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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 25.07.2003
Aktenzeichen: 1Z AR 71/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 24
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 281 Abs. 1 Satz 4
1. Zum ausschließlichen dinglichen Gerichtsstand für eine Klage auf Duldung der Zwangsvollstreckung in ein Grundstück auf Grund Gläubigeranfechtung.

2. Keine Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses, wenn der Verweisungsgrund von vorneherein nur für einen Teil der in Klagehäufung erhobenen Ansprüche zutrifft und der Rechtsstreit insgesamt verwiesen worden ist.


Gründe:

I.

Die Kläger sind Erben der von X, für die der Ehemann der Beklagten als Anlageberater tätig war. Sie werfen diesem Unterschlagung und Veruntreuung von Vermögen des X vor und haben gegen ihn einen Vollstreckungsbescheid über 136271,79 EUR des Amtsgerichts Coburg erwirkt. Der Ehemann der Beklagten hat am 15.11.2001 die eidesstattliche Offenbarungsversicherung abgegeben. Die Kläger behaupten, der Ehemann der Beklagten habe das veruntreute Geld seiner Ehefrau, der Beklagten, übertragen, die damit in Bitterfeld gelegene Grundstücke in Kenntnis der Herkunft des Geldes erworben habe.

Mit vor dem Landgericht Kempten (Allgäu) gegen die im dortigen Bezirk wohnhafte Beklagte erhobener Klage kündigten die Kläger folgende Klageanträge an, die sie auf Gläubigeranfechtung stützen:

I.. Die Beklagte wird verurteilt wegen der vollstreckbaren Forderung der Kläger in Höhe von EUR 136271,79 aufgrund des Vollstreckungsbescheides des Amtsgerichts Coburg - vom 13.3.2002 - die Zwangsvollstreckung in die Grundstücke ... zu dulden.

II. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger EUR 136271,79 nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Das Landgericht Kempten (Allgäu) wies die Parteien darauf hin, dass bei ihm ein Parallelverfahren anhängig sei, das die Duldung der Zwangsvollstreckung in die streitgegenständlichen Grundstücke zum Gegenstand habe und in dem ein Gutachten zu den Grundstückswerten eingeholt werde. Mit Beschluss vom 15.10.2002 setzte das Landgericht Kempten (Allgäu) das Verfahren gemäß § 148 ZPO im Hinblick auf das Parallelverfahren und das dort eingeholte Gutachten zum Wert der streitgegenständlichen Grundstücke mit Einverständnis der Parteien aus.

Mit Verfügung vom 20.1.2003 wies das Landgericht Kempten (Allgäu) die Parteien darauf hin, dass eine Anfechtungsklage vorliege, für die der ausschließliche dingliche Gerichtsstand des § 24 ZPO gegeben sei. Es begründete seine Auffassung da- mit, dass die Rechtsverhältnisse am Grundstück am besten von dem Richter festgestellt und gewürdigt werden könnten, in dessen Bezirk das Grundstück liegt; § 24 ZPO stelle nicht auf den Klagegrund, sondern auf den Klageantrag ab. Da die Kläger auf Duldung der Zwangsvollstreckung klagten, betreffe die Klage das Eigentum der Beklagten.

Die Kläger beantragten daraufhin die Verweisung des Rechtsstreits "an das zuständige Landgericht". Die Beklagte wandte sich ausdrücklich gegen eine Verweisung mit der Begründung, § 24 ZPO sei auf den vorliegenden Sachverhalt der Anfechtungsklage nicht anwendbar, und wies auf die einschlägige Rechtsprechung (OLG Celle MDR 1986, 1031) und Kommentarliteratur (Zöller/Vollkommer ZPO 23. Aufl. § 24 Rn. 9) hin. Mit Beschluss vom 22.5.2003 erklärte sich das Landgericht Kempten (Allgäu) für unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Landgericht Dessau. Zur Begründung verwies es auf seinen Hinweis vom 20.1.2003.

Das Landgericht Dessau lehnte mit Beschluss vom 16.6.2003 die Übernahme des Rechtsstreits ab und legte die Akte zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vor. Es ist der Auffassung,' dass der dingliche Gerichtsstand des § 24 ZPO nicht für Klagen auf Duldung der Zwangsvollstreckung in ein Grundstück aufgrund einer Anfechtung nach dem Anfechtungsgesetz gilt.

II.

1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist zur Entscheidung des negativen Zuständigkeitsstreits berufen, weil die beteiligten Gerichte zu einem bayerischen und einem außerbayerischen Oberlandesgerichtsbezirk gehören und das Landgericht Kempten (Allgäu) zuerst mit der Sache befasst war (§ 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO).

2. Die beiden am Kompetenzstreit beteiligten Landgerichte, von denen nach Sachlage eines zuständig sein muss, haben sich nach Eintritt der Rechtshängigkeit jeweils durch unanfechtbare Verweisungsbeschlüsse (§ 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO) im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO "rechtskräftig" für unzuständig erklärt. Der Beschluss des Landgerichts Dessau vom 16.6.2003 ist sinngemäß als Rückverweisung an das Landgericht Kempten (Allgäu) zu verstehen, da in den Gründen der Standpunkt vertreten wird, dieses sei ungeachtet des Verweisungsbeschlusses zuständig geblieben.

3. Zuständig ist das Landgericht Kempten (Allgäu).

a) Das Landgericht Kempten (Allgäu) ist für den in Klagehäufung neben dem Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung in Grundstücke erhobenen Zahlungsanspruch unzweifelhaft als Gericht des allgemeinen Gerichtsstands der Beklagten gemäß §§ 12, 13 ZPO zuständig. Diese Zuständigkeit ist auch nicht aufgrund des Verweisungsbeschlusses des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 22.5.2003 an das Landgericht Dessau übergegangen, weil der Verweisungsbeschluss keine Bindungswirkung entfaltet hat. Ein Verweisungsbeschluss ist nicht bindend, wenn die Verweisung sich so weit von der gesetzlichen Grundlage entfernt, dass sie im Hinblick auf das Gebot des gesetzlichen Richters und das Willkürverbot des Grundgesetzes nicht mehr hingenommen werden kann (vgl. BGH NJW 1993, 1273; BayObLGZ 1993 317/319; Zöller/Greger § 281 Rn. 17 m. w. N.). Ein solcher Fall liegt hier vor. Der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Kempten (Allgäu) entbehrt bezüglich des erhobenen Zahlungsanspruchs jeder gesetzlichen Grundlage, weil die Verweisung des Rechtsstreits gemäß § 281 Abs. 1 ZPO die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts voraussetzt und diese hinsichtlich des auf Zahlung gerichteten Klageantrags offen sichtlich nicht gegeben ist. Es ist kein Gesichtspunkt erkennbar, warum für diesen Anspruch der allgemeine Gerichtsstand nicht eröffnet sein und statt dessen eine Zuständigkeit des Landgerichts Dessau in Betracht kommen soll. Das Landgericht Kempten (Allgäu) hat sich ohne jede Begründung darüber hinweggesetzt, dass es insoweit als Gericht des allgemeinen Gerichtsstands der Beklagten gemäß §§ 12, 13 ZPO zuständig ist. Damit entfällt die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses insgesamt, weil der Rechtsstreit als ganzer verwiesen wurde.

b) Auch hinsichtlich des Klageantrags I für sich kommt - die Abtrennung des Verfahrens vorausgesetzt - eine Zuständigkeit des Landgerichts Dessau nicht in Betracht. Das Landgericht Kempten (Allgäu) ist als Gericht des allgemeinen Gerichtsstands der Beklagten gemäß §§ 12, 13 ZPO auch insoweit zuständig, als die Kläger von der Beklagten die Duldung der Zwangsvollstreckung in deren im Landgerichtsbezirk Dessau gelegenen Grundstücke begehren. Dieser Gerichtsstand wird nicht durch den ausschließlichen Gerichtsstand gemäß § 24 ZPO verdrängt. Dieser betrifft Klagen, durch die das Eigentum, eine dingliche Belastung oder die Freiheit von einer solchen geltend gemacht wird. Die Frage, ob der ausschließliche dingliche Gerichtsstand des § 24 ZPO auch für Anfechtungsklagen gilt, die mit dem Eigentum an einer unbeweglichen Sache oder dessen Belastung bzw. Freiheit davon in Zusammenhang stehen (vgl. Huber Anfechtungsgesetz 9. Aufl. § 13 Rn. 35), hat hier keine Bedeutung. Ein solcher Zusammenhang ist jedenfalls dann nicht gegeben, wenn durch die Anfechtungsklage die Stellung der Beklagten als Grundstückseigentümer lediglich dadurch berührt wird, dass wegen eines gegen den Schuldner gerichteten - schuldrechtlichen - Anspruchs die Duldung der Zwangsvollstreckung in sein Grundstück verlangt wird. Denn mit dieser Klage wird weder Eigentum noch eine dingliche Belastung geltend gemacht; sie ist vielmehr darauf gerichtet, dass der Anfechtungsgegner die erhaltene Zuwendung für die Vollstreckung durch den Gläubiger so zur Verfügung zu stellen hat, wie wenn die anfechtbare Zuwendung nicht erfolgt wäre (vgl. Stein/Jonas/Schumann ZPO 21. Aufl. § 24 Rn..10). Der Senat ist daher mit der herrschenden Meinung der Auffassung, dass der ausschließliche Gerichtsstand der belegenen Sache nicht für Klagen wegen Gläubigeranfechtung mit dem Zweck der Ermöglichung der Vollstreckung in ein Grundstück gilt (vgl. KG JW 1926, 1595; OLG Celle MDR 1986, 1031; Zöller/Vollkommer ZPO 23. Aufl. § 24 Rn. 9; Musielak ZPO 3. Aufl. § 24 Rn. 7; MünchKomm/Patzina § 24 Rn. 8; Baumbach/Lauterbach/Hartmann ZPO 61. Aufl. § 24 Rn. 4; Wieczorek ZPO 2. Aufl. § 24 Rn. B II c 1). In einem solchen Fall stehen in der Regel die Begründetheit des schuldrechtlichen Anspruches und des Anfechtungsgrundes im Vordergrund und nicht die rechtliche Beschaffenheit des Grundstücks selbst.

Ende der Entscheidung

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