Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 24.07.2002
Aktenzeichen: 1Z BR 9/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1741 Abs. 1 Satz 1
BGB § 1753 Abs. 2
BGB § 1767
Zur Frage der Voraussetzungen der Erwachsenenadoption.
Gründe:

I.

Der 1935 geborene ledige und kinderlose Beteiligte zu 1 und der 1967 geborene ebenfalls ledige und kinderlose Beteiligte zu 2 haben mit notariell beurkundeten Erklärungen vom 27.4.2001 beantragt, die Annahme des Beteiligten zu 2 als Kind des Beteiligten zu 1 auszusprechen. Nach der notariellen Beurkundung wurde der Notar damit betraut, den Antrag beim Vormundschaftsgericht einzureichen; dort ist der Antrag am 30.4.2001 eingegangen. Der Beteiligte zu 1 ist am 2.5.2001 verstorben.

Der Beteiligte zu 2, ein Neffe des Beteiligten zu 1, ist nichtehelich geboren und hat die ersten neun Jahre seines Lebens zusammen mit seiner Mutter und dem Beteiligten zu 1, seinem Onkel, ohne leiblichen Vater im Anwesen der Großeltern verbracht. Nach der Eheschließung seiner Mutter zog er mit dieser dort aus und wurde in den gemeinsamen Haushalt seiner Mutter und seines Stiefvaters aufgenommen. Er blieb dem Beteiligten zu 1 jedoch insbesondere durch gemeinsame Arbeit in der Landwirtschaft persönlich verbunden.

Das Vormundschaftsgericht hat den Adoptionsantrag des Beteiligten zu 2 mit Beschluss vom 11.6.2001 zurückgewiesen.

Dagegen hat der Beteiligte zu 2 Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat den Beteiligten zu 2 nochmals angehört sowie die Mutter und den Stiefvater des Beteiligten zu 2, einen Bruder und einen Freund des Beteiligten zu 1 und eine weitere Verwandte als Zeugen vernommen. Mit Beschluss vom 27.11.2001 hat das Landgericht die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2.

II.

Das Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg.

1. Die weitere Beschwerde ist zulässig; insbesondere ist die Beschwerdeberechtigung (§ 20 FGG) des Beteiligten zu 2 gegeben. Anders als bei der Annahme Minderjähriger, für die kein Antrag des Kindes, sondern lediglich dessen Einwilligung erforderlich ist (§ 1746 Abs. 1 Satz 1 BGB), setzt die Annahme Volljähriger auch einen Antrag des Volljährigen voraus (§ 1768 Abs. 1 Satz 1 BGB). Aus der Ablehnung dieses Annahmeantrags ergibt sich im Verfahren der Erwachsenenadoption ohne weiteres die Beschwerdeberechtigung des Beteiligten zu 2. Die für den Fall der Annahme eines Kindes streitige Frage, ob im Falle des Todes des Annehmenden vor der ablehnenden gerichtlichen Entscheidung eine Beschwerdeberechtigung des Kindes gegeben ist (verneinend: Keidel/Engelhardt FGG 14. Aufl. § 56e Rn. 30; Palandt/Diederichsen BGB 61. Aufl. § 1752 Rn. 4; bejahend: MünchKommBGB/Maurer 4. Aufl. § 1752 Rn. 17; Soergel/Liermann BGB 13. Aufl. § 1753 Rn. 4; Staudinger/Frank BGB 13. Aufl. § 1753 Rn. 5), kann hier dahingestellt bleiben.

2. Das Landgericht hat ausgeführt, nach Würdigung der erhobenen Beweise bestünden begründete Zweifel daran, dass beim Ableben des Beteiligten zu 1 und bei der wenige Tage zuvor erfolgten Beurkundung des Adoptionsantrags zwischen den Beteiligten zu 1 und 2 bereits ein die Annahme sittlich rechtfertigendes Eltern-Kind-Verhältnis bestanden habe. Zwischen den Beteiligten sei zwar eine enge Beziehung vorhanden gewesen, deren Grundlage das gemeinsame Betreiben der Landwirtschaft und die testamentarisch abgesicherte Erwartung der Hofnachfolge durch den Beteiligten zu 2 gewesen sei. Möglicherweise sei der Beteiligte zu 1 für den Beteiligten zu 2 in den ersten neun Jahren seines Lebens auch ein Vaterersatz gewesen. Daraus folge jedoch nicht, dass der Beteiligte zu 1 eine solche Stellung in den seither vergangenen mehr als 20 Jahren bis zu seinem Tod weiterhin innegehabt habe. Die Zeugenaussagen in ihrer Gesamtheit böten hierfür keine hinreichend überzeugenden Anhaltspunkte. Gegen ein Vater-Sohn-Verhältnis zwischen den Beteiligten spreche auch, dass der Beteiligte zu 2 nach seinen eigenen Angaben irgendwie auch den Ehemann seiner Mutter als Vater angesehen habe. Die Zweifel an einem durchgängig bestehenden Eltern-Kind-Verhältnis könnten allerdings zurückgestellt werden, wenn dem nicht der Umstand entgegenstünde, dass der Beteiligte zu 1, als er ein Jahr vor seinem Tod auf die Möglichkeit der Adoption hingewiesen worden sei, diese nicht gewollt habe. Nach dieser Sachlage bestehe ein Interesse an der Adoption lediglich unter dem Gesichtspunkt der Ersparnis von Erbschaftssteuer.

3. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO a.F.) nicht stand.

a) Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Ausspruch der Annahme des Beteiligten zu 2 als Kind im vorliegenden Fall auch nach dem Tod des Beteiligten zu 1 grundsätzlich möglich wäre. Die hierfür in § 1767 Abs. 2 Satz 1 BGB i.V.m. § 1753 Abs. 2 BGB festgelegten gesetzlichen Voraussetzungen liegen vor.

b) Die Entscheidung des Landgerichts kann aber keinen Bestand haben, weil sie auf einer Verkennung des unbestimmten Rechtsbegriffs der sittlichen Rechtfertigung der Annahme als Kind (§ 1767 Abs. 1 BGB) beruht.

aa) Gemäß § 1767 Abs. 1 Halbsatz 1 BGB kann ein Volljähriger als Kind angenommen werden, wenn die Annahme sittlich gerechtfertigt ist. Bei der Frage, ob die Annahme eines Volljährigen als Kind "sittlich gerechtfertigt" ist, handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Das bedeutet, dass die Feststellung der einzelnen Tatumstände dem Tatrichter vorbehalten ist, die Frage aber, ob diese Merkmale in ihrer Gesamtheit ausreichen, um die Merkmale des unbestimmten Rechtsbegriffs zu erfüllen, eine Rechtsfrage darstellt und ihre unrichtige Beantwortung eine Gesetzesverletzung ist. Die vom Tatrichter verfahrensfehlerfrei festgestellten einzelnen Umstände sind für das Gericht der weiteren Beschwerde zwar bindend; ihre Bewertung im Rahmen des unbestimmten Rechtsbegriffs obliegt aber in vollem Umfang seiner Nachprüfung (BayObLG DAV 1980, 503/506; FRES 11, 266/271; FamRZ 1980, 1158/1159).

bb) Gemäß § 1767 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB ist eine sittliche Rechtfertigung der Annahme eines Volljährigen als Kind insbesondere anzunehmen, wenn zwischen dem Annehmenden und dem Anzunehmenden ein Eltern-Kind-Verhältnis bereits entstanden ist. Ob gegebenenfalls das Entstehen einer solchen Beziehung in Zukunft noch zu erwarten ist, hatte das Landgericht im Hinblick auf den Tod des Beteiligten zu 1 aus tatsächlichen Gründen nicht zu prüfen.

Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Eltern-Kind-Verhältnis bereits entstanden ist, hat das Landgericht zwar ausgeführt, Zweifel am Bestehen eines solchen Verhältnisses zu haben. Es hat jedoch nicht dargelegt, welche rechtlichen Anforderungen an ein Eltern-Kind-Verhältnis es seiner Beurteilung der von ihm festgestellten tatsächlichen Umstände zugrundegelegt hat.

(1) Die materielle Nachprüfung des Adoptionsvertrages daraufhin, ob "begründete Zweifel daran bestehen, dass durch die Annahme ein dem Eltern- und Kindesverhältnis entsprechendes Familienband hergestellt werden soll", war erstmals durch § 1754 Abs. 2 Nr. 2 BGB i.d.F. des Gesetzes gegen Missbräuche bei der Eheschließung und der Annahme an Kindes Statt vom 23.11.1933 gefordert worden, um aufgetretenen "Verfallserscheinungen", nämlich dem "Schachern" mit dem Namen alter bekannter Familien, zu begegnen (RGZ 147, 220/222 f.; BGH FamRZ 1957, 126/127). Die Einführung des Kriteriums, dass "die Herstellung des Annahmeverhältnisses sittlich gerechtfertigt" sein müsse, geht auf das Familienrechtsänderungsgesetz vom 11.8.1961 (FamRÄndG) zurück, das die Minderjährigenadoption - durch das Erfordernis, der Anzunehmende müsse minderjährig sein (§ 1744 Satz 3 BGB i.d.F. des FamRÄndG) - zur Regel, die Erwachsenenadoption durch die Notwendigkeit der - nur bei Vorliegen dieses Kriteriums möglichen Befreiung von diesem Erfordernis (§ 1745c BGB i.d.F. des FamRÄndG) rechtstechnisch zur Ausnahme gemacht hatte (Staudinger/Frank § 1767 Rn. 1; Bosch FamRZ 1964, 401/409; Lüderitz NJW 1976, 1865). Das Adoptionsgesetz von 1976 hat die Ausgestaltung der Erwachsenenadoption als Ausnahmefall der Minderjährigenadoption wieder beseitigt; die beiden Adoptionsformen stehen wieder, wie zuvor, gleichwertig nebeneinander. Ferner hat § 1767 Abs. 1 BGB klargestellt, dass die Annahme eines Volljährigen als sittlich gerechtfertigt anzusehen ist, wenn ein Eltern-Kind-Verhältnis bereits entstanden ist; damit ist das durch die Einführung des (zusätzlichen) Kriteriums der "sittlichen Rechtfertigung" entstandene Problem, wie sich dieses zu dem alten Erfordernis der Herstellung eines dem Eltern-Kind-Verhältnis entsprechenden Familienbandes verhält, im Grundsatz geklärt (Staudinger/Frank § 1767 Rn. 2), nämlich in dem Sinne, dass es sich nicht um zwei verschiedene Kriterien mit unterschiedlichen Anforderungen handelt, sondern dass diese Kriterien in ihrem sachlichen Gehalt übereinstimmen.

(2) Die Anforderungen, die an das Bestehen eines Eltern-Kind-Verhältnisses zu stellen sind, können naturgemäß im Rahmen der Erwachsenenadoption nicht dieselben sein wie bei der Minderjährigenadoption. Das Eltern-Kind-Verhältnis unter Erwachsenen wird wesentlich durch eine auf Dauer angelegte Bereitschaft zu gegenseitigem Beistand geprägt, wie ihn sich leibliche Eltern und Kinder typischerweise leisten (BayObLG FamRZ 1980, 1158/1159; 1982, 644/645; 1996, 183/184; DAV 1980, 503/ 506; FRES 11, 266/271 f.; Staudinger/Frank § 1767 Rn. 15; Erman/Holzhauer BGB 10. Aufl. § 1767 Rn. 7; MünchKommBGB/Maurer § 1767 Rn. 5). Für die Dauerhaftigkeit der "Beistandsgemeinschaft" (MünchKommBGB/Maurer aaO) spricht insbesondere, wenn der volljährige Anzunehmende bereits als Minderjähriger im Haushalt des Annehmenden gelebt und dort von diesem die für ein Eltern-Kind-Verhältnis prägende Zuwendung erfahren hat. Eine mit fortschreitendem Alter stattfindende Verlagerung der Pflege- und Unterstützungsbedürftigkeit vom Anzunehmenden auf den Annehmenden steht dem nicht entgegen, da auch im natürlichen Eltern-Kind-Verhältnis eine solche Verlagerung stattfindet.

Hiervon ausgehend finden die vom Landgericht geäußerten Zweifel am Bestehen eines Eltern-Kind-Verhältnisses in den getroffenen tatsächlichen Feststellungen keine Stütze:

Der in den ersten neun Jahren seines Lebens ohne leiblichen Vater im Anwesen seiner Großeltern aufwachsende Beteiligte zu 2 hat in der Person des dort lebenden und arbeitenden Beteiligten zu 1, des Bruders seiner Mutter, einen Vaterersatz erlebt. Das hierdurch begründete Vater-Sohn-Verhältnis hat den Wegzug des Beteiligten zu 2 in den Haushalt seiner Mutter und seines Stiefvaters überdauert. Die vom Landgericht als Argument hiergegen gewertete Äußerung des Beteiligten zu 2, er habe "irgendwie auch" seinen Stiefvater als Vater angesehen, spricht eher dafür, dass der Beteiligte zu 2 in der Person des Beteiligten zu 1 die für ihn bedeutsame Vaterfigur gesehen hat. Der Beteiligte zu 2 hat über viele Jahre hinweg den Beteiligten zu 1 durch gemeinsame Arbeit in dessen landwirtschaftlichem Betrieb persönlich unterstützt. Diese enge Beziehung zwischen den Beteiligten wurde rechtlich verfestigt durch die testamentarisch vom verstorbenen Beteiligten zu 1 verfügte Hofnachfolge. Alle diese Umstände sprechen für eine Rechtfertigung der Adoption im Sinne des § 1767 Abs. 1 BGB, zumal die sittliche Rechtfertigung einer Adoption mit dem Ziel, einen Nachfolger für die Fortführung des Lebenswerks (Hof, Unternehmen, Praxis) zu bekommen, anerkannt ist (vgl. Staudinger/Frank § 1767 Rn. 21). Auf das mögliche Nebenmotiv der Ersparung von Erbschaftssteuer kommt es dann - jedenfalls wenn wie hier kein Missbrauchsfall vorliegt - nicht an.

Die Ausführungen des Landgerichts, die Zweifel am durchgängigen Bestehen eines Eltern-Kind-Verhältnisses zurückstellen zu können, wenn dem nicht der Umstand entgegenstünde, dass der Beteiligte zu 1 ein Jahr vor seinem Tod die Adoption nicht gewollt habe, deuten darauf hin, dass auch das Landgericht zum richtigen Ergebnis tendiert hat. Die vom Landgericht gleichwohl für die Ablehnung eines Eltern-Kind-Verhältnisses gegebene Begründung erweist sich als nicht tragfähig. Die Annahme als Kind setzt in jedem Fall (§ 1752 Abs. 1 BGB bzw. § 1768 Abs. 1 Satz 1 BGB) einen Antrag des Annehmenden voraus. Ob und gegebenenfalls wann der Annehmende einen Annahmeantrag stellt, unterliegt seiner Dispositionsfreiheit. Aus dem Umstand, dass der Annehmende zu einem Zeitpunkt, als die Voraussetzungen für eine Annahme vorlagen, keinen Adoptionsantrag gestellt hat, lassen sich somit grundsätzlich keine Erkenntnisse über die Voraussetzungen für eine Annahme zum Zeitpunkt der erfolgten Antragstellung herleiten.

3. Die aufgezeigten Rechtsfehler, auf denen die Entscheidungen beider Vorinstanzen beruhen, führen zur Aufhebung dieser Entscheidungen.

Die Vorinstanzen haben nur über den Antrag des Beteiligten zu 2 (Anzunehmender) entschieden. Über den von dem Beteiligten zu 1 als Annehmendem gestellten Antrag, über den auch nach dem Tod des Annehmenden noch zu entscheiden ist (vgl. § 1753 BGB), liegt bisher keine Entscheidung des Vormundschaftsgerichts vor. Es war daher zweckmäßig, die Sache an das Vormundschaftsgericht zurückzuverweisen, das einheitlich über beide Anträge unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (erneut) zu entscheiden haben wird.

4. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Es bedarf auch keiner Festsetzung des Geschäftswerts für das Verfahren der weiteren Beschwerde, da Gerichtskosten nicht anfallen (§ 131 Abs. 1 Satz 2 KostO).

Ende der Entscheidung

Zurück