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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 17.04.2003
Aktenzeichen: 2Z AR 1/03
Rechtsgebiete: GVG, WEG, ZPO


Vorschriften:

GVG § 17a
WEG § 43 Abs. 1 Nr. 1
WEG § 46 Abs. 1
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 329 Abs. 3
ZPO § 517
ZPO § 569 Abs. 1 Satz 2
Eine Ausnahme von der Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses kann bestehen, wenn er objektiv willkürlich ist.
Gründe:

I.

Der Antragsteller und die Antragsgegner sind Wohnungseigentümer in einer aus vier Doppelhaushälften bestehenden Wohnanlage. Ursprünglich war das Grundstück nur von einer südlich gelegenen Straße erschlossen. Deshalb wurden die Zuleitungen und Zugänge von dort gelegt. In dem dieser Erschließungsstraße zugewandten Grundstücksteil befinden sich die Wohngebäude A und B. Das Wohngebäude B bewohnen die Antragsgegner. Über ihnen zugewiesene Sondernutzungsflächen bestand ein Zugang zum rückwärtigen Wohnhaus C der Antragsteller. Inzwischen befindet sich auch entlang der nördlichen Grundstücksgrenze eine öffentliche Straße, die einen direkten Zugang zu den Häusern C und D ermöglicht. Die maßgebliche Teilungserklärung sieht vor, dass der Zugang zu den rückwärtigen Gebäuden gestattet ist, solange der Zugang von der Nordseite des Grundstücks nicht möglich ist.

Am 12.1.2000 trafen sich die Wohnungseigentümer der in den Häusern B, C und D gelegenen Wohnungen, um über den zukünftigen Gebrauch der ihnen zugewiesenen Sondernutzungsflächen zu sprechen. Die Antragsteller leiten für sich aus dieser Besprechung sowie aus einem im Sommer 2000 von allen Wohnungseigentümern unterzeichneten und eingereichten Freiflächengestaltungsplan die Berechtigung ab, den Zugang weiterhin nutzen zu können.

Die Antragsteller haben beim Amtsgericht - Wohnungseigentumsgericht - beantragt, die Antragsgegner, teils einzeln, teils gemeinsam, zu verpflichten,

1. ihnen einen Schlüssel zu dem inzwischen an der südlichen Grundstücksgrenze angebrachten Tor für den Zuweg zu den nördlich gelegenen Gebäuden zu überlassen oder aber dieses Tor zu entfernen,

2. den teils beseitigten, teils bepflanzten, teils mit Gegenständen blockierten Weg wieder in seinen ursprünglichen Zustand zu versetzen und wiederherzustellen,

3. die geplante Errichtung eines Gartenhauses im Bereich des westlichen Beginns des Durchgangswegs zu unterlassen.

Das Amtsgericht hat sich auf Antrag der Antragsteller nach Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 10.5.2002 für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht - Prozessgericht - verwiesen. Das Landgericht - Einzelrichterin - hat am 13.12.2002 eine Güteverhandlung ergebnislos durchgeführt und dabei darauf hingewiesen, dass es seine Zuständigkeit anzweifle. Nach Übernahme durch die Kammer hat sich das Landgericht mit Beschluss vom 17.3.2003 für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht - Wohnungseigentumsgericht - zurückverwiesen. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 28.3.2003 die Akten zur Entscheidung über die Zuständigkeit dem Bayerischen Obersten Landesgericht vorgelegt.

II.

1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist als das gemeinsame obere Gericht in entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit zwischen Prozessgericht und Wohnungseigentumsgericht berufen (BayObLG NZM 2000, 388; 2002, 461).

2. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts liegen derzeit nicht vor.

a) Nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO wird das zuständige Gericht dann bestimmt, wenn sich die Gerichte, deren Zuständigkeit in Frage kommt, rechtskräftig für unzuständig erklärt haben. Das für die Zuständigkeitsbestimmung nach § 37 Abs. 1 ZPO erforderliche Gesuch liegt hier in der Vorlage durch das Amtsgericht. Im Fall eines negativen Kompetenzkonflikts zwischen einem Gericht der streitigen Gerichtsbarkeit und einem für Wohnungseigentumssachen zuständigen Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist in Bayern das Bayerische Oberste Landesgericht das gemeinsame übergeordnete Gericht (vgl. BayObLGZ 1990, 233/234 f. m. w. N.).

b) Eine rechtskräftige Unzuständigerklärung des Landgerichts liegt nicht vor. Dessen Abgabebeschluss unterliegt gemäß § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG der sofortigen Beschwerde nach § 567 ZPO (n. F.), da auf das Verhältnis von Prozessgericht und Wohnungseigentumsgericht die Bestimmungen der §§ 17a, 17b GVG entsprechend, anzuwenden sind (BGHZ 130, 159/163; BGH NJW 2001, 2181; BayObLGZ 1991, 186 ff.; 1998, 111/113). Der Beschluss des Landgerichts hätte nach § 329 Abs. 3 ZPO allen Beteiligten/Parteien förmlich zugestellt werden müssen. Dies ist nach Aktenlage nicht geschehen. Offensichtlich fanden Zustellungen nur an die Verfahrensbevollmächtigten der Antragsteller und der Antragsgegnerin zu 1 statt; von diesen befinden sich auch Empfangsbekenntnisse bei den Akten. An die Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegner zu 2 und 3 wurde der Beschluss, wenn überhaupt, nur formlos übermittelt. Die zweiwöchige Frist für die sofortige Beschwerde ( § 569 Abs. 1 ZPO) wurde für diese somit nicht in Gang gesetzt.

Ob bei einem nicht verkündeten Beschluss, der nach § 329 Abs. 3 ZPO hätte zugestellt werden müssen, aber den Beteiligten/Parteien nur formlos mitgeteilt wurde, in entsprechender Anwendung von § 517 ZPO n. F. (= § 516 ZPO a.F.) die Frist für die sofortige Beschwerde fünf Monate nach formloser Bekanntgabe beginnt (so BayObLG NJW-RR 1992, 597; 1994, 856; NZM 975/976) oder nunmehr § 569 Abs. 1 Satz 2 ZPO (n.F.) entgegensteht (vgl. Zöller/Gummer ZPO-23. Aufl. § 569 Rn. 4), kann auf sich beruhen. Denn auch diese Frist wäre noch nicht abgelaufen.

III.

Für das weitere Verfahren wird bemerkt:

Der Abgabebeschluss des Wohnungseigentumsgerichts vom 10.5.2002 hat zur Anhängigkeit des Verfahrens beim Landgericht geführt (§ 17b Abs. 1 Satz 1 GVG). Er ist für dieses Gericht damit nach § 17a Abs. 3 Satz 3 GVG im Sinne einer sogenannten aufdrängenden Wirkung bindend (vgl. Zöller/Gummer ZPO 23. Aufl. § 17a Rn. 12; Hüßtege in Thomas/Putzo ZPO 24. Aufl. § 17a GVG Rn. 12), d.h. die Bindung umfasst die Bejahung des Rechtswegs, in den verwiesen wird.

Der Beschluss wurde den Beteiligten nach Gewährung rechtlichen Gehörs förmlich zugestellt (vgl. § 16 Abs. 2 Satz 1 FGG) und innerhalb der Frist des § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG, § 45 Abs. 1 WEG, § 22 FGG (siehe etwa Niedenführ/Schulze WEG 6. Aufl. § 46 Rn. 14 m. w. N.) nicht angefochten. Der Entscheidung fehlt auch nicht deswegen ausnahmsweise die Bindungswirkung, weil sie jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt oder willkürlich ist (vgl. BGH NJW-RR 1998, 1219; BGHZ 144, 21). Sie enthält eine Begründung (§ 17a Abs. 4 Satz 2 GVG). Daraus und aus dem Verweis auf das schriftsätzliche Vorbringen eines der Beteiligten lässt sich noch hinreichend die Auffassung des Amtsgerichts entnehmen, der Streit gehe im Kern nicht um Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer untereinander, hinsichtlich des gemeinschaftlichen Eigentums, auch soweit es von Sondernutzungsregelungen berührt ist (vgl. § 43 Abs. 1 Nr. 1 WEG), sondern um Ansprüche aus von der Verwaltung des Wohnungseigentums losgelösten Absprachen von Wohnungseigentümern, die die sachenrechtliche Zuordnung von Sondereigentum und Miteigentum betreffen (vgl. Merle in Bärmann/Pick/Merle WEG 8. Aufl. § 43 Rn. 26). Diese Beurteilung ist für die Anspruchsbegründung nach dem dafür maßgeblichen Vortrag der Antragsteller (BayObLG WuM 1999, 233) im verfahrenseinleitenden Schriftsatz jedenfalls nicht willkürlich. So ist anerkannt, dass auch zwischen Wohnungseigentümern selbständige Rechtsverhältnisse über Sondereigentum oder Sondernutzungsrechte bestehen können, die keine Angelegenheiten im Sinne des § 43 Abs. 1 Nr. 1 WEG bilden (BayObLG WuM 1991, 300/301; 1996, 359). Letztlich ist unter den Beteiligten auch außer Streit, dass jedenfalls das Ergebnis der Besprechung vom 12.1.2000, unabhängig von dessen rechtlicher Verbindlichkeit, weder einen Beschluss nach § 23 Abs. 1 WEG noch eine Vereinbarung nach § 10 Abs. 1 Satz 2 WEG darstellt, also außerhalb der dem Wohnungseigentum typischen Regelungsinstrumente anzusiedeln ist. Unter diesen Umständen mag es zwar zweifelhaft sein, die von den Antragstellern in Anspruch genommenen Rechte aus dem inneren Zusammenhang mit denjenigen Angelegenheiten zu lösen, die erst aus der Gemeinschaft selbst erwachsen können (siehe etwa BayObLG NZM 2002, 461). Derartige Mängel in der Erfassung des Sachverhalts sind jedoch im Allgemeinen nicht grob rechtsirrtümlich und damit ohne Rechtsgrundlage (BayObLG WE 1997, 432; WuM 1999, 231), so dass die Beurteilung des Beschlusses als (objektiv) willkürlich und deshalb unverbindlich nicht getroffen werden kann.

Ende der Entscheidung

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