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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 08.08.2003
Aktenzeichen: 1Z BR 16/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 133
BGB § 2069
BGB § 2096
BGB § 2099
Auslegung eines Testaments als Ersatzerbeinsetzung der Abkömmlinge bedachter Geschwister, wenn der Erblasser seine zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung noch lebenden Geschwister gleichmäßig zu Erben eingesetzt hat und einige von ihnen vor dem Erbfall verstorben sind.
Gründe:

I.

Der 2001 im Alter von 88 Jahren verstorbene Erblasser war kinderlos und seit 1982 verwitwet. Er hatte sechs Geschwister, von denen vier noch am Leben waren, als er am 19.12.1984 das nachfolgende handschriftliche Testament errichtete:

"Nach meinem Ableben erben meine vier Geschwister mein ganzes Vermögen."

Ein Bruder war 1944 im Krieg vermisst und später zum 31.12.1945 für tot erklärt worden; er hinterließ zwei Abkömmlinge. Eine Schwester war im Jahr 1945 ohne Hinterlassung von Abkömmlingen verstorben. Die Beteiligten zu 1 und 2 sind zwei Geschwister, die den Erblasser überlebt haben. Zwei weitere Geschwister sind nach Errichtung des Testaments, aber vor dem Erbfall vorverstorben: eine Schwester im Jahr 1995 unter Hinterlassung der Beteiligten zu 3 bis 5, eine andere Schwester im Januar 2001 unter Hinterlassung der Beteiligten zu 6.

Die Beteiligten sind unterschiedlicher Auffassung darüber, ob die Abkömmlinge der zwei nach Testamentserrichtung weggefallenen Geschwister als Ersatzerben eingesetzt sind, oder ob dies nicht der Fall ist und insoweit Anwachsung eintritt. Dem gemäß haben die Beteiligten zu 1 und 2 einen Erbschein beantragt, wonach sie Miterben zu je 1/2 seien, während die Beteiligten zu 3 bis 6 einen Erbschein beantragt haben, der die Beteiligten zu 1, 2 und 6 als Miterben zu je 1/4 und die Beteiligten zu 3 bis 5 als Miterben zu je 1/12 ausweisen soll.

Das Nachlassgericht kündigte mit Beschluss vom 1.7.2002 den Erlass eines Erbscheins entsprechend dem Antrag der Beteiligten zu 3 bis 6 an. Die hiergegen eingelegten Beschwerden der Beteiligten zu 1 und 2 wies das Landgericht mit Beschluss vom 31.10.2002 zurück. Daraufhin hat das Amtsgericht am 9.1.2003 den Erbschein wie angekündigt erlassen und hinausgegeben. Mit Anwaltsschriftsatz vom 21.1.2003 hat der Beteiligte zu 1 weitere Beschwerde eingelegt, nunmehr mit dem Ziel, den Erbschein vom 9.1.2003 einzuziehen und das Nachlassgericht zur Erteilung eines seinem eigenen Erbscheinsantrag entsprechenden Erbscheins anzuweisen.

II.

Die nicht fristgebundene und formgerecht eingelegte weitere Beschwerde ist zulässig (§ 27 Abs. 1 Satz 1, § 29 Abs. 1 und 4, § 20 FGG). Zwar ist das Verfahren, das sich gegen den Vorbescheid vom 1.7.2002 richtete, durch die Erteilung des Erbscheins vom 9.1.2003 gegenstandslos geworden. Das Rechtsmittelanliegen kann aber mit dem Ziel der Einziehung des Erbscheins und der Erteilung eines dem eigenen Antrag des Rechtsmittelführers entsprechenden Erbscheins mit der weiteren Beschwerde weiterverfolgt werden (vgl. BGH NJW 2002, 1126; BayObLGZ 1982, 236/239; BayObLG FamRZ 1991, 618).

Das Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen ausgeführt: In Fällen, in denen ein kinderloser Erblasser seine Geschwister als Erben eingesetzt habe und einige der Geschwister nach Testamentserrichtung und vor dem Erbfall unter Hinterlassung von Abkömmlingen gestorben seien, sei die Auslegungsregel des § 2069 BGB nicht - auch nicht entsprechend - anwendbar. Es sei jedoch durch Auslegung zu ermitteln, ob in der Einsetzung des Erben zugleich die Kundgabe des Willens gesehen werden könne, dessen Abkömmlinge zu Ersatzerben zu berufen. Der Erblasser habe sich im vorliegenden Fall nicht davon leiten lassen, zu welchen seiner Geschwister er ein gutes oder weniger gutes Verhältnis gehabt habe; vielmehr habe er seine vier im Zeitpunkt der Testamentserrichtung noch lebenden Geschwister in gleicher Weise bedacht. In einem solchen Falle liege der Schluss nahe, dass die Zuwendung nicht dem im Testament Bedachten persönlich, sondern ihm als dem Ersten seines Stammes gelten solle.

Nach diesen Auslegungskriterien sei auch im vorliegenden Fall Ersatzerbfolge anzunehmen. Dem stehe nicht entgegen, dass der Erblasser die Abkömmlinge des im Krieg vermissten Bruders nicht bedacht habe. Diese seien zum Teil erheblich älter als die Beteiligten zu 3 bis 6 und hätten auch nicht (wie die Beteiligten zu 3, 5 und 6) ihren Wohnsitz in der Nähe des Erblassers gehabt; sie hätten für den Erblasser ganz offenbar "außerhalb" gelegen. Dem Umstand, dass der Erblasser nach dem Tod seiner Schwester im Jahr 1995 sein Testament nicht geändert habe, komme keine indizielle Bedeutung zu; denn der Erblasser sei eher von unbeschwerter Art gewesen und habe sich nach der Testamentserrichtung wohl keinerlei Gedanken über die Erbschaft gemacht. Schließlich habe der Er blasser - wie sich aus der vom Nachlassgericht durchgeführten Anhörung ergebe - gegenüber den Beteiligten zu 4 bis 6 anklingen lassen, sie für den Fall seines Todes bedacht zu haben. Diesbezügliche Angaben der Beteiligten erschienen der Kammer nachvollziehbar und plausibel, auch wenn zu berücksichtigen sei, dass die Beteiligten ein eigenes Interesse an der Erteilung eines zu ihren Gunsten lautenden Erbscheins hätten.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO).

a) Zutreffend hat das Landgericht das Testament von 1984 als auslegungsbedürftig angesehen, weil es keine ausdrückliche Regelung für den Fall enthält, dass eines oder mehrere der zu Erben eingesetzten Geschwister vor dem Erblasser versterben. Die Testamentsauslegung selbst ist Sache des Tatsachengerichts. Die Überprüfung in der Rechtsbeschwerdeinstanz ist auf Rechtsfehler beschränkt. Dabei kommt es insbesondere darauf an, ob die Auslegung der Tatsacheninstanz gegen gesetzliche Auslegungsregeln, allgemeine Denk- und Erfahrungsgrundsätze oder Verfahrensvorschriften verstößt, ob in Betracht kommende andere Auslegungsmöglichkeiten nicht in Erwägung gezogen wurden, ob ein wesentlicher Umstand übersehen wurde oder ob dem Testament ein Inhalt gegeben wurde, der dem Wortlaut nicht zu entnehmen ist und auch nicht auf verfahrensfehlerfrei getroffene Feststellungen anderer Anhaltspunkte für den im Testament zum Ausdruck gekommenen Erblasserwillen gestützt werden kann (BGHZ 121, 357/363; BayObLG FamRZ 2002, 269/270; MünchKommBGB/Leipold 3. Aufl. § 2084 Rn. 84).

b) Diesen Kriterien wird die Auslegung des Landgerichts, dass der Erblasser für den Fall des Vorversterbens eingesetzter Geschwister nach Testamentserrichtung ersatzweise deren Kinder als Erben einsetzen wollte, gerecht.

aa) Gemäß § 2099 BGB geht das Recht der Ersatzerben der Anwachsung vor; deshalb ist bei der Auslegung einer letztwilligen Verfügung vorweg zu prüfen und festzustellen, ob Ersatzerben (§ 2096 BGB) bestimmt sind (vgl. BayObLG FamRZ 1991, 614/615). Dabei kann, wenn der Erblasser wie hier seine Geschwister bedacht hat, die für die Einsetzung von Abkömmlingen geltende Auslegungsregel des § 2069 BGB nicht - auch nicht analog - angewandt werden (vgl. BGH NJW 1973, 240/242; BayObLGZ 1988, 165/167; BayObLG NJW-RR 1992, 73). Es ist jedoch anhand der Umstände des Einzelfalles zu prüfen, ob im Wege der - gegebenenfalls ergänzenden - Testamentsauslegung ein entsprechender (hypothetischer) Wille des Erblassers für die Berufung der Kinder der nach Testamentserrichtung weggefallenen Geschwister als Ersatzerben festgestellt werden kann. Die für die Annahme eines derartigen Erblasserwillens notwendige Andeutung in der letztwilligen Verfügung selbst kann in solchen Fällen bereits in der Tatsache der Berufung der Geschwister als nahestehender Verwandter des Erblassers unter Hinweis auf diese verwandtschaftliche Funktion gesehen werden (vgl. BayObLGZ 1986, 159/163; BayObLG FamRZ 1997, 641/642; 2000, 1186/1187). Von diesen Grundsätzen ist das Landgericht zutreffend ausgegangen.

bb) Zu Recht hat das Landgericht darauf abgestellt, dass der Erblasser alle noch lebenden Geschwister bedacht hat, ohne sich davon leiten zu lassen, zu welchem seiner Geschwister er ein gutes oder weniger gutes. Verhältnis hat (vgl. BayObLG Rpfleger 1997, 215). Jedes seiner Geschwister, die nach dem Tod seiner Eltern und seines Ehegatten die nächsten Verwandten des kinderlosen Erblassers waren, sollte, wie sich aus der Einsetzung der vier Geschwister auf das ganze Vermögen ergibt, einen gleich großen Anteil erhalten (vgl. § 2091 BGB). Das entspricht - abgesehen vom Stamm des im Krieg vermissten Bruders (vgl. dazu noch nachfolgend) - der Regelung der gesetzlichen Erbfolge (§ 1925 Abs. 3 BGB). Hieraus konnte das Landgericht den Schluss ziehen, dass die Zuwendung nicht den Geschwistern persönlich, sondern, wie bei gesetzlicher Erbfolge, als Erste ihres Stammes gelten sollte (vgl. BayObLG aaO). Dafür spricht auch, dass die Geschwister nicht namentlich genannt, sondern nach dem Wortlaut in ihrer verwandtschaftlichen Funktion berufen sind (vgl. BayObLG FamRZ 2000, 1186/1187).

Das Landgericht hätte ergänzend auch auf das Alter der eingesetzten Personen hinweisen können, die der gleichen Generation wie der Erblasser angehörten und zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung bereits erwachsene Kinder hatten. Es war keineswegs unwahrscheinlich, dass eines oder mehrere der eingesetzten Geschwister nicht lange vor oder nach dem Erblasser versterben würde. Nichts deutet darauf hin, dass der Erblasser die Begünstigung des einen oder anderen Geschwisterstammes von dem Zufall abhängig machen wollte, ob sein Geschwister vor oder nach ihm verstirbt, wie sich hier augenfällig bei der nur vier Monate vor dem Erblasser verstorbenen Mutter der Beteiligten zu 6 zeigt.

cc) An dieser Auslegung hat sich das Landgericht zu Recht nicht durch den Umstand gehindert gesehen, dass der Erblasser den Stamm des zum 31.12.1945 für tot erklärten Bruders, der seinerzeit zwei Kinder im Alter von sieben und sechs Jahren hinterließ, nicht bedacht hat. Der Ausschluss dieses Stammes beruht erkennbar auf einer bewussten Entscheidung des Erblassers. Dabei kann dahinstehen, ob dies aus den vom Landgericht angenommenen Erwägungen oder aus anderen Beweggründen geschah. Entscheidend ist nach Auffassung des Senats, dass der Erblasser diesen Geschwisterstamm von der Erbfolge bewusst ausgeschlossen hat, indem er ausdrücklich nur die im Zeitpunkt der Testamentserrichtung noch lebenden vier Geschwister eingesetzt hat. Dies sagt aber für sich genommen andererseits nichts darüber aus, wie die Einsetzung dieser vier lebenden Geschwister gemeint war. Das Landgericht konnte daher zu der Auslegung gelangen, der Erblasser habe im Testament von 1984 seine vier noch lebenden Geschwister jeweils als Erste ihres Stammes eingesetzt, ohne dass der Ausschluss des einen Geschwisterstammes einer solchen Auslegung entgegenstünde.

dd) Der weitere Umstand, dass der Erblasser nach dem Tode seiner 1995 vorverstorbenen Schwester sein Testament nicht geändert hat, lässt keine eindeutigen Schlussfolgerungen in der einen oder anderen Richtung zu. Der Erblasser kann sehr wohl deshalb von einer Änderung abgesehen haben, weil er meinte, die Kinder bereits ersatzweise eingesetzt zu haben und deshalb nichts weiter tun zu müssen. Schon aus diesem Grund ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht diesem Umstand keine Bedeutung beigemessen hat, ohne dass es auf die vom Landgericht getroffenen Feststellungen zur "eher unbeschwerten Art" des Erblassers, der sich nach der Testamentserrichtung wohl keinerlei Gedanken über die Erbschaft gemacht habe, ankäme.

ee) Ohne Erfolg greift die Rechtsbeschwerde die Entscheidung insoweit an, als das Landgericht die - vom Rechtsbeschwerdeführer bestrittenen - Angaben von Beteiligten über Äußerungen des Erblassers nach Testamentserrichtung zur Stützung seiner Auslegung herangezogen hat. Das Landgericht hat nicht verkannt, dass solchen Aussagen, die von Eigeninteresse der Betroffenen geprägt sein können, mit Vorsicht zu begegnen ist. Es hat dargelegt, dass ihm die bei der Anhörung durch das Amtsgericht gemachten Angaben nachvollziehbar und plausibel erscheinen. Die Verwertung dieser Äußerungen - ergänzend zur am Wortlaut des Testaments orientierten Auslegung - hält sich im Rahmen richterlicher Überzeugungsbildung und lässt Rechtsfehler nicht erkennen.

3. Dass der Beteiligte zu 1 die Gerichtskosten zu tragen hat, ergibt sich unmittelbar aus der Kostenordnung; hierzu bedarf es keiner Entscheidung. Nach § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG war anzuordnen, dass der Beteiligte zu 1 der Beteiligten zu 6 die dieser in der Rechtsbeschwerdeinstanz entstandenen Kosten zu erstatten hat. Die übrigen Beteiligten sind im Verfahren der weiteren Beschwerde nicht hervorgetreten.

4. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird gemäß §§ 30, 31 Abs. 1, § 131 Abs. 2 KostO auf 37682,84 EUR festgesetzt. Der Senat geht in Übereinstimmung mit dem Landgericht von einem Nachlasswert von 294804,88 DM (150731,34 EUR) aus. Das Interesse des Rechtsbeschwerdeführers war darauf gerichtet, anstelle von 1/4 mit einer Erbquote von 1/2 am Nachlass beteiligt zu sein, also eine um 1/4 höhere Erbquote zu erhalten; das entspricht einem Wert von 37682,84 EUR.

Soweit das Landgericht den Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren ebenfalls auf 37682,84 EUR festgesetzt hat, hat es übersehen, dass im dortigen Verfahren zwei Beschwerdeführer (die Beteiligten zu 1 und 2) jeweils eine um 1/4 höhere Erbquote verfolgt haben. Haben aber mehrere Miterben Rechtsmittel mit demselben Ziel eingelegt, so ist ein einheitlicher Geschäftswert festzusetzen, auch wenn das Interesse der Beschwerdeführer auf verschiedene, einander ergänzende Erbteile gerichtet ist; in diesem Fall sind die Interessen zusammenzurechnen (BayObLGZ 1994, 40/56). Der Geschäftswert des landgerichtlichen Beschwerdeverfahrens ergibt sich daher aus der Summe der von den dortigen Beschwerdeführern angestrebten Erhöhungsquoten (1/4 + 1/4 = 1/2) und beläuft sich auf 75365,68 EUR. Die landgerichtliche Wettfestsetzung war entsprechend von Amts wegen zu ändern (§ 31 Abs. 1 Satz 2 KostO).

Ende der Entscheidung

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