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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 04.06.2002
Aktenzeichen: 1Z AR 65/02
Rechtsgebiete: ZPO, AGBG


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
AGBG § 9
Zur Frage, inwieweit ein Verweisungsbeschluss eine Bindungswirkung entfaltet.
Gründe:

I

Mit am 24.10.2001 zugestellter Klage machte die Klägerin gegen die Beklagte vor dem Amtsgericht Regensburg einen Schadensersatzanspruch aus abgetretenem Recht wegen eines Transportschadens in Höhe von DM 3334,69 nebst Zinsen geltend. Die Klägerin ist Transportversicherer der X-GmbH, Regensburg, welche der Beklagten am 25.10.2000 den Auftrag erteilte, eine Partie mit 25 Computern an einen Abnehmer in Malta zu transportieren. Bei dem Transport ging ein Computer im Wert von DM 3334,69 verlustig. Die Klägerin hat die Firma X-GmbH in dieser Höhe entschädigt; diese hat ihre Rechte aus dem Schadensereignis am 29.12.2000 an die Klägerin abgetreten.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die örtliche Unzuständigkeit des Amtsgerichts Regensburg gerügt. Die Beklagte, deren Hauptniederlassung sich bis Mai 1999 in Frankfurt/Main befand und deren Sitz seitdem im Amtsgerichtsbezirk Langen ist, hat vorgetragen, dass nach Ziff. 12 ihrer Allgemeinen Beförderungsbedingungen, die in ständiger Geschäftsbeziehung mit der Firma X-GmbH dem Auftrag zugrunde gelegen hätten, die ausschließliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Frankfurt/Main gegeben sei. Die Klägerin beantragte daraufhin, den Rechtsstreit an das Amtsgericht Frankfurt/Main zu verweisen. Mit Beschluss vom 1.3.2002 hat sich das Amtsgericht Regensburg für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit entsprechend dem Antrag der Klägerin an das Amtsgericht Frankfurt/Main verwiesen und zur Begründung ausgeführt, dass nach dem Vorbringen der Beklagten zwischen ihr und der Zedentin X-GmbH die ausschließliche örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Frankfurt/Main vereinbart worden sei, was die Klägerin ausweislich ihres entsprechenden Verweisungsantrages zugestanden habe. Mit ebenfalls den Parteivertretern mitgeteiltem Beschluss vom 20.3.2002 hat das Amtsgericht Frankfurt/Main die Übernahme des Verfahrens abgelehnt. Es hält sich nicht an den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Regensburg gebunden, weil dieser willkürlich sei. Die vom Amtsgericht der Verweisung zugrunde gelegte Gerichtsstandsvereinbarung sei unwirksam, weil sie einen Gerichtsstand bestimme, an dem nunmehr weder die Beklagte noch die X-GmbH ihren Sitz hätten und der auch nicht auf sonstige Weise mit den Rechtsbeziehungen der Parteien in Zusammenhang stehe. Darüber hinaus sei zweifelhaft, ob die AGB der Beklagten überhaupt wirksam vereinbart worden seien.

Das Amtsgericht Regensburg hat die Rückübernahme abgelehnt. Daraufhin hat das Amtsgericht Frankfurt/Main die Akten zur Bestimmung des zuständigen Gerichts dem Bayerischen Obersten Landesgericht vorgelegt.

II.

1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist zur Entscheidung des negativen Zuständigkeitsstreits zwischen dem zuerst befassten Amtsgericht Regensburg in Bayern und dem Amtsgericht Frankfurt/Main in Hessen berufen (§ 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO).

2. Die Voraussetzungen für eine Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Beide Amtsgerichte haben sich nach Eintritt der Rechtshängigkeit durch den Parteien mitgeteilte Beschlüsse vom 1.3.2002 und 20.3.2002 im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO "rechtskräftig" für unzuständig erklärt (BayObLG NJW-RR 1991, 187/188).

3. Örtlich zuständig ist jedenfalls aufgrund des bindenden Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Regensburg vom 1.3.2002 das Amtsgericht Frankfurt/Main.

a) Nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO ist ein Verweisungsbeschluss grundsätzlich unanfechtbar und für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend. Diese Bindung ist auch im Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten, so dass der erste mit verfahrensrechtlicher Bindungswirkung erlassene Verweisungsbeschluss im Bestimmungsverfahren fortwirkt (BayObLG aaO; KG Report 1999, 394/395; Zöller/Vollkommer ZPO 23. Aufl. § 36 Rn. 28). Diese Bindungswirkung greift auch dann ein, wenn der Beschluss unrichtig oder verfahrensfehlerhaft ist und entzieht auch einen sachlich zu Unrecht ergangenen Verweisungsbeschluss grundsätzlich der Nachprüfung (BGH NJW 1988, 1794/1795; BGH FamRZ 1990, 1226/1227; BayObLGZ 1985, 397/401). Die Bindungswirkung gilt ausnahmsweise nur dann nicht, wenn die Verweisung jeder Rechtsgrundlage entbehrt und daher willkürlich ist oder wenn sie auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht (BGHZ 102, 338/3411 BayObLGZ 1991, 280/281 f.; Zöller/Greger § 281 Rn. 17 und 17a). Aus dem Vorrang der vom Gesetzgeber bewusst festgelegten Bindungswirkung, deren Sinn darin besteht, den Streit über die Zuständigkeit bald zu beenden und zur Sachentscheidung zu gelangen (vgl. BGH NJW-RR 1994, 126/127), ergibt sich, dass bei einer nicht verfahrensfehlerfreien Sachbehandlung Willkür nur bejaht werden kann, wenn die Verweisung nicht mehr zu rechtfertigen ist. Das ist hier aber nicht der Fall.

b) Das Amtsgericht Regensburg hat aufgrund Ziff. 12 der Beförderungsbedingungen der Beklagten angenommen, dass zwischen der Rechtsvorgängerin der Klägerin (X-GmbH) und der Beklagten vor Rechtshängigkeit ein ausschließlicher Gerichtsstand in Frankfurt/Main vereinbart worden ist, der nunmehr gemäß § 398 Satz 2 BGB auch für die Klägerin gilt (vgl. Palandt/Heinrichs BGB 61. Aufl. § 398 Rn. 18). Es durfte insoweit von der Behauptung der Beklagten ausgehen, diese seien aufgrund der ständigen Geschäftsbeziehung zwischen X-GmbH und der Beklagten Vertragsinhalt geworden. Die Klägerin hat nämlich diesen Vortrag sich dadurch zueigen gemacht, dass sie selbst die Verweisung an das Amtsgericht Frankfurt/Main beantragt hat (§ 138 Abs. 3 ZPO).

Das Amtsgericht Regensburg lässt in seinem Verweisungsbeschluss nicht erkennen, ob es die Wirksamkeit der von der Beklagten verwandten Gerichtsstandsklausel im Hinblick auf § 9 AGBG (vgl. Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB) darauf überprüft hat, dass mit Frankfurt/Main ein Gerichtsstand bestimmt worden ist, der möglicherweise weder mit dem Vertragsinhalt noch mit dem Geschäftssitz der Beklagten in Zusammenhang steht. Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Regensburg wäre aber selbst dann nicht als willkürlich anzusehen, wenn es die Wirksamkeit der von ihm der Verweisung zugrunde gelegten Gerichtsstandsvereinbarung zu Unrecht bejaht hätte. Der etwaige Rechtsirrtum ließe die Verweisung nicht willkürlich erscheinen. Im übrigen erscheint fraglich, ob sich das Amtsgericht Regensburg insoweit in einem Rechtsirrtum befunden hätte. Immerhin befindet sich der nunmehrige Sitz der Hauptniederlassung der Beklagten im unmittelbaren Einzugsbereich von Frankfurt/Main. Eine Gerichtsstandsklausel, die nicht an den Sitz des Verwenders, sondern an den einer in der Nähe liegenden Großstadt anknüpft, kann nach § 9 AGBG unbedenklich sein, wenn damit für den Vertragsgegner im Vergleich zum Gerichtsstand am Sitz des Verwenders keine relevanten Nachteile verbunden sind und deshalb keine unangemessene Benachteiligung vorliegt (Hans. OLG MDR 2000, 170/171).

Da sich der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Regensburg nicht als willkürlich erweist und auch nicht auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht, ist er bindend.



Ende der Entscheidung

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