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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 12.08.2003
Aktenzeichen: 1Z AR 88/03
Rechtsgebiete: ZPO, EuGVVO


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
EuGVVO Art. 2 Abs. 1
EuGVVO Art. 5 Nr. 1
EuGVVO Art. 6 Nr. 1
1. Zum Gerichtsstand des Erfüllungsorts für die Klage aus Herstellergarantie gegen den ausländischen Hersteller eines vom inländischen Vertragshändler gekauften Kraftfahrzeugs.

2. Zur Bindungswirkung eines möglicherweise fehlerhaften Verweisungsbeschlusses, wenn die Verweisung im Einvernehmen der Parteien ergangen ist und dieses Einvernehmen nicht auf einer fehlerhaften Belehrung des verweisenden Gerichts beruht.


Gründe:

I.

Der Kläger macht gegen die beklagten Gesellschaften einen Anspruch aus Garantiehaftung wegen eines defekten Stoffdaches an dem von ihm von einem Vertragshändler der Herstellerfirma gekauften Pkw geltend. Die Beklagte zu 1 ist Importeurin mit Sitz in Saarbrücken, die Beklagte zu 2 Herstellerin mit Sitz in Paris. Vertragshändler und Kläger haben ihren Sitz bzw. Wohnsitz im Bezirk des Amtsgerichts Kronach. Der Kläger hat zunächst gegen die Beklagte zu 1 Klage zum Amtsgericht Kronach erhoben und dort einen Gerichtsstand des Erfüllungsortes behauptet. Die Beklagte zu 1 hat die Rüge der örtlichen Unzuständigkeit des Amtsgerichts Kronach erhoben und die Passivlegitimation der Beklagten zu 1 bestritten. Das Amtsgericht Kronach wies die Parteien darauf hin, dass "die inländische Tochtergesellschaft eines ausländischen Fahrzeugherstellers für Ansprüche aus der Herstellergarantie nicht passivlegitimiert" sei. Daraufhin hat der Kläger die "Abgabe" des Rechtsstreits an das Amtsgericht Saarbrücken beantragt und gleichzeitig die Klage gegen die Beklagte zu 2 erweitert. Das Amtsgericht Kronach veranlasste die Zustellung der Klageerweiterung an die Beklagte zu 2 in Paris, für die sich die Prozessbevollmächtigten, die auch die Beklagte zu 1 vertreten, bestellten. Sie erinnerten an den Verweisungsantrag des Klägers. Mit Beschluss vom 16.6.2003 erklärte sich das Amtsgericht Kronach für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Amtsgericht Saarbrücken. Zur Begründung ist nur § 281 ZPO angegeben. Mit Beschluss vom 4.7.2003 lehnte das Amtsgericht Saarbrücken die Übernahme des Verfahrens ab. Gegen die Beklagte zu 2 sei eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Saarbrücken nicht ersichtlich; hinsichtlich der Beklagten zu 1 bestehe nach der Behauptung des Klägers ein Gerichtsstand des Erfüllungsortes am Wohnsitz des Klägers. Gegen diesen Beschluss legten die Beklagten Beschwerde ein. Das Amtsgericht Saarbrücken teilte den Beklagtenvertretern mit, dass die Ablehnung der Übernahme ebenso wenig wie der Verweisungsbeschluss anfechtbar sei, und legte die Akten zur Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vor.

II.

1. Nach § 36 Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO hat das Bayerische Oberste Landesgericht die Bestimmung des "zuständigen Gerichts vorzunehmen. Die beiden am Kompetenzstreit beteiligten Amtsgerichte haben sich nach Eintritt der Rechtshängigkeit jeweils durch den Parteien mitgeteilte Beschlüsse im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO "rechtskräftig" für unzuständig erklärt.

2. Zuständig ist infolge der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Kronach vom 16.6.2003 das Amtsgericht Saarbrücken (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO).

a) Nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO ist ein Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend. Diese Bindung ist auch im Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten (Zöller/Vollkommer ZPO 23. Aufl. § 36 Rn. 28). Die Bindungswirkung tritt ausnahmsweise dann nicht ein, wenn die Verweisung sich so weit von der gesetzlichen Grundlage entfernt, dass sie im Hinblick auf das Gebot des gesetzlichen Richters und das Willkürverbot des Grundgesetzes nicht hingenommen werden kann (vgl. BGHZ 71, 69/72; 102, 338/341; BAG NJW 1997, 1091; BayObLGZ 1986, 285/287; 1991, 280/281 f.; 2003 Nr. 32; Zöller/Greger § 281 Rn. 17).

b) Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Zwar kommt für die Garantiehaftung der Beklagten zu 2 als Herstellerin des Fahrzeugs ein Gerichtsstand des Erfüllungsortes beim Amtsgericht Kronach in Betracht (Art. 5 Nr. 1 EuGVVO, der neben der internationalen auch die örtliche Zuständigkeit bestimmt und in seinem Anwendungsbereich die nationalen Zuständigkeitsregeln verdrängt; vgl. Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO 25. Aufl. EuGVVO Art. 5 Rn. 1 und Vorbem. zu Art. 5; Kropholler Europäisches Zivilprozessrecht 7. Aufl. vor Art. 2 Rn. 3, 16, vor Art. 5 Rn. 5). Denn dass ein ausländischer Hersteller, der seine Fahrzeuge über ein Netz von inländischen Vertragshändlern vertreibt, die von ihm gegebene Werksgarantie am jeweiligen Ort seiner Vertragshändler erfüllen will, ist naheliegend und wird von der Beklagten zu 2 nicht in Abrede gestellt. Mit Zustellung der Klageerweiterung an die Beklagte zu 2 war der Rechtsstreit auch in Richtung gegen die Beklagte zu 2 beim Amtsgericht Kronach rechtshängig geworden; das Amtsgericht Kronach hätte eine etwa bei ihm bestehende Zuständigkeit, durch die es an einer Verweisung gehindert wäre, beachten müssen.

Ob für die gegen die Beklagte zu 2 gerichtete Klage ein solcher Gerichtsstand des Erfüllungsortes beim Amtsgericht Kronach bestand, kann aber letztlich offen bleiben. Gegebenenfalls hätte der Kläger die Wahl gehabt, die Beklagte zu 2 vor einem nach französischem Recht örtlich zuständigen französischen Gericht (Art. 2 Abs. 1, Art. 60 EuGVVO), beim Amtsgericht Kronach als Gerichtsstand des Erfüllungsortes (Art. 5 Nr. 1 EuGVVO) oder - nach Verweisung des Rechtsstreits gegen die Beklagte zu 1 an das für ihren Sitz zuständige Amtsgericht Saarbrücken - im Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (Art. 6 Nr. 1 EuGVVO) beim Amtsgericht Saarbrücken zu verklagen. Dass er insoweit den Gerichtsstand des Erfüllungsortes beim Amtsgericht Kronach bindend gewählt hätte, lässt sich nicht feststellen. Zwar hatte sich der Kläger für seine Klage gegen die Beklagte zu 1 zunächst auf den Gerichtsstand des Erfüllungsortes berufen; für diese Klage ist das Bestehen eines Gerichtsstands des Erfüllungsortes beim Amtsgericht Kronach aber durchaus zweifelhaft. Nach Erwiderung und Erhebung der Zuständigkeitsrüge durch die Beklagte zu 1 sowie nach Hinweis des Gerichts, dass die Beklagte zu 1 als von der Herstellerin verschiedene Rechtsperson nicht für die Herstellergarantie einzustehen habe, beantragte der Kläger die "Abgaben an das Amtsgericht Saarbrücken und erweiterte gleichzeitig die Klage auf die Beklagte zu 2. Eine Festlegung des Klägers auf den Gerichtsstand des Erfüllungsortes beim Amtsgericht Kronach für die gegen die Beklagte zu 2 gerichtete Klage kann darin nicht gesehen werden. In diesem Verfahrensstadium kam hinsichtlich der Beklagten zu 1 eine Verweisung und hinsichtlich der Beklagten zu 2 eine formlose Abgabe an das Amtsgericht Saarbrücken in Betracht, das dann die Zustellung an die Beklagte zu 2 zu veranlassen gehabt hätte. Bei dieser Sachlage ist der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Kronach, auch wenn er nicht näher begründet ist, bindend, zumal er im Einvernehmen der Parteien ergangen ist (vgl. BGH vom 10.6.2003 - X ARZ 92/03 m. w. N.) und dieses Einvernehmen auch nicht etwa auf einer fehlerhaften Belehrung des verweisenden Gerichts beruht.

Ende der Entscheidung

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