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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 10.06.2002
Aktenzeichen: 1Z AR 70/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 29 Abs. 1
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
Zur Frage, wann eine Unzuständigkeitserklärung im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO im Falle eines unvollständigen Zuständigkeitsstreits in Rechtskraft erwächst.
Gründe:

I.

Die Klägerin hat eine Forderung gegen die Beklagte von 14345,29 DM (8533,64 EUR) im Mahnverfahren geltend gemacht, wobei sie eine Adresse der Beklagten im Landgerichtsbezirk Bonn angab und als Prozessgericht, an das im Fall des Widerspruchs das Verfahren abzugeben sei, das Amtsgericht München benannte. Der Mahnbescheid wurde der Beklagten aber an eine von der Post berichtigte Adresse im Landgerichtsbezirk Krefeld zugestellt. Das Amtsgericht München, an das das Mahngericht das Verfahren nach Widerspruch der Beklagten abgegeben hatte, bat um "Stellungnahme zur örtlichen und sachlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts München und ggf. Verweisungsantrag"; es wies auf den "Schuldnersitz Bonn" hin. Die Klägerin beantragte daraufhin, "die Sache an das örtlich und sachlich zuständige Landgericht Bonn abzugeben". Das Amtsgericht München wies die Beklagte auf seine Absicht, den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung an das Landgericht Bonn zu verweisen, hin. Die Beklagte erklärte dazu, sie stelle die Verweisung an das Landgericht Bonn ohne mündliche Verhandlung anheim, das Landgericht Bonn sei aber örtlich nicht zuständig. Mit Beschluss vom 5.4.2002 erklärte sich das Amtsgericht München für örtlich und sachlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit - mit der Begründung: "Die Beklagte sitzt im dortigen Bezirk" - an das Landgericht Bonn. Mit Schriftsatz vom 3.5.2002 an das Landgericht Bonn wies die Beklagte darauf hin, dass "das angerufene Gericht örtlich noch immer nicht zuständig" sei, weil die Beklagte ihren Geschäftssitz zum Zeitpunkt der Zustellung des Mahnbescheids in Krefeld gehabt habe. Die Klägerin erwiderte, es dürfte zutreffen, dass die Beklagte zwischenzeitlich ihren Sitz verlegt habe. Dies ändere nichts an der Zuständigkeit des Landgerichts Bonn, an das das Verfahren mit bindender Wirkung verwiesen worden sei. Sie stellte auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Bonn keinen (weiteren) Verweisungsantrag.

Mit (den Parteien mitgeteiltem) Beschluss vom 31.5.2002 erklärte sich das Landgericht Bonn für örtlich unzuständig und legte "den Rechtsstreit zur Entscheidung über die örtliche Zuständigkeit dem... Bayerischen Obersten Landesgericht vor". Zur Begründung führte es aus, es sei nach § 29 ZPO nicht zuständig, weil der Erfüllungsort der streitigen Forderung der Sitz der Beklagten sei, der sich im Landgerichtsbezirk Krefeld befinde. Örtlich zuständig sei damit das Landgericht Krefeld. Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts München sei nicht bindend, weil aus dem Aktenausdruck des Mahngerichts ersichtlich gewesen sei, dass der Mahnbescheid nach vorangegangener Berichtigung der Zustelladresse durch die Post in Krefeld zugestellt worden sei. Die Verweisung an ein danach offensichtlich örtlich unzuständiges Gericht stelle eine willkürliche, jeder gesetzlichen Grundlage entbehrende Entscheidung dar, die keine Bindungswirkung begründe.

II.

1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist nach dem derzeitigen Sach- und Verfahrensstand zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits nach § 36 Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO zuständig.

2. Die Voraussetzungen für eine Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen nicht vor.

a) Es erscheint schon zweifelhaft, ob sich das Landgericht ,Bonn im Sinne dieser Bestimmung "rechtskräftig für unzuständig erklärt" hat. Es hat keinen Verweisungsbeschluss erlassen. Es verneint zwar seine eigene Zuständigkeit, geht aber weder von der Zuständigkeit des verweisenden Amtsgerichts München aus, noch hat es das nach seiner Meinung zuständige Gericht bestimmt.

b) Dies kann aber dahinstehen, denn die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist jedenfalls deswegen nicht möglich, weil sie voraussetzt, dass sich das Gericht, das nach Meinung des vorlegenden Gerichts tatsächlich zuständig ist, rechtskräftig für unzuständig erklärt hat (vgl. BGHZ 71, 69/74 f.; NJW 1996, 3013; BayObLG NJW-RR 2000, 67; Zöller/Vollkommer ZPO 23. Aufl. § 36 Rn. 27). Das Amtsgericht München ist aber keinesfalls zuständig. Das nach Meinung des Landgerichts Bonn zuständige Landgericht Krefeld ist am Kompetenzstreit nicht beteiligt. Aus Gründen der Prozessökonomie hat die Rechtsprechung eine Gerichtsstandsbestimmung zwar auch dann zugelassen, wenn ein drittes am Kompetenzkonflikt nicht beteiligtes Gericht ausschließlich zuständig ist und der erforderliche Verweisungsantrag im Ausgangs- oder im Bestimmungsverfahren gestellt ist (BGH, BayObLG , Zöller/Vollkommer jeweils aaO). Diese Voraussetzungen liegen hier aber nicht vor. Eine Gerichtsstandsbestimmung kommt daher nicht in Betracht (vgl. BGH NJW 1996, 3013/3014).

c) Im übrigen weist der Senat darauf hin, dass der vom vorlegenden Gericht ermittelte Sachverhalt die Entscheidung über die Zuständigkeitsfrage noch nicht zuließe. Das vorlegende Gericht könnte nämlich selbst als Gericht des Leistungsortes zuständig sein (§ 29 Abs. 1 ZPO). Der Leistungsort wird durch die Verhältnisse bei Entstehung des Schuldverhältnisses bestimmt (§ 269 Abs. 1 BGB; Palandt/Heinrichs BGB 61. Aufl. § 269 Rn. 18). Bislang steht nur fest, dass der Sitz der Beklagten bei Zustellung des Mahnbescheids und in der Folge in Krefeld lag. Aus den Akten geht jedoch nicht hervor, dass dies auch im Zeitpunkt der Entstehung des Schuldverhältnisses der Fall war. Sollte zu diesem - früheren - Zeitpunkt noch Bonn Sitz der Beklagten gewesen sein, könnte auch dann nicht gesagt werden, der nach § 29 Abs. 1 ZPO begründbare Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts München entbehre jeglicher Rechtsgrundlage, wenn das Amtsgericht München nur den allgemeinen Gerichtsstand der Beklagten im Auge gehabt und übersehen hätte, dass dieser im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit (vgl. § 261 ZPO) nicht mehr bei dem Landgericht Bonn begründet war.



Ende der Entscheidung

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