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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 18.05.2004
Aktenzeichen: 1Z BR 30/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1741
BGB § 1767
Ablehnung einer Erwachsenenadoption wegen begründeter Zweifel, ob ein dem Eltern-Kind-Verhältnis entsprechendes Familienband hergestellt werden soll oder in Zukunft erwartet werden kann.
Gründe:

I.

Die 1931 geborene Beteiligte zu 1 ist verwitwet und hat keine leiblichen Kinder. Sie hat am 10.12.1991 den 1970 geborenen Beteiligten zu 3, einen Neffen, als Kind angenommen. Zwischen der Beteiligten zu 1 und ihrem Adoptivsohn ist es zu einem tief greifenden Zerwürfnis gekommen. Der 1968 geborene Beteiligte zu 2, den die Beteiligte zu 1 nunmehr adoptieren will, ist ebenfalls ihr Neffe; er ist kinderlos.

Mit notarieller Urkunde vom 5.9.2002 beantragten die Beteiligten zu 1 und 2, die Annahme des Beteiligten zu 2 als Kind der Beteiligten zu 1 auszusprechen. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Anzunehmende sei der Annehmenden seit mehreren Jahren bei der Bewirtschaftung ihres landwirtschaftlichen Anwesens behilflich, mittlerweile sei er Pächter des Anwesens. Ferner nehme er dort auch Arbeiten und Hilfstätigkeiten im privaten Bereich gleich einem Familienangehörigen vor und leiste Beistand in gesunden und kranken Tagen. Zwischen beiden Antragstellern habe sich ein Eltern-Kind-Verhältnis entwickelt. Demgegenüber sei der erste Adoptivsohn (Beteiligter zu 3) bei der Bewirtschaftung des landwirtschaftlichen Anwesens nicht behilflich und kümmere sich auch sonst nicht um seine Adoptivmutter.

Der Beteiligte zu 3 wandte sich gegen die Adoption. Er bestreitet das Bestehen eines Eltern-Kind-Verhältnisses zwischen den Antragstellern. Außerdem sieht er durch die neuerliche Adoption seine Interessen beeinträchtigt, da sein Erbrecht als bisher alleiniger Adoptivsohn der Beteiligten zu 1 um die Hälfte verkürzt würde; dies hält er für die eigentliche Motivation des Adoptionsantrags.

Das Amtsgericht hat die Beteiligten persönlich angehört und mit Beschluss vom 8.9.2003 den Antrag auf Annahme als Kind abgelehnt, da erhebliche Zweifel an der sittlichen Rechtfertigung der Adoption bestünden. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 1 hat das Landgericht nach erneuter persönlicher Anhörung der Beteiligten durch Beschluss vom 16.2.2004 zurückgewiesen. Mit der weiteren Beschwerde verfolgt die Beteiligte zu 1 ihren Adoptionsantrag weiter.

II.

Die zulässige weitere Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:

Die Annahme als Kind könne mangels sittlicher Rechtfertigung nicht ausgesprochen werden. Ein Eltern-Kind-Verhältnis sei nach Überzeugung der Kammer unter Berücksichtigung der Aktenlage und des persönlichen Eindrucks von den Beteiligten zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht entstanden. Die Antragsteller hätten vor Stellung des Antrags und während des laufenden Verfahrens nur gelegentlich Kontakt gehabt, nämlich ca. alle zwei Wochen. In der Vergangenheit habe ein Streit zwischen ihnen dazu geführt, dass der Kontakt jahrelang abgebrochen gewesen sei. Erst seitdem der Beteiligte zu 3 den Hof der Beschwerdeführerin bewirtschafte, befinde er sich nach seinen Angaben ca zwei- bis dreimal wöchentlich auf dem Hof. Dieser persönliche Kontakt zwischen den Antragstellern könne noch nicht zum Entstehen eines Eltern-Kind-Verhältnisses geführt haben. Es liege vielmehr lediglich ein Verhältnis vor, das sich nicht von anderen verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen Tante und Neffe unterscheide. Auch verblieben bei objektiver Betrachtung der derzeit bestehenden Bindungen und ihrer Entwicklungsmöglichkeiten erhebliche Zweifel daran, dass ein derartiges Eltern-Kind-Verhältnis in Zukunft entstehen werde.

Aus den Äußerungen der Beteiligten sei nicht ausreichend erkennbar geworden, dass es ihnen gerade, wie behauptet, um die Fortführung des landwirtschaftlichen Anwesens in L. als Lebenswerk der Beteiligten zu 1 unter Aufrechterhaltung des Hof- und Familiennamens gehe. Die Fortführung des Hofes sei durch das bereits durchgeführte Pachtverhältnis zwischen den Antragstellern genauso gut möglich; auch stehe der Beibehaltung des Hofnamens nichts entgegen. Die Beschwerdeführerin habe den Beteiligten zu 2 bereits durch notariellen Erbvertrag als Alleinerben eingesetzt. Der derzeitige und nach eigener Einlassung des Beteiligten zu 2 auch künftige Lebensmittelpunkt sei sein eigener Hof in H., wo er mit seiner leiblichen Familie und seiner Verlobten lebe und bleiben möchte. Im Falle einer eventuellen Pflegebedürftigkeit der Beschwerdeführerin solle diese in das Haus nach H. kommen. Daraus ergebe sich, dass die Fortführung des Lebenswerkes der Beschwerdeführerin über die tatsächliche landwirtschaftliche Bewirtschaftung des Hofes hinaus durch Bindung der Familien an den Hof von den Beteiligten nicht bezweckt sei.

Soweit der Adoptionsantrag darauf gestützt werde, dass die Antragstellerin eine Betreuung und Unterstützung im Alter erhalte, habe diese nach ihren Äußerungen in der Anhörung diesbezüglich keinerlei konkrete Vorstellungen. Die Aussicht auf Pflege spiele bei der Beschwerdeführerin derzeit eine eher untergeordnete Rolle und stelle nicht die ausschlaggebende Motivation für die Adoption dar. Die bloß hypothetische Aussicht auf eine mögliche künftige Pflegebedürftigkeit der Beschwerdeführerin, ohne dass es dieser bereits jetzt erkennbar darauf ankomme, und die entsprechende Bereitschaftserklärung durch den Beteiligten zu 2 seien für sich genommen zu abstrakt, als dass die Kammer die Überzeugung gewinnen könnte, dass in Zukunft tatsächlich eine Eltern-Kind-Beziehung entstehen werde.

Schließlich könnten die in der Vergangenheit liegenden Ereignisse nicht außer Acht gelassen werden. Die Antragsteller hätten wegen eines Streits über Jahre hinweg keinen Kontakt zueinander gehabt. Die Beziehung der Beschwerdeführerin zu ihrem ersten Adoptivsohn habe sich in den letzten Jahren derartig verschlechtert, dass sie nunmehr als zerstört anzusehen sei. Aufgrund dieser Streitigkeiten und Erfahrungen in der Vergangenheit sei nicht auszuschließen, dass es auch zwischen den Antragstellern in der Zukunft erneut zu einem ähnlichen Zerwürfnis kommen könne.

Gegen die sittliche Rechtfertigung der beantragten Adoption spreche auch die Motivation der Antragstellerin bei der ersten Adoption. Nach eigenem Vortrag der Antragstellerin in einem Räumungsrechtsstreit gegen ihren Adoptivsohn habe sie diesen nur "auf Zureden der Verwandtschaft sowie auch aus Steuerersparnisgründen" als Kind angenommen. Die damalige Einstellung der Antragstellerin könne zwar unmittelbar keine Auswirkungen auf die Beurteilung der sittlichen Rechtfertigung der nunmehr beantragten Adoption haben. Sie könne jedoch im Rahmen einer Gesamtschau aller relevanten Umstände zumindest als Indiz herangezogen werden. Bereits bei der ersten Adoption sei es der Antragstellerin nicht um die rechtliche Bestätigung einer bestehenden oder entstehenden Eltern-Kind-Beziehung gegangen, sondern vielmehr um steuerliche Gründe; solche Gründe könnten als wirtschaftlicher Gesichtspunkt im Rahmen einer Adoption höchstens Neben-, aber nicht Hauptzweck sein.

Alles in allem habe die Kammer nach Würdigung der tatsächlichen Gegebenheiten und unter Berücksichtigung des anlässlich der Anhörung gewonnenen Eindrucks der Beteiligten den Verdacht, dass der Wunsch nach einer Adoption weniger auf dem Motiv beruhe, eine bereits entstandene oder in der Zukunft zu erwartende Eltern-Kind-Beziehung auch rechtlich zu bestätigen, als vielmehr die in menschlicher Hinsicht gescheiterte Adoption des Beteiligten zu 3 durch die erstrebte Adoption "auszugleichen" und möglicherweise den Beteiligten zu 3 dadurch für sein Verhalten und die entstandenen Konflikte zu "bestrafen". Die Antragstellerin habe auch auf Frage des Gerichts nicht zu erklären vermocht, was die Besonderheit in ihrer Beziehung zum Antragsteller ausmache und wann genau der Entschluss zur Adoption gefasst worden sei. Insgesamt habe die Antragstellerin durch ihr Verhalten eher den Eindruck von Gleichgültigkeit erweckt. Es verblieben jedenfalls begründete Zweifel am Entstehen einer Eltern-Kind-Beziehung.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO).

a) Gemäß § 1767 Abs. 1 BGB kann ein Volljähriger als Kind angenommen werden, wenn die Annahme sittlich gerechtfertigt ist. Das ist insbesondere anzunehmen, wenn zwischen dem Annehmenden und dem Anzunehmenden ein Eltern-Kind-Verhältnis bereits entstanden ist (§ 1767 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB). Andernfalls muss bei objektiver Betrachtung bestehender Bindungen und ihrer Entwicklungsmöglichkeiten das Entstehen einer Eltern-Kind-Beziehung für die Zukunft zu erwarten sein (§ 1767 Abs. 2 Satz 1, § 1741 Abs. 1 Satz 1 BGB; vgl. BayObLG FamRZ 1982, 644/645 m.w.N.; NJW 1985, 2094; FamRZ 2001, 118; Staudinger/Frank BGB [2001] § 1767 Rn. 18; MünchKomm/ Maurer BGB 4. Aufl. § 1767 Rn. 5 f.; Soergel/Liermann BGB 13. Aufl. § 1767 Rn. 5). Bei der Prüfung dieser Frage ist dem Alter der Beteiligten Rechnung zu tragen. Das Eltern-Kind-Verhältnis unter Erwachsenen wird wesentlich durch eine auf Dauer angelegte Bereitschaft zu gegenseitigem Beistand geprägt, wie sie bei leiblichen Eltern und Kindern typischerweise gegeben ist (BayObLG FamRZ 1996, 183/184). Daneben können zwar auch andere, nicht familienbezogene, vor allem wirtschaftliche Motive von Bedeutung sein. Diese dürfen aber nicht ausschlaggebender Hauptzweck der Adoption sein; denn für die sittliche Berechtigung der Adoption kommt es stets vorwiegend auf die Herstellung eines echten Eltern-Kind-Verhältnisses, eines sozialen Familienbandes an, das seinem ganzen Inhalt nach dem durch die natürliche Abstammung geschaffenen Band ähnelt (BayObLG FamRZ 1982, 644/645; 2001, 118/119).

b) Von diesen Grundsätzen ist das Landgericht zutreffend ausgegangen. Es hat den maßgeblichen Sachverhalt verfahrensfehlerfrei festgestellt, sich im Wege der persönlichen Anhörung der Beteiligten selbst einen unmittelbaren Eindruck verschafft und seiner Würdigung der einzelnen Umstände ein richtiges Verständnis des unbestimmten Rechtsbegriffs "sittlich gerechtfertigt" zugrunde gelegt.

aa) Die Würdigung des Landgerichts, dass zwischen den Antragstellern ein Eltern-Kind-Verhältnis derzeit nicht besteht, ist nicht zu beanstanden. Es konnte insbesondere auf die vor Stellung des Adoptionsantrags nur gelegentlichen Kontakte zwischen Annehmender und Anzunehmendem verweisen, die zudem infolge eines Streits jahrelang unterbrochen gewesen waren. Der Einwand der Beschwerdeführerin, dass sich der Anzunehmende nicht nur zur Arbeit auf dem Hof, sondern auch zu Besuchszwecken bei ihr aufhalte, sie zu Arztbesuchen fahre und für sie Behördengänge erledige, macht die Würdigung des Landgerichts nicht rechtsfehlerhaft. Das Landgericht hat zutreffend eine Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung der nachfolgend erörterten Umstände und des in der Anhörung gewonnenen persönlichen Eindrucks vorgenommen.

bb) Rechtsfehlerfrei begründet sind auch die Zweifel des Landgerichts, dass ein Eltern-Kind-Verhältnis in Zukunft entstehen wird.

Das Landgericht hat nicht verkannt, dass die Adoption mit dem Ziel, einen Nachfolger für den Hof - als "Lebenswerk" des Annehmenden - zu bekommen, sittlich gerechtfertigt sein kann (vgl. BayObLG NJW 1985, 2094; Staudinger/Frank § 1767 Rn. 21). Es hat vorliegend aber gerade hieran Zweifel. Dabei konnte es sich auf den Umstand stützen, dass der Anzunehmende in seinem eigenen familiären Umfeld lebt, nämlich auf dem von ihm bewirtschafteten Hof in H., mit seinen Eltern und seiner Verlobten, und dass sich an diesem Zustand auch nichts ändern soll. Eine klassische Hofnachfolge in dem Sinn, dass der Nachfolger den Hof als künftigen Mittelpunkt seines Lebens und Arbeitens übernimmt, ist ersichtlich nicht beabsichtigt. Der Beteiligte zu 2 will seinen Hof in H. beibehalten und von dort aus den Hof der Beteiligten zu 1 in L. zusätzlich mitbewirtschaften.

Des Weiteren durfte das Landgericht den Umstand heranziehen, dass die Antragstellerin schon einmal einen erwachsenen Neffen adoptiert hat, ohne dass dabei - wie sich nachträglich aufgrund ihrer eigenen Bekundungen herausgestellt hat - familienbezogene Motive im Vordergrund gestanden hätten. Tatsächlich hat sich zum ersten Adoptivsohn ein gedeihliches Eltern-Kind-Verhältnis nicht entwickelt. Diese Gegebenheiten sind, wie das Landgericht richtig gesehen hat, für sich genommen kein Ablehnungsgrund, können aber im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung nicht unberücksichtigt bleiben. Die gewonnenen Erkenntnisse über die frühere Adoption gaben den Tatsacheninstanzen jedenfalls Anlass, den neuerlichen Adoptionsantrag auf die behauptete Motivationslage hin kritisch zu hinterfragen und das Vorbringen der Antragsteller über die verfolgten Ziele und Absichten in Zweifel zu ziehen.

Vor diesem Hintergrund begegnet auch die Beurteilung des Landgerichts, es sei zu wenig konkret, was die Antragstellerin zur gegenseitigen Beistandschaft und einer etwa später notwendig werdenden Pflege durch den Anzunehmenden geäußert hat, keinen rechtlichen Bedenken. Die Vorinstanzen haben der Antragstellerin ausreichend Gelegenheit gegeben, ihre Vorstellungen darzulegen. Sie haben im Hinblick auf die Vorgeschichte des Adoptionsantrags die Anforderungen keineswegs überspannt. Zu Unrecht meint die Beschwerdeführerin, es würden ihr andere als auf die Herstellung eines Eltern-Kind-Verhältnisses gerichtete Motive, etwa Steuerersparnis oder die "Bestrafung" des ersten Adoptivsohnes, unterstellt. Das Landgericht stützt seine Entscheidung nicht auf die Annahme derartiger Motive - die es nur für möglich und nicht als sicher gegeben hält -, sondern darauf, dass es nicht die Überzeugung von einer gegenwärtigen oder künftigen Beistandsgemeinschaft im Sinne eines Eltern-Kind-Verhältnisses hat gewinnen können. Das lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Zur Ablehnung der Adoption genügen begründete Zweifel daran, ob ein dem Eltern-Kind-Verhältnis entsprechendes Familienband hergestellt werden soll oder in Zukunft erwartet werden kann (vgl. BayObLG FamRZ 1991, 226; 1996, 183). So liegt hier der Fall; das Landgericht hat die Ablehnung auf derartige Zweifel gestützt, zu denen es nach dem ermittelten Sachverhalt auch berechtigt war.

c) Da das Landgericht schon die Voraussetzungen der Adoption nach § 1767 i.V.m. § 1741 Abs. 1 BGB verneint hat, konnte es von der Prüfung absehen, ob der beantragten Annahme des Beteiligten zu 2 als Kind der Beteiligten zu 1 überwiegende Interessen des Beteiligten zu 3 entgegenstehen (§ 1769 BGB).

3. Eine Entscheidung über die Gerichtskosten ist nicht veranlasst; die Kostenfolge ergibt sich insoweit unmittelbar aus dem Gesetz. Gemäß § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG war anzuordnen, dass die Beschwerdeführerin dem im gegensätzlichen Sinn Beteiligten zu 3 die notwendigen Kosten zu erstatten hat.

Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, § 31 Abs. 1 KostO.

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