Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 27.04.2004
Aktenzeichen: 1Z BR 21/04
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 2247 Abs. 1
FGG § 12
1. Überprüfung der Beweiswürdigung des Landgerichts hinsichtlich der Echtheit eines eigenhändigen Testaments, deren Bejahung im Wesentlichen auf ein Schriftsachverständigengutachten gestützt wird.

2. Zur Frage der Anwendung der Regeln über den Anscheinsbeweis in einem solchen Fall.


Gründe:

I.

Der im Alter von nahezu 89 Jahren 2003 verstorbene Erblasser war kinderlos verheiratet; seine Ehefrau ist am 1991 verstorben. Der Erblasser war Landwirt. Sein Nachlass besteht aus der Hofstelle mit Wirtschaftsgebäuden und ca. 12 ha land- und forstwirtschaftliche Flächen sowie Geldvermögen. Der Aktivnachlass beträgt 286.323 EUR (560.000 DM).

Der Beteiligte zu 2 ist der Neffe des Erblassers, sein einzig lebender Verwandter. Der Beteiligte zu 1 ist sein Grundstücksnachbar, ein Neffe der vorverstorbenen Ehefrau des Erblassers.

Der Erblasser und seine Ehefrau hatten sich mit Ehe- und Erbvertrag vom 14.6.1957 gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt. Am 18.9.1997 errichtete der Erblasser ein notarielles Testament. Darin heißt es u.a.:

II.

Für den Fall meines Todes bestimme ich hiermit was folgt:

1. Zu meinem alleinigen und ausschließlichen Erben bestimme ich meinen Neffen A (Beteiligter zu 1).

2. Mein Erbe hat sofort nach meinem Ableben mein vorhandenes Bargeld und Sparguthaben, evtl. Guthaben auf laufenden Konten und dergleichen an meinen Neffen B (Beteligter zu 2) auszufolgen.

Ein mit dem Namen des Erblassers unterschriebenes handschriftliches Testament vom 3.10.1997 hat folgenden Wortlaut:

Testament

Hiermit setze ich meinen Neffen B (Beteiligter zu 2) zum alleinigen Erben meines gesamten Vermögens ein.

Der Beteiligte zu 2 beantragte auf der Grundlage des Testaments vom 3.10.1997 die Erteilung eines Erbscheins, der ihn als Alleinerbe ausweise. Der Beteiligte zu 1 erhob Einwendungen gegen die Echtheit des Testaments vom 3.10.1997. Das Nachlassgericht erholte ein Schriftsachverständigengutachten, das zu dem Ergebnis kam, das Testament mit Datum vom 3.10.1997 sei mit hoher Wahrscheinlichkeit (ca. 95 %) vom Erblasser eigenhändig erstellt und unterschrieben worden. Mit Vorbescheid vom 26.9.2003 kündigte das Nachlassgericht einen Alleinerbschein zugunsten des Beteiligten zu 2 an. Hiergegen legte der Beteiligte zu 1 Beschwerde ein, die das Landgericht mit Beschluss vom 15.1.2004 zurückwies. Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1.

III.

Das Rechtsmittel ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat ausgeführt, es sei von der Echtheit des handschriftlichen Testaments des Erblassers vom 3.10.1997 überzeugt. Nach dem Gutachten des Sachverständigen, der die eigenhändige Erstellung des Testaments durch den Erblasser mit hoher Wahrscheinlichkeit (ca. 95 %) angenommen habe, bestünden keine vernünftigen Zweifel daran, dass der Erblasser dieses Testament eigenhändig in vollem Umfang erstellt und unterschrieben habe. Die restlichen 5 %, die zur Bewertung "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" fehlten, seien auf Lücken im Vergleichsschriftmaterial, auf die Verwendung eines eher "fälschungsbegünstigenden" Schreibgeräts sowie auf die einfache und gleichzeitig variable, habituelle Schreib- und Unterzeichnungsweise des Erblassers zurückzuführen. Allerdings habe der Sachverständige aufgrund einer physikalisch-technischen Prüfung und einer graphischen Analyse keinerlei Befunde für Manipulationen feststellen können; aufgrund der schriftvergleichenden Analyse bestünden zwischen Testamentsschrift und Vergleichsmaterial vielgliedrige und spezifische Merkmalsentsprechungen, die gegen eine fremde Urheberschaft sprächen. Insbesondere habe der Sachverständige keine Anhaltspunkte dafür gefunden, dass das Datum oder in diesem die Jahreszahl abgeändert worden wäre.

Einer Einvernahme der vom Beteiligten zu 1 benannten Zeugen habe es nicht bedurft. Die in ihr Wissen gestellten Behauptungen, der Erblasser habe jahrelang Betreuungsleistungen des Beteiligten zu 1 und seiner Familie in Anspruch genommen und wiederholt geäußert, zu dessen Gunsten testiert zu haben und, der durch Testament vom 3.10.1997 vorgenommene Widerruf des erst am 18.9.1997 errichteten notariellen Testaments habe nicht seinem Charakter entsprochen, seien für die Beurteilung der Echtheit des Testaments ohne Belang. Es komme auf den wirklichen Willen des Erblassers an, wie er in der formgerecht verfassten letztwilligen Verfügung zum Ausdruck gekommen ist. Die Motive des Erblassers könnten offen bleiben. Für die Echtheit des zugunsten des Beteiligten zu 2 errichteten privatschriftlichen Testaments spreche auch, dass der Erblasser diesem im Jahr 1999 eine umfassende Vorsorgevollmacht erteilt hat. Da das Testament vom 3.10.1997 zugleich den Widerruf des Testaments vom 18.9.1997 enthalte, sei der Beteiligte zu 2, wie im Vorbescheid angekündigt, zum Alleinerben des Erblassers berufen.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) stand. Es hat sich aufgrund des eingeholten Sachverständigengutachtens davon überzeugt, dass der Erblasser das privatschriftliche Testament vom 3.10.1997 persönlich errichtet hat (§ 2247 Abs. 1 BGB). Seine Beweiswürdigung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Danach ist der Beteiligte zu 1 - wie im Vorbescheid angekündigt - zum Alleinerben des Erblassers berufen. Das zugunsten des Beteiligten zu 1 errichtete Testament vom 18.9.1997 hat der Erblasser widerrufen (§ 2258 Abs. 1 BGB).

a) Die Frage, ob ein handschriftliches Testament vom Erblasser geschrieben und unterschrieben wurde, liegt im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet. Die tatsächlichen Feststellungen des Beschwerdegerichts sind für das Rechtsbeschwerdegericht bindend, wenn sie rechtsfehlerfrei getroffen sind (§ 27 Abs. 1 Satz 2 FGG, § 559 Abs. 2 ZPO). Das Rechtsbeschwerdegericht kann die Beweiswürdigung nur daraufhin überprüfen, ob der maßgebliche Sachverhalt ausreichend erforscht (§ 12 FGG, § 2358 Abs. 1 BGB) und alle wesentlichen Umstände berücksichtigt wurden, ob die Beweiswürdigung alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat, ob die Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei ist und Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen zuwiderläuft, ferner ob die Beweisanforderungen vernachlässigt oder überspannt worden sind. Stützt sich der Tatrichter auf ein Gutachten, so muss die Beweiswürdigung weiter ergeben, dass das Gericht selbständig und eigenverantwortlich geprüft hat, ob es dem Gutachten folgen kann (BayObLG FamRZ 1982, 638/639; Rpfleger 1985, 240/241; Keidel/Schmidt FGG 15. Aufl. § 15 Rn. 65). Die Entscheidung des Landgerichts entspricht diesen Kriterien.

b) Die Vorinstanzen haben den für die Frage der Echtheit des Testaments vom 3.10.1997 maßgeblichen Sachverhalt ausreichend ermittelt (§ 12, § 15 FGG, § 2358 Abs. 1 BGB). Das Nachlassgericht hat einen hauptberuflich im Bayerischen LKA tätigen Schriftsachverständigen beauftragt, gegen dessen fachliche Qualifikation die Beteiligten keine Einwendungen erhoben haben. Der Sachverständige hat die Testamentsschrift vom 3.10.1997 mit den von dem Beteiligten eingereichten Vergleichsschriftproben überprüft und ist in seinem Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass sich aufgrund der physikalisch-technischen Prüfung und der graphischen Analyse der Testamentsschrift vom 3.10.1997 keine Befunde für eine Fälschung ergeben haben. Gleichwohl kommt der Sachverständige zu der Bewertung, dass das Testament vom 3.10.1997 "mit hoher Wahrscheinlichkeit" (etwa 95 %) vom Erblasser stammt. Von den höheren Bewertungsstufen "mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit" (etwa 99 %) und "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" (99,99 %) hat der Sachverständige wegen Lücken im Vergleichsschriftmaterial, der Verwendung eines eher "fälschungsbegünstigenden" Schreibgeräts und vor allem wegen der einfachen und gleichzeitig variablen habituellen Schreib- und Unterzeichnungsweise des Erblassers abgesehen. Das Landgericht hat das Sachverständigengutachten eingehend kritisch überprüft und die vom Sachverständigen herausgestellten objektiven Befundlücken nicht übersehen. Dennoch hat es sich der zusammenfassenden Beurteilung des Sachverständigen angeschlossen, nach der die Testamentsschrift vom 3.10.1997 und die Vergleichsschriften ein "Bild von recht vielgliedrigen und spezifischen Merkmalsentsprechungen" enthalten, die gegen eine Fälschung sprechen. Die daraus abgeleitete Überzeugung des Landgerichts, es bestünden keine vernünftigen Zweifel, dass das Testament vom 3.10.1997 vom Erblasser eigenhändig ge- und unterschrieben worden ist, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

c) Der Beteiligte zu 1 rügt ohne Erfolg, dass das Landgericht keine "vernünftigen Zweifel" an der Echtheit des Testaments hat, obwohl der Sachverständige nur von hoher Wahrscheinlichkeit - und nicht "sehr hoher Wahrscheinlichkeit" oder von "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" - spricht. Der Beteiligte zu 1 verkennt, dass das Landgericht nach freier Überzeugung über das Ergebnis des von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens zu entscheiden hatte. Da eine absolute Gewissheit im naturwissenschaftlichen Sinne fast nie zu erreichen und die theoretische Möglichkeit des Gegenteils der Tatsache, die festgestellt werden soll, kaum einmal auszuschließen ist, genügt für die richterliche Überzeugung ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der vernünftige Zweifel ausschließt. Eine solche Gewissheit liegt auch im Amtsverfahren dann vor, wenn diese einen Grad erreicht hat, "der den Zweifeln Einhalt gebietet", ohne sie völlig ausschließen zu können (vgl. BGH NJW 1993, 935; 1994, 1348; NJW-RR 1994, 567; BayObLG FamRZ 1992, 1206; BayObLGZ 1999, 205/210; Keidel/Schmidt § 12 Rn. 208). Es ist daher aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Landgericht nach diesen Grundsätzen keine "vernünftigen Zweifel" an der Echtheit des Testamentes hatte, auch wenn der Sachverständige in seinem wissenschaftlich begründeten Gutachten im Hinblick auf die objektiven Befundlücken nur von hoher Wahrscheinlichkeit der Urheberschaft des Erblassers ausgegangen ist. Das Beweismaß des Sachverständigen hatte sich nach wissenschaftlichen Maßstäben auszurichten. Demgegenüber gilt für den Tatrichter das Beweismaß der persönlichen Überzeugung, nämlich ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der vernünftige Zweifel ausschließt (vgl. § 442 ZPO).

d) Entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 1 war das Landgericht nicht gehalten, die von ihm benannten Zeugen einzuvernehmen. Art und Umfang der Ermittlungen (§ 12 FGG, § 2358 Abs. 1 BGB) richten sich nach der Lage des Einzelfalls; der Tatrichter entscheidet hierüber nach pflichtgemäßem Ermessen. Der Grundsatz der Amtsermittlung verpflichtet ihn, alle zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlichen Beweise zu erheben. Zur Erschöpfung aller überhaupt möglichen Ermittlungen ist er nicht verpflichtet. Er hat die Ermittlungen nur so lange fortzuführen, bis er die volle Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer Tatsache erlangt hat und von weiteren Ermittlungen ein sachdienliches, die Entscheidung beeinflussendes Ergebnis nicht mehr zu erwarten ist (vgl. Keidel/Schmidt § 12 Rn. 118).

So liegt es hier. Die unter Zeugenbeweis gestellten Behauptungen des Beteiligten zu 1 über die Betreuung des Erblassers durch seine Familie, über den Charakter und die Religiosität des Erblassers, über seine gegenüber dem Beteiligten zu 1 und dem Notar abgegebenen Erklärungen anlässlich der Testamentserrichtung vom 18.9.1997, über seine nach 1997 gemachten Äußerungen über die Erbeinsetzung des Beteiligten zu 1 und den Verwahrungsort des notariellen Testaments sind nicht geeignet, die Urheberschaft des Erblassers für die Testamentsschrift vom 3.10.1997 in Frage zu stellen. Das Landgericht hat sich mit den möglichen Gründen für den Sinneswandel des Erblassers und seinem behaupteten späteren Verhalten auseinander gesetzt. Es hat dabei beachtet, dass die grundrechtlich geschützte Testierfreiheit (Art. 14 Abs. 1 GG) dem Erblasser gestattet hat, grundsätzlich nach Belieben über sein Vermögen von Todes wegen zu verfügen. Es hat daher zu Recht dem in der erforderlichen Form (§ 2247 Abs. 1 BGB) niedergelegten Testierwillen die maßgebliche Bedeutung beigemessen und nicht - aus welchen Gründen auch immer - anders lautenden Äußerungen des Erblassers gegenüber Dritten.

Entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 1 waren die von ihm benannten Zeugen auch nicht nach den Regeln des Anscheinsbeweises gegenbeweislich zum Ergebnis des Schriftsachverständigen anzuhören. Zwar gilt auch bei der Beweiswürdigung im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit der Beweis des ersten Anscheins (vgl. Keidel/Schmidt § 12 Rn. 209). Beim Anscheinsbeweis werden Lebenserfahrungssätze auf typische Geschehensabläufe angewandt in der Weise, dass von einem feststehenden Erfolg auf eine bestimmte Ursache, aber auch umgekehrt von einer feststehenden Ursache auf einen bestimmten Erfolg geschlossen werden kann. Ist der Anscheinsbeweis danach gelungen, so kann er durch einen Gegenbeweis erschüttert werden (Palandt/ Heinrichs BGB 63. Aufl. vor § 249 Rn. 163 f.). Die Voraussetzungen für die Anwendung des Anscheinsbeweises sind aber im vorliegenden Fall nicht gegeben. Es fehlt an einem vorgegebenen typischen Geschehensablauf, der nach der Lebenserfahrung Rückschlüsse auf seine Ursache oder seine Folgen zuließe. Die gegenbeweislich angebotenen Zeugen waren daher nicht nach den Regeln des Anscheinsbeweises anzuhören; vielmehr hatte das Landgericht im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht gemäß § 12 FGG, § 2358 Abs. 1 BGB zu prüfen, ob diese zu vernehmen sind. Dies hat das Landgericht ohne Rechtsfehler verneint, weil es aus seiner Sicht (s.o.) darauf nicht angekommen ist.

3. Eine Entscheidung über die Gerichtskosten ist nicht veranlasst, da sich unmittelbar aus der Kostenordnung selbst ergibt, dass sie vom Beteiligten zu 1 als demjenigen, der das erfolglose Rechtsmittel eingelegt hat, zu tragen sind. Die Anordnung der Kostenerstattung beruht auf § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG.

Für den gemäß § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 1 Satz 1 KostO zu bestimmenden Geschäftswert der weiteren Beschwerde ist die Bedeutung des Rechtsmittels für den Beteiligten zu 1 maßgebend. Dieser hat damit seine Alleinerbenstellung aufgrund des Testaments vom 18.9.1997 angestrebt. Sein Interesse richtet sich daher auf den Reinnachlass, der ausgehend von der Wertangabe des Erblassers bei Errichtung des notariellen Testaments vom 18.9.1997 (560.000 DM) und unter Berücksichtigung des zugunsten des Beteiligten zu 2 angeordneten Vermächtnisses (ca. 100.000 DM) auf 235.194 EUR (460.000 DM) geschätzt wird. Entsprechend war die Geschäftswertfestsetzung des Landgerichts für das Beschwerdeverfahren abzuändern (§ 31 Abs. 1 Satz 2 KostO).

Ende der Entscheidung

Zurück