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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 03.11.1999
Aktenzeichen: 2St RR 190/99
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 145 a Abs. 1
StPO § 473 Abs. 7
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BayObLG

Beschluß

03.11.1999

2St RR 190/99

Der 2. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Krämer sowie des Richters Heusterberg und der Richterin Dr. Pliester in dem Strafverfahren wegen vorsätzlicher Körperverletzung nach Anhörung der Staatsanwaltschaft am 3. November 1999 beschlossen:

Tenor:

Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag und auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Coburg vom 15. Juni 1999 gewährt.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung zur Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu 25 DM. Das Landgericht verwarf die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten als unbegründet und änderte das Urteil auf die Berufung der Staatsanwaltschaft dahin ab, daß der Angeklagte zur Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu 25 DM verurteilt wurde.

Der Angeklagte legte fristgerecht Revision gegen das Berufungsurteil ein. Dieses wurde ihm am 24. 7. 1999 zugestellt; der Verteidiger wurde am 26. 7. 1999 unter formloser Übersendung einer Urteilsabschrift von der Zustellung benachrichtigt. Die Revisionsbegründung des Verteidigers ging am 25. 8. 1999 beim Landgericht ein.

Am 14. 9. 1999 verwarf das Landgericht die Revision des Angeklagten als unzulässig, weil sie nicht fristgerecht begründet worden sei. Gegen diesen ihm am 16. 9. 1999 zugestellten Beschluß wendet sich der Angeklagte mit seinem am 23. 9. 1999 bei Gericht eingegangenen Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts; zugleich beantragt er Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Revisionsbegründung.

II.

Dem Angeklagten ist auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zu gewähren; damit hat sich der Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts erledigt (Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 346 Rn. 17 m. w. N.).

Zwar hat der Angeklagte die Frist zur Begründung der Revision versäumt, weil diese bereits mit dem 24. 8. 1999 abgelaufen war, nachdem das in seiner Anwesenheit verkündete Urteil ihm am 24. 7. 1999 zugestellt worden war. Die Zustellung an den Angeklagten persönlich war zulässig und wirksam; § 145 a Abs. 1 StPO begründet lediglich eine Ermächtigung zur Zustellung an den Verteidiger, nicht aber eine dahingehende Verpflichtung (Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 145 a Rn. 6 m. w. N.). Ob die Zustellung an den Angeklagten hier nicht sogar geboten war, weil er mehr Verteidiger als nach dem Gesetz zulässig (§ 137 Abs. 1 Satz 2 StPO) gewählt hat und alle die Wahl angenommen haben (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 145 a Rn. 3 m. w. N.), kann deshalb dahinstehen. Die erst am 25. 8. 1999 eingegangene Begründung des Rechtsmittels war somit verspätet. Die Annahme des Verteidigers, erst seine Benachrichtigung von der Zustellung habe die Frist für ihn in Lauf gesetzt (S. 2 3. Absatz des Wiedereinsetzungsgesuchs), ist mit dem Gesetz (§ 345 Abs. 1 Satz 2 StPO) nicht zu vereinbaren.

Den Angeklagten selbst trifft aber kein Verschulden an der Fristversäumung. Er hatte seine Verteidiger mit der Durchführung der Revision beauftragt. Diese war von einem von ihnen fristgerecht eingelegt worden. Der Angeklagte hatte folglich keinen Anlaß anzunehmen, die weitete Behandlung des Rechts mittels sei nicht gesichert; insbesondere sind keine Anhalts punkte dafür ersichtlich, daß er damit hätte rechnen müssen, den Verteidigern sei die Berechnung strafprozessualer Fristen nicht geläufig und ihnen könne insoweit ohne sein - des Angeklagten - Eingreifen ein Fehler unterlaufen. Der Angeklagte hatte seinen Verteidigern Zustellungsvollmacht erteilt, konnte also davon ausgehen, daß Zustellungen - zumindest auch - an diese erfolgen würden. Er durfte folglich darauf vertrauen, daß die Begründung der Revision innerhalb der gesetzlichen Frist auch ohne sein Zutun erfolgen werde (vgl. BayObLGSt 1975, 150; 1992, 79/80), zumal er aufgrund der ihm erteilten Rechtsmittelbelehrung (Bl. 146 R d.A.) wußte, daß er selbst die Revision nicht wirksam begründen durfte, dies vielmehr nur zu Protokoll der Geschäftsstelle oder durch den Verteidiger oder einen Rechtsanwalt zu geschehen hatte. Es würde eine Überforderung des Angeklagten bedeuten, bei dieser Sachlage von ihm zu verlangen, er solle das Fehlen von Anlässen für eine eigene Tätigkeit darlegen und glaubhaft machen (OLG Hamm VRS 47, 272/274).

Zwar weisen die den erwähnten Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts zugrundeliegenden Sachverhalte die Besonderheit auf, daß die nach § 145 a Abs. 3 Satz 2 StPO vorgeschriebene Unterrichtung des Verteidigers von der Zustellung des Urteils an den Betroffenen/Angeklagten unterblieben war. Darin liegt aber kein entscheidungserheblicher Unterschied zum vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt. Eine Verständigung des Angeklagten von der Benachrichtigung des Verteidigers nach § 145 a Abs. 3 Satz 2 StPO ist im Gesetz nicht vorgesehen und wird regelmäßig auch nicht vorgenommen. Der Angeklagte darf darauf vertrauen, der Verteidiger werde gemäß der eindeutigen gesetzlichen Regelung unter Übersendung einer Urteilsabschrift von der Zustellung benachrichtigt werden. Er ist deshalb grundsätzlich nicht verpflichtet, von sich aus seinen Verteidiger über die an ihn selbst bewirkte Zustellung zu unterrichten (BdyObLGSt 1981, 193/194). Unterläßt er sie, ohne daß er Anhaltspunkte für Unzuverlässigkeit des Verteidigers hat, kann darin folglich kein der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Verschulden gesehen werden. Versäumt also - wie hier geschehen - der Verteidiger die Frist zur Rechtsmittelbegründung deshalb, weil er ohne weitere Erkundigung nach dem Zeitpunkt der förmlichen Zustellung den Tag seiner formlosen Benachrichtigung hiervon der Fristberechnung zugrunde legt, so kann jedenfalls in der Regel ein Mitverschulden des Angeklagten nicht darin gesehen werden, daß er den Verteidiger von dem genauen Datum der Zustellung des Urteils nicht in Kenntnis gesetzt und von sich aus nichts unternommen hat, um auf die Wahrung der Frist hinzuwirken (vgl. OLG Hamm aaO).

Der Hinweis der Staatsanwaltschaft beim Revisionsgericht auf Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 44 Rn. 18 steht nicht entgegen. In den dort zitierten Entscheidungen wurde Wiedereinsetzung deshalb versagt, weil der Angeklagte trotz ihm bekannter Hinweise auf die Unzuverlässigkeit des Verteidigers untätig geblieben war; ein solcher Ausnahmefall liegt hier - wie oben ausgeführt - jedoch nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 7 StPO.

Über das Rechtsmittel selbst kann der Senat derzeit mangels eines entsprechenden Antrags der Staatsanwaltschaft beim Revisionsgericht noch nicht entscheiden.



Ende der Entscheidung

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