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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 12.06.2002
Aktenzeichen: 1Z AR 69/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 281
Zur Frage der fehlende Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses.
Gründe:

I.

Die Klägerin, ein zahnärztliches Abrechnungsunternehmen, verlangt aus abgetretenem Recht vom Beklagten ein Honorar in Höhe von DM 102,87 = EUR 52,60 für die am 19.4.1999 erfolgte Behandlung der minderjährigen Tochter des damals in Erding wohnhaften Beklagten durch den ebenfalls in Erding ansässigen Zahnarzt. Die Klägerin erwirkte über die Honorarforderung nebst Nebenforderung und Zinsen einen Mahnbescheid, der dem Beklagten an seiner Erdinger Adresse am 6.11.2001 zugestellt wurde. Am 27.11.2001 erteilte das Mahngericht den Vollstreckungsbescheid. Am 28.11.2001 ging der Widerspruch des Beklagten ein unter Hinweis auf seine Adresse in Frankfurt am Main. Das Mahngericht behandelte den verspäteten Widerspruch als Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid, der dem Beklagten am 4.12.2001 unter seiner Frankfurter Adresse zugestellt wurde. Am 17.12.2001 ging die Akte beim Amtsgericht Erding ein, das von der Klägerin im Mahnantrag als für das, Streitverfahren zuständige Gericht angegeben worden war.

Nach Eingang der Anspruchsbegründung wies das Amtsgericht Erding die Klägerin darauf hin, dass im Zeitpunkt des Akteneingangs der allgemeine Gerichtsstand des Beklagten nicht mehr in seinem Gerichtsbezirk gelegen sei. Mit Schriftsatz vom 30.1.2002 teilte die Klägerin unter Angabe von Rechtsprechungs- und Literaturnachweisen mit, dass sich nach ihrer Auffassung die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Erding aus § 29 ZPO ergebe; der Beklagte habe zum Zeitpunkt der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz im Amtsgerichtsbezirk Erding unterhalten; auf einen Wohnsitzwechsel nach Vertragsschluss komme es nicht an. Hilfsweise beantragte die Klägerin die Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht Frankfurt am Main. Mit Schriftsatz vom 18.2.2002 ließ die Klägerin unter Bezugnahme auf den Schriftsatz vom 30.1.2002 anfragen, ob der zur mündlichen Verhandlung am 28.2.2002 anberaumte Termin stattfinde oder der Rechtsstreit an das Amtsgericht Frankfurt am Main verwiesen werde. Mit Schriftsatz vom 25.2.2002 ließ die Klägerin nunmehr die Abgabe des Rechtsstreits an das "örtlich zuständige" Amtsgericht Frankfurt am Main beantragen. Der Beklagte erhielt hierzu Gelegenheit zur Stellungnahme. Mit Beschluss vom 6.3.2002 erklärte sich das Amtsgericht Erding für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Amtsgericht Frankfurt/ Main. Zur Begründung führte es aus, dass bereits zum Zeitpunkt der Anhängigkeit beim Amtsgericht Erding infolge Akteneingangs der allgemeine Gerichtsstand des Beklagten im Bezirk des Amtsgerichts Frankfurt/Main gelegen habe. Das Amtsgericht Frankfurt am Main lehnte die Übernahme des Verfahrens ab und verwies mit Beschluss vom 12.4.2002 den Rechtsstreit zurück an das Amtsgericht Erding. Es hält den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Erding für unverbindlich, weil die Klägerin lediglich die Abgabe beantragt habe und das Amtsgericht Erding als Gerichtsstand des Erfüllungsortes zuständig sei. Das Amtsgericht Erding legte die Akten zur Bestimmung des zuständigen Gerichts dem Bayerischen Obersten Landesgericht vor.

II.

1. Das Bayerische oberste Landesgericht ist zur Entscheidung des negativen Zuständigkeitsstreits zwischen dem zuerst befassten Amtsgericht Erding in Bayern und dem Amtsgericht Frankfurt am Main in Hessen berufen (§ 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO).

2. Die Voraussetzungen für eine Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Beide Amtsgerichte haben sich rechtskräftig im Sinne dieser Vorschrift mit Beschlüssen vom 6.3.2002 und 12.4.2002 für unzuständig erklärt, die den Parteien bekannt gemacht worden sind.

3. Als zuständiges Gericht ist das Amtsgericht Erding zu bestimmen.

a) Das Amtsgericht Erding ist für die Klage als Gericht des vertraglichen Erfüllungsortes gemäß § 29 ZPO zuständig, da der Beklagte im Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 19.4.1999 seinen allgemeinen Gerichtsstand im Amtsgerichtsbezirk Erding gehabt hat. Dort war demnach der gesetzliche Erfüllungsort für das von ihm geschuldete Zahnarzthonorar begründet. Auf den späteren Wohnsitzwechsel des Beklagten kommt es nicht an (BayObLG NJW-RR 1996, 956; Zöller/Vollkommer ZPO 23. Aufl. § 29 Rn. 23, 24). Zwar hatte der Beklagte im Zeitpunkt der Anhängigkeit der Streitsache beim Amtsgericht Erding am 17.12.2001 (§ 696 Abs. 1 Satz 3 ZPO; vgl. Zöller/Vollkommer § 696 Rn. 5) seinen allgemeinen Gerichtsstand beim Amtsgericht Frankfurt am Main. Dies gewinnt aber im vorliegenden Fall keine Bedeutung, da die Klägerin ihr Wahlrecht gemäß § 35 ZPO zugunsten des Amtsgerichts Erding dadurch verbindlich ausgeübt hat, dass sie im Antrag auf Erlass des Mahnbescheids das Amtsgericht Erding als das Gericht bezeichnet hat, das für das streitige Verfahren zuständig ist (§ 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO) und darüber hinaus mit Schriftsatz vom 30.1.2002 deutlich gemacht hat, an dieser Wahl festhalten und den Beklagten in dem beim Amtsgericht Erding begründeten besonderen Gerichtsstand des Erfüllungsortes in Anspruch nehmen zu wollen.

b) Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Frankfurt am Main folgt auch nicht aus einer Bindung an den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Erding vom 6.3.2002 gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO. Diese Bindungswirkung gilt nicht, wenn die Verweisung willkürlich ist oder auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht (vgl. BGH NJW 1993, 1273; BayObLGZ 1993, 317/319; Zöller/Greger ZPO 23. Aufl. § 281 Rn. 17, 17a m. w. N.).

Ein solcher Fall liegt hier vor. Das als Gericht des Erfüllungsortes unzweifelhaft örtlich zuständige Amtsgericht Erding hat sich darüber hinweggesetzt, dass die Verweisung des Rechtsstreits gemäß § 281 Abs. 1 ZPO die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts voraussetzt. Es liegt insoweit auch kein schlichter, die Bindungswirkung noch nicht beseitigender Rechtsirrtum über die beim Amtsgericht Erding gegebenen Voraussetzungen des § 29 ZPO vor. Die Klägerin hat nämlich ausdrücklich vor Verweisung unter Angabe von Rechtsprechungsnachweisen und einer Kommentarstelle darauf hingewiesen, dass im vorliegenden Fall der gesetzliche Erfüllungsort beim Amtsgericht Erding begründet ist und sie sich keineswegs auf den allgemeinen Gerichtsstand des Wohnsitzes beschränken wolle. Das Amtsgericht Erding ist darüber hinweggegangen. Seinem Verweisungsbeschluss ist nichts darüber zu entnehmen, warum beim Amtsgericht Erding der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsortes nicht gegeben sein sollte.



Ende der Entscheidung

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