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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 01.10.2001
Aktenzeichen: 2Z AR 1/01
Rechtsgebiete: ZPO, WEG


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 281 Abs. 2 Satz 3
WEG § 43 Abs. 1 Nr. 1
Die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses erstreckt sich auf alle Zuständigkeitsfragen, die das verweisende Gericht erkennbar geprüft und bejaht hatte.
Gründe:

I.

Der Antragsteller und die Antragsgegner sind Wohnungseigentümer in einer Wohnanlage. Ihre jeweiligen Wohnungen verfügen über Terrassen. Der Antragsteller fühlt sich durch die Antragsgegner in vielfältiger Weise beeinträchtigt und gestört. Mit seinem Antrag vom 30.4.2000 zum Amtsgericht Fürstenfeldbruck nahm er deshalb die Antragsgegner auf Unterlassung von Belästigungen durch Lärm (a) und sonstige Immissionen (b) in Anspruch.

Das Amtsgericht - Streitgericht - leitete den Antrag formlos an das Wohnungseigentumsgericht weiter. Dieses hielt sich für unzuständig und leitete den Vorgang ohne förmlichen Beschluss , jedoch mit einem Vermerk zur Zuständigkeitsfrage an das Streitgericht zurück. Vor dem Streitgericht erweiterte der Antragsteller seine Anträge schließlich dahin, es den Antragsgegnern zu verbieten, Fahrzeuge auf bestimmten Flächen der Wohnungseigentumsanlage abzustellen (c), in Räumen des Gemeinschaftseigentums eigenmächtig Veränderungen an den Heizkörpern vorzunehmen und Fenster zu öffnen (d), Aushänge der Hausverwaltung zu entfernen (e), Schuhe außerhalb des Sondereigentums abzustellen (f) sowie Handlungen vorzunehmen oder nicht zu unterbinden, die den Rechtsfrieden oder das Zusammenleben der Bewohner der Anlage zu stören geeignet sind (g). In ihrer Erwiderung rügten die Antragsgegner ausdrücklich die funktionelle Zuständigkeit des Streitgerichts.

Mit Beschluss vom 9.5.2001 setzte das Amtsgericht - Streitgericht - den Streitwert vorläufig auf 16000 DM fest; in der Begründung verneinte es eine Zuständigkeit des Wohnungseigentumsgerichts. Sodann erklärte es sich auf Antrag des Antragstellers mit formlos mitgeteiltem Beschluss vom 31.5.2001 für unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Landgericht München II. Dieses hielt sich hinsichtlich der Anträge zu c, d, e und f für unzuständig, trennte insoweit das Verfahren ab und beschloss am 29.6.2001, den abgetrennten Teil des Rechtsstreits an das Amtsgericht - Wohnungseigentumsgericht - abzugeben. Auch dieser Beschluss wurde den Beteiligten formlos übermittelt.

Das Amtsgericht - Wohnungseigentumsgericht - hat sich mit Beschluss vom 1.8.2001 für unzuständig erklärt und um Bestimmung des zuständigen Gerichts nachgesucht. Es vertritt die Auffassung, dass das Landgericht seinerseits an den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts vom 31.5.2001 gebunden sei.

Das Oberlandesgericht München, dem die Akten vorgelegt waren, hat das Verfahren an das Bayerische Oberste Landesgericht abgegeben.

II.

1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist als das gemeinsame obere Gericht in entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit zwischen Prozessgericht und Wohnungseigentumsgericht berufen (BayObLG WE 1997, 432; NZM 1998, 975; 2000, 388).

2. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts liegen nicht vor.

a) Nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO wird das zuständige Gericht dann bestimmt, wenn sich die Gerichte, deren Zuständigkeit in Frage kommt, rechtskräftig für unzuständig erklärt haben. Das für die Zuständigkeitsbestimmung nach § 37 Abs. 1 ZPO erforderliche Gesuch liegt hier in der Vorlage durch das Amtsgericht. Im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts zwischen einem Gericht der streitigen Gerichtsbarkeit und einem für Wohnungseigentumssachen zuständigen Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist als Besonderheit zu beachten, dass das nächste gemeinsame übergeordnete Gericht das Bayerische Oberste Landesgericht ist, weil dieses im Gegensatz zum Oberlandesgericht grundsätzlich für beide Rechtsgebiete zuständig ist (BayObLGZ 1990, 233/234 f. m. w. N.).

b) Eine rechtskräftige Unzuständigerklärung des Landgerichts liegt nicht vor. Dessen Abgabebeschluss unterliegt gemäß § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG der sofortigen Beschwerde nach § 577 ZPO, da auf das Verhältnis von Prozessgericht und Wohnungseigentumsgericht die Bestimmungen der §§ 17a, 17b GVG entsprechend anzuwenden sind (BGHZ 130, 159/163; BayObLGZ 1991, 186 ff.; 1998, 111/113; OLG Köln NZM 1999, 319; Thomas/Putzo ZPO 23. Aufl. § 17 GVG Rn. 2). Der Beschluss des Landgerichts hätte nach § 329 Abs. 3 ZPO den Parteien förmlich zugestellt werden müssen; die formlose Mitteilung des Beschlusses hat die Frist für die sofortige Beschwerde nach § 577 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht in Gang gesetzt.

Bei einem nicht verkündeten Beschluss , der nach § 329 Abs. 3 ZPO hätte zugestellt werden müssen, aber den Parteien nur formlos mitgeteilt wurde, beginnt in entsprechender Anwendung von § 516 ZPO die Frist für die sofortige Beschwerde fünf Monate nach formloser Bekanntgabe (BayObLG NJW-RR 1992, 597; 1994, 856; NZM 1998, 975/976). Diese Frist ist noch nicht abgelaufen.

III.

Für das weitere Verfahren wird bemerkt:

1. Der Abgabebeschluss des Landgerichts vom 29.6.2001 hat mangels formeller Rechtskraft nicht zur Anhängigkeit des Verfahrens beim Amtsgericht - Wohnungseigentumsgericht - geführt (§ 17b Abs. 1 Satz 1 GVG); er ist für dieses Gericht damit auch entgegen § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG, § 46 Abs. 1 Satz 3 WEG nicht bindend (vgl. Thomas/Putzo § 17a GVG Rn. 12; Zöller/ Gummer ZPO 22. Aufl. § 17a GVG Rn. 12).

2. Zuständig zur Entscheidung des Rechtsstreits auch hinsichtlich der abgetrennten Ansprüche ist hier das Landgericht. Denn dieses ist an den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts - Streitgerichts - vom 31.5.2001 gebunden (§ 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO) und kann nicht seinerseits bindend einen Teil des Rechtsstreits nunmehr an das Amtsgericht - Wohnungseigentumsgericht - weiterverweisen. Denn die Reichweite der Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses erschöpft sich nicht in der Zuständigkeitsfrage, derentwegen verwiesen wurde; sie erstreckt sich vielmehr auch auf weitere Zuständigkeitsfragen, soweit das verweisende Gericht diese geprüft und bejaht hatte (BGH NJW-RR 1998, 1219; siehe auch BGHZ 63, 214/216 f.; BayObLG - 1. Zivilsenat - NJW-RR 1996, 956; Thomas/Putzo § 281 Rn. 13; unklar Zöller/Greger § 281 Rn. 16a; a.A. noch BayObLG NJW 1970, 1550 f.). Die vom Bundesgerichtshof für das Verhältnis zwischen Prozessgericht und Familiengericht aufgestellten Grundsätze gelten entgegen einer älteren Rechtsprechung des Senats ebenso für Abgabebeschlüsse zwischen Prozessgericht und Wohnungseigentumsgericht.

3. Das Amtsgericht - Streitgericht - hat die Sache als Zivilstreitigkeit angesehen, welche durch die Streitgerichte zu entscheiden ist.

Im Beschluss vom 9.5.2001 über die Festsetzung des vorläufigen Streitwerts wird ausdrücklich auf die Zuständigkeitsfrage eingegangen und die Zuständigkeit der Wohnungseigentumsgerichte mit der Begründung verneint, dass es sich im wesentlichen um einen direkten Streit zwischen Nachbarn handle und die gemeinschaftsbezogene Problematik nur am Rande berührt werde. Diese Auffassung liegt auch dem Beschluss des Amtsgerichts vom 31.5.2001 zugrunde. Die Antragsgegner hatten noch im Schriftsatz vom 28.5.2001 ausdrücklich und mit zitierter Rechtsprechung auf die Zuständigkeit der Gerichte für Wohnungseigentumssachen hingewiesen und die Abgabe beantragt. Diese Ansicht hat sich das Amtsgericht - Streitgericht - nicht zu eigen gemacht. Seinem objektiven Gehalt nach sollte der Verweisungsbeschluss nach § 281 ZPO das Landgericht also auch funktionell binden. Die Bindungswirkung beruht nicht zuletzt auf der prozesswirtschaftlichen Erwägung, dass eine weitere Zuständigkeitsprüfung mit der möglichen Folge einer erneuten Verweisung dann nicht gerechtfertigt ist, wenn die betreffende Zuständigkeitsfrage bereits von einem anderen Gericht entschieden und die Sache schon einmal von einem Gericht an ein anderes verwiesen wurde (BGH NJW-RR 1998, 1219 m. w. N.).

4. Die Bindungswirkung ist auch nicht aus anderen Gründen entfallen. Die zuerst ausgesprochene Verweisung entfaltet nur ganz ausnahmsweise dann keine Bindungswirkung, wenn sie jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt, willkürlich ist oder unter Verletzung des rechtlichen Gehörs ergangen ist (BGH aaO). Unter solchen Mängeln leidet der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts nicht.

Freilich hat das Amtsgericht außer acht gelassen, dass nach der Rechtsprechung des Senats das Wohnungseigentumsgericht nach § 43 Abs. 1 Nr. 1 WEG zuständig ist für Streitigkeiten über die Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer, die das Sondereigentum und die insoweit bestehenden Gebrauchsregelungen betreffen. Dazu gehören Ansprüche auf Unterlassung einer gemeinschaftswidrigen Nutzung, ferner auch alle Verfahren zur Einhaltung der Hausordnung und zur Abwehr von Belästigungen und Immissionen, soweit das gerügte Verhalten vom Sondereigentum ausgeht. Dabei ist es unerheblich, ob der Anspruch auf das Gemeinschaftsverhältnis, auf §§ 1004, 906 BGB oder auf § 823 BGB gestützt wird. Es genügt, dass das von einem Wohnungseigentümer in Anspruch genommene Recht oder die ihn treffende Pflicht in einem inneren Zusammenhang mit einer Angelegenheit steht, die aus dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer erwachsen ist (BGH NJW-RR 1991, 907/908; BayObLG WE 1999, 31 f.; Staudinger/Wenzel WEG § 43 Rn. 19; Bärmann/Merle WEG 8. Aufl. § 43 Rn. 6, 9 und 10; Niedenführ/ Schulze WEG 5. Aufl. § 43 Rn. 5, 10 und 11). Dass einzelne Ansprüche ebenso gegenüber unbeteiligten Dritten, wie Mietern, Besuchern oder Grundstücksnachbarn, bestehen können, ist dagegen nicht entscheidend. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Ansprüche ihre Grundlage im Gemeinschaftsverhältnis haben. Soweit demnach das Amtsgericht - Streitgericht - die ausschließliche Zuständigkeit des Wohnungseigentumsgerichts außer acht gelassen hat, woran es durch den formlosen Abgabeversuch nach dem Eingang des ursprünglichen Unterlassungsantrags nicht gehindert gewesen wäre, ist dies zwar rechtsfehlerhaft, beruht aber nicht auf Willkür. Denn die Zuständigkeitsabgrenzung gemeinschaftsbezogener Ansprüche von solchen, die im wesentlichen auf allgemeinen Abwehrrechten beruhen, ist schwierig und wird in der Rechtsprechung nicht einheitlich behandelt (vgl. etwa OLG Zweibrücken ZMR 1996, 566).

Ende der Entscheidung

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