gegen die Beklagten zu 2 bis 4 Schadensersatzansprüche aus dem Gesichtspunkt des Kapitalanlagebetrugs geltend. Sie behaupten, durch irreführende Prospekte der A-AG zur Geldanlage verleitet worden zu sein. Die A-AG sei durch gezielten Kapitaltransfer auf andere Gesellschaften, der gegenüber den Anlegern verschleiert worden sei, ausgehöhlt worden. Dies habe zur Insolvenz der A-AG geführt. An der Entstehung des Schadens hätten die Beklagten zu 2 bis 4 maßgeblich mitgewirkt.

Die Kläger haben ihre Forderungen zur Insolvenztabelle angemeldet. Der Beklagte zu 1 als Insolvenzverwalter hat die Forderungen bestritten. Soweit sich die Klage gegen den Beklagten zu 1 richtet, verlangen die Kläger die Feststellung der geltend gemachten Schadensersatzforderungen zur Insolvenztabelle.

Die Kläger beantragen die Bestimmung des zuständigen Gerichts, da die Beklagten zu 2 bis 4 ihren allgemeinen Gerichtsstand beim Landgericht München I haben, während der Beklagte zu 1 seinen Gerichtsstand in Thüringen hat. Die Kläger und die Beklagte zu 2 sind dafür, das Landgericht München I als für den Rechtsstreit zuständig zu bestimmen. Die Beklagten zu 3 und 4 haben nicht Stellung genommen, während der Beklagte zu 1 auf den für ihn geltenden ausschließlichen Gerichtsstand gemäß § 180 Abs. 1 Satz 3 InsO hinweist.

II.

Zu bestimmen war das Landgericht München I. Die Voraussetzungen für eine Bestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen vor.

1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist zur Entscheidung über den Bestimmungsantrag gemäß § 36 Ab8.1 Nr. 3 ZPO berufen, weil der Beklagte zu 1 einerseits und die Beklagten zu 2 bis 4 andererseits ihren allgemeinen Gerichtsstand in verschiedenen Bundesländern haben und ein bayerisches Gericht, das Landgericht München I, zuerst mit der Sache befasst worden ist (§ 36 Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO).

2. Der Umstand, dass die Beklagten nicht, wie es § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO wörtlich voraussetzt, "verklagt werden sollen", sondern bereits verklagt sind, steht einer Bestimmung des zuständigen Gerichts nach dieser Vorschrift grundsätzlich nicht entgegen (BayObLG NJW-RR 1994, 890; Zöller/Vollkommer ZPO 23. Aufl. 36 Rn. 16; Thomas/Putzo ZPO 24. Aufl. § 36 Rn. 15).

3. Nach dem maßgeblichen Vorbringen der Kläger sind die Beklagten Streitgenossen im Sinne des § 60 ZPO, weil gegen sie Ansprüche aufgrund eines im wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grundes geltend gemacht werden. Die Ansprüche gegen die Beklagten zu 2 bis 4 gründen sich auf den Vorwurf des Anlagebetruges durch irreführende Angaben in den Emissionsprospekten und der vorsätzlichen Schädigung der A-AG und ihrer Aktionäre durch Abschluss von Scheingeschäften und Entzug von Kapital. Dass die Handlungsbeiträge der Beklagten zu 2 bis 4 dabei nicht identisch gewesen sein sollen, steht der Annahme der Gleichartigkeit nicht entgegen, denn es handelt sich nach der Behauptung der Kläger um einen einheitlichen Geschehenszusammenhang. Auch mit dem Beklagten zu 1 besteht Streitgenossenschaft im Sinne des § 60 ZPO. Mit ihrem Antrag auf Feststellung begehren die Kläger die Klärung des Bestehens ihrer Schadensersatzforderungen in der jeweils geltend gemachten Höhe, die sie bereits zur Insolvenztabelle angemeldet hatten und die vom Beklagten zu 1 als Insolvenzverwalter bestritten worden waren. Für ihren Anspruch auf Schadensersatz gegen die A -AG berufen sic h die Kläger auf den Gesichtspunkt der Organhaftung gemäß § 31 BGB, wonach die Gesellschaft auch für deliktische Ansprüche gegen ihre Organe hafte. Danach machen die Kläger mit den gegen den Beklagten zu 1 gerichteten Feststellungsanträgen Ansprüche geltend, die nach ihrem tatsächlichen und rechtlichen Grund den gegen die Beklagten zu 2 bis 4 geltend gemachten Ansprüchen entsprechen. Dass die Klageanträge gegen den Beklagten zu 1 auf Feststellung und die Anträge gegen die Beklagten zu 2 bis 4 auf Zahlung gerichtet sind, steht der Annahme der Gleichartigkeit der Ansprüche im Sinne des § 60 ZPO nicht entgegen (vgl. BayObLG NJW-RR 1990, 1020).

4. Ein die Zuständigkeitsbestimmung ausschließender gemeinsamer allgemeiner oder besonderer Gerichtsstand der Beklagten ist nicht gegeben. Für den Beklagten zu 1 besteht gemäß § 180 Abs. 1 Satz 3 InsO ein ausschließlicher Gerichtsstand in Thüringen. Der allgemeine Gerichtsstand der Beklagten zu 2 bis 4 ist gemäß §§ 13, 17 ZPO beim Landgericht München I begründet. Daneben kommt noch für sie der besondere Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gemäß § 32 ZPO in Frage. Dieser läge ebenfalls beim Landgericht München I, denn die von den Klägern behaupteten Aktivitäten der Organe der B-AG und der A-AG sowie der kontoführenden Bank erfolgten zu einer Zeit, als die A-AG ihren Sitz im Bezirk des Landgerichts München I hatte.

5. Es erscheint zweckmäßig, das Landgericht München I als gemeinsames Gericht zu bestimmen. Drei der vier Beklagten haben ihren allgemeinen Gerichtsstand in seinem Bezirk; das Schwergewicht der zu untersuchenden Vorgänge liegt im dortigen Zuständigkeitsbereich; die Staatsanwaltschaft München I hat hierzu ein Ermittlungsverfahren geführt. Dass für den Beklagten zu 1 ein ausschließlicher Gerichtsstand gemäß § 180 Abs. 1 Satz 3 InsO besteht, schließt die Bestimmung eines davon abweichenden gemeinsamen Gerichts im Einzelfall nicht aus (vgl. BGH NJW 1984, 1624/1625;.NJW 1998, 685/686; BayObLG NJW-RR 1999, 1293/1294; Zöller/Vollkommer § 36 Rn. 18). Im gegebenen Fall sprechen überwiegende Gründe für eine vom ausschließlichen Gerichtsstand des § 180 Abs. 1 Satz 3 InsO abweichende Bestimmung (vgl. Beschluss des Thüringer Oberlandesgerichts vom 27.11.2001, Az. 4 SA 12/01).

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