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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 06.10.2000
Aktenzeichen: 1Z BR 99/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1632 Abs. 1
BGB § 1632 Abs. 3
BGB § 1666 Abs. 1
BGB § 1666a Abs. 1
1. Zur Erledigung einer Herausgabeanordnung durch Rückführung der Kinder.

2. Zur Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts wegen Vernachlässigung des Kindes infolge mangelnder Erziehungs- und Förderungskompetenz der Sorgeberechtigten.


BayObLG Beschluß

LG Nürnberg-Fürth 13 T 9515/97, 13 T 9516/97, 13 T 9517/97, 13 T 9518/97; AG Fürth VIII 844/96

1Z BR 99/00

06.10.00

Der 1. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Präsidenten Gummer sowie der Richter Seifried und Zwirlein

am 6. Oktober 2000

in der Vormundschaftssache

beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 19. Mai 2000 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Beteiligte zu 1 ist die Mutter der nichtehelichen Kinder A (jetzt 11 Jahre alt), B (jetzt 8 Jahre alt), C (jetzt 5 Jahre alt) und D (jetzt 4 Jahr e alt). Die Kinder stammen von drei Vätern ab; nur C und D sind vollbürtige Geschwister. Für sämtliche Kinder ist gesetzliche Amtspflegschaft eingetreten, die mit dem 1.7.1998 in Beistandschaft übergegangen ist.

Für die beiden älteren Kinder A und B war Vormundschaft angeordnet. Die Mutter der Beteiligten zu 1 war zum Vormund bestellt.

Am 3.4.1997 beantragte das Jugendamt, der Beteiligten zu 1 das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder C und D und ihrer Mutter die Vormundschaft für A und B zu entziehen. Die unzureichende Wohn- und Betreuungssituation sowie die erheblichen Erziehungsdefizite machten die Unterbringung der Kinder außerhalb der Obhut der Mutter erforderlich, da nur so einer weiteren Gefährdung des körperlichen, geistigen und seelischen Wohls der Kinder entgegengewirkt werden könne.

Mit Beschluss vom 5.6.1997 entließ das Amtsgericht den Vormund für die Kinder A und B und bestellte das Jugendamt zum neuen Vormund für die beiden Kinder.

Im gleichen Beschluss wurde der Beteiligten zu 1 das Aufenthaltsbestimmungsrechts einschließlich des Rechts, Leistungen nach dem SGB VIII zu beantragen, für die Kinder C und D vorläufig entzogen und dem Jugendamt als Pfleger für die beiden Kinder übertragen. Nach Anhörung der Beteiligten zu 1 und der beiden älteren Kinder hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 11.8.1997 die vorläufige Anordnung vom 5.6.1997 aufrechterhalten. Der Beteiligten zu 1 wurde das Aufenthaltsbestimmungsrecht einschließlich des Rechts, Leistungen nach dem SGB VIII zu beantragen, für die Kinder D und C endgültig entzogen und dem Jugendamt als Pfleger für die beiden Kinder übertragen. Das Stadtjugendamt wurde ermächtigt, die vier Kinder in Heim- oder Familienpflege unterzubringen und sie zum Zweck der Durchführung dieser Maßnahmen von der Kindesmutter zu trennen. Soweit erforderlich dürfe hierzu auch Gewalt durch Hinzuziehung eines Gerichtsvollziehers angewendet werden. Der Gerichtsvollzieher wurde ermächtigt, die für die Kinder nötigen Gegenstände des täglichen Lebens nach näherer Bestimmung des Jugendamts aus der Wohnung der Kindesmutter gegen deren Willen mitzunehmen.

Mit Beschluss vom 20.8.1997 hat das Amtsgericht der Beteiligten zu 1 die Kosten des Verfahrens auferlegt.

Gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts vom 11.8.1997 und 20.8.1997 hat die Beteiligte zu 1 Beschwerde eingelegt.

Für die älteren Kinder erfolgte zunächst Heimunterbringung; nach Abschluß des Schuljahres 1997/1998 wurden die beiden Kinder zur Mutter zurückgeführt.

Die beiden jüngeren Kinder befinden sich seit September 1997bei Pflegeeltern in Vollzeitpflege.

Das Landgericht hat ein psychologisches Gutachten zur Bindung zwischen den Kindern C und D einerseits und ihrer Mutter, ihren Geschwistern und ihren Pflegeeltern andererseits sowie zur Fähigkeit der Mutter, alle vier Kinder nachhaltig zu betreuen und zu fördern, erholt. Nach Anhörung der Kinder C und D hat das Landgericht unter Berücksichtigung des psychologischen Gutachtens sowie von Stellungnahmen der Mutter, der Pflegeeltern, des Jugendamts, des Sozialdienstes, des jugendärztlichen Dienstes und der Schulklassleiter der Kinder mit Beschluß vom 19.5.2000 die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 11.8.1997 bezüglich der Kinder C und D zurückgewiesen und bezüglich der Kinder B und A verworfen (Ziffer I); den die Kosten der ersten Instanz betreffenden Beschluß des Amtsgerichts vom 20.8.1997 hat das Landgericht aufgehoben (Ziffer II).

Gegen Ziffer I des Beschlusses des Landgerichts richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1. Ziel des Rechtsmittels ist die Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts vom 11.8.1997.

II.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Die weitere Beschwerde ist zulässig. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist zuständig für die Entscheidung über dieses Rechtsmittel (vgl. hierzu BayObLG NJW-FER 1999, 118).

Nach § 1666 Abs. 1 BGB i.V.m. § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO jeweils i.d.F. des Gesetzes zur Reform des Kindschaftsrechts (KindRG) vom 16.12.1997 (BGBl I S. 2942), ist zwar seit Inkraftreten dieses Gesetzes am 1.7.1998 (Art. 17 § 1) für Maßnahmen gemäß § 1666 Abs. 1 BGB nicht mehr, wie bisher, das Vormundschaftsgericht, sondern nunmehr das Familiengericht zuständig. Ist jedoch die erstinstanzliche Entscheidung, wie hier, vor dem 1.7.1998 bekannt gemacht worden, so sind für die Zulässigkeit von Rechtsmitteln und die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Rechtsmittel die bis zum 1.7.1998 geltenden Vorschriften weiterhin anzuwenden (Art. 15 § 1 Abs. 2 Sätze 1 und 2 KindRG). Nach diesen Vorschriften war gegen die Entziehung des Sorgerechts, die Anordnung der Vormundschaft und die Einschränkung der Umgangsbefugnis die unbefristete weitere Beschwerde zum Bayerischen Obersten Landesgericht mit dem Ziel der Aufhebung dieser Anordnungen gegeben (§ 27 Abs. 1 FGG).

2. Das sonach zulässige Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

Das Landgericht hat die Beschwerde der Beteiligten zu 1 bezüglich der Kinder B und A zu Recht als unzulässig verworfen.

Das Landgericht hat hierzu ausgeführt, bei den Kindern sei die Beschwerde gegen den Beschluss vom 11.8.1997 unzulässig geworden, da die Kinder bereits einvernehmlich zur Mutter zurückgebracht worden seien und eine erneute Herausgabe einer neuen Prüfung bedürfe.

Inhalt der angefochtenen Entscheidung war eine Herausgabeanordnung nach § 1632 Abs. 1 BGB. Die Herausgabe war vollzogen und durch die Rückführung zur Mutter im Beschwerdeverfahren in ihren Wirkungen vollständig geworden. Die Hauptsache hat sich deshalb erledigt. Ein erneutes Herausgabeverlangen entgegen dem Willen der Mutter bedürfte einer neuen Entscheidung nach § 1632 Abs. 1 und 3 BGB.

3. Auch im übrigen ist das Rechtsmittel nicht begründet.

a) Auf die weitere Beschwerde hin ist nur zu prüfen, ob die angefochtene Entscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes beruht (§ 27 Abs. 1 Satz 2 FGG i.V.m. §§ 550, 561 ZPO). Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist (§ 550 ZPO). Dieser rechtlichen Nachprüfung hält die Entscheidung des Landgerichts bezüglich der Kinder C und D stand.

b) Das Landgericht hat im wesentlichen ausgeführt, die Beteiligte zu 1 habe das geistige und seelische und auch das körperliche Wohl ihrer Kinder durch Vernachlässigung gefährdet. Sie sei nach der Überzeugung der Kammer auch jetzt nicht in der Lage, Gefahren bei Rückführung der beiden jüngeren Kinder aus eigener Kraft abzuwehren. Eine mildere Maßnahme als die Herausnahme der Kinder aus dem Haushalt der Mutter und die Aufrechterhaltung des Verbleibs bei den Pflegeeltern entspräche nicht dem Kindeswohl.

In Übereinstimmung mit der psychologischen Sachverständigen hat das Landgericht festgestellt, dass zwischen der Vernachlässigung der Kinder und Persönlichkeitsmerkmalen der Beteiligten zu 1 ein Zusammenhang bestehe. Die durchaus anzuerkennende, auch von der Sachverständigen beobachtete Zuneigung der Mutter zu den Kindern reiche nicht aus, den Mangel an Gespür für die Bedürfnisse der Kinder und den Mangel an Einsatzbereitschaft zu überwinden. Falls auch die Kinder C und D zur Mutter zurückgeführt würden, wäre es unabdingbar, dass die Mutter sie intensiv persönlich betreut und sich als einfühlsame und verläßliche Bezugsperson erweist. Aufgrund ihrer Vorgeschichte und ihrer eingeschränkten Erziehungskompentenz sei nach Überzeugung der Kammer nicht zu erwarten, dass sie dies leisten werde. Die Bindung zwischen C und D und den Pflegeeltern und die Betreuung durch diese sei als gut zu bewerten. Mit dem bei einer Rückführung der Kinder zur Beteiligten zu 1 infolge des Verlusts der Pflegeeltern als wesentliche Bindungspartner zu erwartenden Streßtrauma würde die Beteiligte zu 1 aufgrund der Einschränkung ihrer Erziehungsfähigkeit mit großer Wahrscheinlichkeit nicht angemessen umgehen können. Den Berichten der Lehrer zufolge komme die Beteiligte zu 1 schon mit der Belastung durch die wieder bei ihr befindlichen älteren Kinder gerade eben zurecht. Bei einer Rückkehr auch der jüngeren Kinder sei daher erneut eine massive Gefährdung des Kindeswohls durch ungenügende Zuwendung und geistig-seelische Förderung zu befürchten. Hilfen des Jugendamts hätten sich bereits in der Vergangenheit als unzureichend erwiesen. Es sei nicht zu erwarten, dass angesichts der persönlichen Eigenschaften der Beteiligten zu 1 hier in der Zukunft mehr ausgerichtet werden könne.

c) Der vom Landgericht als erwiesen erachtete Sachverhalt rechtfertigt die Aufrechterhaltung der vom Amtsgericht in Bezug auf die Kinder C und D gemäß § 1666 Abs. 1, § 1666a Abs. 1 BGB getroffenen Maßnahmen.

Das Landgericht hat in Übereinstimmung mit dem Sachverständigengutachten eine mangelnde Erziehungs- und Förderungskompetenz der Beteiligten zu 1 und eine erhebliche Gefährdung des Wohls der beiden betroffenen Kinder bei einer auf Dauer angelegten Rückkehr zur Beteiligten zu 1 festgestellt. Es hat dargelegt, dass der weitere Aufenthalt der Kinder bei den Pflegeeltern geeignet ist, die Kinder in gebotener Weise zu fördern und die bei einer Rückkehr zur Mutter drohende Gefährdung des Kindeswohls abzuwenden. Das Landgericht hat auch geprüft, ob die Gefährdung durch andere Maßnahmen, insbesondere öffentliche Hilfen, abgewendet werden könnte, und hat dies ohne Rechtsfehler verneint.

Dem Elternrecht der Mutter (Art. 6 GG) wird im Rahmen des Kindeswohls dadurch Rechnung getragen, dass regelmäßige Besuchskontakte zwischen den bei den Pflegeeltern untergebrachten Kindern und der Mutter ermöglicht werden. Auch unter diesem Gesichtspunkt sind die vormundschaftsgerichtlichen Maßnahmen verhältnismäßig.

4. Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Das Rechtsbeschwerdeverfahren ist gemäß § 131 Abs. 3 KostO gerichtsgebührenfrei, weil angenommen werden kann, dass das Rechtsmittel jedenfalls auch im - vermeintlichen - Interesse der Kinder eingelegt worden ist. Für eine Erstattungsanordnung gemäß § 13a Abs. 1 FGG besteht kein Anlaß, weil im Beschwerdeverfahren kein weiterer Beteiligter hervorgetreten ist. Daher ist auch eine Festsetzung des Geschäftswerts der weiteren Beschwerde nicht erforderlich (§ 31 Abs. 1 Satz 1 KostO).

Ende der Entscheidung

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