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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 14.08.2002
Aktenzeichen: 1Z BR 58/02
Rechtsgebiete: BGB
Vorschriften:
BGB § 2078 |
Gründe:
I.
Der 1996 im Alter von 80 Jahren verstorbene Erblasser war ledig und hinterließ keine Abkömmlinge. Die Beteiligte zu 1 ist eine Schwester des Erblassers. Die weiteren Geschwister des Erblassers sind vorverstorben; die Beteiligten zu 2 bis 9 sind deren Kinder.
Ein handschriftliches und mit dem Namen des Erblassers unterschriebenes Testament vom 1.5.1994 hat im wesentlichen folgenden Wortlaut:
"Ich... setze hiermit meine seit siebeneinhalb Jahren tätige Betreuerin B.... zu meiner Alleinerbin über mein Gesamtvermögen ein. Alle meine letztwilligen Verfügungen widerrufe ich hiermit Pflichterben habe ich keine"
Die in diesem Testament bedachte B. beantragte am 25.4.1996 einen Alleinerbschein. Die als gesetzliche Erben in Betracht kommenden Beteiligten zu 4, 7 und 9 erklärten mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 21.8.1996 die Anfechtung des Testaments vom 1.5.1994 wegen Irrtums des Erblassers.
Die im Testament bedachte B. wurde zuletzt durch das Amtsgericht - Schöffengericht - mit Urteil vom 21.5.1999 wegen Betrugs u.a. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren zwei Monaten verurteilt. Das Urteil wurde nicht rechtskräftig, weil B. in der wegen weiterer Ermittlungsverfahren wegen Betrugs u.a. angeordneten Untersuchungshaft am 12.10.1999 Selbstmord beging.
Für die unbekannten Erben der B. wurde mit Beschluss des Nachlassgerichts vom 19.11.1999 Nachlasspflegschaft angeordnet und der Beteiligte zu 10 zum Nachlasspfleger bestellt. Der Wirkungskreis des Nachlasspflegers umfasst die Sicherung und Verwaltung des Nachlasses der B.
B. selbst hatte noch zu Lebzeiten mit notariell beurkundetem Vertrag vom 7.5.1999 "den gesamten Nachlass" des Erblassers an den Beteiligten zu 11 "übertragen".
Nach umfangreicher Beweisaufnahme zur Testierfähigkeit des Erblassers, zur Echtheit des Testaments sowie zur Frage der Irrtumsanfechtung wies das Amtsgericht den Erbscheinsantrag der mittlerweile verstorbenen B. zurück. Der Beschluss ist auf die nach Auffassung des Amtsgerichts wirksame Testamentsanfechtung gestützt. Hiergegen legten die Beteiligten zu 10 und 11 je gesondert Beschwerde ein. Das Landgericht hat die Beschwerde des Beteiligten zu 11 als unzulässig verworfen und das Rechtsmittel des Beteiligten zu 10 als unbegründet zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 10.
II.
1. Die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 10 ist zulässig.
a) Als Nachlasspfleger ist der Beteiligte zu 10 gesetzlicher Vertreter der unbekannten Erben der B. und als solcher im vorliegenden Erbscheinsverfahren - das nicht die Erbfolge nach B. zum Gegenstand hat - zur Einlegung der Beschwerde befugt (vgl. BayObLG FamRZ 1991, 230). Außerhalb der Vertretungsmacht des Nachlasspflegers liegt nur die Einlegung von Rechtsmitteln gegen solche Beschlüsse, die im Erbscheinsverfahren desjenigen Erblassers ergehen, für dessen unbekannte Erben der Nachlasspfleger bestellt wurde (BayObLG aaO; Münchkomm/Leipold BGB 3. Aufl. § 1960 Rn. 57; Keidel/Kahl FGG 14. Aufl. § 20 Rn. 77); ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Beschwerdeberechtigung der unbekannten Erben der B. ergibt sich schon daraus, dass deren vom Nachlasspfleger als gesetzlicher Vertreter erhobene Erstbeschwerde zurückgewiesen wurde.
b) Der Zulässigkeit der weiteren Beschwerde steht nicht entgegen, dass kein bestimmter Antrag gestellt ist und das Rechtsmittel nicht begründet wurde (vgl. Keidel/Kahl § 29 Rn. 32). Beschwerdeziel ist ersichtlich die Aufhebung der vorinstanzlichen Beschlüsse und eine positive Entscheidung über den Erbscheinsantrag der B. Dieser Antrag kann von den Erbeserben im Beschwerdeverfahren weiterverfolgt werden.
2. In der Sache bleibt das Rechtsmittel ohne Erfolg.
a) Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist der landgerichtliche Beschluss nur insoweit, als das Landgericht über die Erstbeschwerde des Beteiligten zu 10 entschieden hat. Die Verwerfung der Erstbeschwerde des Beteiligten zu 11 als unzulässig ist nicht angefochten. Die Zulässigkeit der Erstbeschwerde des Beteiligten zu 10 hat das Landgericht zutreffend bejaht.
b) Das Landgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass die im Testament vom 1.5.1994 enthaltene Erbeinsetzung der Bedachten wirksam angefochten und deshalb nichtig sei. Zur Begründung im einzelnen hat es weitgehend die Ausführungen des Amtsgerichts wiedergegeben, denen es sich vollinhaltlich angeschlossen hat. Das Amtsgericht hatte hierzu im wesentlichen folgendes ausgeführt:
Bei dem Erblasser habe es sich um einen arbeitsamen, pflichtbewussten und sparsamen Menschen gehandelt, der als Landwirt in einfachem und traditionellem Rahmen in Bescheidenheit, aber auch in Zufriedenheit gelebt und gearbeitet und sich um seine Tiere - zuletzt nur noch um Haustiere - gekümmert habe. Er habe eigenbrötlerisches Verhalten, Introvertiertheit und Eigenständigkeit gezeigt und Aktivitäten bevorzugt, die er habe alleine durchführen können ohne zu große Abhängigkeit von anderen Menschen. Zunehmendes Misstrauen, sozialer Rückzug, aber auch Skurrilität seien hinzugekommen. In bezug auf enge Freundschaften oder vertrauensvolle Beziehungen habe der Erblasser eher kühl distanziert, mitunter auch schroff, ablehnend, starrsinnig und unbeweglich gewirkt. Im Betreuungsverfahren habe er geäußert, dass er keine fremden Leute haben wolle, die sich um sein Geld kümmerten, diese würden ihn nur ausschmieren; in seiner Verwandtschaft sehe er allenfalls den Beteiligten zu 9 als zuverlässig an, der gelegentlich zu ihm komme und Erbe werden solle, soweit er Interesse habe. Hätte dieser Erblasser davon Kenntnis gehabt, dass es sich bei der Bedachten um eine vielfach wegen Vermögensdelikten vorbestrafte Person handele, die in einer ähnlich gelagerten Situation 1987 den damals verstorbenen Landwirt L. beerbt habe, hätte er diese Erbeinsetzung nicht vorgenommen. Gerade weil er darauf bedacht gewesen sei, dass sein Hof und sein Vermögen nicht in unrechte Hände gerät, hätte er in Kenntnis der Persönlichkeitsstruktur der Bedachten nie zu deren Gunsten verfügt.
Darüber hinaus sei der Erblasser von der unzutreffenden Vorstellung ausgegangen, die Bedachte habe ihn 7 1/2 Jahre betreut und verdiene deshalb die Einsetzung als Alleinerbin. Das Gericht sei davon überzeugt, dass der Zeuge E. in kollusivem Zusammenwirken mit der Bedachten den nach Angaben des Sachverständigen leicht beeinflussbaren Erblasser dazu bewegt habe, das Testament zu erstellen. Nach eigener Bekundung der Bedachten habe sich diese in den Jahren vor der Testamentserrichtung allenfalls ein- bis zweimal pro Woche um den Erblasser gekümmert. Nachbarn und Bekannte des Erblassers hätten sich jedoch nicht daran erinnern können, die Bedachte je gesehen zu haben. In Gesprächen mit Dritten habe der Erblasser die Bedachte nie erwähnt. Zeugen gegenüber habe sich der Erblasser vielmehr dahingehend geäußert, dass er selbst für sich koche; auch habe er einer Zeugenaussage zufolge jeden Freitag sein Haus selbst geputzt. Erst in den Monaten vor seinem Tode, als der Erblasser im Heim war, habe sich die Bedachte um ihn gekümmert. Die Bedachte habe Dritten gegenüber bewusst wahrheitswidrig vorgespiegelt, der Erblasser habe ein Testament zugunsten seines Neffen, des Beteiligten zu 9, errichtet. Den Zeugen, die bei Testamentserrichtung zugegen gewesen seien und das Testament mit unterschrieben hätten, glaube das Gericht nicht. Es handele sich hier um einen engen Vertrauten der Bedachten und dessen Freundin. Im übrigen widerspreche es jeglicher Lebenserfahrung, wenn der Erblasser eine letztwillige Verfügung im Beisein von mehr oder weniger unbeteiligten Dritten errichte, dies aber der Begünstigten, die angeblich eine engere Vertraute darstelle, verheimlicht. Das Gericht sei der Überzeugung, dass dem Erblasser als einem durch seine Krankheit leicht beeinflussbaren Menschen vorgespiegelt worden sei, er sei durch die Bedachte über längere Zeit aufopfernd betreut worden, weshalb er moralisch verpflichtet sei, diese als Erbin einzusetzen.
c) Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) stand. Das Landgericht ist ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gekommen, dass die von den anfechtungsberechtigten Beteiligten zu 4, 7 und 9 form- und fristgerecht erklärte Anfechtung durchgreift (§ 2078 Abs. 2, § 2080 Abs. 1, § 2081 Abs. 1, 2082 Abs. 1 und 2 BGB).
aa) Gemäß § 2078 Abs. 2 BGB kann eine letztwillige Verfügung angefochten werden, soweit der Erblasser zu der Verfügung durch die irrige Annahme oder Erwartung des Eintritts oder Nichteintritts eines Umstands bestimmt worden ist. Darunter fällt jeder Motivirrtum, auch der durch arglistige Täuschung herbeigeführte (vgl. Staudinger/Otte BGB [19961§ 2078 Rn. 12). Es ist gleichgültig, ob sich der Irrtum auf die Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft bezieht. Die Anfechtung kann nur auf solche irrigen Vorstellungen und Erwartungen gestützt werden, die der Erblasser bei der Errichtung der Verfügung, tatsächlich gehabt hat; dazu gehören auch Vorstellungen und Erwartungen, die er zwar nicht in sein Bewusstsein aufgenommen, aber als selbstverständlich seiner Verfügung zugrunde gelegt hat (BGH NCTW 1963, 246/247; BayObLG FamRZ 1984, 1270/1271 m. w. N.).
bb) Die Frage, ob ein solcher Irrtum vorlag, liegt im wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet. Die Feststellung des Sachverhalts und die Würdigung der Tatsachen können nur auf Rechtsfehler überprüft werden (vgl. BayObLG NJW-RR 1997, 1027/1029), nämlich darauf, ob das Landgericht den maßgeblichen Sachverhalt genügend erforscht und alle wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt hat, nicht gegen gesetzliche Beweisregeln, gegen Denkgesetze oder feststehende Erfahrungssätze verstoßen hat und ob es die Beweisanforderungen zu hoch oder zu niedrig angesetzt hat (st.Rspr., z.B. BayObLGZ 1999, 1/4).
cc) Die in diesem Rahmen vorgenommene Nachprüfung lässt Rechtsfehler nicht erkennen.
(1) Das Landgericht konnte seine Entscheidung auf umfangreiche Ermittlungen des Amtsgerichts stützen. Im amtsgerichtlichen Verfahren wurden 33 Personen als Zeugen vernommen oder als Beteiligte angehört; des weiteren finden sich schriftliche Äußerungen von Beteiligten und Zeugen im Akt. Die Betreuungsakten bezüglich des Erblassers und Strafakten bezüglich der Bedachten wurden beigezogen. Das ausführliche ärztliche Gutachten zur Testierfähigkeit des Erblassers gibt zugleich Aufschluss über die Persönlichkeit des Erblassers, den der Sachverständige auch zu Lebzeiten - damals im Rahmen des Betreuungsverfahrens - begutachtet hatte. Anhaltspunkte dafür, dass die Vorinstanzen den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt hätten, sind nicht ersichtlich.
(2) Die Vorinstanzen haben nicht verkannt, dass es für die Frage des Irrtums nicht etwa auf eine objektive verständige Würdigung ankommt, sondern auf die subjektiven Vorstellungen des Erblassers mit allen Besonderheiten seiner Persönlichkeit. Das Amtsgericht hat der Ermittlung von Umständen, die über die Persönlichkeit des Erblassers und seine Vorstellungen Aufschluss geben können, Äußerungen des Erblassers, soziales Umfeld, Lebensgewohnheiten, Umstände der Testamentserrichtung etc.) besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Es hat hierzu neben vielen Zeugenaussagen vor allem auch die gutachterlichen Äußerungen des psychiatrischen Sachverständigen herangezogen, der den Erblasser noch zu Lebzeiten exploriert hatte. Das Bild, das sich die Vorinstanzen von der Persönlichkeit des Erblassers gemacht haben, wird von einer breiten Tatsachenbasis getragen. Nach den ermittelten Gesamtumständen und im Zusammenhang mit der aus dem Testament ersichtlichen Motivlage - "seit 7 1/2 Jahren tätige Betreuerin" - konnten die Vorinstanzen rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis kommen, dass der Erblasser unter dem täuschenden Einfluss anderer Personen die Bedachte in der Annahme einsetzte, diese habe ihn 7 1/2 Jahre aufopferungsvoll betreut, und dass er dabei von der zumindest unbewussten - selbstverständlichen - Vorstellung ausging, die vermeintliche Betreuerin habe einen ehrlichen Charakter ohne kriminelle Vergangenheit. Beides war nach den Feststellungen der Vorinstanzen nicht der Fall.
(3) Die Anfechtbarkeit setzt des weiteren voraus, dass der Erblasser durch die aufgezeigten Fehlvorstellungen zu der Verfügung bestimmt worden ist. Dabei ist wiederum auf die subjektive Denk- und Anschauungsweise des Erblassers abzustellen (vgl. Staudinger/Otte § 2078 Rn. 31 m. w. N.) und ein strenger Maßstab anzulegen (MünchKomm/Leipold § 2078 Rn. 38 m. w. N.). Auch insoweit lässt die Entscheidung des Landgerichts Rechtsfehler nicht erkennen. Es hat, wie zuvor das Amtsgericht, auf dessen Ausführungen es sich stützen konnte, die Frage der Erheblichkeit der Irrtümer für die Verfügung des Erblassers aus dessen Sicht heraus geprüft und bejaht. Es ist auch nicht ersichtlich, dass es bei dieser Prüfung oder sonst bei der Beweiswürdigung die Beweisanforderungen verkannt und etwa einen zu geringen Maßstab angelegt hätte.
Insgesamt ist die vom Landgericht vorgenommene Würdigung der festgestellten Tatsachen dahin, dass die Verfügung des Erblassers fehlerhaft motiviert war und der Erblasser die Verfügung bei Kenntnis der wahren Sachlage nicht getroffen hätte, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
3. Eine Entscheidung über die Gerichtskosten ist nicht veranlasst, da sich aus dem Gesetz ergibt, wer diese zu tragen hat. Die Kostenerstattung beruht auf § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG; sie war nur im Verhältnis zu den im entgegengesetzten Sinn Beteiligten anzuordnen.
Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wurde in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Landgerichts festgesetzt (§ 131 Abs. 2, § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 1 KostO).
Ende der Entscheidung
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