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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 04.02.2002
Aktenzeichen: 1Z BR 37/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 133
BGB § 2102 Abs. 2
Zur Frage ob ein Testaments, in dem die Erblasserin "im Falle meines Ablebens und meines Kindes" eine Erbeinsetzung trifft, als Ersatzerbeinsetzung auszulegen ist.
Der 1. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Präsidenten Gummer sowie der Richter Rojahn und Zwirlein

am 4. Februar 2002

in der Nachlasssache

beschlossen:

Tenor:

I. Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2 gegen den Beschluss des Landgerichts Landshut vom 31. Mai 2001 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligte zu 2 hat die dem Beteiligten zu 3 im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten zu erstatten.

III. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 444226 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die im Alter von 86 Jahren verstorbene Erblasserin war verwitwet und hatte aus ihrer einzigen Ehe einen Sohn. Sie lebte seit 1954 von ihrem Ehemann getrennt. Ihr Ehemann ist 1962 trotz Fortbestehens dieser Ehe eine zweite (bigamische) Ehe eingegangen, aus der ein Sohn (Beteiligter zu 3) hervorgegangen ist. Hiervon hat die Erblasserin erst nach dem Tod ihres 1989 verstorbenen Ehemannes erfahren.

Im Jahr 1953 hatten die Eheleute einen Ehe- und Erbvertrag geschlossen, in dem der Ehemann die Erblasserin zur Alleinerbin einsetzte und seinerseits auf alle Erb- und Pflichtteilsansprüche verzichtete. Die Erblasserin traf in diesem Vertrag keine letztwillige Verfügung.

Ein handschriftliches Testament der Erblasserin vom 18.11.1957 hat im wesentlichen folgenden Wortlaut:

"Im Falle meines Ablebens und meines Kindes A setze ich meine Schwester B als Alleinerbin meines Besitzes ein."

Der Sohn A der Erblasserin hat den Erbfall erlebt; er verstarb kinderlos am 21.10.2000. Sein gesetzlicher Erbe ist sein Halbbruder, der Beteiligte zu 3. Die im Testament genannte Schwester der Erblasserin hat den Erbfall nicht erlebt; sie ist 1974 unter Hinterlassung von zwei Töchtern vorverstorben. Von diesen Töchtern (Nichten der Erblasserin) lebt noch die Beteiligte zu 2. Die verstorbene andere Tochter hat eine Tochter C hinterlassen.

Noch zu Lebzeiten des A hat auf dessen Antrag das Nachlassgericht am 5.6.2000 einen Erbschein erteilt, wonach die Erblasserin von A allein beerbt wurde.

Die Beteiligte zu 2 begehrt die Einziehung des Erbscheins vom 5.6.2000 und die Erteilung eines Erbscheins, der sie und C je zur Hälfte als Erben seit 21.10.2000 ausweist. Sie ist der Auffassung, dass die Erblasserin im Testament vom. 18.11.1957 Vor- und Nacherbschaft angeordnet habe. Anstelle der vorverstorbenen Nacherbin B seien deren zwei Töchter bzw. für die eine verstorbene Tochter wiederum deren Tochter, im Ergebnis also die Beteiligte zu 2 und C - als Ersatznacherbinnen berufen. Mit dem Tod des Vorerben A am 21.10.2000 sei der Nacherbfall eingetreten.

Das Amtsgericht hat die Anträge abgelehnt. Das Landgericht hat die hiergegen gerichtete Beschwerde zurückgewiesen. Mit der weiteren Beschwerde verfolgt die Beteiligte zu 2.ihr Ziel weiter. C hat erklärt, dass sie am Verfahren nicht beteiligt sein möchte.

II.

Die zulässige weitere Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat das Testament in Übereinstimmung mit dem Amtsgericht dahin ausgelegt, das B als Ersatzerbin und nicht als Nacherbin eingesetzt ist. Der Wortlaut des Testaments gebe keine Anknüpfungspunkte für einen auf Vor- und Nacherbschaft gerichteten Willen der Erblasserin. Zum Zeitpunkt des Testierens sei der Sohn der Erblasserin erst acht Jahre alt gewesen; es sei nicht ersichtlich, warum die Erblasserin ihren Sohn lediglich zum Vorerben und ihre ältere Schwester zur Nacherbin hätte bestellen wollen. Dass ihr Sohn seinerseits ohne Abkömmlinge versterben würde, sei für sie damals nicht absehbar gewesen. Soweit sich die Beschwerdeführerin auf Ereignisse und Kenntnisse der Erblasserin aus der Zeit nach der Testamentserrichtung stütze, könnten diese bei der Testamentserrichtung 1957 keine Rolle gespielt haben. Das gelte auch für den der Erblasserin erst später bekannt gewordenen Umstand, dass ihr Ehemann eine Doppelehe eingegangen war, aus der der Halbbruder des Sohnes der Erblasserin stamme.

2. Die weitere Beschwerde hält dem im wesentlichen entgegen: Im Jahre 1958 hätten die Beschwerdeführerin und deren Schwester (Töchter der B) die Mithaftung für ein öffentliches Baudarlehen übernommen, das der Erblasserin ausgereicht worden sei; ohne diese Mithaftung hätte die Erblasserin ihr Bauvorhaben nicht verwirklichen können. Wie sich aus späteren Äußerungen ergebe, habe die Erblasserin die Vorstellung gehabt, dass ihre Schwester B und nach deren Tod im Jahre 1974 deren Töchter zur Erbfolge berufen seien. So habe sie 1972 in einem Brief an ihre Schwester vermerkt: "Dann haben wir zwei Häuser, könnt dann gut erben". 1976 habe sie einem Anwalt geschrieben, dass ihre verstorbene Schwester und zwei Nichten aus München beim Bau finanziell geholfen hätten und anteilig als Erben eingesetzt seien. Der Sohn der Erblasserin habe in einem nicht datierten und nicht unterschriebenen "Testament" niedergelegt, dass er seinen Vater vom Erbe ausschließe und seine Mutter zur Alleinerbin einsetze; sollte auch diese nicht mehr am Leben sein, so sollten "ihre Bestimmungen" in Kraft treten. Dies zeige, dass der Sohn Kenntnis vom Willen bzw. von der testamentarischen Verfügung seiner Mutter gehabt habe und dass dieser Wille dahin gegangen sei, dass nach seinem Tode nicht der Vater (oder dessen Verwandte), sondern B (und deren zwei Töchter) erben sollten.

3. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung jedenfalls im Ergebnis stand.

a) Bei der Auslegung einer letztwilligen Verfügung ist vom Wortlaut auszugehen. Dieser ist jedoch nicht die Grenze der Auslegung. Vielmehr ist der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften (§ 133 BGB). Es geht um die Klärung der Frage, was der Erblasser mit seinen Worten sagen wollte. Dabei ist zur Auslegung der einzelnen Verfügung der gesamte Inhalt der Testamentsurkunde einschließlich aller Nebenumstände heranzuziehen und zu würdigen (vgl. BGH NJW 1993, 2:56; BayObLGZ 1997, 59/66; 1994, 313 /318). Nach Testamentserrichtung liegende Umstände können insoweit Bedeutung erlangen, als sie Rückschlüsse auf den Willen des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung zulassen (BayObLG NJW 1996, 133/134).

b) Aus den Gründen der Beschwerdeentscheidung geht allerdings nicht hervor, dass das Landgericht die von der Beschwerdeführerin herangezogenen Umstände hinreichend daraufhin gewürdigt hätte, ob sie Rückschlüsse auf den Willen der Erblasserin zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung zulassen. Es hat dies konkret nur hinsichtlich der erst später bekannt gewordenen Doppelehe - insoweit rechtsfehlerfrei - verneint und sich im übrigen mit dem pauschalen Hinweis begnügt, dass die Umstände im wesentlichen nach der Testamentserrichtung liegen. Das lässt nicht erkennen, dass das Landgericht einen möglichen - hier, wie nachfolgend zu erörtern sein wird, jedenfalls nicht völlig fernliegenden - Rückschluss auf den Willen zum Zeitpunkt des Testierens geprüft hat.

c) Die Entscheidung des Landgerichts erweist sich jedoch im Ergebnis als zutreffend. Der Senat kann die insoweit unvollständige Auslegung des Testaments nachholen, da weitere Feststellungen zum Sachverhalt nicht erforderlich sind. Die Auslegung ergibt, dass sich ein auf die Anordnung einer Nacherbschaft gerichteter Wille der Erblasserin nicht zweifelsfrei feststellen lässt. Es kommt somit die gesetzliche Auslegungsregel des § 2102 Abs. 2 BGB zur Anwendung, wonach die Einsetzung im Zweifel als Ersatzerbeinsetzung gilt.

aa) Der von der Beschwerdeführerin behauptete Zusammenhang zwischen dem Testament vom 18.11.1957 und dem im Jahre 1958 durchgeführten Bauvorhaben, bei dessen Finanzierung die Töchter der B im Wege einer Schuldmitübernahme geholfen haben, erscheint allerdings durchaus möglich. Im Schreiben der Landesbodenkreditanstalt vom 28.1.1958 wird die Ausreichung des Darlehens von der Mithaftung dieser Personen abhängig gemacht; der Darlehensantrag der Erblasserin stammt vom 30.10.1957. Die Errichtung des Testaments am 18.11.1957 fällt somit in eine Zeit, in der sich die Erblasserin um die Finanzierung ihres Bauvorhabens bemühte. Dass die Bereitschaft der .Nichten, bei der Finanzierung zu helfen, Anlass für die Errichtung des Testaments und mitbestimmendes Motiv für dessen Inhalt gewesen sei kann, ist nicht von der Hand zu weisen.

bb) Selbst wenn man ein solches Motiv der Dankbarkeit gegenüber dem Stamm der B annehmen wollte, ergäbe sich daraus, aber noch nicht mit hinreichender Gewissheit, dass die Erblasserin ihren Sohn auf die Stellung eines Vorerben beschränken und B im Wege der Nacherbeinsetzung begünstigen wollte. Dagegen spricht, worauf das Landgericht zutreffend hingewiesen hat, dass der Sohn der Erblasserin erst acht Jahre alt war und die Schwester der Erblasserin ihrer eigenen Generation angehörte. Die weitere Entwicklung war nicht absehbar. Es wäre ungewöhnlich, wenn in dieser Situation ihr Wille darauf gerichtet gewesen sein sollte, dass ihr Sohn nicht seinerseits über den von ihr ererbten Nachlass letztwillig sollte verfügen dürfen. Näherliegend ist es, dass sie an der gesetzlichen Allein- und Vollerbenstellung ihres Sohnes nichts ändern wollte und nur für den Fall seines Vorversterbens - oder eines Versterbens von Mutter und Sohn etwa aufgrund eines Unglücksfalles - Vorsorge treffen, also Ersatzerbschaft anordnen wollte. Auch bei dieser Auslegung ergibt das Testament unter dem Blickwinkel der oben angenommenen Motivlage einen naheliegenden Sinn. Die Erblasserin hatte nämlich außer der Schwester B noch weitere Geschwister, die - nachdem ihr Ehemann auf sein gesetzliches Erbrecht verzichtet hatte - im Falle des Vorversterbens ihres Sohnes bei Eintritt gesetzlicher Erbfolge zu gleichen Teilen zur Erbfolge berufen gewesen wären. Indem die Erblasserin ihre Schwester B als Ersatzerbin benannte, hat sie für den Fall des Eintritts der Ersatzerbfolge die anderen Geschwister (und deren Stämme) ausgeschlossen und sich so gegenüber dem Stamm der B erkenntlich gezeigt.

cc) Auch die späteren Äußerungen der Erblasserin aus den Jahren 1972 und 1976 lassen nicht den Schluss zu, dass der Wille der Erblasserin im November 1957 auf die Anordnung von Nacherbschaft gerichtet war. Zwischenzeitlich war ihr Sohn erwachsen geworden. Wann dieser sein mit "mein Testament" überschriebenes Schriftstück errichtet hat und ob dieses Schriftstück ein Entwurf sein sollte oder als gültiges Testament gemeint war, das nur versehentlich nicht unterschrieben wurde, ist nicht bekannt. Die Erblasserin kann zum Zeitpunkt der späteren Äußerungen etwa auch die Vorstellung gehabt haben, dass ihr Sohn seinerseits zu ihren Gunsten und ersatzweise zugunsten des Stammes der B verfügen würde oder verfügt hat und auf diese Weise der gesamte Nachlass - sei es aufgrund ihres Testaments, sei es aufgrund Testaments ihres Sohnes - letztendlich diesem Stamm zufallen würde. Denkbar ist auch, dass sie die Abfassung eines neuen Testaments plante. Jedenfalls bilden die von der Beschwerde herangezogenen Äußerungen im Zusammenhang mit dem Wortlaut des Testaments und den übrigen Umständen keine hinreichend verlässliche Basis, dass als Ergebnis der individuellen Auslegung die Anordnung einer Nacherbschaft in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise festgestellt werden kann. Dies wäre aber Voraussetzung dafür, die gesetzliche Auslegungsregel des § 2102 Abs. 2 BGB unangewendet zu lassen.

dd) Ein anderes Ergebnis lässt sich auch nicht im Wege ergänzender Testamentsauslegung erzielen. Zwar gibt es eine Reihe von Veränderungen zwischen Testamentserrichtung und Erbfall, die die Erblasserin nicht vorausgesehen hat (hierzu gehört insbesondere die Doppelehe ihres Ehemannes). Eine ergänzende Testamentsauslegung scheidet hier jedoch schon deshalb aus, weil sich ein bei Testamentserrichtung gewolltes, aber infolge von Veränderungen verfehltes Ziel der Erblasserin (etwa dahin, dass nach dem Tode ihres Sohnes keinesfalls dessen - gesetzliche oder durch letztwillige Verfügung des Sohnes eingesetzte - Erben den Nachlass erhalten sollten) nicht festgestellt werden kann.

ee) Da die bedachte B nach alldem gemäß § 2102 Abs. 2 BGB als Ersatzerbin gilt und der Ersatzerbfall nicht eingetreten ist, bedarf es keiner Entscheidung, ob die Zuwendung an B nicht nur dieser persönlich, sondern B als erster ihres Stammes und damit ersatzweise auch ihren Töchtern gelten sollte.

4. Die Erstattung der dem Beteiligten zu 3 im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten war nach § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG anzuordnen. Hinsichtlich der Gerichtskosten bedarf es keiner Entscheidung, da sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, wer diese zu tragen hat.

Der nach § 131 Abs. 2, §§ 30, 31 Abs. 1 Satz 1 KostO festgesetzte Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde entspricht dem vom Landgericht für das Beschwerdeverfahren festgesetzten Geschäftswert.

Ende der Entscheidung

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