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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 21.03.2003
Aktenzeichen: 1Z BR 75/02
Rechtsgebiete: BGB, FGG
Vorschriften:
BGB § 2242 Abs. 4 (a.F.) | |
BGB § 2361 | |
FGG § 18 | |
FGG § 31 |
Gründe:
I.
Der Erblasser starb 1958 im Alter von 86 Jahren. Seine Ehefrau ist nach ihm im Jahr 1964 verstorben. Der Erblasser hatte einen im Jahr 1957 vorverstorbenen Sohn. Die 1949 geborene Beteiligte ist die Enkelin des Erblassers. Der Nachlass besteht im Wesentlichen aus einem Hausgrundstück.
Der Erblasser und seine Ehefrau errichteten am 21.12.1955 ein gemeinschaftliches notarielles Testament. Darin setzten sie sich gegenseitig als Alleinerben, nach dem Tod des Letztversterbenden ihren Sohn als Vorerben und als Nacherbin die Beteiligte ein.
In einem weiteren gemeinschaftlichen notariellen Testament vom 29.5.1957 haben die Ehegatten alle früheren Verfügungen von Todes wegen aufgehoben. Die Ehefrau hat den Erblasser als ihren Alleinerben eingesetzt; der Erblasser hat die Beteiligte zu seiner Alleinerbin bestimmt und mit einem lebenslangen unentgeltlichen Nießbrauch zugunsten seiner Ehefrau sowie nach deren Tod für die Mutter der Beteiligten durch Vermächtnisse beschwert.
Das Nachlassgericht hat zur Niederschrift vom 4.3.1958 unter anderem festgestellt, das gemeinschaftliche Testament vom 29.5.1957 sei eröffnet worden. Zur Niederschrift des Nachlassgerichts vom 25.3.1958 hat die Mutter der Beteiligten als deren gesetzliche Vertreterin die Annahme der Erbschaft erklärt.
Am 1.4.1958 hat das Nachlassgericht einen Erbschein erteilt, demzufolge der Erblasser aufgrund des notariellen Testaments vom 29.5.1957 von der Beteiligten, "gesetzlich vertreten durch ihre Mutter", allein beerbt worden ist.
Die Beteiligte wendet sich seit Jahren mit zahlreichen Anfragen, Eingaben und Beschwerden gegen die Beschwerung ihres Erbrechts durch den Nießbrauch, der im Jahre 1985 zugunsten ihrer Mutter im Grundbuch eingetragen wurde. Mit Schreiben vom 21.1.1994 regte die Beteiligte an, den Erbschein einzuziehen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, das notarielle Testament vom 29.5.1957 sei - aus im Einzelnen dargelegten Gründen - unwirksam. Maßgebend sei deshalb das Testament vom 21.12.1955, in dem sie ebenfalls als Erbin eingesetzt wurde, aber ohne Beschwerung durch den Nießbrauch. Das Nachlassgericht wies den Antrag mit Beschluss vom 9.9.1994 zurück. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten blieb ohne Erfolg. Die weitere Beschwerde wurde mit Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 15.5.1996 - 1Z BR 103/95 zurückgewiesen.
Mit Schreiben vom 17.9. und 9.10.1998 hat die Beteiligte erneut die Einziehung des Erbscheins beantragt. Im Wesentlichen unter Wiederholung ihres früheren Vorbringens vertritt sie - mit Hinweis auf angebliche Fehler bei der Bezeichnung der Hinterlegungsnummer - weiterhin die Auffassung, es müsse ein weiteres Testament unter der Nr. 82/57 existieren. Bei dem Testament vom 29.5.1957 handele es sich lediglich um einen Entwurf. Im Übrigen sei das Testament schon deshalb unwirksam, weil der bei der Beurkundung anwesende Rechtsanwalt nicht mitunterzeichnet habe. Schließlich sei ihre Mutter - da durch den Nießbrauch begünstigt - bei der Erbschaftsannahme von der gesetzlichen Vertretung ausgeschlossen gewesen. Zumindest sei die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts zwingend erforderlich gewesen, die jedoch nicht vorliege.
Mit Beschluss vom 28.10.1998 hat das Nachlassgericht den Antrag auf Einziehung des Erbscheins zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss hat die Beteiligte Beschwerde eingelegt, die das Landgericht mit Beschluss vom 4.4.2002 zurückgewiesen hat.
Hiergegen richtet sich die zur Niederschrift des Bayerischen Obersten Landesgerichts eingelegte weitere Beschwerde der Beteiligten, mit der sie die Einziehung des Erbscheins weiterverfolgt.
II.
Die zulässige weitere Beschwerde ist nicht begründet.
1. Das Landgericht hat ausgeführt, dass, soweit die Beschwerdeführerin ihre früheren Einwendungen wiederhole, einer erneuten Nachprüfung und Entscheidung die formelle Rechtskraft des Senatsbeschlusses vom 15.5.1996 entgegenstehe. Hinsichtlich des neuen Vorbringens mache sich die Kammer die Gründe des amtsgerichtlichen Beschlusses zu Eigen. Das Amtsgericht hatte insoweit ausgeführt, dass die fehlende Unterzeichnung des notariellen Testaments vom 29.5.1957 durch den bei der Beurkundung anwesenden Rechtsanwalt das Testament nicht unwirksam mache, da dieser nicht "zugezogen" gewesen sei. Für den weiteren Einwand, bei dem Testament vom 29.5.1957 handele es sich lediglich um einen Entwurf, gebe es keinerlei konkrete Anhaltspunkte. Das Landgericht hat ferner ausgeführt, dass die Beteiligte nach ihrem eigenen Vorbringen durch den sie als Alleinerbin ausweisenden Erbschein nicht beeinträchtigt sei. Denn sie mache nicht geltend, dass ihre erbrechtliche Stellung in dem Erbschein nicht richtig ausgewiesen sei. Vielmehr wolle sie die ihr bezeugte Alleinerbenstellung aus einer anderen letztwilligen Verfügung herleiten als in dem Erbschein angegeben. Das würde aber selbst dann, wenn es zuträfe, die Einziehung nicht rechtfertigen.
2. Die Entscheidung des Landgerichts erweist sich jedenfalls im Ergebnis als richtig.
a) Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass das Gericht die Einziehung eines Erbscheins anzuordnen hat, wenn die Unrichtigkeit des Erbscheins festgestellt wurde, oder wenn die Überzeugung des Gerichts von seiner Richtigkeit über einen bloßen Zweifel hinaus erschüttert ist. Der Einziehung steht nicht entgegen, dass seit der Erbscheinserteilung ein langer Zeitraum (hier 45 Jahre) verstrichen ist (vgl. BGHZ 47, 58/64; BayObLGZ 1996 69/72, ständige Rechtsprechung).
Ein Erbschein ist dann unrichtig und gemäß § 2361 Abs. 1 Satz 1 BGB von Amts wegen einzuziehen, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung entweder schon ursprünglich nicht gegeben waren oder nachträglich nicht mehr vorhanden sind. Verfahrensfehler im Erbscheinserteilungsverfahren können nur in schwerwiegenden Fällen die Einziehung eines Erbscheins begründen (vgl. Palandt/Edenhofer BGB 62. Aufl. § 2361 Rn. 4 und 5 a.E. m. w. N.).
b) Zu Unrecht hat das Landgericht allerdings angenommen, dass einer erneuten Nachprüfung und Entscheidung des Vorbringens der Beschwerdeführerin, soweit es bereits Gegenstand der Prüfung im früheren Einziehungsverfahren war, die formelle Rechtskraft des Senatsbeschlusses vom 15.5.1996 entgegenstehe und die Beschwerdeführerin mit diesem Vorbringen ausgeschlossen sei. Mit der formellen Rechtskraft jenes Senatsbeschlusses wurde das damalige Einziehungsverfahrenabgeschlossen. Der Antrag der Beteiligten von 1998, dem nur die Bedeutung einer Anregung an das Nachlassgericht zukommt, von Amts wegen tätig zu werden, hat ein neues Einziehungsverfahren eingeleitet. In diesem neuen Verfahren sind die Instanzen nicht an die früheren Entscheidungen gebunden, da formell rechtskräftige Entscheidungen in Erbscheinsverfahren nicht in materielle Rechtskraft erwachsen (vgl. BGHZ 47, 58; BayObLGZ 1953, 261/264; 1961, 200/206; BayObLG FamRZ 1986, 1151/1152; KG JFG 14, 286; NJW 1955, 1074/1075; FGPrax 1999, 227; Jansen FGG 2. Aufl. § 18 Rn. 3, § 31 Rn. 11; Keidel/Schmidt FGG 15. Aufl. § 18 Rn. 8; Keidel/Zimmermann § 31 Rn. 2, 21, 23; Staudinger/Schilken BGB [19971 § 2361 Rn. 34). Das gilt jedenfalls im Amtsverfahren der Einziehung auch bei unverändertem Sachverhalt (vgl. zur Rechtslage im Antragsverfahren der Erbscheinserteilung BayObLGZ 1991, 323/326; 1993, 334/338; BayObLG FamRZ 1998, 1198). Es würde dem Sinn des § 2361 BGB widersprechen, die Einziehung eines später als unrichtig erkannten Erbscheins daran scheitern zu lassen, dass dessen Einziehung in einem früheren Verfahren einmal - selbst wenn letztinstanzlich bestätigt - abgelehnt worden war (vgl. KG JFG 14, 286/287 f.).
c) Da weitere Ermittlungen nicht erforderlich sind, tritt der Senat an die Stelle des Beschwerdegerichts und kann den Sachverhalt in rechtlicher wie tatsächlicher Hinsicht selbständig würdigen (BayObLGZ 1995, 79/84). Im Ergebnis verbleibt es bei der schon früher von den Vorinstanzen vertretenen und vom Senat gebilligten Auffassung, dass die Beteiligte aufgrund des notariellen Testaments vom 29.5.1957 Alleinerbin geworden und der diese Alleinerbenstellung bezeugende Erbschein vom 1.4.1958 richtig ist. Zu Recht hat das Nachlassgericht daher dessen Einziehung erneut abgelehnt.
aa) Soweit die Beteiligte wiederum geltend macht, die Testamentseröffnung habe nicht das Testament vom 29.5.1957 betroffen (angeblich fehlerhafte Bezeichnung der Hinterlegungsnummer, falsche Seitenzahlangabe), hat sich der Senat mit diesem Vorbringen im Beschluss vom 15.5.1996 auseinandergesetzt und es nicht für durchgreifend erachtet. Das Gleiche gilt für das wiederholte Vorbringen der die Vertretung der damals minderjährigen Beteiligten durch ihre Mutter betreffenden Einwendungen. Auf die Ausführungen im Senatsbeschluss vom 15.5.1996 wird verwiesen. Zu einer abweichenden Beurteilung besteht kein Anlass.
bb) Das Testament vom 29.5.1997 ist, wie die Vorinstanzen richtig entschieden haben, nicht deshalb unwirksam, weil es von dem bei der notariellen Beurkundung anwesenden Rechtsanwalt nicht unterschrieben wurde. Für die Beurteilung dieser Frage ist das zur Zeit der Testamentserrichtung geltende Recht maßgeblich (§§ 2233 - 2246 BGB i. d. F. des Gesetzes vom 5.3.1953, BGBl I S. 33, aufgehoben durch Beurkundungsgesetz vom 28.8.1969; zur Weitergeltung für vor dem 1.1.1970 errichtete Testamente vgl. Soergel/Harder BGB 12. Aufl. vor § 2229 Rn. 8, §§ 2233 - 2246 a.F. Rn. 22). Nach § 2242 Abs. 4 a.F. BGB musste die Niederschrift von den mitwirkenden Personen unterschrieben werden. Hierzu zählten neben der Urkundsperson die gemäß § 2233 a.F. BGB zugezogenen Überwachungs- oder Kontrollpersonen, die Vertrauensperson des § 2242 Abs. 2 a.F. BGB und der Schreibzeuge des § 2242 Abs. 3 a.F. BGB, nicht jedoch der zur Feststellung der Identität des Erblassers herangezogene Erkennungszeuge (Staudinger/Firsching BGB 10./11. Aufl. § 2239 Rn. 7; Planck/Strecker BGB 4. Aufl. § 2239 Anm. 1 a; von Lübtow Erbrecht 1. Halbband S. 174) und nicht Personen, die zwar anwesend, aber nicht "zugezogen" waren (BGB-RGRK/Kregel 10. Aufl. § 2233 Anm. 8; Kipp/Coing Erbrecht 11. Aufl. § 27 II 2 m. w. N.). Ausweislich der Notarurkunde hat der Rechtsanwalt dem beurkundenden Notar die Identität der testierenden Eheleute bestätigt; die Zuziehung von Zeugen wurde nicht gewünscht. Der Rechtsanwalt war also bloßer Erkennungszeuge, darüber hinaus aber nicht als Zeuge "zugezogen"; seine Unterschrift war nicht erforderlich. Im Übrigen hätte das Fehlen der Unterschrift einer im Sinne des § 2242 Abs. 4 a.F. BGB mitwirkenden Person nur dann die Unwirksamkeit des Testaments zur Folge, wenn deren Zuziehung notwendig und nicht nur fakultativ war (vgl. Staudinger/Firsching § 2233 Rn. 15, § 2242 Rn. 28; Soergel/Siebert/Ehard/ Eder 9. Aufl. § 2233 Rn. 2, § 2242 Rn. 16; BGB-RGRK/Kregel 11. Aufl. § 2233 Anm. 4, § 2242 Anm. 12; Palandt/Keidel 20. Aufl. § 2233 Anm. 4; Kipp/Coing § 27 V; von Lübtow S. 175). Für eine notwendige Zuziehung, die nach § 2233 Abs. 1, § 2242 Abs. 3 BGB a.F. vorgeschrieben war, wenn der Erblasser taub, blind, stumm oder sonst am Sprechen verhindert oder schreibunkundig war, besteht hier aber kein Anhalt.
cc) Zutreffend haben die Vorinstanzen den Einwand der Beschwerdeführerin zurückgewiesen, dass es sich bei der notariellen Testamentsurkunde vom 29.5.1957 lediglich um einen Entwurf handele; hierfür ist nichts ersichtlich.
dd) Soweit sich die Beteiligte gegen einen Erbschein "mit Nießbrauchsbelastung" und gegen den Berufungsgrund "lt. Gesetz" wendet, gehen beide Einwände fehl; denn der Erbschein weist keine Nießbrauchsbelastung aus (was unabhängig davon, ob eine solche besteht, richtig ist, vgl. Senatsbeschluss vom 15.5.1996) und gibt als Berufungsgrund zutreffend testamentarische Erbfolge an. Im Übrigen verkennt die Beschwerdeführerin, dass im vorliegenden Rechtsbeschwerdeverfahren einzig die Richtigkeit des Erbscheins zu prüfen ist. Damit nicht im Zusammenhang stehende Ausführungen der Beschwerdeführerin, etwa zur Frage der Wirksamkeit der Nießbrauchsbestellung, zur Ungeeignetheit bestimmter Personen für das Amt des Vormunds oder zum "zweiten Todesfall", bedürfen keiner Erörterung.
3. Für eine Kostenentscheidung besteht kein Anlass. Wer die Gerichtskosten des unbegründeten Rechtsmittels zu tragen hat, ergibt sich aus der Kostenordnung.
4. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wurde gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1, § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 1 KostO festgesetzt. Das insoweit maßgebliche wirtschaftliche Interesse der Rechtsbeschwerdeführerin am Erfolg ihres Rechtsmittels ist in der Sache auf den Wegfall der Beschwerung durch den Nießbrauch am Nachlassgrundstück gerichtet, weil sie weiterhin Erbin bleiben will. Der Senat schätzt ihr Interesse in Übereinstimmung mit dem Landgericht auf 15000 EUR.
Ende der Entscheidung
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