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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 30.10.2000
Aktenzeichen: 1Z BR 82/00
Rechtsgebiete: BGB, AGBG


Vorschriften:

BGB § 1926 Abs. 4
BGB § 1926 Abs. 5
BGB § 1924 Abs. 3
BGB § 1924 Abs. 4
ABGB § 187
ABGB § 213
ABGB § 219
ABGB § 220
ABGB § 221
ABGB § 373 Nr. 1
ABGB § 373 Nr. 2
Zur Frage, wie die gesetzliche Erbfolge dritter Ordnung zu beurteilen ist, wenn die Stiefkindadoption des Abkömmlings eines Großelternteils nach vorder-österreichischem Recht zu berücksichtigen wäre.
BayObLG Beschluss

LG Augsburg 5 T 2749/99; AG Augsburg VI 2946/96

1Z BR 82/00

30.10.00

Der 1. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Präsidenten Gummer sowie der Richter Kenklies und Seifried am 30. Oktober 2000 in der Nachlaßsache

beschlossen:

Tenor:

I. Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 3 gegen den Beschluss des Landgerichts Augsburg vom 17. September 1999 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligte zu 3 hat dem Beteiligten zu 1 die im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten zu erstatten.

III. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf DM 184125,-- festgesetzt.

Gründe:

I.

Die 1996 im Alter von 75 Jahren verstorbene Erblasserin war ledig und kinderlos. Ihre Eltern und die einzige kinderlose Schwester waren vorverstorben, ebenso die Großeltern väterlicherseits und deren Abkömmlinge. Die Großmutter mütterlicherseits G. war in erster Ehe verheiratet mit A und nach dessen Tod in zweiter Ehe mit B. Auch sie sind vorverstorben, ebenso wie der aus der Ehe hervorgegangene Sohn Joseph und der aus der zweiten Ehe hervorgegangene Sohn Johann. Die Beteiligten zu 2 und 3 sind die Enkelinnen der G. aus erster Ehe, der Beteiligte zu 1 ist der Enkel aus ihrer zweiten Ehe.

Die Erblasserin hinterließ einen Reinnachlaß von DM 1473000,--, jedoch keine letztwillige Verfügung. Der Beteiligte zu 1 beantragte einen Erbschein, der ihn zum Miterben zu 3/4 und die Beteiligten zu 2 und 3 zu Miterben zu je 1/8 kraft Gesetzes ausweise. Das Nachlassgericht erteilte am 25.6.1997 den entsprechenden Erbschein.

Die Beteiligte zu 2 beantragte die Einziehung des Erbscheins; sie war der Auffassung, dass die Erblasserin vom Beteiligten zu 1 zu 1/2 und von ihr und der Beteiligten zu 3 zu je 1/4 beerbt worden ist. Mit Beschluss vom 31.7.1997 lehnte das Nachlassgericht die Einziehung des Erbscheins vom 25.6.1997 ab. Ihre dagegen eingelegte Beschwerde nahm die Beteiligte zu 2 zurück.

Mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 28.1.1999 beantragte die Beteiligte zu 2 erneut, den Erbschein vom 25.6.1997 einzuziehen mit dem Vorbringen, die Beteiligte zu 2 habe wie die Beteiligte zu 3 anstatt einer Erbquote von 1/8 eine Erbquote von 1/4 zu beanspruchen. Ihren Antrag stützte sie auf den von der Großmutter G. nach dem Tod des ersten Ehemanns mit dem späteren zweiten Ehemann am 16.3.1887 vor dem Notar in Burgau/Schwaben geschlossenen Ehe- und Erbvertrag, in dem es unter Ziff. II heißt:

Aus der ersten Ehe der Braut ist ein im Alter von zwei Jahren stehendes Kind namens Joseph vorhanden; der Bräutigam verpflichtet. sich, dieses Kind väterlich zu erziehen und für dasselbe so zu sorgen, als ob es aus eigener Ehe hervorgegangen wäre.

Die Beteiligte zu 2 vertrat die auch von der Beteiligten zu 3 geteilte Auffassung, diese Erklärung sei als wirksamer Adoptionsvertrag anzusehen, der Joseph ein gleiches gesetzliches Erbrecht nach G. und ihrem zweiten Ehemann vermittle, wie es der aus der Ehe hervorgegangene Sohn Johann gehabt habe.

Mit Beschluss vom 17.5.1999 lehnte das Nachlassgericht den Einziehungsantrag vom 28.1.1999 ab. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 2 wies das Landgericht mit Beschluss vom 17.9.1999 zurück. Gegen diese Entscheidung legte die Beteiligte zu 3 mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 10.5.2000 weitere Beschwerde ein. Der Beteiligte zu 1 trat dem Rechtsmittel entgegen.

II.

1. Die nicht fristgebundene und formgerecht eingelegte weitere Beschwerde ist zulässig (§ 27 Abs. 1, § 29 Abs. 1 Satz 1 und 2 FGG). Die Beteiligte zu 3 ist beschwerdeberechtigt, auch wenn sie nicht selbst, sondern die Beteiligte zu 2 die Erstbeschwerde eingelegt hat. Zur weiteren Beschwerde sind nach herrschender Meinung grundsätzlich auch diejenigen Personen befugt, die berechtigt gewesen wären, Erstbeschwerde einzulegen (vgl. BayObLG FamRZ 1996, 186; Keidel/Kahl FGG 14. Aufl. § 27 Rn. 10 a.E. m.w.N.). Die Beschwerdeberechtigung der Beteiligten zu 3 ergibt sich daraus, dass der Erbschein vom 25.6.1997, dessen Einziehung abgelehnt wurde, einen geringeren Erbanteil ausweist, als sie beansprucht.

2. Die weitere Beschwerde ist aber unbegründet. Der Erbschein vom 25.6.1997 weist die gesetzlichen Erbquoten der Beteiligten richtig aus. Die Einziehung des Erbscheins wegen Unrichtigkeit (§ 2361 BGB) kommt nicht in Betracht.

a) Das Landgericht hat ausgeführt:

Es treffe zwar zu, dass für den Fall, dass der zweite Ehemann der G. den Sohn Joseph aus der ersten Ehe adoptiert hätte, sich die gesetzlichen Erbquoten dahingehend ändern würden, dass der Nachlaß den Stämmen Johann und Joseph zu je 1/2 anfallen würde mit der Folge, dass in den Stamm Johann der Beteiligte zu 1 zu 1/2 und in den Stamm Joseph die Beteiligten zu 2 und 3 zu je 1/4 eintreten würden. Eine Adoption des Joseph liege aber nicht vor, vielmehr enthalte Ziff. II des Ehe- und Erbvertrages vom 16.3.1987 lediglich eine Absichtserklärung des zukünftigen zweiten Ehemanns der G., das Kind aus deren erster Ehe so zu erziehen und es zu unterhalten, als ob es sein eigenes Kind wäre. Dafür spreche der Wortlaut der Vertragsbestimmung. Der Ehe- und Erbvertrag vom 16.3.1887 sei nach dem am Wohnsitz der Vertragschließenden geltenden vorder-österreichischem Recht zu beurteilen, das in §§ 213 f. des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches Joseph II vom 1.11.1786 ausdrücklich die "Annahme an Kindes Statt" vorgesehen habe. Der vom Notar aufgesetzte Vertrag vom 16.3.1887 sei mit "Ehe- und Erbvertrag mit Anwesensanheirathung" überschrieben und bezeichne so den rechtlichen Geltungsbereich der Urkunde. Hätten die Vertragsparteien eine Adoption gewollt, sei. zu erwarten gewesen, dass der Notar einen solchen Vertragsgegenstand mit dem im Gesetz vorgesehenen Rechtsbegriff gekennzeichnet hätte. Im übrigen fehle eine im Gesetz vorgesehene vormundschaftliche Genehmigung. Im Erbvertrag vom 16.3.1887 sei zwischen Kindern aus erster und zweiter Ehe unterschieden worden, was im Falle einer Adoption nicht notwendig gewesen wäre. Auch enthielten die Personenstandsbücher keinen Eintrag über eine Adoption des Joseph. Im übrigen hätten die aus der zweiten Ehe der G. hervorgegangenen Kinder Joseph lediglich als ihren Halbbruder bezeichnet.

b) Das Landgericht hat zutreffend entschieden, dass die im Erbschein vom 25.6.1997 gemäß § 1926 Abs. 4, Abs. 5 BGB i.V.m. § 1924 Abs. 3, Abs. 4 BGB errechneten gesetzlichen Erbquoten richtig sind, so dass eine Erbscheinseinziehung ausscheidet. Die Annahme des Landgerichts, eine Adoption liege aufgrund des Ehe- und Erbvertrages vom 16.3.1887 nicht vor, begegnet keinen Bedenken. Zum rechtlichen Ausgangspunkt ist zu bemerken: Eine Änderung der im Erbschein vom 25.6.1997 angeführten Erbquoten würde auch dann nicht eintreten, wenn Ziff. II des Ehe- und Erbvertrages vom 16.3.1887 als Adoption des Joseph durch B auszulegen wäre. Letztere würde nämlich nach dem für den Ehe- und Erbvertrag geltenden vorder-österreichischen Recht kein das gesetzliche Erbrecht einschließendes Verwandtschaftsverhältnis vermitteln.

aa) Zum Zeitpunkt des vor dem Notar in Burgau am 1.6.3.1887 abgeschlossenen Ehe- und Erbvertrages galt im Bereich des Amtsgerichts Burgau vorder-österreichisches Recht, nämlich das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch Joseph II (ABGB) vom 1.11.1786, in Kraft getreten am 1.1.1787 (Civilgesetzstatistik des Königreichs Bayern, 2. nach der Organisation der Gerichte von 1879 bearbeitete Auflage, von Dr. Otto Freiherrn von Völderndorff, königlicher Ministerialrath, Nördlingen, Verlag der C. H. Beck'schen Buchhandlung, 1880, S. 41, 284). Dieses (vgl. Darstellung der sämmtlichen Provinzial- und Statuar-Rechte des Königreichs Bayern, herausgegeben von Dr. Georg Michael Ritter von Weber, l. Bd. Augsburg 1840, Verlag der Karl Kollmann'schen Buchhandlung, vorder- Österreichisches Recht, S. 1226 f.) sah unter anderem die Annahme von Minderjährigen an Kindes Statt vor, zu der die Einwilligung des Vaters bzw. des Vormunds wie auch der Vormundschaftsbehörde eingeholt werden sollte (§ 213 Abs. 1 Satz 1, § 215 ABGB). Gemäß § 219 Satz 1 ABGB oblag es dem Wahlvater, das Wahlkind gleich einem leiblichen zu erziehen, zu schützen und zu vertreten.

bb) Zur Rechtsstellung des Wahlkindes war in § 220.ABGB geregelt, dass diesem ein etwa an dem Vermögen des Wahlvaters zugestandener Anteil nur wegen solcher Ursachen entzogen werden kann, wegen welcher auch leibliche Kinder enterbt werden mögen. Weiter bestimmt diese Vorschrift:

Außer diesem Antheile aber hat das Wahlkind auf einen weitern Erb- und Pflichttheil kein Recht, auch kann dasselbe von Seite des Wahlvaters keiner andern Familienrechte theilhaftig werden.

Dementsprechend war in § 221 ABGB bestimmt, dass dem Wahlkind von seiten der eigenen Familie alle Rechte der Blutsverwandtschaft vorbehalten blieben. Für die gesetzliche Erbfolge durch Abkömmlinge kamen nur leibliche während der Ehe geborene Kinder in Betracht. Gemäß § 373 Nr. 1 ABGB fällt den Kindern des Erblassers die ganze Erbschaft zu. Was unter dem Ausdruck "Kinder" zu verstehen ist, regelt § 373 Nr. 2 ABGB. Danach betrifft die gesetzliche Erbfolge nur eheliche Kinder. Ehelich sind grundsätzlich alle Kinder, die während der Ehe empfangen worden sind (§ 187 ABGB).

Danach konnte eine Adoption im Jahr 1887 nach dem hier maßgeblichen vorder-österreichischen Recht die einem gemeinschaftlichen ehelichen Kind der Ehegatten vergleichbare Rechtsstellung, wie sie § 1754 BGB in der zum Zeitpunkt des Erbfalls (22./24.10.1996) nach dem Adoptionsgesetz vom 2.7.1976 (BGBl S. 1749) geltenden Fassung vorgesehen hat, nicht vermitteln. Ein unter der Geltung des ABGB adoptiertes Kind nahm an der gesetzlichen Erbfolge des Adoptivvaters nicht teil.

cc) An dieser Rechtslage hat sich seit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches nichts geändert. Gemäß Art. 209 EGBGB bestimmt sich nach den bisherigen Gesetzen, inwieweit ein vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches an Kindes Statt angenommenes Kind die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes hat.

3. Wer die Gerichtskosten im Verfahren der weiteren Beschwerde zu tragen hat, ergibt sich aus dem Gesetz. Die Erstattungsanordnung hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten beruht auf der Regelung des § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde beträgt 1/8 des Reinnachlaßwertes (§ 131 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, § 30 Abs. 1, § 107, § 108 KostO).

Ende der Entscheidung

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