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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 17.12.2004
Aktenzeichen: 1Z BR 64/04
Rechtsgebiete: BNotO, BeurkG


Vorschriften:

BNotO § 15
BeurkG § 53c
Der Notar handelt nicht pflichtwidrig, wenn er die Auszahlung des auf seinem Anderkonto hinterlegten Kaufpreisteiles in einem Fall aussetzt, in dem sich der Pfändungsgläubiger des Käufers einseitig darauf beruft, es sei eine Rückabwicklung des Kaufvertrages vorzunehmen und der Kaufpreisteil an ihn auszuzahlen.
Der 1. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung der Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht Rojahn und Dr. Kainz sowie der Richterrin am Oberlandesgericht Fört am 17. Dezember 2004 in der Notarsache

beschlossen:

Tenor:

I. Die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 11 gegen den Beschluss des Landgerichts Coburg vom 11. Mai 2004 wird zurückgewiesen.

II. Der Beteiligte zu 11 hat die den übrigen Beteiligten im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten zu erstatten.

III. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 50.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Rechtsvorgängerin der Beteiligten zu 1, ein in Sachsen ansässiges Unternehmen, hat im Zuge der Privatisierung ehemaliger volkseigener Betriebe mit notariellem Kaufvertrag vom 14.11.1991 an den Beteiligten zu 3 mehrere Grundstücke bzw. Grundstücksteilflächen nebst Gebäuden und Betriebsteilen verkauft. Als Gesamtkaufpreis wurden 2.750.000 DM zuzüglich Mehrwertsteuer vereinbart. An dem Vertrag waren ferner die Treuhandanstalt (jetzt Beteiligte zu 2) beteiligt sowie die Beteiligten zu 4 bis 10, die Ansprüche nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (VermG) erhoben haben.

§ 3 Ziffer 3 des notariellen Vertrages vom 14.11.1991 bestimmt, dass sämtliche Zahlungen auf ein vom Notar einzurichtendes Anderkonto zu leisten sind. In § 3 Ziffer 5 wird dem Verkäufer ein Rücktrittsrecht für den Fall eingeräumt, dass der Käufer mit einem Kaufpreisteil in Zahlungsverzug gerät und trotz Mahnung innerhalb von 4 Wochen ab deren Zugang Zahlung nicht geleistet hat. § 4 enthält Anweisungen dazu, unter welchen Voraussetzungen der Notar Auszahlungen an die Verkäuferin oder die Beteiligten zu 4 bis 10 vornehmen darf. Unter § 5 des Kaufvertrages haben die Beteiligten zu 4 - 10, die Treuhandanstalt und die Verkäuferin umfangreiche Vereinbarungen getroffen. Als Zeitpunkt für den Übergang von Besitz, Nutzen und Lasten wurde der 1.1.1992 festgelegt (§ 20); ferner verpflichtete sich die Verkäuferin, Pfandrechten zur Finanzierung von Investitionen und Betriebsmitteln den Vorrang einzuräumen (§ 18 Abs. 4).

Der Beteiligte zu 3 hat am 2.1.1992 die erste Kaufpreisrate in Höhe von 1,5 Mio DM, jedoch ohne Mehrwertsteuer, auf das Notaranderkonto bezahlt. Weitere Zahlungen sind in der Folge nicht mehr eingegangen. Mit Schreiben vom 18.4.1995 hat der Liquidator der Verkäuferin dem Käufer hinsichtlich des noch offenen Kaufpreisbetrages eine Nachfrist mit Ablehnungsandrohung gesetzt.

Der Beteiligte zu 11 hat als Verwalter im Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen einer Gläubigerin des Beteiligten zu 3 für diese mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 30.10.1995 die angebliche Rückzahlungsforderung des Beteiligten zu 3 gegen den Notar gepfändet. Mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 27.5.2002 hat er die Ansprüche des Käufers sowohl gegen den Amtsnachfolger des Urkundsnotars aus der Hinterlegung als auch gegen die Verkäuferin gepfändet.

Der Amtsnachfolger des Urkundsnotars hat mit Bescheid vom 9.1.2004 den Vollzug des Kaufvertrages vom 14.11.1991 und die Auszahlung des auf dem Notaranderkonto hinterlegten Betrages zuzüglich der aufgelaufenen Zinsen ausgesetzt.

Der Beteiligte zu 11 hat hinsichtlich der Aussetzung der Auszahlung Beschwerde eingelegt und beantragt, den Notar anzuweisen, den hinterlegten Kaufpreis nebst Zinsen an ihn auszuzahlen. Das Landgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 11. Die Beteiligte zu 2 und die Beteiligten zu 4 und 5 haben der Auszahlung des hinterlegten Betrages an den Beteiligten zu 11 widersprochen.

II.

Die weitere Beschwerde ist zulässig (§ 15 Abs. 2 BNotO, §§ 27, 29 FGG), jedoch nicht begründet.

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:

Im Rahmen des § 15 BNotO sei ausschließlich darüber zu befinden, ob die Handlungsweise des Notars pflichtwidrig sei. Der Notar habe sich für ein Vorgehen entschieden, wie es § 54 c Abs. 3 BeurkG vorsehe; dies stelle keine Amtspflichtverletzung dar. Es liege eine mehrseitige Anweisung im Sinne dieser Vorschrift vor. Bei Kaufverträgen werde die Hinterlegungsanweisung in der Regel vom Verkäufer und Käufer erteilt. Auch im vorliegenden Fall sei die Anweisung nicht einseitig nur durch den Einzahlenden, sondern von allen Vertragspartnern erteilt worden; es seien detaillierte Anweisungen getroffen worden, unter welchen Bedingungen an welchen Beteiligten bezahlt werden solle. Das Verhalten des Notars entspreche dem Wortlaut des Gesetzes und sei deshalb nicht pflichtwidrig.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung stand (§ 15 Abs. 2 Satz 2 BNotO, § 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO).

a) Das Landgericht hat zu Recht die Zulässigkeit der Erstbeschwerde bejaht. Das Verfahren nach § 15 BNotO ist auch dann eröffnet, wenn der Notar sich weigert, in bestimmter Weise über Geld zu verfügen, das auf einem von ihm geführten Anderkonto hinterlegt ist (vgl. BayObLGZ 1995, 204/207 f. m.w.N.; BayObLG FGPrax 2000, 79). Beschwerdeberechtigt ist in diesem Verfahren auch der Pfändungsgläubiger, der die Auszahlung des beim Notar verwahrten Kaufpreises verlangt (KG DNotZ 1999, 995/ 996 f.).

b) Gerichtliche Entscheidungen nach § 15 BNotO haben ausschließlich darüber zu befinden, ob die beanstandete Handlungsweise des Notars pflichtwidrig ist (vgl. BayObLGZ 1995, 204/201 f.; BayObLG FGPrax 2003, 285). Diesen rechtlichen Ausgangspunkt hat das Landgericht seiner Prüfung zugrunde gelegt. Seine Würdigung, dass der Notar unter den hier gegebenen Umständen die Auszahlung des auf seinem Anderkonto hinterlegten Kaufpreisteils verweigern darf, ist nicht zu beanstanden.

aa) Der Zahlung der ersten Kaufpreisrate auf das Anderkonto des Notars liegt ein gemeinsamer Treuhandauftrag der am Kaufvertrag Beteiligten zugrunde. Nach § 54 c Abs. 2 BeurkG hat der Notar den Widerruf einer Verwahrungsanweisung, die von mehreren Anweisenden erteilt ist, nur dann zu beachten, wenn er durch alle Anweisenden erfolgt. Eine derartige übereinstimmende Weisung aller Anweisenden liegt hier nicht vor.

Der Pfändungsgläubiger stützt seinen Antrag auf Auszahlung des hinterlegten Betrages darauf, dass der Kaufvertrag wegen des Rücktritts der Verkäuferin rückabzuwickeln und folglich der auf dem Anderkonto verwahrte Betrag an den Käufer - bzw. wegen der erfolgten Pfändung an ihn - zurückzuzahlen sei. Damit liegt ein Fall des § 54 c Abs. 3 BeurkG vor: Danach hat sich der Notar jeder Verfügung über das Verwahrungsgut zu enthalten, wenn eine von mehreren Anweisenden erteilte Verwahrungsanweisung nicht durch alle Anweisenden widerrufen und darauf gestützt wird, dass das mit der Verwahrung durchzuführende Rechtsverhältnis rückabzuwickeln sei.

bb) Es kann dahinstehen, ob § 54 c Abs. 3 BeurkG in den Fällen keine Anwendung findet, in denen feststeht, dass der dem Treuhandauftrag zugrunde liegende Kaufvertrag endgültig rückabgewickelt wird (so KG FGPrax 1998, 38; 1999, 189; KG Beschluss vom 30.7.2002 Az. 1 W 59/02; Winkler BeurkG 15. Aufl. § 54 c Rn. 32). Auch nach dieser Ansicht kann eine Rückzahlung des hinterlegten Kaufpreises an den Käufer durch den Notar nur dann erfolgen, wenn als feststehend anzusehen ist - etwa aufgrund übereinstimmender Erklärungen der Vertragsparteien -, dass die Parteien die Vertragsdurchführung nicht mehr wollen, und darüber hinaus eine etwa vom Verkäufer erbrachte Vorleistung rückabgewickelt ist. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor:

(1) Es steht nicht fest, ob und inwieweit der Kaufvertrag vom 14.11.1991 rückabzuwickeln ist, da hierzu keine übereinstimmenden Erklärungen der Vertragsparteien oder ihrer Rechtsnachfolger vorliegen. Die Beteiligte zu 2, die nach § 16 Ziffer 6 des Vertrages vom 14.11.1991 auch die Rechte der Verkäuferin wahrnehmen kann, vertritt die Auffassung, der Vertrag habe teilbare Leistungen zum Gegenstand, so dass sich die Erklärung des Liquidators vom 18.4.1995 nur auf den nicht erfüllten Teil des Kaufvertrages bezogen habe und der Kaufvertrag im Übrigen durchzuführen sei. Die auf dem Anderkonto befindliche erste Kaufpreisrate stehe deshalb der Verkäuferin zu und sei aufgrund einer zwischenzeitlich erfolgten Abtretung an sie - die Beteiligte zu 2 - auszuzahlen. Die Beteiligten zu 4 bis 10 meinen hingegen, der auf dem Notaranderkonto verwahrte Kaufpreisteil stehe entsprechend den vertraglichen Bestimmungen ihnen zu.

(2) Der Streit darüber, ob, inwieweit und unter welchen Bedingungen eine Rückabwicklung des Vertrages vom 14.11.1991 zu erfolgen hat, ist im Verfahren der streitigen Zivilgerichtsbarkeit zu klären. Es ist nicht Aufgabe des Notars, den Streit der Beteiligten zu entscheiden, wer von ihnen materiell-rechtlich Anspruch auf den hinterlegten Kaufpreis hat. Der Notar ist im Rahmen des Hinterlegungsverfahrens als Organ der vorsorgenden Rechtspflege tätig; er ist zur rechtskundigen und sorgfältigen Erledigung der übernommenen Aufgabe verpflichtet, wobei er nach seinem pflichtgemäßem Ermessen die ihm zugänglichen Erkenntnismöglichkeiten nutzen kann (vgl. Schippel/Reithmann BNotO 7. Aufl. § 23 Rn. 20, 21). Dabei hat er zwar grundsätzlich Rechtsfragen zu prüfen, etwa im Falle einer Abtretung oder Pfändung die Frage der Empfangsberechtigung; es kann sich dabei jedoch nicht um Prüfungen und Entscheidungen handeln, die wesensgemäß Aufgabe der streitentscheidenden Zivilgerichtsbarkeit sind (KG DNotZ 1999, 994/998).

(3) Überdies ist auch nicht ersichtlich, ob etwaige Vorleistungen der Verkäuferin bereits zurückgewährt wurden.

Der Notar hat deshalb nicht pflichtwidrig gehandelt, indem er sich darauf beschränkt hat, den Beteiligten seine Rechtsauffassung mitzuteilen, es sei "mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Rechtsfolgen des § 326 BGB a.F. eingetreten" seien, den Vollzug des Kaufvertrages und die Auszahlung des hinterlegten Betrages auszusetzen und den Beteiligten Gelegenheit zu geben, eine Einigung herbeizuführen oder die streitigen Fragen im Zivilprozess zu klären.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG. Den Geschäftswert für das Verfahren der weiteren Beschwerde setzt der Senat wie das Landgericht auf 50.000 EUR fest (§ 131 Abs. 2, § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 1 Satz 1 KostO).



Ende der Entscheidung

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