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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 07.02.2002
Aktenzeichen: 1Z AR 6/2002
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 29 Abs. 1
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 281 Abs. 2 Satz 4 (n.F.)
Zur Frage des Erfüllungsortes bei Malerarbeiten an einem Bauwerk.
Der 1. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Präsidenten Gummer sowie der Richter Rojahn und Seifried

am 7. Februar 2002

in dem Rechtsstreit

wegen Forderung,

hier: Bestimmung des zuständigen Gerichts,

auf Vorlage des Amtsgerichts Kempten (Allgäu)

beschlossen:

Tenor:

Zuständig ist das Amtsgericht Hof.

Gründe:

I.

Der Kläger ist Inhaber eines Malerbetriebes. Die Beklagten sind Wohnungseigentümer. Die Wohnungseigentümergemeinschaft hatte, vertreten durch den Verwalter, mit den Malerarbeiten zur Fertigstellung der Wohnanlage in Hof/Saale den Kläger beauftragt. Dieser verlangt mit der Klage von den Beklagten auf Grund der teils schriftlich, teils mündlich im Jahre 1999 geschlossenen Werkverträge die Bezahlung eines Teils des Werklohns in Höhe von 561,35 DM. Er hat, gestützt auf § 29 Abs. 1 ZPO, die Klage beim Amtsgericht Hof erhoben; da sich die Wohnanlage, an deren Erstellung er mitwirkte, im Bezirk dieses Gerichts befindet. Die Beklagten haben die Zuständigkeit des Amtsgerichts Hof gerügt, weil in den schriftlichen Bauverträgen mit dem Kläger als Gerichtsstand das Landgericht Kempten vereinbart worden sei. Der Kläger hält diese Gerichtsstandsvereinbarung für unwirksam, da die Parteien nicht Kaufleute seien. Hilfsweise hat er "die Verweisung des Rechtsstreits an das für den Wohnsitz der Beklagten zuständige Amtsgericht" beantragt.

Das Amtsgericht Hof hat sich mit verkündetem Beschluss vom 29.10.2001 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit "an das örtlich zuständige Amtsgericht Kempten" verwiesen. Zur Begründung dieses Beschlusses hat es ausgeführt, es sei nicht nach § 29 Abs. 1 ZPO zuständig, weil diese Vorschrift nur eingreife, "wenn es sich um Ansprüche aus einer der Errichtung eines Bauwerks vergleichbaren Werkleistung" handle; hiervon könne "bei Malerarbeiten nicht die Rede sein". Nach der allgemeinen Zuständigkeitsregelung des § 13 ZPO sei der Wohnsitz der Beklagten maßgebend. Die Beklagten hätten ihren Wohnsitz im Amtsgerichtsbezirk Kempten. Daher sei das Amtsgericht Kempten zuständig.

Das Amtsgericht Kempten (Allgäu) hat sich mit - den Parteien mitgeteiltem - Beschluss vom 30.11.2001 für örtlich unzuständig erklärt und die Akten zur Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vorgelegt, und zwar gemäß seinem Beschluss vom 2.1.2002 dem Bayerischen Obersten Landesgericht. Es hält den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Hof für nicht bindend. Ihm fehle insofern jede gesetzliche Grundlage, als nicht ersichtlich sei, weshalb bei der zur Begründung herangezogenen Wohnsitzzuständigkeit das Amtsgericht Kempten (Allgäu) zuständig sein solle, während die Beklagten in Freilassing wohnten, wo die Klage auch zugestellt worden sei.

II.

Zu bestimmen war das Amtsgericht Hof. Die nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dafür maßgebenden Voraussetzungen liegen vor.

1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO als das im Rechtszug zunächst höhere Gericht für die Entscheidung des negativen Zuständigkeitsstreits der beiden verschiedenen bayerischen Oberlandesgerichtsbezirken angehörenden Amtsgerichte zuständig. Beide Amtsgerichte haben sich durch den Parteien mitgeteilte Beschlüsse rechtskräftig für unzuständig erklärt im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO.

Der Umstand, dass nicht nur eines der beiden Gerichte, die sich für unzuständig erklärt haben, sondern - nach der vom Amtsgericht Hof vertretenen Meinung - ein drittes Gericht zuständig sein könnte, nämlich das für den Wohnsitz der Beklagten (§ 13 ZPO) tatsächlich zuständige Amtsgericht Laufen. steht der Zulässigkeit des Bestimmungsverfahrens hier nicht entgegen, da es ohne weitere Ermittlungen aufgrund des hilfsweise gestellten Verweisungsantrags des Klägers bestimmt werden könnte, wenn es tatsächlich zuständig wäre (vgl. BGHZ 71, 69/74 f.; NJW 1995, 534).

2. Nach § 29 Abs. 1 ZPO ist das Amtsgericht Hof zuständig. Es hat seine örtliche Zuständigkeit zu Unrecht verneint. Seinem Verweisungsbeschluss an das Amtsgericht Kempten (Allgäu) fehlt die Bindungswirkung.

a) Nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO n.F. ist ein Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das verwiesen wird, grundsätzlich bindend. Diese Bindung ist auch im Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten (Zöller/Vollkommer § 36 Rn. 28). Eine Bindung tritt aber ausnahmsweise dann nicht ein, wenn die Verweisung offensichtlich gesetzwidrig ist, so dass sie als objektiv willkürlich erscheint (BGHZ 71, 69/72; 102, 338/341; BAGNJW 1997, 1091; BayObLGZ 1986, 285/287; 1991, 280/281 f.; Zöller/Greger § 281 Rn. 17).

Eine ausnahmsweise fehlende Bindung an den Verweisungsbeschluss kann allerdings nicht schon damit begründet werden, dass die Verweisung verfahrenswidrig ohne entsprechenden Antrag des Klägers beschlossen worden ist. Dessen hilfsweise gestellter Verweisungsantrag war auf die Verweisung an das für die Beklagten zuständige Wohnsitzgericht gerichtet; als Wohnsitzgericht wäre aber das Amtsgericht Laufen zuständig, nicht das Amtsgericht Kempten (Allgäu). Die Bindungswirkung entfällt nicht bei jedem, sondern nur bei einem besonders schwerwiegenden Verfahrensverstoß; einen solchen nimmt der Bundesgerichtshof bei einer Verweisung ohne entsprechenden Antrag des Klägers nicht an (BGH FamRZ 1984, 774; NJW 1979, 551; DtZ 1991, 439).

Beschlüsse, durch die ein Rechtsstreit wegen örtlicher Unzuständigkeit verwiesen wird, sind aber ausnahmsweise dann nicht bindend, wenn das verweisende Gericht über die Zuordnung des von ihm für maßgeblich gehaltenen Ortes - hier des Wohnsitzes der Beklagten - zu dem Bezirk des Gerichts, an das verwiesen worden ist, offensichtlich geirrt hat, wie hier (BAG NJW 1997, 1091/1092; Zöller/Greger § 281 Rn. 17). Das Amtsgericht Kempten (Allgäu) hätte nur zuständig sein können, wenn die Parteien eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung getroffen hätten. Das Amtsgericht Hof ist aber, wie sich aus seinem Aufklärungsbeschluss vom 11.6.2001 ergibt, - zutreffenderweise - von der Unwirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung ausgegangen, weil es die nach § 8 Abs. 1 ZPO erforderliche Kaufmannseigenschaft der Parteien für nicht gegeben hielt.

b) Örtlich zuständig ist nach § 29 Abs. 1 ZPO das Amtsgericht Hof.

aa) Bei einer Mehrheit von sich aus einem Verträge ergebenden Verpflichtungen ist der Leistungsort (§ 269 Abs. 1 BGB) grundsätzlich für jede einzelne Verpflichtung besonders zu bestimmen. Das gilt grundsätzlich auch bei gegenseitigen Verträgen (Palandt/Heinrichs BGB 61. Aufl. § 269 Rn. 7, 13). Doch kann der Ort, an dem die vertragscharakteristische Leistung zu erbringen ist, als Schwerpunkt des gesamten Vertrages und nach der Natur des Schuldverhältnisses als Erfüllungsort für die beiderseitigen Verpflichtungen anzusehen sein (Palandt/Heinrichs § 269 Rn. 13). Dies wird von der ganz überwiegenden Meinung, der sich der Senat anschließt, beim Bauvertrag angenommen. Wegen der besonderen Ortsbezogenheit der vertragstypischen Werkleistung liegt am Ort des Bauwerks der Schwerpunkt des Vertrages. Hier muss nicht nur der Unternehmer seine Leistung erbringen; hier muss auch der Besteller nach § 640 BGB eine seiner Hauptpflichten, nämlich die Abnahme des Werkes, erfüllen. Soweit sich nicht aus den Umständen etwas anderes ergibt, entspricht es daher der Natur dieses Schuldverhältnisses, dass die Vertragsparteien ihre gesamten das Bauwerk betreffenden Rechtsbeziehungen an diesem Ort erledigen. Dies liegt auch im wohlverstandenen Interesse beider Vertragsparteien, insbesondere in Fällen wie hier, in denen auf der Bestellerseite mehrere Parteien mit unterschiedlichen (Wohn-)Sitzen beteiligt sind; für gerichtliche Auseinandersetzungen müssen dann nicht mehrere Gerichte bemüht werden, und die Auseinandersetzung kann an dem Ort stattfinden, wo aufgrund der räumlichen Nähe zum Bauwerk eine Beweisaufnahme z.B. über behauptete Mängel regelmäßig einfacher und kostengünstiger durchgeführt werden kann, als an einem auswärtigen Wohnsitz des Auftraggebers (BGH NJW 1986, 935; OLG Schleswig MDR 2000, 1453; OLG Saarbrücken NJW 1992, 987/988; Palandt/Heinrichs § 269 Rn. 14).

bb) Das Amtsgericht Hof weist zwar auf ältere abweichende Entscheidungen hin, argumentiert aber vom Boden der herrschenden Meinung aus. Der Auffassung des Amtsgerichts, dass nach dieser Meinung der Gerichtsstand des Erfüllungsortes am Ort des Bauwerks nur dann begründet sei, "wenn es sich um Ansprüche aus einer der Errichtung des Bauwerks vergleichbaren Werkleistung handelt", dass hiervon aber "bei Malerarbeiten nicht die Rede sein" könne, kann der Senat nicht folgen. Zur Errichtung eines Bauwerks bedarf es des Zusammenwirkens verschiedener Gewerke. Keines dieser Gewerke erstellt für sich allein genommen das Bauwerk. Gegenstand des Werkvertrags waren hier die gesamten Malerarbeiten zur Errichtung der Wohnanlage. Die Gründe, die für einen einheitlichen Erfüllungsort beim Bauvertrag sprechen, treffen bezüglich aller Gewerke, unabhängig davon zu, ob es sich um größere oder kleinere, wichtigere oder unwichtigere Bauleistungen handelt (vgl. OLG Schleswig aaO).



Ende der Entscheidung

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