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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 12.06.2002
Aktenzeichen: 1Z BRH 1/02
Rechtsgebiete: BGB, FGG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 104 Nr. 2
FGG § 14
ZPO § 114
Zur Frage, welche Anforderungen an ein Sachverständigengutachten zur Feststellung der Geschäftsunfähigkeit im Sinne des § 104 Nr. 2 BGB zu stellen sind.
Gründe:

I.

Die Beteiligte begehrt einen Erbschein als Alleinerbin des Erblassers. Dieser war in kinderloser Ehe mit Anna T. verheiratet. Am 17.3.1976 verfassten die Eheleute ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten, ohne einen Schlusserben zu bestimmen. Am 16.8.1996 schloss der Erblasser mit der Beteiligten, die die Ehefrau bereits seit zwei Jahren gepflegt hatte, einen Erbvertrag, in dem er seine Ehefrau als befreite Vorerbin und die Beteiligte als Nacherbin einsetzte und in dem diese sich verpflichtete, nach seinem Tod die Ehefrau bei sich aufzunehmen und weiterhin zu pflegen. Ebenfalls am 16.8.1996 erklärte der Erblasser zu notarieller Urkunde den Widerruf des gemeinschaftlichen Testaments vom 17.3.1976. Am 19.8.1996 händigte der Erblasser seiner Ehefrau eine Ausfertigung der Widerrufserklärung aus. Die Ehefrau setzte auf dem Schlussblatt der notariellen Urkunde ihre Unterschrift unter das in fremder Schrift eingetragene Wort "einverstanden:".

Am 1.9.1996 verstarb der Erblasser. Seine Ehefrau Anna T. wurde am 10.9.1996 wegen einer Lungenentzündung in das Krankenhaus eingewiesen und verstarb dort am 21.9.1996 im Alter von 89 Jahren, ohne eine weitere letztwillige Verfügung hinterlassen zu haben. Sie wurde kraft Gesetzes beerbt.

Das Nachlassgericht lehnte den Erbscheinsantrag der Beteiligten mit Beschluss vom 13.5.1997 ab. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Beschwerde der Beteiligten wies das Landgericht nach Beweisaufnahme über die Geschäftsfähigkeit der Ehefrau des Erblassers Anna T. am 19.8.1996 mit Beschluss vom 23.4.1999 zurück. Auf die weitere Beschwerde der Beteiligten hob der Senat mit Beschluss vom 8.2.2000 die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und verwies die Sache zu neuer Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurück. Dieses wies nach erneuter Beweisaufnahme mit Beschluss vom 10.1.2002 den Antrag der Beteiligten auf Erteilung eines Erbscheins als Alleinerbin des Erblassers aufgrund Nacherbfolge gemäß Erbvertrag vom 16.8.1996 zurück. Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten. Zugleich hat sie Prozesskostenhilfe für das Verfahren der weiteren Beschwerde beantragt und erklärt, dass die weitere Beschwerde nur für den Fall der Gewährung von Prozesskostenhilfe eingelegt werde.

II.

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe war zurückzuweisen, da die weitere Beschwerde der Beteiligten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 14 FGG i.V.m. §§ 114, 119 Abs. 1 Satz 1, § 127 Abs. 1 Satz 2 ZPO).

1. Die weitere Beschwerde ist unzulässig, weil sie unter der Bedingung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe eingelegt worden ist. Die bedingte Einlegung eines Rechtsmittels ist nicht zulässig. Verfahrenshandlungen, die unmittelbare Rechtswirkungen erzeugen, indem sie das Verfahren oder einen Rechtszug einleiten, aufrechterhalten, ausschließen oder beenden, sind einer Bedingung nicht zugänglich (vgl. BG H RR 1990, 67/68; Jansen FGG 2. Aufl. § 21 Rn. 14; Keidel/Kahl FGG 14. Aufl. § 19 Rn. 51). Der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten ist bereits mit gerichtlichem Schreiben vom 4.8.1999'darauf hingewiesen worden, dass gegen die Zulässigkeit eines unter einer Bedingung eingelegten Rechtsmittels Bedenken bestehen.

2. Die weitere Beschwerde der Beteiligten hätte allerdings auch in der Sache keinen Erfolg. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO). Zur Frage der Geschäftsfähigkeit der Anna T. am 19.8.1996 bei Empfangnahme der Widerrufserklärung des Erblassers betreffend das gemeinschaftliche Testament vom 17.3.1976 hat das Landgericht ein neues Sachverständigengutachten eingeholt, das von dem Leiter einer Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie verfasst wurde, der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie ist. Es hat, um die für die Begutachtung noch erforderlichen Anknüpfungstatsachen zu gewinnen, die mit Anna T. in den letzten Jahren befassten Ärzte Dr. R., Dr. D., Dr. S. und Prof. Dr. K. in Anwesenheit des Sachverständigen einvernommen. Das Landgericht hat damit die Aufklärungsmöglichkeiten ausgeschöpft, die eine Beurteilung der Geschäftsfähigkeit der Anna T. am 19.8.1996 ermöglichen.

Auch die Beweiswürdigung des Landgerichts ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Es ist wie der von ihm nunmehr bestellte Sachverständige von einem zutreffenden Verständnis des Begriffs der Geschäftsunfähigkeit im Sinne des § 104 Nr. 2 BGB ausgegangen. Es hat dabei beachtet, dass es nicht allein auf die Intensität der Geistesstörung ankommt, sondern darauf, ob die geminderte geistig-seelische Leistungsfähigkeit die Freiheit des Willensentschlusses beeinträchtigt (vgl. BayObLG NJW-RR 2000, 127). Das ist der Fall, wenn der Betroffene nicht mehr in der Lage i st, seine Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen (vgl. BGH NJW 1996, 918; Palandt/Heinrichs BGB 61. Aufl. § 104 Rn. 5). Der Sachverständige hat für den Zeitraum Ende August und September 1996 das Krankheitsbild einer Demenz vaskulärer Genese mit so fortgeschrittenen Einschränkungen der geistig-seelischen Leistungsfähigkeit festgestellt, dass Anna T. nicht mehr in der Lage war, ihre Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. Den Verlust der freien Willensentschließung hat das Landgericht auf den Ausfall wesentlicher hirnorganischer Funktionen wie Realitätsverkennung, ausgeprägter Störung der emotionalen Erlebnisfähigkeit, Zeitgitterstörungen, Einschränkungen der situativen Orientierung und deutliche Denkstörungen im Sinne von Perseverationen zurückgeführt. Da diese Symptome Ergebnis einer langanhaltenden Entwicklung sind, hat sich das Landgericht der Beurteilung des Sachverständigen angeschlossen, nach der Anna T. bereits am 19.8.1996 die für die rechtsverbindliche Entgegennahme der Widerrufserklärung des Erblassers notwendige Urteilsfähigkeit nicht mehr gehabt hat. Dies lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen.

Es ist aus Rechtsgründen auch nicht zu beanstanden, dass das Landgericht dem von ihm eingeholten Sachverständigengutachten maßgebliches Gewicht beigemessen hat und nicht den Aussagen der Zeugen, die keine Auffälligkeiten im Verhalten der Erblasserin festgestellt hatten. Die Frage, ob Geschäftsunfähigkeit vorliegt oder nicht, lässt sich in der Regel nur mit Hilfe eines psychiatrischen Sachverständigen beantworten. Dieser ist aufgrund seiner Fachkenntnisse in der Lage, aus dem Gesamtverhalten und dem Gesamtbild der Persönlichkeit in der fraglichen Zeit unter Einbeziehung der Vorgeschichte und aller äußeren Umstände zu klären, ob der Betreffende sich ein klares Urteil bilden und nach diesem Urteil eigenständig handeln konnte. Demgegenüber kommt einzelnen Erklärungen des Betreffenden gegenüber verschiedenen Kontaktpersonen und deren Beobachtungen gerade im Fall einer Demenzerkrankung nur untergeordnete Bedeutung zu (vgl. BayObLGZ 1995, 383/391 m. w. N.).

Danach hat das Landgericht den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu Recht zurückgewiesen. Der Wirksamkeit der Erbeinsetzung der Beteiligten im Erbvertrag vom 16.8.1996 steht das gemeinschaftliche Testament des Erblassers und seiner Ehefrau Anna T. entgegen (§ 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB analog; vgl. Palandt/Edenhofer BGB 61. Aufl. § 2271 Rn. 15). Die Widerrufserklärung des Erblassers vom 16.8.1996 ist nicht mehr wirksam geworden (§ 2271 Abs. 1 Satz 1, § 2296 Abs. 2 BGB), weil die Ehefrau Anna T. im Zeitpunkt ihrer Empfangnahme am 19.8.1996 geschäftsunfähig war (§ 104 Nr. 2 BGB).

3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.



Ende der Entscheidung

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