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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 29.08.2002
Aktenzeichen: 1Z BR 103/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 2084
BGB § 2091
Zur Frage, wie ein Testament auszulegen ist.
Gründe:

I.

Der am 22.11.1973 im Alter von 57 Jahren verstorbene Erblasser war verwitwet. Die Beteiligten sind Tochter und Schwiegersohn, Sohn und Schwiegertochter sowie die drei Enkel des Erblassers. Der Nachlass besteht im wesentlichen aus einem (Zwischenzeitlich geteilten) Grundstück mit Haupt- und Nebengebäude. Am 25.8.1973 hatte der Erblasser im Wege des privatschriftlichen Testaments u.a. wie folgt verfügt:

"Das Hauptgebäude mit 3 Wohnungen bekommen, Mein Schwiegersohn H. (Beteiligter zu 2) und G. (Beteiligte zu 1) je zur Hälfte. Im falle eine Scheidung zwischen H. (Beteiligter zu 2) und G. (Beteiligte zu 1) fällt das ganze Gebäude mit allen Nebenräumen an G. (Beteiligte zu 1) und Ihre Kinder (Beteiligte zu 5, 6 und 7).

Das Nebengebäude erben die Fam. S. (Beteiligte zu 3 und 4). Dazu ein Garagenplatz und ein Keller im Haus."

Das Amtsgericht erteilte am 13.3.1974 einen gemeinschaftlichen Erbschein, der die Beteiligten zu 1 bis 4 als Erben zu je 1/4 ausweist; ferner ist bezeugt, dass die Beteiligten zu 1, 5, 6 und 7 Nacherben zu gleichen Teilen hinsichtlich des 1/4-Erbteils des Beteiligten zu 2 sind und dass die Nacherbfolge mit der Scheidung der Ehe der Beteiligten zu 1 und 2 eintritt.

Der Erbschein entsprach den damals von den Beteiligten vor dem Nachlassgericht abgegebenen Erklärungen. Sein Inhalt wurde auch dem notariellen Auseinandersetzungsvertrag der Beteiligten zu 1 bis 4 vom 15.9.1976 zugrunde gelegt. In diesem Vertrag wurden die durch Teilung des Grundstücks neu gebildeten Flurstücke unter den Beteiligten zu 1 bis 4 u. a. dahin aufgeteilt, dass die Beteiligten zu 1 und 2 je zur Hälfte ein Grundstück mit dem Hauptgebäude und die Beteiligten zu 3 und 4 je zur Hälfte ein Grundstück mit dem Nebengebäude bekamen.

Mit Urteil vom 28.9.2000 wurde die Ehe der Beteiligten zu 1 und 2 geschieden. Zu diesem Zeitpunkt war ein den Erbschein vom 13.3.1974 betreffendes Einziehungsverfahren in zweiter Instanz beim Landgericht anhängig. Dieses Verfahren war Anfang 2000 durch unterschiedliche Auffassungen darüber ausgelöst worden, ob sich die Nacherbfolge nur auf den 1/4-Erbteil des Beteiligten zu 2 oder auf die Erbanteile der Beteiligten zu 1 und 2 bezieht. Die im Erbschein ausgewiesene Aufteilung unter den vier Vor- bzw. Vollerben in vier Viertel - d.h. die Bewertung der zwei Hausgrundstücke mit je 1/2 des Nachlasswertes - wurde und wird von den Beteiligten nicht in Frage gestellt.

Mit Beschluss vom 27.11.2000 stellte das Landgericht für das Einziehungsverfahren die Erledigung der Hauptsache fest. Über die gegen diesen Beschluss gerichteten Kostenbeschwerden hat der Senat am 9.2.2001 entschieden. Dabei blieb offen, auf welchen Erbteil sich die Nacherbfolge bezieht, da der ursprüngliche Erbschein schon infolge Eintritts des Nacherbfalls einzuziehen war, ohne dass es noch auf diese Frage angekommen wäre.

Nach Einziehung des Erbscheins kündigte das Amtsgericht mit Vorbescheid vom 11.6.2001 den Erlass eines den Eintritt des Nacherbfalls berücksichtigenden Erbscheins - entsprechend einem Antrag der Beteiligten zu 7 - mit folgendem Inhalt an: Erben sind die Beteiligten zu 3 und 4 (Sohn und Schwiegertochter) zu je 1/4 (wie bisher), die Beteiligten zu 1, 5, 6, 7 (Tochter und drei Enkel) zu je 1/8. Zur Begründung ist wesentlich auf die Formulierung "fällt das ganze Gebäude an" abgestellt; sie zeige, dass sich die Nacherbanordnung sowohl auf den Viertelanteil des Schwiegersohnes als auch auf den Viertelanteil der Tochter beziehe. In diese Hälfte würden nunmehr die Tochter und die drei Enkel nachrücken, und zwar mangels anderer Anordnung zu gleichen Teilen.

Die Beteiligte zu 1 hat demgegenüber einen Erbschein dahin beantragt, dass die Beteiligten zu 3 und 4 (unverändert) zu je 1/4, sie selbst zu 5/16 und die drei Enkel zu je 1/16 Erben geworden seien. Dem liegt die Auffassung zugrunde, dass sich die Nacherbfolge nur auf den Viertelanteil des Schwiegersohnes bezieht, in dessen Viertel die Beteiligte zu 1 und die drei Enkel zu gleichen Teilen, also zu je 1/16, nachrücken.

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 hob das Landgericht den Beschluss des Amtsgerichts auf und wies das Amtsgericht an, einen Erbschein entsprechend dem Antrag der Beteiligten zu 1 zu erteilen. Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 7, mit der sie ihren Erbscheinsantrag weiterverfolgt.

II.

Die weitere Beschwerde ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat im wesentlichen ausgeführt: Das Testament sei hinsichtlich des Umfangs der Nacherbfolge nicht eindeutig und deshalb auslegungsbedürftig. Die Auslegung ergebe, dass der Erblasser im Falle der Scheidung seiner Tochter nur den 1/4-Anteil des Schwiegersohns habe neu zwischen seiner Tochter und deren Kindern verteilen wollen. Bereits nach der allgemeinen Lebenserfahrung, die bei der Testamentsauslegung berücksichtigt werden könne, sei davon auszugehen, dass der Erblasser für den Fall der Scheidung nicht seine Tochter, sondern lediglich den angeheirateten Mann vom Nachlass habe ausschließen wollen. Hätte der Erblasser auch seine Tochter für den Fall der Scheidung "bestrafen" wollen, so hätte es keinen Sinn gemacht, dass der Erblasser das Gebäude auf Tochter und Enkel verteilt, sondern dann wäre es näher gelegen, das Gebäude nur auf die Enkel zu verteilen. Schließlich sei weiter zu berücksichtigen, dass alle Beteiligten über viele Jahre übereinstimmend davon ausgegangen seien, dass lediglich hinsichtlich des 1/4-Erbteils des Schwiegersohns Nacherbfolge angeordnet sei. Auch wenn die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Erteilung des ersten Erbscheins (1974) und des Auseinandersetzungsvertrags (1976) noch minderjährig gewesen sei, so müsse doch berücksichtigt werden, dass es sich um ein von den Beteiligten über viele Jahre übereinstimmend getragenes Auslegungsergebnis handele, von dem nicht ohne wesentliche neue bedeutsame Erkenntnisse abgewichen werden solle.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) stand.

a) Die Auslegung eines Testaments ist Sache des Tatsachengerichts. Die Überprüfung in der Rechtsbeschwerdeinstanz ist auf Rechtsfehler beschränkt. Dabei kommt es insbesondere darauf an, ob die Auslegung der Tatsacheninstanz gegen gesetzliche Auslegungsregeln, allgemeine Denk- und Erfahrungsgrundsätze oder Verfahrensvorschriften verstößt, ob in Betracht kommende andere Auslegungsmöglichkeiten nicht in Erwägung gezogen wurden, ob ein wesentlicher Umstand - z.B. ein Teil des Testamentswortlauts - übersehen wurde oder ob dem Testament ein Inhalt gegeben wurde, der dem Wortlaut, nicht zu entnehmen ist und auch nicht auf verfahrensfehlerfrei getroffene Feststellungen anderer Anhaltspunkte für den im Testament zum Ausdruck gekommenen Erblasserwillen gestützt werden kann (BGHZ 121, 357/363; BayObLG NJWE-FER 2000, 93; MünchKomm/ Leipold BGB 3. Aufl. § 2084 Rn. 84).

b) Nach diesen Kriterien ist die vom Landgericht vorgenommene Auslegung, dass der Erblasser für den Fall der Scheidung der Ehe seiner Tochter hinsichtlich des Erbanteils des Schwiegersohns seine Tochter und die drei Enkel zu vier gleichen Teilen als Nacherben eingesetzt hat, nicht zu beanstanden.

(1) Dass die für den Fall der Scheidung getroffene Anordnung des Erblassers als Nacherbeinsetzung gewürdigt werden kann, hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 9.2.2001 bestätigt. Dies wird mit der weiteren Beschwerde auch nicht angegriffen.

(2) Auch die Auslegung des Landgerichts, dass sich die Nacherbeinsetzung allein auf den Erbteil des Schwiegersohns bezieht, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Bei der Auslegung einer letztwilligen Verfügung ist vom Wortlaut auszugehen. Dieser ist jedoch nicht die Grenze der Auslegung. vielmehr ist der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften (§ 133 BGB). Es geht um die Klärung der Frage, was der Erblasser mit seinen Worten sagen wollte. Dabei ist zur Auslegung der einzelnen Verfügung der gesamte Inhalt der Testamentsurkunde einschließlich aller Nebenumstände heranzuziehen und zu würdigen (vgl. BGH NJW 1993, 256; BayObLGZ 1977, 59/66; 1994, 313/318).

Das Landgericht hat diese Grundsätze beachtet. Zwar mag der Wortlaut "im Fall der Scheidung... fällt das ganze Gebäude an ..." zunächst für die Auslegung sprechen, dass alle im Gebäude verkörperten Erbanteile - d.h. des Schwiegersohns und der Tochter - der Nacherbschaft unterliegen sollen. Das Landgericht hat jedoch zu Recht dem Umstand wesentliche Bedeutung beigemessen, dass der Erblasser als Nacherben nicht nur seine Enkel, sondern wiederum auch seine Tochter eingesetzt hat. Es konnte hieraus den Schluss ziehen, dass es dem Erblasser nicht um Sanktionen gegen seine Tochter gegangen warf sondern dass er nur den angeheirateten Schwiegersohn ausschließen und dessen Erbteil den eigenen Abkömmlingen zukommen lassen wollte.

Dieser auch nach der Lebenserfahrung naheliegenden Auslegung steht der Wortlaut nicht entgegen. Dem Erblasser kann bei der Formulierung "das ganze Gebäude" auch das Ziel seiner Verfügung vor Augen gestanden haben, dass im Fall der Scheidung nicht nur ein Teil des Gebäudes, sondern - in den Worten des Erblassers - "das ganze Gebäude" seinen Abkömmlingen gehören sollte. Das ist bei der vom Landgericht vorgenommenen Auslegung ebenso der Fall wie bei der Auslegung, die die Beschwerdeführerin anstrebt.

Auch aus der von der Beschwerdeführerin herangezogenen Vorschrift des § 2091 BGB ergibt sich kein Argument gegen die Auslegung des Landgerichts. Diese Ergänzungsregel sieht gleiche Erbteile vor, wenn die Erbquoten nicht ausdrücklich genannt oder durch Auslegung zu ermitteln sind. Hier steht aber zunächst die ganz anders gelagerte Frage im Raum, für welchen Erbteil überhaupt Nacherbfolge angeordnet ist; diese Frage hat das Landgericht zutreffend ohne Rückgriff auf § 2091 BGB beantwortet. Hinsichtlich des Erbteils, der nach der Auslegung des Landgerichts der Nacherbfolge unterliegt, erben die vier als Nacherben eingesetzten Personen gemäß § 2091 BGB zu gleichen Teilen, wie das Landgericht richtig angenommen hat.

Schließlich konnte das Landgericht ergänzend auch auf die Erwägung abstellen, dass ein von den Beteiligten über viele Jahre übereinstimmend getragenes Auslegungsergebnis grundsätzlich nicht ohne wesentliche neue bedeutsame Erkenntnisse aufgegeben werden soll (vgl. BayObLGZ 1 997, 59/69). Der Einwand der Beschwerdeführerin, sie müsse sich als damals minderjähriges Kind die von den anderen Beteiligten übereinstimmend vorgenommene Auslegung nicht entgegen halten lassen, hindert nicht, der von den übrigen Beteiligten zeitnah zur Testamentserrichtung und dem Erbfall übereinstimmend als richtig angesehenen Auslegung eine gewisse Indizwirkung zuzuerkennen. Im übrigen hat das Landgericht mit dieser Erwägung hier ohnehin nur sein aufgrund anderer Überlegungen gefundenes Auslegungsergebnis zusätzlich abgestützt. Das begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

3. Dass die Beteiligte zu 7 die Gerichtskosten zu tragen hat, ergibt sich unmittelbar aus der Kostenordnung; hierzu bedarf es keiner Entscheidung. Nach § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG war anzuordnen, dass die Beteiligte zu 7 der Beteiligten zu 1 die dieser in der Rechtsbeschwerdeinstanz entstandenen Kosten zu erstatten hat. Die übrigen Beteiligten sind im Verfahren der weiteren Beschwerde nicht hervorgetreten.

Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird gemäß §§ 30, 31 Abs. 1, § 131 Abs. 2 KostO auf 27000 EUR festgesetzt. Das Interesse der Beschwerdeführerin war darauf gerichtet, anstelle von 1/16 mit 1/8 am Gesamtnachlass beteiligt zu sein, also eine um.1/16 höhere Erbquote zu erhalten.

Demgegenüber war im landgerichtlichen Beschwerdeverfahren das Interesse der dortigen Beschwerdeführerin darauf gerichtet, eine um 3/16 höhere Erbquote am Gesamtnachlass zu erhalten. Hiervon ist das Landgericht zutreffend ausgegangen. Es hat jedoch übersehen, dass sich die von ihm zugrunde gelegte sachverständige Wertschätzung von 425000 DM nur auf einen Hälfteanteil am Gesamtnachlass bezieht, während die zuvor genannten Erbquoten die Beteiligung am Gesamtnachlass betreffen. Bezogen auf den hier streitigen Hälfteanteil würden die angestrebten Erhöhungen fiktiv 1/8 bzw. 3/8 betragen, also rund 27000 EUR bzw. 81000 EUR. Die landgerichtliche Wertfestsetzung war entsprechend von Amts wegen zu ändern (§ 31 Abs. 1 Satz 2 KostO).

Ende der Entscheidung

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