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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 04.04.2002
Aktenzeichen: 1Z BR 19/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 2087
Zur Frage Abgrenzung von Erbeinsetzung und Vermächtnis.
Gründe:

I.

Die 1998 im Alter von 86 Jahren verstorbene Erblasserin war verwitwet. Ihr Nachlass besteht im wesentlichen aus Bankguthaben im Wert von rund 69000 DM. Mit eigenhändigem Testament vom 8.6.1994 hatte sie verfügt, dass an ihre vier Töchter "je 5000 DM verteilt werden" und ihre sechs Enkelkinder "auch jedes 5000 DM erhalten. Das darüber vorhandene bleibt bei Familie G.". Gemeint ist die Familie einer Tochter (Beteiligte zu 1), in deren Haus die Erblasserin gelebt hatte.

Am 29.11.2000 beantragte eine Tochter (Beteiligte zu 4), ihr einen Teilerbschein zu erteilen, wonach sie die Erblasserin zu 1/4 beerbt habe. Sie vertrat die Meinung, dass nicht die "Familie G." (die Beteiligten zu 1 bis 3), sondern die vier Töchter die Erblasserin zu gleichen Teilen beerbt hätten; entweder sei das Testament vom 8.6.1994 in diesem Sinne auszulegen, oder das Testament vom 8.6.1994 enthalte keine Erbeinsetzung, so dass die gesetzliche Erbfolge eingetreten sei.

Das Nachlassgericht hat den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 4 mit Beschluss vom 8.12.2000 zurückgewiesen. Die Beschwerde der Beteiligten zu 4 gegen diesen Beschluss hat das Landgericht Landshut mit Beschluss vom 7.2.2001 zurückgewiesen.

Mit der weiteren Beschwerde gegen diesen Beschluss verfolgt die Beteiligte zu 4 ihren Erbscheinsantrag weiter.

II.

Die zulässige weitere Beschwerde (§ 27 Abs. 1, § 29 Abs. 1 und 4, § 20 FGG) hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Landgericht nimmt zunächst Bezug auf die von ihm gebilligten Ausführungen des Nachlassgerichts. Dieses hatte ausgeführt, wer als Erbe eingesetzt werden sollte, sei durch Auslegung des Testaments zu ermitteln, da dieses hierzu keine eindeutige Aussage enthalte. Die Zuwendungen von jeweils 5000 DM an alle vier Töchter und sechs Enkel seien bei einem Aktivnachlass von ca. 70000 DM als Vermächtnisse anzusehen. In der abschließenden Regelung des Testaments - "Das darüber vorhandene bleibt bei Familie G." - liege dagegen eine Erbeinsetzung. Das Landgericht fügt dem hinzu, das Ziel der Beschwerdeführerin, mit mehr als 5000 DM, nämlich zu 1/4 am Nachlass zu partizipieren, stehe in eindeutigem Widerspruch zum Willen der Erblasserin, nämlich zu der Anordnung, dass die nach Erfüllung der Vermächtnisse verbleibenden Guthaben der Familie G. zustehen sollen. Aus der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 16.7.1991 ergebe sich nicht, dass im vorliegenden Fall die Annahme, die "Familie G." - Tochter, Schwiegersohn und Enkel zu gleichen Teilen, wie das Nachlassgericht angenommen habe, oder aber, was durchaus auch in Betracht komme, nur die Tochter - sei als Erbe eingesetzt worden, nicht möglich sei. Der "Rest" mache nach den Berechnungen der Beschwerdeführerin deutlich mehr als 1/4 der Erbmasse aus.

Die Rechtsbeschwerde vertritt demgegenüber die Meinung, die abschließende Anordnung des Testaments könne "nach den vom Bayerischen Obersten Landesgericht (FamRZ 1990, 1399 ff.) festgestellten Grundsätzen" nicht als Erbeinsetzung gewertet werden, weil "das darüber vorhandene" Vermögen auch zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung nur aus ca. 20000 DM bestanden, also noch nicht einmal 1/3 des Gesamtvermögens ausgemacht habe. Der Familie G. sei lediglich ein geringer Betrag des Nachlassvermögens vermacht worden. Mangels sonstiger Erbeinsetzung greife die gesetzliche Erbfolge ein.

2. Die Testamentsauslegung der Vorinstanzen hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO n.F.) stand.

a) Die Auslegung eines Testaments ist Sache des Tatsachengerichts. Die Überprüfung in der Rechtsbeschwerdeinstanz ist auf Rechtsfehler beschränkt. Dabei kommt es insbesondere darauf an, ob die Auslegung der Tatsacheninstanz gegen gesetzliche Auslegungsregeln, allgemeine Denk- und Erfahrungsgrundsätze oder Verfahrensvorschriften verstößt, ob in Betracht kommende andere Auslegungsmöglichkeiten nicht in Erwägung gezogen wurden, ob ein wesentlicher Umstand - z.B. ein Teil des Testamentswortlauts - übersehen wurde oder ob dem Testament ein Inhalt gegeben wurde, der dem Wortlaut nicht zu entnehmen ist und auch nicht auf verfahrensfehlerfrei getroffene Feststellungen anderer Anhaltspunkte für den im Testament zum Ausdruck gekommenen Erblasserwillen gestützt werden kann (BGHZ 121, 357/363; BayObLG NJWE-FER 2000, 93; MünchKomm/ Leipold BGB 3. Aufl. § 2084 Rn. 84).

b) Rechtsfehlerfrei haben die Vorinstanzen angenommen, dass der abschließenden Regelung des Testaments im Wege der Auslegung eine Erbeinsetzung der "Familie G." zu entnehmen, der Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 4 daher unbegründet sei.

(1) Die Auslegung des Testaments ist erforderlich, weil aus ihm nicht eindeutig hervorgeht, wer von den bedachten Personen als Erbe (§ 1937 BGB) eingesetzt sein soll.

(2) Die Erblasserin hat in ihrem Testament die Verteilung ihres gesamten - aus Bankguthaben bestehenden - Vermögens vorgenommen. Auch wenn keine der bedachten Personen als "Erbe" bezeichnet ist, muss, wenn der Nachlass durch die letztwilligen Verfügungen erschöpft wird, davon ausgegangen werden, dass diese Verfügungen auch eine Erbeinsetzung enthalten, weil nicht anzunehmen ist, dass die Erblasserin überhaupt keine Erben berufen wollte (BGH DNotZ 1972, 500; BayObLG FamRZ .1992, 862/864; 1995, 246/248; 1997, 1177/ 1178; NJW-RR 1999, 1021).

(3) Aus der Verteilung des gesamten Nachlasses folgt noch nicht, dass alle bedachten Personen zu Erben berufen sind. Vielmehr kann die Auslegung ergeben, dass nur einer oder einzelne der bedachten Personen zu Erben eingesetzt sind, während den anderen lediglich Vermächtnisse zugewendet sind (BGH aaO; BayObLG FamRZ 1985, 246/248, 835; NJW-RR 1999, 1021).

Bei der Entscheidung, ob eine Person als Erbe eingesetzt ist, kommt es wesentlich darauf an, wer nach dem Willen des Erblassers den Nachlass zu regeln und die Nachlassschulden, zu denen auch die Bestattungskosten gehören (§ 1968 BGB) zu tilgen hat, sowie darauf, ob der Bedachte unmittelbar Rechte am Nachlass oder nur Ansprüche gegen andere Bedachte erwerben soll (BayObLG FamRZ 1986, 604/605, 728/731, 835/837). Dagegen ist es für den Begriff der Erbenstellung nicht entscheidend, ob dem Erben nach Erfüllung aller Nachlassverbindlichkeiten noch ein mehr oder weniger großer wirtschaftlicher Vorteil an der Erbschaft verbleibt (BayObLG FamRZ 1986, 728/731, 835/ 837). Des ungeachtet sind bei der Auslegung des Testaments im Hinblick auf die Frage, wer als Erbe eingesetzt ist, auch die Wertverhältnisse der einzelnen Zuwendungen zu berücksichtigen - insbesondere dann, wenn zum Vermögen des Erblassers Grundstücke oder Eigentumswohnungen gehören und durch das Testament in gegenständlicher Weise einzelnen Personen zugewendet werden, da auch in der Zuwendung eines einzelnen Vermögensgegenstandes vor allem dann eine Erbeinsetzung liegen kann, wenn dieser den restlichen Nachlass an Wert so sehr übertrifft, dass anzunehmen ist, der Erblasser habe diesen Gegenstand als seinen wesentlichen Nachlass angesehen (BayObLG FamRZ 1990, 1401; 1995, 835; 1997, 1177/1178; NJW-RR 1999, 1021; OLG Köln Rpfleger 1992, 199). Es gibt jedoch keine Regel, wonach die Zuwendung des - nach Zuwendungen bestimmter Geldbeträge - übrig bleibenden Vermögens nur dann als eine Erbeinsetzung angesehen werden könne, wenn dieses Restvermögen die anderweitigen Verfügungen wertmäßig übersteigt oder ihnen zumindest gleichkommt, wie die Beschwerdeführerin meint. Auch das OLG Köln (Rpfleger 1992, 199) - auf das sich die Beschwerdeführerin beruft - sagt dies nicht, sondern umgekehrt: Es könne die Zuwendung eines (wertvollen) Gegenstandes (z.B. einer Elfenbeinsammlung) u.U. dann nicht mehr als Vermächtnis, sondern müsse als Erbeinsetzung angesehen werden, wenn sein Wert dem des verbleibenden Vermögens gleichkomme oder ihn gar übersteige. Die Entscheidung besagt jedoch nicht, dass die Zuwendung des verbleibenden Vermögens nur dann Erbeinsetzungsein könne, wenn es mindestens die Hälfte des gesamten Nachlasses bilde. Auch die Entscheidung des Senats FamRZ 1990, 1399 ist nicht so zu verstehen. In jenem Fall war insbesondere fraglich, ob nicht jemand, dem ein "Haus mit Grundstück", und Personen, denen "das Bargeld" und ein bestimmtes Bankkonto zugewendet waren, neben oder anstelle der Person Erben sein konnten, die "was nicht aufgeführt ist" erhalten sollte, zumal die Zuwendung des Hauses mit Grundstück im Testament vorangestellt war. Hierfür hat der Senat auch den Wert dieser verschiedenen Zuwendungen (Grundstück 114000 DM, Bargeld und Sparkonto 140000 DM, übriges Vermögen 170000 DM) berücksichtigt und die Auslegung der Vorinstanz gebilligt, wonach nur der Beteiligte Erbe sei, dem das übrige Vermögen zugewendet worden war. Mit dem Leitsatz: "Werden einzelnen Bedachten Vermögensgegenstände zugewendet und einem anderen Bedachten 'was nicht aufgeführt ist', so kann hierin eine Alleinerbeneinsetzung liegen, wenn das ihm in dieser Weise zugewendete Vermögen den Wert der übrigen Vermögensgegenstände erheblich übersteigt", wird aber nicht auf das Verhältnis der einzelnen Zuwendung zum Wert des gesamten (übrigen) Nachlasses abgestellt, sondern ersichtlich nur auf das Verhältnis zu den übrigen Zuwendungen je für sich genommen; denn sonst hätte im konkreten Fall der Wert des Restvermögens (170000 DM) den Wert der übrigen Vermögensgegenstände (zusammen 254000 DM) nicht erheblich überstiegen. Ferner hat der Senat nicht allein auf das Wertverhältnis der Zuwendungen abgestellt, sondern maßgeblich auch darauf, dass nur bei diesem Beteiligten anzunehmen war, der Erblasser habe ihn mit der Haftung für die Nachlassverbindlichkeiten belasten wollen.

(4) Bei richtigem Verständnis steht diese Entscheidung, wie das Landgericht zutreffend annimmt, der Auslegung der Vorinstanz nicht entgegen, sondern spricht für sie; denn das der "Familie G." zugewendete Restvermögen betrug nach den Ausführungen der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Testamentserrichtung ebenso wie im Zeitpunkt des Erbfalls ca. 20000 DM, war also erheblich höher als die Zuwendungen an die übrigen Bedachten je für sich genommen, zumal zwei Angehörige der "Familie G." - Tochter und Enkel - auch zu den jeweils mit 5000 DM Bedachten gehören.

Hinzu kommt der Gesichtspunkt, auf den auch in der Entscheidung FamRZ 1990, 1399 wesentlich mitabgehoben wurde, dass nämlich nicht angenommen werden kann, die Erblasserin habe eine der nicht zur Familie G. gehörenden, mit jeweils 5000 DM bedachten Töchter mit den Nachlassverbindlichkeiten (Bestattungskosten) belasten und die Zuwendung dadurch wieder vermindern wollen. Es 'ist vielmehr davon auszugehen, dass sie die Nachlassverbindlichkeiten aus dem höheren "darüber vorhandenen" Restvermögen beglichen haben wollte, das der Familie G. zufallen sollte. Die Vorinstanzen sind daher zutreffend davon ausgegangen, dass die Erblasserin nur der "Familie G.", nicht den anderen Bedachten die Regulierung des Nachlasses und der Nachlassverbindlichkeiten übertragen, d.h. aber nur sie zu Erben machen wollte, wobei dahinstehen kann, ob unter "Familie G." Tochter, Schwiegersohn und Enkel zu verstehen sind, wie das Nachlassgericht meinte, oder nur die Tochter, was das Landgericht in Betracht zog, oder nur Tochter und Enkel; denn in diesem Verfahren kommt es lediglich darauf an, dass jedenfalls die übrigen Bedachten, damit auch die Beteiligte zu 4, nach dem Willen der Erblasserin nicht Erben sein sollten, sondern Vermächtnisnehmer. Die Vorinstanzen hätten zusätzlich darauf hinweisen können, dass sich dieses Auslegungsergebnis auch auf die Ausdrucksweise der Erblasserin stützen lässt:

Wenn sie davon spricht, dass das "darüber vorhandene" Vermögen bei der Familie G. "bleibt", jeweils 5000 DM aber an die (übrigen) Töchter "verteilt werden" sollen, so hat sie ersichtlich die Vorstellung, dass das Vermögen bei ihrem Tod auf die Familie G, übergeht (§ 1922 Abs. 1 BGB) und diese die "Verteilung" der jeweils 5000 DM an die Vermächtnisnehmer (die übrigen Töchter und Enkel) vornimmt. Die Erblasserin wollte also, dass die "Familie G." unmittelbare Rechte am Nachlass erwerben sollte, die anderen Bedachten aber nur Ansprüche gegen ihn.

(5) Auf die - nur im Zweifel anwendbaren - Auslegungsregeln des § 2087 BGB haben die Vorinstanzen zu Recht nicht abgestellt, weil sie zutreffend angenommen haben" dass sich durch Auslegung des Testaments die Frage, wer Erbe sein sollte, zweifelsfrei beantworten lässt. Es bedarf daher auch keiner Erörterung, ob eine Zuwendung des übrigen oder restlichen Vermögens, wie hier, unter § 2087 Abs. 1 BGB fällt (so BayObLG FamRZ 1990, 1275/1276 f.; Staudinger/Otte BGB, 13. Bearb. Rn. 11; MünchKomm/Schlichting Rn. 3 jeweils zu § 2081; a.A. BayObLG FamRZ 1989, 1230/1231, während BayObLG FamRZ 1989, 1232 die Anwendbarkeit des § 2087 Abs. 1 BGB von der Klärung des Wertes der einzelnen Zuwendungen abhängig macht), oder unter § 2087 Abs. 2 BGB (so BayObLG FamRZ 1995, 246/247 f.; Senatsbeschluss vom 12.3.2002 Az.: 1Z.BR 14/01 Umdruck S. 16).

3. Dass die Beteiligte zu 4 die Gerichtskosten für das Verfahren der weiteren Beschwerde zu trägen hat, ergibt sich unmittelbar aus der Kostenordnung; insoweit bedarf es keiner Entscheidung.

Für die Anordnung einer Kostenerstattung nach § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG besteht kein Anlass, weil die Beteiligten zu 1 bis 3 im Verfahren der weiteren Beschwerde nicht hervorgetreten sind (Keidel/Zimmermann FGG 14. Aufl. § 13a Rn. 16).

4. Der gemäß § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 1 Satz 1, § 131 Abs. 2 KostO festzusetzende Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde entspricht dem Wert des 1/4-Erbteils, den die Beteiligte zu 4 bezeugt haben will. Auszugehen ist von dem Wert des nach Abzug der Nachlassverbindlichkeiten verbleibenden reinen Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls. Von dem Aktivnachlass von rund 70000 DM im Zeitpunkt des Erbfalls sind die Bestattungskosten (rund 6874 DM) und die Vermächtnisse (50000 DM) abzuziehen. Ein Viertel des verbleibenden Reinnachlasswertes (13126 DM) beträgt 3281,50 DM (1677,80 EUR).

Da der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens damit übereinstimmt, wird die Geschäftswertfestsetzung des Landgerichts entsprechend abgeändert (§ 31Abs. 1 Satz 2 KostO). Die Beschwerde der Beteiligten zu 4 gegen die Geschäftswertfestsetzung des Landgerichts wird dadurch gegenstandslos (BayObLG JurBüro 1989, 854/855).

Ende der Entscheidung

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