Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 20.01.2004
Aktenzeichen: 1Z BR 109/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1748 Abs. 4
Ersetzung der Einwilligung des nichtehelichen Vaters in die Adoption durch die Pflegeeltern in einem Fall, in dem das Kind ab seinem zehnten Lebensmonat seit ca. sechs Jahren ohne Unterbrechung in die Familie der Pflegeeltern wie ein leibliches Kind integriert ist.
Gründe:

I.

Der 1997 geborene Beteiligte zu 1 ist das Kind der am 4.10.1997 tödlich verunglückten A. und des Beteiligten zu 2. Die Eltern des Kindes waren nicht miteinander verheiratet. Vormund des Beteiligten zu 1 ist das Landratsamt P. - Kreisjugendamt -.

Seit dem 27.2.1998 lebt der Beteiligte zu 1 auf Veranlassung des Kreisjugendamts ununterbrochen im Haushalt von Pflegeeltern (den Beteiligten zu 3) im Landkreis P.; die Pflegeeltern wollen den Beteiligten zu 1 adoptieren.

Der Beteiligte zu 1 und die Beteiligten zu 3 besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit, der Beteiligte zu 2 besitzt die pakistanische Staatsangehörigkeit.

Der Beteiligte zu 2 wohnte zur Zeit seiner Kontakte mit der Kindsmutter in Asylbewerberunterkünften in Deutschland und wurde kurz nach dem Tod der Kindsmutter nach Pakistan abgeschoben. Im Jahre 1998 heiratete er in Österreich und hat seitdem dort in einem gemeinsamen Haushalt mit seiner Ehefrau und deren Tochter seinen ständigen Aufenthalt.

In die von den Beteiligten zu 3 beantragte Adoption des Beteiligten zu 1 hat der Beteiligte zu 2 seine Einwilligung verweigert. Daraufhin hat das Kreisjugendamt P. als Vormund für den Beteiligten zu 1 am 29.7.1999 bei dem Vormundschaftsgericht beantragt, die Einwilligung des Beteiligten zu 2 zu ersetzen.

Das Vormundschaftsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 20.11.2000 zurückgewiesen. Mit Beschluss vom 6.11.2003 hat das Landgericht auf das Rechtsmittel des Beteiligten zu 1 nach Anhörung des Kindes und Beweiserhebung insbesondere im Wege der Erholung familienpsychologischer Gutachten den Beschluss des Vormundschaftsgerichts vom 20.11.2000 aufgehoben und die Einwilligung des Beteiligten zu 2 in die Annahme des Beteiligten zu 1 durch die Beteiligten zu 3 ersetzt. Hiergegen hat der Beteiligte zu 2 weitere Beschwerde eingelegt.

II.

Das Rechtsmittel ist als sofortige weitere Beschwerde statthaft (§ 27 Abs. 1 Satz 1, § 29 Abs. 2, § 53 Abs. 1 Satz 2, § 60 Abs. 1 Nr. 6 FGG; vgl. Keidel/Meyer-Holz FGG 15. Aufl. § 29 Rn. 37 m.w.N.). Es ist form- und fristgerecht eingelegt (§ 29 Abs. 1 Satz 1 und 2 , Abs. 4, § 22 Abs. 1 FGG) und auch im Übrigen zulässig.

Das Rechtsmittel hat aber in der Sache keinen Erfolg.

1. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte und die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts P. ergeben sich aus § 43 b Abs. 1 und 2 FGG. Gemäß § 19 Abs. 2 FGG hatte über die Beschwerde das Landgericht P. zu entscheiden.

2. Das Landgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, nach § 1748 Abs. 4 BGB sei die Einwilligung des nichtehelichen Vaters zu ersetzen, wenn das Unterbleiben der Annahme dem Kind zu unverhältnismäßigem Nachteil gereichen würde. Auf ein Fehlverhalten des Vaters, etwa Gleichgültigkeit gegenüber seinem Kind, komme es dabei anders als bei der Regelung in § 1748 Abs. 1 BGB nicht an. Die Kammer habe mehrere familienpsychologische Gutachten erholt. Auf der Grundlage dieser Gutachten und der sonstigen Beweiserhebung, zu denen auch die Anhörung des Kindes gehört habe, sehe die Kammer einen unverhältnismäßigen Nachteil für das Kind als erwiesen an. Ein Unterbleiben der Annahme würde sowohl der harmonischen Gesamtentwicklung des Kindes als auch seiner psychischen Befindlichkeit erheblich schaden. Eine weitere Einbindung des Kindes in den chronischen und entwicklungschädigenden Konflikt zwischen dem Beteiligten zu 2 und den Beteiligten zu 3 hätte eine grundlegende emotionale und soziale Orientierungslosigkeit, verbunden mit einem nicht verantwortbaren Verlust an Identitätsgewinnung zur Folge.

3. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO).

a) Gemäß Art. 22 Abs. 1 EGBGB unterliegt die Annahme als Kind dem Recht des Staates, dem die Beteiligten zu 3 als Annehmende bei der Annahme angehören. Die Erforderlichkeit und die Erteilung der Zustimmung einer Person, zu der das Kind in einem familienrechtlichen Verhältnis steht, zu einer Annahme als Kind unterliegen gemäß Art. 23 Satz 1 EGBGB zusätzlich dem Recht des Staates, dem das Kind angehört. Unter Berücksichtigung der festgestellten Staatsangehörigkeiten der Beteiligten ist das Landgericht somit zutreffend davon ausgegangen, dass die Sache in vollem Umfang deutschem Recht unterliegt.

b) Zu Recht hat das Landgericht für seine Entscheidung § 1748 Abs. 4 BGB herangezogen. Diese Vorschrift regelt die Ersetzung der Einwilligung eines nichtehelichen Vaters, der die elterliche Sorge weder innehat noch innegehabt hat.

Nach § 1748 Abs. 4 BGB ist die Einwilligung des Vaters zu ersetzen, wenn das Unterbleiben der Annahme dem Kind zu unverhältnismäßigem Nachteil gereichen würde. Ein Fehlverhalten des Vaters (Pflichtverletzung oder Gleichgültigkeit) ist - im Unterschied zur Regelung in § 1748 Abs. 1 BGB - nicht Voraussetzung für die Ersetzung; Abs. 4 verdrängt in seinem Anwendungsbereich den Abs. 1 (vgl. BayObLGZ 2001, 333/336; FamRefK/Maurer § 1748 Rn. 2).

c) Die Entscheidung des Landgerichts, dass bei einem Unterbleiben der Adoption von einem unverhältnismäßigen Nachteil für das Kind auszugehen sei, ist nicht zu beanstanden. Bei dem Tatbestandsmerkmal des "unverhältnismäßigen Nachteils" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Auslegung und Anwendung auf den festgestellten Sachverhalt im Verfahren der weiteren Beschwerde unbeschränkt nachprüfbar ist (BayObLG aaO).

aa) Ob das Unterbleiben der Adoption dem Kind zu unverhältnismäßigem Nachteil gereichen würde, kann - wie sich schon aus dem Wort "unverhältnismäßig" ergibt - nur anhand aller Umstände des Einzelfalles entschieden werden. Erforderlich ist eine umfassende Abwägung der Eltern- und Kindesinteressen (vgl. BGH FamRZ 1986, 460/462), wobei der Nachteil, den das Unterbleiben der Adoption bedeuten würde, zur Schwere des Eingriffs in das Elternrecht in Beziehung zu setzen ist (BayObLG FamRZ 1994, 1348/1350 m.w.N.). Auf diese zum Begriff des unverhältnismäßigen Nachteils in § 1748 Abs. 1 BGB entwickelten Kriterien kann auch im Rahmen des Abs. 4 mit der Maßgabe zurückgegriffen werden, dass es für die Ersetzung der Einwilligung nach Abs. 4 auf ein Fehlverhalten des Vaters nicht ankommt (vgl. FamRefK/Maurer § 1748 Rn. 6; Soergel/Liermann BGB 13. Aufl. § 1748 Rn. 43). Die gegenüber § 1748 Abs. 1 BGB weniger strenge Fassung des Abs. 4 soll zwar, wie auch die Gesetzesmaterialien belegen, die Ersetzung erleichtern, ohne dass damit jedoch das Erfordernis aufgegeben worden wäre, im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sowohl die Belange des Kindes als auch die des Vaters zu berücksichtigen (vgl. BayObLGZ 2001, 333/336 f. m.w.N.).

bb) Die unter Beachtung dieser Gegebenheiten vom Landgericht vorgenommene umfassende Würdigung der Umstände des Einzelfalles ist unter rechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden.

Das Landgericht hat in Übereinstimmung mit den wiederholt, zuletzt am 13.10.2003 aktualisierten Sachverständigengutachten eine erhebliche Gefährdung des Wohls des Kindes für den Fall festgestellt, dass es nicht auf Dauer rechtlich völlig der Familie seiner Pflegeeltern zugeordnet würde. Eine durch die Adoption bewirkte Vollintegration schafft in der Regel günstige Voraussetzungen für die gedeihliche Entwicklung des Kindes (vgl. BayObLG FamRZ 1994, 1348/1350). Dies gilt hier in besonderer Weise, da das Kind im vorliegenden Fall ab seinem zehnten Lebensmonat seit nunmehr nahezu sechs Jahren ununterbrochen im Haushalt der Pflegeeltern lebt und die Beziehungen des Kindes zu den Pflegeeltern den emotionalen Bindungen eines Kindes zu leiblichen Eltern völlig gleichgestellt sind. In dieser Einbindung als einziges Kind in die Familie der Pflegeeltern hat sich das Kind nach den vom Landgericht bestätigten Feststellungen des Sachverständigen auch ohne Kontakte zum leiblichen Vater, zu dem erstmals durch den Sachverständigen eine Kontaktaufnahme hergestellt worden war, zu einer psychisch stabilen, belastungsfähigen, vitalen, kognitiv sehr wachen und geistig beweglichen kindlichen Persönlichkeit ohne jede Verhaltensauffälligkeit entwickelt. Das Landgericht hat diese Gesichtspunkte mit den Interessen des Beteiligten zu 2 abgewogen; das hierbei gefundene Ergebnis, dass die Erhaltung einer für die Entwicklung des Kindes bedeutsamen spannungsfreien Kontinuität der sozialen und emotionalen Bezüge zu den Pflegeeltern die Ersetzung der Einwilligung des Beteiligten zu 2 rechtfertige, findet in dem festgestellten Sachverhalt eine hinreichende Stütze.

cc) Für die von dem Beteiligten zu 2 vorgetragene Verletzung seiner Rechte aus Art. 6 GG, Art. 8 EMRK bestehen keine Anhaltspunkte. Im Hinblick auf die vorzunehmende Interessenabwägung ist auf der Basis des § 1748 Abs. 4 BGB dem Schutz des Elternrechts des Vaters und dem Anspruch des Kindes auf bestmögliche Entwicklung auch unter verfassungrechtlichen Gesichtspunkten Rechnung getragen (vgl. Soergel/Liermann § 1748 Rn. 43 und 2 m.w.N.). Auch Art. 8 EMRK steht der Entscheidung des Landgerichts nicht entgegen. Zwar stellt die dauerhafte Trennung der Kinder von ihren Eltern einen Eingriff in das Recht auf Achtung ihres Familienlebens gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK dar, der gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK der Rechtfertigung unter anderem durch einschlägige und ausreichende Gründe bedarf (EuGHMR FamRZ 2002, 1393). Solche Gründe hat das Landgericht im Rahmen seiner Überprüfung der Voraussetzungen des § 1748 Abs. 4 BGB in ausreichendem Umfang festgestellt. Es befindet sich dabei in Übereinstimmung mit den auch im Rahmen des Art. 8 EMRK beachtlichen Grundsätzen, dass der Berücksichtigung des Kindeswohls entscheidende Bedeutung zukommt und dass dann, wenn das Kind bereits seit längerer Zeit in einer Pflegefamilie untergebracht ist, das Interesse des Kindes, dass seine tatsächlich familiäre Situation nicht erneut geändert wird, das elterliche Interesse an einer Zusammenführung überwiegen kann (vgl. EuGHMR FamRZ 2002, 1393/1396).

d) Die sofortige weitere Beschwerde kann auch insoweit keinen Erfolg haben, als eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Beteiligten zu 2 mit der Begründung behauptet wird, der Beteiligte zu 2 sei der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig, so dass die Beiziehung eines Dolmetschers notwendig gewesen wäre. Eine mangelnde Fähigkeit des in allen Instanzen anwaltschaftlich vertretenen Beteiligten zu 2, sich in deutscher Sprache zu verständigen, wurde im Laufe des Verfahrens vor Einlegung der Rechtsbeschwerde zu keinem Zeitpunkt, insbesondere auch nicht bei den wiederholten Kontakten mit dem gerichtlichen Sachverständigen und in der Sitzung des Landgerichts am 7.6.2002, in welcher der Beteiligte zu 2 persönlich anwesend war, geltend gemacht. Im Übrigen muss eine auf die Verletzung des rechtlichen Gehörs gestützte Rechtsbeschwerde darlegen, was bei Gewährung des Gehörs in der Vorinstanz (noch) vorgebracht worden wäre, um zu begründen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann (vgl. BayObLGZ 1990, 177/180 f.). Die Rüge ist somit schon deswegen erfolglos, weil ein solcher Sachvortrag mit der Rechtsbeschwerde nicht erfolgt ist.

4. Dem Antrag des Beteiligten zu 2 auf Prozesskostenhilfe für das Verfahren der von ihm eingelegten weiteren Beschwerde konnte mangels Erfolgsaussicht des Rechtsmittels nicht stattgegeben werden (§ 14 FGG i.V.m. §§ 114, 119 Abs. 1 Satz 1, § 127 Abs. 1 Satz 2 ZPO).

5. Das Rechtsbeschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei (§ 131 Abs. 3 KostO).

Die Anordnung über die Kostenerstattung folgt aus § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG. Der Geschäftswert ergibt sich aus § 131 Abs. 2 i.V.m. § 30 Abs. 3 Satz 2 KostO; die Geschäftswertfestsetzung des Landgerichts war von Amts wegen entsprechend zu ändern (§ 31 Abs. 1 Satz 2 KostO).



Ende der Entscheidung

Zurück