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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 18.03.2002
Aktenzeichen: 1Z BR 48/01
Rechtsgebiete: FGG, BGB
Vorschriften:
FGG § 27 | |
BGB § 1960 | |
BGB § 2340 |
Beschluss 1Z BR 48/01 18.03.02
Gründe:
I.
Der am 20.8.1999 im Alter von 86 Jahren verstorbene Erblasser war seit 25.6.1999 in zweiter Ehe mit der Beteiligten zu 1 verheiratet. Er hatte keine Kinder. Der Wert des Nachlasses wurde vom Amtsgericht auf rund 2,6 Mio. DM festgesetzt.
Die Beteiligten zu 2 und 3 sind Verwandte der 1992 vorverstorbenen ersten Ehefrau des Erblassers. Sie sind in einem gemeinschaftlichen Testament des Erblassers und seiner ersten Ehefrau vom 1.12.1986 als Erben des Letztversterbenden eingesetzt. Das Testament enthält die Klausel, dass der Überlebende nach dem Tode des Erstversterbenden das Recht haben soll, die Erbeinsetzung nach dem Letztversterbenden nach Belieben zu ändern.
Die Beteiligte zu 1 macht geltend, Alleinerbin zu sein. Sie stützt ihr Erbrecht auf einen notariellen Erbvertrag vom 19.2.1999. In diesem Vertrag setzte der Erblasser die Beteiligte zu 1, ersatzweise deren Abkömmlinge, zu Erben ein. Der Vertrag enthält für alle Vertragsparteien ein Rücktrittsrecht.
Die Beteiligten zu 2 und 3 haben Antrag auf einen Erbschein gestellt, der sie als Erben zu je 1/2 ausweisen sollte. Sie haben Zweifel an der Testierfähigkeit des Erblassers zum Zeitpunkt des Erbvertrages vom 19.2.1999 geäußert. Ferner halten sie die Beteiligte zu 1 für erbunwürdig und verweisen insoweit auf staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren.
Mit Beschluss vom 10.9.1999 hat das Amtsgericht für die unbekannten Erben des Erblassers Nachlasspflegschaft angeordnet. Zum Nachlasspfleger mit dem Wirkungskreis Sicherung und Verwaltung des Nachlasses wurde der Beteiligte zu 4 bestellt.
Die Beteiligte zu 1 hat noch im September 1999 die Aufhebung der Nachlasspflegschaft beantragt. Diesen Antrag hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 11.10.1999 zurückgewiesen. Hiergegen hat die Beteiligte zu 1 Beschwerde eingelegt.
In der Folgezeit hat das Amtsgericht Ermittlungen zur Testierfähigkeit des Erblassers angestellt. Ein hierzu erholtes Sachverständigengutachten kommt zu dem Ergebnis, dass zwar vieles dafür spreche, dass der Erblasser zur Zeit der Errichtung des Erbvertrages stark unter dem Einfluss der Beteiligten zu 1 gestanden habe; es lasse sich jedoch mit den zur Verfügung stehenden Erkenntnissen das Vorliegen schwerer psychischer Störungen, die zwingend eine Geschäfts- und Testierunfähigkeit bedingen könnten, nicht beweisen. Daraufhin haben die Beteiligten zu 2 und 3 ihre Erbscheinsanträge zurückgenommen.
Zwei Schriftsätze der Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 1 vom 11.6. und 11.7.2001 hat das Amtsgericht als erneuten Antrag auf Aufhebung der Nachlasspflegschaft ausgelegt und diesen Antrag mit Beschluss vom 19.7.2001 zurückgewiesen. Hiergegen hat die Beteiligte zu 1 Beschwerdeeingelegt, über die das Landgericht noch nicht entschieden hat.
Mit Beschluss vom 7.8.2001 hat das Landgericht die gegen den amtsgerichtlichen Beschluss vom 11.10.1999 gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 1 zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss des Landgerichts richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1, mit der sie ihr Ziel, die Aufhebung der Nachlasspflegschaft, weiterverfolgt.
Die Ermittlungsverfahren gegen die Beteiligte zu 1 der Staatsanwaltschaft A. wegen Freiheitsberaubung und der Staatsanwaltschaft B. wegen Mordes waren zum Zeitpunkt der landgerichtlichen Entscheidung nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt gewesen. Mit Verfügung vom 8.11.2001 hat die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Flensburg die Ermittlungen wieder aufgenommen.
II.
Die zulässige weitere Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Das Landgericht hat im wesentlichen ausgeführt: Das Amtsgericht habe am 11.10.1999 die Nachlasspflegschaft zu Recht nicht aufgehoben. Aber auch zum nunmehr maßgeblichen Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung lägen die Voraussetzungen der Aufhebung der Nachlasspflegschaft nicht vor. Nach Einstellung der gegen die Beteiligte zu 1 geführten Ermittlungsverfahren und nach Rücknahme der Erbscheinsanträge der Beteiligten zu 2 und 3 als mögliche Testamentserben spreche zwar eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Beteiligte zu 1 aufgrund des Erbvertrages Erbin sei. Wie das Gutachten des Sachverständigen zeige, könne eine Testierunfähigkeit des Erblassers im Zeitpunkt der Errichtung des Erbvertrages wohl nicht nachgewiesen werden. Da aber nach wie vor gewisse Zweifel am Zustandekommen der Erbeinsetzung bestünden und ein Halbbruder des Erblassers bislang noch unbekannt und deshalb am Verfahren noch nicht beteiligt worden sei, bestehe noch keine ausreichende Sicherheit hinsichtlich der Erbenstellung. Die Ermittlungen bezüglich des Halbbruders habe das Amtsgericht von Amts wegen durchzuführen, wofür jedoch ein Erbscheinsverfahren Voraussetzung sei, das gegenwärtig aber nicht betrieben werde. Es sei nicht abzuschätzen, ob und inwieweit hier ein gesetzliches Erbrecht bestehen könne. Ein gesetzlicher Erbe müsse jedenfalls im Erbscheinsverfahren angehört werden, auch wenn hier ein öffentlich beurkundeter Erbvertrag vorliege. Des weiteren müsse hier auch berücksichtigt werden, dass der Nachlass eine sehr beträchtliche Höhe habe und daher eine besondere Fürsorgepflicht des Nachlassgerichts bestehe.
2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO a.F., § 546 ZPO n.F.) im Ergebnis stand.
a) Das Amtsgericht G. hat seine örtliche Zuständigkeit - die im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit in jeder Instanz von Amts wegen zu beachten ist (vgl. BayObLGZ 1984, 95) - zu Recht bejaht. Der Erblasser hatte seinen Wohnsitz bis zuletzt in G. (§ 73 Abs. 1, § 75 FGG, § 7 BGB). Zwar war der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes nicht mehr in G., sondern seit 15.6.1999 in F. gemeldet, wo am 25.6.1999 die Eheschließung mit der Beteiligten zu 1 stattfand. Die Wohnung des Erblassers in dem ihm gehörenden Haus in G. wurde jedoch ersichtlich nicht aufgegeben; es befanden sich dort nach dem Todestag weiterhin Möbel, Hausrat und persönliche Habe, während umgekehrt unter der in F. angegebenen Anschrift, bei der es sich um eine Pension handelt, nichts gefunden wurde, was auf eine Absicht zur ständigen Niederlassung schließen ließe. Seit Juli 1999 war der Erblasser im Haus der Beteiligten zu 1 in H., wo er kurz darauf verstarb. Ein für die Aufgabe des Wohnsitzes in G. erforderlicher Wille des Erblassers kann nicht festgestellt werden.
b) Gemäß § 1960 Abs. 1 und 2 BGB kann das Nachlassgericht für den unbekannten Erben einen Nachlasspfleger bestellen, soweit hierfür ein Bedürfnis besteht. Es entspricht allgemeiner Meinung, dass der Erbe auch dann unbekannt ist, wenn mehrere Erben in Betracht kommen und sich der Tatrichter nicht ohne weitere umfangreiche Ermittlungen davon überzeugen kann, wer Erbe ist. Das wird insbesondere dann angenommen, wenn Streit über die Testierfähigkeit des Erblassers und damit über die Gültigkeit eines Testaments besteht (BayObLG FamRZ 1996, 308 m. w. N.), aber etwa auch, wenn eine letztwillige Verfügung gemäß §§ 2078 ff. BGB angefochten oder eine Erbunwürdigkeitsklage erhoben worden ist (vgl. KG Recht 1929 Nr. 2004; Staudinger/Marotzke BGB 2000 § 1960 Rn. 8, 10; MünchKomm/Leipold BGB 3. Aufl. § 1960 Rn. 14).
c) Nach diesen Grundsätzen haben die Tatsacheninstanzen im Ergebnis zu Recht die Aufhebung der Nachlasspflegschaft abgelehnt.
aa) Dass die Anordnung und Aufrechterhaltung der Nachlasspflegschaft während des Laufs der Ermittlungen zur Testierfähigkeit des Erblassers berechtigt war, kann hier nicht zweifelhaft sein. Dies wird von der Beschwerdeführerin auch nicht mehr angegriffen; sie hatte insoweit selbst gebeten, die Entscheidung über ihre Beschwerde gegen den amtsgerichtlichen Beschluss vom 11.10.1999 zurückzustellen. Ihr Beschwerdevorbringen geht dahin, dass nunmehr nach Vorliegen des Sachverständigengutachtens zur Testierfähigkeit, nach Einstellung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren und nach Rücknahme der Erbscheinsanträge durch die Beteiligten zu 2 und 3 die Erbenstellung der Beteiligten zu 1 mit hoher Wahrscheinlichkeit feststehe; letzte Gewissheit sei nicht erforderlich. Der Halbbruder des Erblassers sei seit Jahren vorverstorben. Ein Erbscheinsverfahren sei keine Voraussetzung für die Aufhebung der Nachlasspflegschaft.
bb) Es kann dahinstehen, ob die vom Landgericht angeführten Gründe für sich genommen die Aufrechterhaltung der Nachlasspflegschaft rechtfertigen würden. Zwischenzeitlich hat die Staatsanwaltschaft B. das gegen die Beteiligte zu 1 gerichtete Ermittlungsverfahren wieder aufgenommen. Jedenfalls unter Einbeziehung dieser Tatsache ist die Entscheidung des Landgerichts im Ergebnis nicht zu beanstanden.
(1) Der Senat kann die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren wieder aufgenommen hat, berücksichtigen.
Grundsätzlich ist allerdings auf den Kenntnisstand des Nachlassgerichts bzw. des an seine Stelle tretenden Beschwerdegerichts zum Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen (BayObLG FamRZ 1996, 308 m. w. N.). Neu eingetretene Tatsachen können im Rechtsbeschwerdeverfahren in der Regel nicht berücksichtigt werden. In der Rechtsprechung und Literatur zum Revisions- und Rechtsbeschwerderecht sind aber Ausnahmen von diesem Grundsatz anerkannt (vgl. Keidel/Kahl FGG 14. Aufl. § 27 Rn. 45). Hierzu gehört insbesondere die Berücksichtigung behördlicher und sonstiger hoheitlicher Akte einschließlich Gerichtsentscheidungen, die erst während des Revisions- oder Rechtsbeschwerdeverfahrens erlassen worden sind (vgl. BGH NJW-RR 1998, 1284 m. w. N.; KG OLGZ 1983-, 428; Keidel/Kahl aaO). Das muss hier auch für die ohne weiteres aus den Akten ersichtliche und keiner weiteren Tatsachenfeststellung bedürftige Entscheidung der Staatsanwaltschaft, das Ermittlungsverfahren wieder aufzunehmen, gelten. Diese Tatsache wäre, da sie, wie nachfolgend darzulegen ist, für die Frage der Ungewissheit über die Person des Erben Bedeutung hat, vom Nachlassgericht von Amts wegen zu berücksichtigen. Sie könnte selbst dann, wenn sie erst nach Aufhebung der Nachlasspflegschaft einträte, dem Nachlassgericht Anlass zur Prüfung geben, ob erneut Nachlasspflegschaft anzuordnen ist. Dann würde es aber jeglicher Prozessökonomie widersprechen, wenn das Rechtsbeschwerdegericht sie seiner Entscheidung nicht zugrunde legen dürfte.
(2) Das von der Staatsanwaltschaft gegen die Beteiligte zu 1 geführte Ermittlungsverfahren ist seinem Gegenstand nach geeignet, zu Erkenntnissen zu führen, welche die Beteiligten zu 2 und 3 zur Erhebung einer Anfechtungsklage wegen Erbunwürdigkeit nach § 2339 Abs. 1 Nr. 1, §§ 2340 ff. BGB oder zu einer Anfechtung der im Erbvertrag enthaltenen Verfügungen des Erblassers nach § 2078 Abs. 2 BGB berechtigen. Die Absicht, Klage wegen Erbunwürdigkeit zu erheben, ist von den Beteiligten zu 2 und 3 ausdrücklich und ernsthaft angekündigt. Deren Berechtigung zur Erhebung der Anfechtungsklage ist nicht zweifelhaft, da sie selbst als testamentarische Erben in Betracht kommen und ein bloß mittelbares Interesse, der Erbenstellung durch den Wegfall des Erbunwürdigen näher zu rücken, ausreicht (§ 2341 BGB).
Allerdings wird die Auffassung vertreten, dass die bloße Anfechtbarkeit des Erbschaftserwerbs nach §§ 2078 ff. oder §§ 2340 ff. BGB, solange die Anfechtung nicht tatsächlich erfolgt ist, keinen Anlass zu Maßnahmen nach § 1960 BGB gibt (KG Recht 1929, Nr. 2004; Staudinger/Marotzke § 1960 Rn. 11; MünchKomm/Leipold § 1960 Rn. 14). Diese Auffassung wird vom Senat grundsätzlich geteilt. Sie muss insbesondere dann gelten, wenn der Anfechtungsberechtigte eine ihm bekannte Anfechtungsmöglichkeit nicht wahrnimmt, obwohl ihm dies zumutbar wäre. Der vorliegende Fall ist jedoch anders gelagert und gebietet eine abweichende Beurteilung. Das Ergebnis der laufenden strafrechtlichen Ermittlungen ist hier für die Frage, ob ein Anfechtungsgrund gegeben ist, von grundlegender Bedeutung. Vor dem Abschluss der Ermittlungen erschiene die Erhebung der Anfechtungsklage kaum sinnvoll, da der Anfechtungsgrund im Prozess bewiesen werden muss. Für den Beginn der Anfechtungsfrist (§ 2340 Abs. 3, § 2082 BGB) wird deshalb auf die zuverlässige Kenntnis des Anfechtungsgrundes und auf dessen Beweisbarkeit oder die Zumutbarkeit der Klageerhebung abgestellt (vgl. BGH NJW 1989, 3214; OLG München MDR 1957, 612; MünchKomm/Frank § 2340 Rn. 5; Lange/Kuchinke Erbrecht 5. Aufl. § 6 III 3b).
Unter den hier gegebenen Umständen begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass das Amtsgericht die Erhebung der Anfechtungsklage während des Laufs der strafrechtlichen Ermittlungen als den Beteiligten zu 2 und 3 nicht zumutbar angesehen und diesen Umstand im Rahmen der Prüfung, ob Ungewissheit über die Person des endgültigen Erben besteht, ausnahmsweise berücksichtigt hat. Die damalige Erwägung des Amtsgerichts trifft mit Wiederaufnahme der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nach wie vor zu.
(3) Im Ergebnis haben die Vorinstanzen zu Recht eine fortbestehende Ungewissheit über die Person des endgültigen Erben bejaht. Nicht zu beanstanden ist auch, dass die Vorinstanzen mit Rücksicht auf den erheblichen Wert des Nachlasses eine besondere Fürsorgepflicht des Nachlassgerichts angenommen und das für die Anordnung und Aufrechterhaltung der Nachlasspflegschaft erforderliche Sicherungsbedürfnis bejaht haben.
d) Das Landgericht hat die Beschwerde auch insoweit zurückgewiesen, als sie sich gegen, die Bestellung des Beteiligten zu 4 als Nachlasspfleger gerichtet hat. Die weitere Beschwerde geht hierauf nicht nochmals ein. Ein Grund, der die Entscheidung des Landgerichts in diesem Punkt rechtsfehlerhaft erscheinen ließe, ist nicht ersichtlich.
3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Anordnung einer Kostenerstattung nach § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG unterbleibt, da die übrigen Beteiligten im Verfahren der weiteren Beschwerde.
Ende der Entscheidung
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