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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 07.09.2004
Aktenzeichen: 1Z BR 70/04
Rechtsgebiete: BGB, BSHG, FGG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 1835 Abs. 1 Satz 1
BGB § 1836c Nr. 2
BSHG § 88 Abs. 3 Satz 1
FGG § 30 Abs. 1 Satz 3
FGG § 56g Abs. 1 Nr. 1
FGG § 56g Abs. 5
ZPO § 526
1. Das Festsetzungsverfahren nach § 56g FGG ist auch für gegen den Mündel gerichtete Aufwendungsersatzansprüche des früheren Vermögensvormunds eröffnet, der die Beträge nicht mehr unmittelbar dem Mündelvermögen entnehmen kann.

2. Zu den Aufgaben eines Vermögensvormunds kann die Prüfung der Frage gehören, ob eine Erbschaft des Mündels angenommen oder wegen Überschuldung des Nachlasses ausgeschlagen werden soll; hierfür getätigte Aufwendungen sind grundsätzlich erstattungsfähig.


Gründe:

I.

Der Beteiligte zu 2 war in der Zeit vom 17.6.2002 bis 18.10.2002 berufsmäßiger Vormund des damals minderjährigen Beteiligten zu 1 für den Aufgabenkreis Vermögenssorge. Er macht Vergütung und Auslagenersatz primär gegen den vormaligen Mündel, hilfsweise gegen die Staatskasse geltend.

Der Beteiligte zu 1 war nach dem Tod seiner verwitweten Mutter im Mai 2002 Vollwaise geworden. Der Nachlass der Mutter bestand im Wesentlichen aus einem Gewerbebetrieb (Verkauf, Handel und Reparatur von Kraftfahrzeugen), den sie als eingetragene Kauffrau betrieben hatte. Der Beteiligte zu 2 sah sich als Vermögensvormund vor die Frage gestellt, ob er für den Beteiligten zu 1 als gesetzlichen Alleinerben die Erbschaft annehmen oder ausschlagen sollte. Zu diesem Zweck ließ er die finanzielle Lage der Firma und Möglichkeiten einer Fortführung, Sanierung oder eines Verkaufs prüfen. Hierfür fielen Honorarkosten einer Steuerberatungsgesellschaft in Höhe von 10.797,22 EURO an. Nach dem Ergebnis der Prüfung war die Firma überschuldet und eine Fortführung, Sanierung oder ein Verkauf nicht möglich. Daraufhin schlug der Beteiligte zu 2 für den Mündel die Erbschaft aus; die Ausschlagung wurde vormundschaftsgerichtlich genehmigt. Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 31.7.2002 wurde der Nachlass unter vorläufige Insolvenzverwaltung gestellt.

Das eigene Vermögen des Mündels wurde mit 30.736,86 EURO festgestellt. Es besteht überwiegend aus Guthaben auf einem Sparkonto, auf dem das Erbe nach seinem Vater angelegt wurde.

Mit Beschluss vom 24.9.2003 setzte das Vormundschaftsgericht eine Vergütung für 103 Stunden mit 3703,88 EURO sowie einen Aufwendungsersatzanspruch von 10.797,22 EURO, insgesamt 14.501,10 EURO, gegen die Staatskasse fest. Ferner setzte es einen Vergütungsanspruch gegen den Mündel in Höhe von 1.294,56 EURO fest und wies den darüber hinausgehenden Festsetzungsantrag ab. Soweit Festsetzung gegen die Staatskasse erfolgte, ist zur Begründung ausgeführt, dass das Vermögen des Mündels zwar über dem Schonbetrag von 2.301 EURO liege, die Heranziehung des Mündelvermögens aber unbillig wäre.

Der Beteiligte zu 3 (Staatskasse) hat die Festsetzung gegen die Staatskasse mit der sofortigen Beschwerde angefochten. Mit Beschluss vom 25.11.2003 änderte das Landgericht die Festsetzung des Amtsgerichts dahin ab, dass der Betrag von 14.501,10 EURO nicht aus der Staatskasse, sondern vom Mündel zu zahlen ist. Hiergegen richtet sich die - vom Landgericht zugelassene - sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1 vom 12.12.2003, die dem Rechtsbeschwerdegericht am 7.7.2004 vorgelegt wurde.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig, insbesondere vom Landgericht zugelassen und form- und fristgerecht eingelegt (§ 56g Abs. 5 Satz 2, §§ 27, 29 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4, § 22 Abs. 1 FGG). Es hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Der Wirksamkeit der Zulassung steht nicht entgegen, dass die Zulassung durch den Einzelrichter ausgesprochen wurde. Zwar konnte ihm die Rechtssache nur übertragen werden, weil die originär zuständige Zivilkammer der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung beigemessen hat (§ 30 Abs. 1 Satz 3 FGG, § 526 Abs. 1 Nr. 3 ZPO). Es erscheint daher widersprüchlich, wenn der Einzelrichter, wie hier, ohne dass sich die Sachlage geändert hätte, die weitere Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zulässt (§ 56g Abs. 5 Satz 2 FGG). Die Rückübertragung auf den Kollegialspruchkörper wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache ist jedoch nur nach einer wesentlichen Änderung der Prozesslage möglich und geboten (§ 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Deshalb ist es dem (so genannten fakultativen) Einzelrichter in diesen Fällen erlaubt, das (weitere) Rechtsmittel wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, wenn eine solche wesentliche Änderung nicht eingetreten ist, d.h. die grundsätzliche Bedeutung der Sache durch den übertragenden Kollegialspruchkörper einerseits und dem Einzelrichter andererseits lediglich unterschiedlich beurteilt wird (vgl. BGH NJW 2003, 2900 - Revision; BayObLGZ 2004, 29 - weitere Beschwerde im FG-Verfahren; zur abweichenden Rechtslage bei Zulassung der Rechtsbeschwerde durch den so genannten originären Einzelrichter BGH NJW 2003, 1254 und NJW 2004, 448). Eine wesentliche Änderung der Verfahrenslage ist im vorliegenden Fall zwischen Übertragung auf den Einzelrichter und Entscheidung durch diesen nicht eingetreten.

2. Das Landgericht hat die Zulassung nicht dadurch beschränkt, wie der Beteiligte zu 2 meint, dass es die weitere Beschwerde "im Hinblick auf die Anwendung des § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG" zugelassen hat. Die Zulassung einer weiteren Beschwerde kann - wie die Revisionszulassung - auf rechtlich oder tatsächlich selbständige Teile des Verfahrensgegenstands begrenzt werden, über die gesondert entschieden werden kann (vgl. BGHZ 111, 158/166; FamRZ 1995, 1405; NJW 1999, 2116; BayObLGZ 2002, 121/122). Ob diese Voraussetzung hier vorläge, kann offen bleiben. Eine solche Beschränkung müsste jedenfalls eindeutig sein, wobei es genügt, wenn sie sich aus den Entscheidungsgründen klar ergibt (vgl. BGHZ 48, 134/136). Das ist hier nicht der Fall. Weder aus der Tenorierung noch aus dem Hinweis in den Entscheidungsgründen auf die "Auslegung des § 88 BSHG in Bezug auf § 324 Abs. 1 Nr. 6 InsO" ergibt sich zweifelsfrei, dass das Landgericht die Zulassung auf diese Punkte beschränkt und nicht lediglich eine kurze Begründung für die - als solche unbeschränkte - Zulassung gegeben hat. Es ist daher von unbeschränkter Zulassung auszugehen.

3. Zutreffend hat es das Landgericht stillschweigend als möglich angesehen, dass die Vergütung und der Aufwendungsersatzanspruch des Vormunds gegen den Mündel im Verfahren nach § 56g FGG festgesetzt werden können. Für den Aufwendungsersatzanspruch sieht § 56g Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGG die Festsetzung allerdings nur gegen die Staatskasse vor (1. Alternative), oder wenn dem Vormund nicht die Vermögenssorge übertragen wurde (2. Alternative). Die letztgenannte Alternative ist entsprechend anwendbar, wenn dem Vormund, wie hier, die Vermögenssorge übertragen worden war, er sie aber zwischenzeitlich wieder verloren hat (vgl. Knittel BtG § 1835 BGB Rn. 13, § 56g FGG Rn. 1; MünchKomm/Wagenitz BGB 4. Aufl. § 1835 Rn. 49). Denn Grund für den Ausschluss des gegen den Mündel gerichteten Aufwendungsersatzanspruchs eines Vermögensvormunds vom Festsetzungsverfahren ist, dass dieser die zu beanspruchenden Beträge unmittelbar dem Mündelvermögen entnehmen darf; für eine Festsetzung durch das Vormundschaftsgericht ist in diesen Fällen kein Raum (vgl. BayObLG FamRZ 2001, 793/794; Staudinger/Bienwald BGB 2004 § 1835 Rn. 46; Soergel/Zimmermann BGB 13. Aufl. § 1835 Rn. 24). Hat wie hier der frühere Vermögensvormund die Möglichkeit der Entnahme nicht mehr, so ist nach der ratio legis das Festsetzungsverfahren eröffnet.

4. In der Sache hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt: Das Geldvermögen des Mündels liege auch nach Abzug der geltend gemachten Ansprüche noch über dem Schonvermögen im Sinne von § 88 Abs. 2 BSHG. Es liege auch keine Härte im Sinne von § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG vor. Der Mündel habe nach § 324 Abs. 1 Nr. 6 InsO einen Anspruch gegen den Insolvenzverwalter darauf, die Aufwendungen als Masseverbindlichkeiten zu behandeln.

5. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO). Dabei kann offen bleiben, ob die Erwägung des Landgerichts zum Anspruch des Mündels gegen den Insolvenzverwalter zutrifft und ein solcher Anspruch - wozu keine Feststellungen getroffen sind - hier überhaupt werthaltig wäre. Die Entscheidung ist schon aus anderen Gründen im Ergebnis zutreffend.

a) Der Anspruch des berufsmäßigen Vormunds auf Vergütung (§ 1836 Abs. 1 Satz 2 BGB) und Aufwendungsersatz (§ 1835 Abs. 1 Satz 1 BGB) richtet sich nur dann gegen die Staatskasse, wenn der Mündel mittellos ist (§ 1835 Abs. 4, § 1836a BGB). Mittellosigkeit liegt nicht vor, wenn der Mündel den Aufwendungsersatz oder die Vergütung aus seinem nach Maßgabe des § 88 BSHG einzusetzenden Vermögens aufbringen kann (§§ 1836c Nr. 2, 1836d BGB). Zutreffend sind die Vorinstanzen nach den von ihnen getroffenen Feststellungen davon ausgegangen, dass genügend verwertbares, nicht unter § 88 Abs. 2 BSHG fallendes Mündelvermögen vorhanden ist. Dem Mündel verbleiben nach Abzug der geltend gemachten Ansprüche immer noch rund 15.000 EURO.

b) Die Härteregelung des § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG steht dem Einsatz des Mündelvermögens ebenfalls nicht entgegen. Bei der Bestimmung des Begriffs der Härte kommt es darauf an, ob die Anwendung der Regelvorschriften zu einem den Leitvorstellungen des § 88 Abs. 2 BSHG nicht entsprechenden Ergebnis führen würde (vgl. BVerwGE 23, 149/159; BayObLG FamRZ 1996, 245/247; Schellhorn/Schellhorn BSHG 16. Aufl. § 88 Rn. 68; Oestreicher/Schelter/Kunz/Decker BSHG Stand 2003 § 88 Rn. 23). Das hat das Landgericht im Ergebnis rechtsfehlerfrei verneint.

Eine Härte liegt insbesondere nicht darin, wie der Beschwerdeführer meint, dass die Aufwendungen durch die umfangreichen Prüfungen des Vormunds zur finanziellen Situation des Autohauses hervorgerufen wurden. Diese Prüfungen, nebst Eruierung von Möglichkeiten der Sanierung oder des Verkaufs, wofür auch Jahresabschlüsse erstellt werden mussten, dienten als Entscheidungsgrundlage für die Frage, ob für den Mündel die Erbschaft angenommen oder ausgeschlagen werden sollte. Die Klärung dieser Frage lag im objektiven Interesse des Mündels und gehörte zu den Aufgaben des Vermögensvormunds. Eine voreilige Ausschlagung der Erbschaft hätte grob pflichtwidrig sein können. Auch eine Annahme der Erbschaft ohne vorherige nähere Prüfung ist - unbeschadet der Möglichkeiten, die Haftung auf den Nachlass zu beschränken - in solch einer Lage nicht zwangsläufig der bessere Weg; denn sie hätte bedeutet, dass dem Mündel die Inhaberschaft und Verantwortung für einen Gewerbebetrieb mit über 20 Beschäftigten zugefallen wäre, dessen Zukunftsaussichten noch völlig ungeklärt waren. Dass der Beschwerdeführer nicht mit so hohen Kosten gerechnet hat, als er den Beteiligten zu 2 seinerzeit selbst als berufsmäßigen Vermögensvormund vorgeschlagen hat, begründet ebenfalls keine Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 BSHG, ebenso wenig wie die Herkunft des einzusetzenden Vermögens aus dem Erbe seines Vaters oder der Umstand, dass er als junger Erwachsener am Beginn seines beruflichen (Ausbildungs-) Weges steht.

Bei dieser Sachlage kommt es auf das Bestehen (und gegebenenfalls die Werthaltigkeit) eines etwaigen Anspruchs des Mündels gegen die Insolvenzmasse nicht an; denn dadurch könnte sich dessen finanzielle Situation nur verbessern.

c) Durchgreifende Bedenken gegen die vom Amtsgericht geprüfte Anzahl von 103 Stunden und die Höhe des Stundensatzes von 31 EURO sind nicht vorgetragen und nicht ersichtlich. Eine Erhöhung des Stundensatzes auf die vom Vormund zuletzt beantragten 62 EURO - das Amtsgericht hatte diese Höhe an sich als gerechtfertigt angesehen und den Stundensatz nur deshalb auf 31 EURO begrenzt, da es den Anspruch als gegen die Staatskasse gerichtet ansah (vgl. § 1 BVormVG; BGH NJW 2000, 3709) - kam wegen des Verbots, die Entscheidung des Landgerichts zum Nachteil des Rechtsmittelführers abzuändern, nicht in Betracht (vgl. BGH NJW 2000, 3712/3715; 2002, 366/367 a.E.; BayObLG FamRZ 2002, 130; Keidel/Engelhardt FGG 15. Aufl. § 56g Rn. 36). Die Höhe der geltend gemachten Aufwendungen von 10.797,22 EURO ist belegt. Wie oben schon ausgeführt, sind diese Aufwendungen im Rahmen der Führung der Vermögensvormundschaft angefallen; der Vormund durfte die Aufwendungen für erforderlich halten (§ 1835 Abs. 1 Satz 1, § 670 BGB).

6. Einer Kostenentscheidung und Geschäftswertfestsetzung bedarf es nicht; das Verfahren der weiteren Beschwerde ist gerichtsgebührenfrei (§ 131 Abs. 3 KostO).



Ende der Entscheidung

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