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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 09.04.1999
Aktenzeichen: 2 ObOWi 138/99
Rechtsgebiete: StPO, OWiG


Vorschriften:

StPO § 170 Abs. 2
StPO § 206 a Abs. 1
StPO § 467 Abs. 1
StPO § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2
OWiG § 46 Abs. 1
OWiG § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
OWiG § 69 Abs. 3
OWiG § 69 Abs. 4 Satz 1
OWiG § 47
OWiG § 32 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerisches Oberstes Landesgericht

2 ObOWi 138/99 BESCHLUSS

Der 2. Senat für Bußgeldsachen des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Krämer sowie der Richter Dr. Rohlff und Rittmayr

in dem Bußgeldverfahren

gegen

N R

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

nach Anhörung der Staatsanwaltschaft

am 9. April 1999

einstimmig

beschlossen: I. Das Verfahren wird eingestellt.

II. Die Staatskasse hat die Kosten des Verfahrens zu tragen und die notwendigen Auslagen zu erstatten, die dem Betroffenen dadurch erwachsen sind, daß das Verfahren über die Einstellungsverfügung der Verwaltungsbehörde vom 15.7.1998 hinaus fortgesetzt worden ist. Im übrigen hat der Betroffene seine notwendigen Auslagen selbst zu tragen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft zu einer Geldbuße von 200 DM und verhängte ein Fahrverbot von der Dauer eines Monats.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Er macht insbesondere geltend, seiner Verurteilung stehe ein Verfahrenshindernis entgegen, da die Verwaltungsbehörde das Verfahren nach Einspruch gegen den Bußgeldbescheid gemäß § 170 Abs. 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG eingestellt habe.

II.

Das gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte und im übrigen zulässige Rechtsmittel führt wegen Fehlens eines wirksamen Bußgeldbescheides zur Einstellung des Verfahrens.

1. Aus den Akten ergibt sich zum Verfahrensgang folgendes: Die Zentrale Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt verhängte gegen den Betroffenen mit Bescheid vom 21.4.1998 wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft um 44 km/h ein Bußgeld von 200 DM und ordnete ein Fahrverbot von der Dauer eines Monats an. Hiergegen legte der Betroffene durch seinen Verteidiger mit einem am 28.4.1998 eingegangenen Schreiben Einspruch ein.

Die Verwaltungsbehörde übersandte die Akten am 14.7.1998 gemäß § 69 Abs. 3 OWiG an die Staatsanwaltschaft, bei der sie am 16.7.1998 eingingen. Am 15.7.1998 stellte die Verwaltungsbehörde das Verfahren gegen den Betroffenen gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 170 Abs. 2 StPO ein und teilte dies dem Verteidiger des Betroffenen durch Übersendung der Verfügung mit. Die Mitteilung ging bei der Kanzlei des Verteidigers am 16.7.1998 ein.

Am 16.7.1998 verfügte die Verwaltungsbehörde die Einstellung des Verfahrens gegen den Vater des Betroffenen, J N ,und teilte dies dem Verteidiger des Betroffenen, der zugleich Bevollmächtigter des Herrn J N war, mit.

Die Verfügung enthielt folgenden Vermerk:

"Versehentlich wurde gegen Herrn R W N eingestellt. Richtige Einstellung gegen Herrn J N . Das Verfahren wird gegen Herrn R W N im Einspruchsverfahren aufrechterhalten".

Die Staatsanwaltschaft beantragte am 23.10.1998 gegenüber dem Amtsgericht, das Verfahren fortzusetzen, da eine Verwechslung vorliege, die umgehend berichtigt worden sei. Ein Vertrauensschutz zugunsten des Betroffenen sei daher nicht begründet worden. Im übrigen entfalte die Einstellungsverfügung grundsätzlich keine Bindungswirkung.

2. Der Bußgeldbescheid vom 21.4.1998 ist keine geeignete Verfahrensgrundlage (mehr), weil er durch die Einstellungsverfügung der Verwaltungsbehörde vom 15.7.1998 seine Wirkung verloren hat und diese auch durch Verfügung vom 16.7.1998 nicht wieder zurückerlangen konnte.

a) Aufgrund der funktionellen Teilung der Verfolgungszuständigkeit in Bayern auf die Polizeidienststelle des Begehungsortes und die Zentrale Bußgeldstelle im Polizeiverwaltungsamt war die Polizeidirektion Mittelfranken befugt, das Verfahren einzustellen.

b) Die Einstellung des Verfahrens war auch zeitlich noch möglich, da die Akten im Zeitpunkt der Verfügung noch nicht bei der Staatsanwaltschaft eingegangen waren. Zwar hatte die Polizeidirektion Mittelfranken die Aktenversendung bereits am 14.7.1998 verfügt. Nach der eindeutigen Regelung des § 69 Abs. 4 Satz 1 OWiG geht die Zuständigkeit aber erst mit Eingang der Akten auf die Staatsanwaltschaft über und verbleibt somit vorher noch bei der Verwaltungsbehörde. Eine Art zuständigkeitsfreier Zeitraum zwischen Absendung der Akten und deren Eingang bei der Staatsanwaltschaft besteht nicht.

c) Die Verwaltungsbehörde war auch nicht verpflichtet, zuvor oder gleichzeitig den Bußgeldbescheid zurückzunehmen.

Nach Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid steht die Rücknahme grundsätzlich zur Disposition der Verwaltungsbehörde. Die Rücknahmemöglichkeit konkurriert mit der Befugnis, das Verfahren einzustellen (vgl. KK-OWiG/Bohnert § 69 Rn. 28). Mit der Rücknahme wird das Bußgeldverfahren in den Zustand des Ermittlungsverfahrens versetzt mit der Folge, daß noch eine weitere Entscheidung folgen muß, nämlich entweder ein neues Ahndungsverfahren durch Erlaß eines neuen Bußgeldbescheides oder aber die Einstellung des Ermittlungsverfahrens. Wird ohne ausdrückliche Rücknahme des Bußgeldbescheides sogleich das Verfahren z.B. nach § 47 OWiG oder § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, die Beschuldigung mithin fallengelassen, verliert der Bußgeldbescheid seine Wirkung. Die Einstellung hat mithin Doppelwirkung, sie beendet das Ahndungsverfahren und das Ermittlungsverfahren.

d) Fraglich ist, ob und unter welchen Umständen das Verfahren nach Einstellung wieder fortgesetzt werden kann. Zumindest für die Fälle des § 47 OWiG wird teilweise eine Bindung der Verwaltungsbehörde nach Zustellung des Bußgeldbescheides in dem Umfang bejaht, in dem ein gerichtlicher Einstellungsbeschluß Bindungswirkung entfaltet (vgl. Göhler OWiG 12. Aufl. § 47 Rn. 30; Rebmann/Roth/Herrmann OWiG 3. Aufl. [Stand März 1998] § 47 Rn. 30). Soweit sich diese Auffassung auf die Kommentierung bei KK-OWiG/Bohnert (§ 47 Rn. 27) stützt, erscheint schon fraglich, ob die Ausführungen dort diesen Schluß tatsächlich zulassen. Im übrigen ist zumindest für eine Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG kein überzeugender Grund erkennbar, warum die Verwaltungsbehörde deshalb an die Einstellung gebunden sein soll, weil zuvor der Bußgeldbescheid, der durch die Einstellung seine Wirksamkeit verloren hat, zugestellt war.

Auch wenn man die Befugnis der Verwaltungsbehörde bejaht, das Verfahren nach Einstellung wieder aufzunehmen und weiter zu betreiben, ist eine Fortsetzung des Ahndungsverfahrens allerdings nur durch Erlaß eines neuen Bußgeldbescheides möglich (BayObLGSt 1972, 221/225).

Diese Konsequenz eines Widerrufs der Einstellungsverfügung entfällt im vorliegenden Fall auch nicht etwa durch die Annahme der Unwirksamkeit der Einstellung. Der Bescheid leidet nicht an einem Mangel, der nach allgemeinen Grundsätzen die Nichtigkeit begründet. Es liegt vielmehr ein typischer Irrtum vor, der im Zivilrecht zur Anfechtung berechtigen könnte, im Verwaltungsverfahren aber keine Nichtigkeit begründet.

Da hiernach der Bußgeldbescheid durch die Einstellungsverfügung der Verwaltungsbehörde seine Wirkung verloren hat, nach Aufhebung der Einstellungsverfügung aber ein neuer Bußgeldbescheid nicht ergangen ist, fehlt es an einer Voraussetzung für die Durchführung eines gerichtlichen Bußgeldverfahrens. Nach § 206 a Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG ist deshalb das Verfahren einzustellen. Mit der Einstellung des Verfahrens verliert das angefochtene Urteil auch ohne förmliche Aufhebung seine Wirkung.

Die Einstellung hindert die Verfolgungsbehörde nicht, die Verkehrsordnungswidrigkeit erneut zum Gegenstand eines Bußgeldverfahrens zu machen, sofern zwischenzeitlich keine Verjährung eingetreten ist. Auf § 32 Abs. 2 OWiG weist der Senat insoweit hin.

III.

Nach § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens zu tragen. Dasselbe gilt für die notwendigen Auslagen, die dem Betroffenen dadurch erwachsen sind, daß das Verfahren über die Einstellungsverfügung vom 15.7.1998 hinaus fortgesetzt worden ist. Dagegen sieht der Senat gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG davon ab, auch die dem Betroffenen bis zum Erlaß der genannten Einstellungsverfügung erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse zu überbürden. Denn ohne das durch diese Einstellungsverfügung geschaffene Verfahrenshindernis hätte das Verfahren zur Verurteilung des Betroffenen führen müssen. Das Urteil des Amtsgerichts begegnet mit Ausnahme des Verfahrenshindernisses keinen rechtlichen Bedenken.

Ende der Entscheidung

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