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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 17.03.2005
Aktenzeichen: 1Z BR 111/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1748 Abs. 4
Zur Ersetzung der Einwilligung des nichtehelichen Vaters in die Adoption durch den Stiefvater in einem Fall, in dem das Kind seit dem Säuglingsalter seit rund 9 Jahren ohne Unterbrechung im Haushalt des Stiefvaters und der leiblichen Mutter aufgewachsen ist und zum leiblichen Vater kein Kontakt bestand.
Gründe:

I.

Die neunjährige Stephanie (Beteiligte zu 1) ist das nichteheliche Kind der Beteiligten zu 2 und des Beteiligten zu 4. Deren Beziehung endete etwa 2 Monate nach der Geburt des Kindes. Seit April 1996 besteht eine Lebensgemeinschaft zwischen der Beteiligten zu 2 und dem Beteiligten zu 3; seit 8.7.2000 sind sie verheiratet. Stephanie wächst in diesem Haushalt auf; Kontakt zum Beteiligten zu 4 hatte sie nicht. Sie hielt den Beteiligten zu 3 für ihren leiblichen Vater. Erst im Alter von etwa 7 Jahren wurde sie von ihrer Mutter darüber unterrichtet, dass nicht der Beteiligte zu 3, sondern der Beteiligte zu 4 ihr leiblicher Vater ist. Ein vom Beteiligten zu 4 angestrebtes Umgangsrecht wurde vom Familiengericht nach Einholung familienpsychologischer Gutachten abgelehnt. Stephanie hat zwischenzeitlich den Familiennamen der Beteiligten zu 2 und 3 erhalten.

Der Beteiligte zu 3 möchte Stephanie als Kind annehmen und hat mit notarieller Urkunde vom 24.11.2000 einen entsprechenden Antrag gestellt. Die Beteiligte zu 2 hat für sich und als gesetzliche Vertreterin für die Beteiligte zu 1 die Einwilligung in die Adoption erklärt. Der Beteiligte zu 4 hat die Einwilligung verweigert. Die Beteiligte zu 1, vertreten durch ihre Mutter, hat beantragt, die Einwilligung des Beteiligten zu 4 in die Annahme als Kind zu ersetzen.

Mit Beschluss vom 11.2.2004 hat das Vormundschaftsgericht die Einwilligung des Beteiligten zu 4 in die Annahme als Kind ersetzt. Der Beteiligte zu 4 hat dagegen sofortige Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat die Akten der familiengerichtlichen Verfahren bezüglich des Umgangsrechts beigezogen und alle Beteiligten persönlich angehört. Mit Beschluss vom 12.10.2004 hat es die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten zu 4.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig (§ 27 Abs. 1 Satz 1, § 29 Abs. 2, § 53 Abs. 1 Satz 2, § 60 Abs. 1 Nr. 6 FGG). Sie ist jedoch nicht begründet.

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:

Die Abwägung des Wohls des Kindes gegen die Interessen des sich der Adoption widersetzenden Elternteils ergebe, dass das Unterbleiben der Adoption einen unverhältnismäßigen Nachteil für das Kind bedeute. Nachteilig für Stephanie sei insbesondere, dass sie ohne die Annahme als Kind in einer rechtlich ungesicherten Position zu ihrem Stiefvater aufwachse. Erst durch die Adoption stehe dem Beteiligten zu 3 die elterliche Sorge mit allen Rechten und Pflichten zu. Ohne diese vollständige Integration in den Familienverband des Beteiligten zu 3 bestehe die Gefahr, dass sie in die nach wie vor verschärften Konflikte zwischen ihren leiblichen Eltern nachhaltig einbezogen und hierdurch in der Entwicklung beeinträchtigt werde. Wie der Sachverständige im familiengerichtlichen Verfahren festgestellt habe, stelle das Verhalten des Beteiligten zu 4 hinsichtlich des von ihm begehrten Umgangsrechts einen Kampf um des Kampfes willen dar. Dies führe zu einer erheblichen Belastung des Kindes. Ohne die Adoption sei eine spannungsfreie Kontinuität der emotionalen und sozialen Bezüge zum Stiefvater nicht dauerhaft gewährleistet. Das Interesse des Kindes an der rechtlich gesicherten Einbindung in die Familie rechtfertige den Eingriff in die Elternrechte des Beteiligten zu 4.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO).

a) Zu Recht hat das Landgericht für seine Entscheidung § 1748 Abs. 4 BGB herangezogen. Diese Vorschrift regelt die Ersetzung der Einwilligung eines nichtehelichen Vaters, der die elterliche Sorge weder innehat noch innegehabt hat. Ein solcher Fall liegt hier vor.

Nach § 1748 Abs. 4 BGB ist die Einwilligung des Vaters zu ersetzen, wenn das Unterbleiben der Annahme dem Kind zu unverhältnismäßigem Nachteil gereichen würde. Ein Fehlverhalten des Vaters (Pflichtverletzung oder Gleichgültigkeit) ist - im Unterschied zur Regelung in § 1748 Abs. 1 BGB - nicht Voraussetzung für die Ersetzung; Abs. 4 verdrängt in seinem Anwendungsbereich den Abs. 1 (vgl. BayObLGZ 2001, 333/336). Die Entscheidung des Landgerichts, dass bei einem Unterbleiben der Adoption von einem unverhältnismäßigen Nachteil für das Kind auszugehen sei, ist nicht zu beanstanden. Bei dem Tatbestandsmerkmal des "unverhältnismäßigen Nachteils" handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Auslegung und Anwendung auf den festgestellten Sachverhalt im Verfahren der weiteren Beschwerde unbeschränkt nachprüfbar ist (BayObLG aaO).

aa) Ob das Unterbleiben der Adoption dem Kind zu unverhältnismäßigem Nachteil gereichen würde, kann - wie sich schon aus dem Wort "unverhältnismäßig" ergibt - nur anhand aller Umstände des Einzelfalles entschieden werden. Erforderlich ist eine umfassende Abwägung der Eltern- und Kindesinteressen (vgl. BGH FamRZ 1986, 460/ 462), wobei der Nachteil, den das Unterbleiben der Adoption bedeuten würde, zur Schwere des Eingriffs in das Elternrecht in Beziehung zu setzen ist (BayObLG FamRZ 1994, 1348/1350 m.w.N.). Auf diese zum Begriff des unverhältnismäßigen Nachteils in § 1748 Abs. 1 BGB entwickelten Kriterien kann auch im Rahmen des Abs. 4 mit der Maßgabe zurückgegriffen werden, dass es für die Ersetzung der Einwilligung nach Abs. 4 auf ein Fehlverhalten des Vaters nicht ankommt (vgl. MünchKommBGB/Maurer 4. Aufl. § 1748 Rn. 26; Soergel/Liermann BGB 13. Aufl. § 1748 Rn. 43). Die gegenüber § 1748 Abs. 1 BGB weniger strenge Fassung des Abs. 4 soll zwar - wie auch die Gesetzesmaterialien belegen - die Ersetzung der Einwilligung erleichtern, ohne dass damit jedoch das Erfordernis aufgegeben worden wäre, im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sowohl die Belange des Kindes als auch die des Vaters zu berücksichtigen (vgl. BayObLGZ 2001, 333/336 f. m.w.N.).

bb) Das Landgericht hat diese Grundsätze beachtet. Die von ihm vorgenommene umfassende Würdigung der Umstände des Einzelfalles ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Das Landgericht hat seine Entscheidung insbesondere auf die Erkenntnisse aus der eingehenden persönlichen Anhörung aller Beteiligten und die im familiengerichtlichen Verfahren erstatteten psychologischen Sachverständigengutachten gestützt. Aufgrund der von ihm festgestellten außergewöhnlichen Umstände des Einzelfalls ist es zu dem Ergebnis gelangt, dass das Wohl des Kindes gefährdet wäre, wenn es nicht auf Dauer auch rechtlich dem Familienverband des Annehmenden zugeordnet würde.

Dabei hat es insbesondere berücksichtigt, dass das Kind seit seinem zehnten Lebensmonat im Haushalt des Annehmenden lebt, diesen bis zum Grundschulalter als seinen leiblichen Vater angesehen und zum Beteiligten zu 4 überhaupt keinen Kontakt gehabt hat, abgesehen von einer Begegnung im Rahmen der vom Familiengericht veranlassten Begutachtung. Das Landgericht hat weiter hervorgehoben, dass Stephanie sich in ihrem familiären Umfeld zu einem aufgeschlossenen, kontaktfreudigen, altersadäquat entwickelten, unbekümmerten Kind entwickelt habe. Die Beibehaltung der gegebenen familiären Situation sei günstig, da sie auf Grund der Stabilität, der Verlässlichkeit und der Geborgenheit ein sehr geeignetes Entwicklungsumfeld darstelle. Für die Entwicklung des Kindes sei eine spannungsfreie Kontinuität der emotionalen und sozialen Bezüge zum Stiefvater notwendig. Es müsse vermieden werden, dass das Kind in das zwischen den leiblichen Eltern bestehende tiefgreifende Zerwürfnis, das auch bei der Anhörung zutage getreten sei, hineingezogen und dadurch in seiner Entwicklung beeinträchtigt werde. Das Interesse des Kindes an der Aufrechterhaltung und rechtlichen Absicherung des für seine weitere Entwicklung erforderlichen stabilen Rahmens überwiege das Interesse des Beteiligten zu 4 an der Beibehaltung des rechtlichen Bandes, dem keine gelebte Vater-Kind-Beziehung gegenüberstehe.

Diese nach sorgfältiger Abwägung aller Umstände getroffene Würdigung ist frei von Rechtsfehlern. Ihr folgt der Senat, auch unter Berücksichtigung des durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG geschützten Elternrechts des Beteiligten zu 4.

cc) Die Rechte des Beteiligten zu 4 aus Art. 6 GG, Art. 8 EMRK werden nicht verletzt. Im Hinblick auf die vorzunehmende Interessenabwägung ist auf der Basis des § 1748 Abs. 4 BGB dem Schutz des Elternrechts des Vaters und dem Anspruch des Kindes auf bestmögliche Entwicklung auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten Rechnung getragen (vgl. Soergel/Liermann § 1748 Rn. 43). Auch Art. 8 EMRK steht der Entscheidung des Landgerichts nicht entgegen. Zwar stellt die dauerhafte Trennung der Kinder von ihren Eltern einen Eingriff in das Recht auf Achtung ihres Familienlebens gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK dar, der gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK der Rechtfertigung u.a. durch einschlägige und ausreichende Gründe bedarf (EuGHMR FamRZ 2002, 1393). Solche Gründe hat das Landgericht im Rahmen seiner Überprüfung der Voraussetzungen des § 1748 Abs. 4 BGB in ausreichendem Umfang festgestellt. Es befindet sich dabei in Übereinstimmung mit den auch im Rahmen des Art. 8 EMRK beachtlichen Grundsätzen, dass der Berücksichtigung des Kindeswohls entscheidende Bedeutung zukommt und dass das Interesse des Kindes an der Beibehaltung seiner tatsächlichen familiären Situation das elterliche Interesse an einer Zusammenführung überwiegen kann (vgl. EuGHMR FamRZ 2002, 1393/1396).

3. Die Anordnung über die Kostenerstattung folgt aus § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG. Der Geschäftswert ergibt sich aus § 131 Abs. 2 i.V.m. § 30 Abs. 3 Satz 2 KostO.

Ende der Entscheidung

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