Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 28.03.2001
Aktenzeichen: 2Z BR 1/01
Rechtsgebiete: FGG, WEG, BGB


Vorschriften:

FGG § 12
WEG § 15
WEG § 22 Abs. 1
WEG § 23
BGB § 162 Abs. 1
BGB § 242
BGB § 1004 Abs. 1
Die Zulässigkeit baulicher Veränderungen hängen von der Zustimmung aller betroffenen Eigentümer ab.
Bayerisches Oberstes Landesgericht BESCHLUSS

Der 2. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Reichold sowie der Richter Dr. Delius und Lorbacher

am 28. März 2001

in der Wohnungseigentumssache

pp.

wegen Beseitigung,

beschlossen:

Tenor:

I. Auf die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegner wird der Beschluß des Landgerichts München II vom 20. Dezember 2000 aufgehoben.

II. Die Sache wird. an das Landgericht München II zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, zurückverwiesen.

III. Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 20.000 DM festgesetzt.

I.

Die Beteiligten sind die Wohnungs- und Teileigentümer einer Wohnanlage. Diese besteht aus einer Gewerbeeinheit im Erdgeschoß (Nr. 6 des Aufteilungsplan s) und vier Wohnungen im Obergeschoß (Nrn. 1 bis 5 des Aufteilungsplans), wobei das Sondereigentum der Wohnung Nr. 5 auch sämtliche Räume im Speicher mitumfaßt. Dem Antragsteller gehört die im 1. Stock ostseitig gelegene, ursprünglich aus zwei Einheiten (Nrn. 1 und 2) bestehende, später jedoch zusammengelegte Wohnung, die er 1993 von den Eheleuten B. erworben hatte. Im Grundbuch eingetragen wurde der Antragsteller am 7.7.1993. Eigentümer der Wohnung Nr. 3 sind die weiteren Beteiligten, während die übrigen Wohnungs- und Teileigentumseinheiten im Eigentum der Antragsgegner stehen, die 1978 die Teilung vorgenommen hatten.

Die in der Teilungserklärung enthaltene Gemeinschaftsordnung (GO) enthält u.a. folgende Regelungen:

§ 4 Veränderungen

...

Zur Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes des Hauses sind nur die Miteigentümer gemeinsam berechtigt.

...

§ 12 Eigentümerversammlung

...

3. In der Versammlung entfällt auf jede Wohnung eine Stimme. Soweit nichts anderes vorgeschrieben oder beschlossen, sind Beschlüsse mit einfacher Stimmenmehrheit zu fassen, bei nur zwei Wohnungseigentümern stets einstimmig.

4. In mündlicher Abstimmung gefaßte Beschlüsse sind nur wirksam, wenn sie in ein Protokollbuch eingetragen und vom Verwalter unterschrieben sind.

§ 14 GO Änderung der Teilungserklärung

Zur Änderung der Teilungserklärung bedarf es des Beschlusses aller Eigentümer.

Die Antragsgegner brachten 1993 im 2. Obergeschoß an der Ostfassade des Hauses einen Balkon an. Weiter errichteten sie auf einer Gemeinschaftsfläche Mitte des Jahres 1994 an der Nordseite des Hauses einen Schuppen mit einer Länge von 19,1 m, einer Breite von 5 m und einer Höhe von 2,5 m. Er dient zum Abstellen von Gerätschaften und Fahrrädern.

Der Antragsteller begehrt die Beseitigung des Balkons und des Schuppens. Die Antragsgegner berufen sich auf mündlich erklärte Zustimmungen durch die Wohnungseigentümer sowie auf Unzumutbarkeit und Rechtsmißbräuchlichkeit des Beseitigungsverlangens.

Das Amtsgericht hat mit Beschluß vom 22.2.1996 die Antragsgegner verpflichtet, den Balkon und den Schuppen zu entfernen sowie den ursprünglichen Zustand an der östlichen Fassade wiederherzustellen. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers hat das Landgericht nach mündlicher Verhandlung am 15.5.1997 mit Beschluß vom 20.12.2000 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegner.

II.

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der Entscheidung des Landgerichts und zur Zurückverweisung der Sache an dieses.

1. Das Landgericht hat, teils unter Bezugnahme auf den Beschluß des Amtsgerichts, ausgeführt:

Ein Beseitigungsanspruch sei gegeben. Beide Maßnahmen hätten der Zustimmung sämtlicher Eigentümer bedurft; solche seien jedoch nicht wirksam erteilt worden. Die Antragsgegner könnten sich nicht auf mündlich getroffene Vereinbarungen mit den Rechtsvorgängern des Antragstellers berufen. Dem stehe § 12 Nr. 4 GO entgegen, welcher die konstitutive Wirkung der Protokollierung festschreibe. Ein Verstoß hiergegen bedinge die Unwirksamkeit des Beschlusses, nicht nur dessen Anfechtbarkeit. Darüber hinaus habe die Vereinbarung hinsichtlich des Balkons unter der aufschiebenden Bedingung gestanden, daß auch der der Wohnung des Antragstellers zugehörige Balkon verlängert werden solle. Solches sei aber nicht geschehen. Ferner sei die Zustimmung der weiteren Beteiligten zu den Baumaßnahmen nicht feststellbar. Überdies fehle es überhaupt an einer Beschlußfassung im Rahmen einer Wohnungseigentümerversammlung, so daß für beide bauliche Angelegenheiten Nichtbeschlüsse ohne rechtliche Bindungswirkung vorlägen. Auf die Frage, wann wer über was gesprochen habe und wie die anwesenden Eigentümer verblieben seien, komme es demnach nicht an.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält in der Sache der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die erhobene Verfahrensrüge der Verletzung rechtlichen Gehörs kann deshalb unerörtert bleiben.

a) Beseitigung des Balkons

aa) Die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, daß die Anbringung des Balkons im 2. Stockwerk der Ostfassade eine bauliche Veränderung nach § 22 Abs. 1 WEG darstellt. Bauliche Veränderung ist jede Umgestaltung des Gemeinschaftseigentums in Abweichung vom Zustand gemäß Aufteilungsplan; dazu gehören insbesondere auch Veränderungen an der äußeren Gestaltung des Gebäudes (siehe § 5 Abs. 1 a.E. WEG), also des architektonisch-ästhetischen Bildes wie der farblichen Gestaltung (Müller Praktische Fragen des Wohnungseigentums 3. Aufl. Rn. 229; Palandt/Bassenge BGB 60. Aufl. § 22 WEG Rn. 2). Jedoch ist nach § 22 Abs. 1 Satz 2 WEG die Zustimmung eines Wohnungseigentümers zu solchen Veränderungen nicht, erforderlich, sofern durch die Veränderung dessen Rechte nicht über das in § 14 WEG bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt werden. Der Senat leitet daraus in ständiger Rechtsprechung ab, daß unter Nachteil im Sinne von § 14 Nr. 1 WEG jede nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung, so etwa in Form von Sichtbeeinträchtigung oder Verschattung, zu verstehen ist (BayObLG NJW-RR 1993, 337 m.w.N.; BayObLG ZWE 2000, 575). Die dazu an sich erforderlichen tatsächlichen Feststellungen sind hier deshalb entbehrlich, weil nach § 4 GO zur Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes des Hauses nur die Miteigentümer gemeinsam berechtigt sind. Die Klausel beinhaltet eine zulässige (BayObLG WE 1996, 470; Palandt/Bassenge § 22 WEG Rn. 23; Weitnauer/Lüke WEG 8. Aufl. § 22 Rn. 2) Abbedingung des § 22 Abs. 1 Satz 2 WEG dahingehend, daß Veränderungen im Erscheinungsbild auch ohne Beeinträchtigung eines oder mehrerer Wohnungseigentümer stets der allseitigen Zustimmung bedürfen. Der Maßstab des § 14 Nr. 1 WEG ist in diesem Fall nicht anzulegen.

bb) Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen kommt es aber nicht darauf an, ob die Beteiligten bzw. ihre Rechtsvorgänger in einer Eigentümerversammlung über die bauliche Veränderung beschlossen haben. Dabei kann dahinstehen, ob § 4 GO der Wohnungseigentümerversammlung von vorneherein die Kompetenz nimmt, über Veränderungen im Erscheinungsbild überhaupt zu entscheiden. Denn die notwendige Zustimmung zu baulichen Veränderungen können die Wohnungseigentümer nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit auch in anderer Form als durch Beschluß (BGHZ 79, 196/200 ff. = NJW 1979, 817/819), nämlich in Form einer Vereinbarung nach § 10 Abs. 2 WEG oder auch formfrei erteilen (BayObLGZ 1998, 32/34; BayObLG ZMR 1995, 495/497; BayObLG NJW-RR 1995, 653/654; OLG Hamm WE 1996, 351/352; OLG Karlsruhe NZM 1998, 526; Müller Rn. 231; Palandt/Bassenge § 22 WEG Rn. 14; Röll ZWE 2001, 55/56). Ist dem aber so, kommt es weder darauf an, ob die Zustimmungen innerhalb einer Eigentümerversammlung erteilt wurden (dazu Palandt/Bassenge § 23 WEG Rn. 2), noch darauf, ob die Beschlüsse wegen der fehlenden, jedoch in § 12 Nr. 4 GO als Gültigkeitsvoraussetzung angeordneten Protokollierung nichtig oder nur anfechtbar (so ausdrücklich BGHZ 136, 187/192) sind.

cc) Sofern die Rechtsvorgänger des Antragstellers ihre Zustimmung zur Errichtung des Balkons vorbehaltlos und ohne Verlangen auf Erweiterung des an ihrer eigenen Wohnung befindlichen Balkons mündlich erteilt haben, so bindet dies auch ohne Grundbucheintragung den Antragsteller als Rechtsnachfolger über eine entsprechende Anwendung des § 10 Abs. 3 WEG (OLG Hamm aaO) grundsätzlich nur dann, wenn im Zeitpunkt der Rechtsnachfolge die bauliche Veränderung zumindest teilweise bereits vorgenommen war. Nach dem unzweideutigen, vom Senat verwertbaren Akteninhalt (Keidel/Kahl FGG 14. Aufl. § 27 Rn. 42; BayObLG NJW-RR 1989, 1092) war die Erstellung des Balkons am 22.8.1993 vom Landratsamt bauaufsichtlich genehmigt worden. Es kann davon ausgegangen werden, daß vor der Bekanntgabe der Baugenehmigung mit der Bauausführung nicht begonnen wurde (vgl. § 75 Abs. 5 BayBO), die bauliche Veränderung im Zeitpunkt des Eigentumswechsels auf den Antragsteller also noch nicht vorgenommen war. Deshalb bindet eine Zustimmung der Rechtsvorgänger zur baulichen Veränderung den Antragsteller nicht.

dd) Eine vorbehaltlos zustimmende Erklärung des Antragstellers selbst liegt nicht vor. Dabei kann dahinstehen, ob der Antragsteller im Zusammenhang mit dem Kaufvertragsabschluß am 18.2.1993 oder später am 9.4.1993 (Karfreitag) geäußert hat, unter der Voraussetzung, daß die Antragsgegner seinen eigenen Balkon im 1. Obergeschoß verlängerten, stimme er der Errichtung des Balkons im 2. Stockwerk zu. Denn zur Verlängerung des Balkons kam es nicht. Die Antragsgegner haben überdies erklärt, sich bereits zuvor mit den Rechtsvorgängern vorbehaltlos über die Anbringung des Balkons geeinigt und deshalb das Ansinnen des Antragstellers, den darunter liegenden Balkon zu verlängern, sogleich abgelehnt zu haben. Eine spätere Duldung der baulichen Maßnahme durch den Antragsteller steht der Zustimmung regelmäßig nicht gleich (BayObLGZ 1998, 32; BayObLG Beschluß vom 5.1.2001, 2Z BR 94/00).

ee) Der Senat kann dennoch mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen (§ 12 FGG) nicht abschließend entscheiden. Denn es ist nicht auszuschließen, daß der Antragsteller nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert ist, sein Beseitigungsverlangen durchzusetzen (BayObLG NZM 1998, 980/981; 1999, 33; Beschluß vom 1.2.2001, 2Z BR 105/00; Bärmann/Merle WEG 8. Aufl. § 22 Rn. 237). Beim Abschluß des notariellen Kaufvertrags oder kurz danach wurde in Gegenwart der Antragsgegner unstreitig über den Balkonanbau im 2. Stockwerk gesprochen. Der Antragsteller hat dem zugestimmt unter der Voraussetzung, daß auch sein Balkon im 1. Stockwerk entsprechend den von den Antragsgegnern ursprünglich verfolgten Plänen verlängert werde. Dies haben die Antragsgegner zwar unter Hinweis auf die vorbehaltlose Zustimmung der Rechtsvorgänger abgelehnt. In der Beschwerdeinstanz haben die Antragsgegner dazu jedoch ergänzend vorgetragen, sie hätten im August 1994 dem Antragsteller angeboten, den Balkon in dessen Sondereigentumsbereich zu verlängern, was dieser mit der Begründung abgelehnt habe, dann müsse auch die Wand zu seinem Schlafzimmer aufgerissen werden. War dem so, dann könnte der Geltendmachung des Beseitigungsverlangens der Rechtsgedanke des § 162 Abs. 1 BGB entgegenstehen. Denn der Antragsteller müßte sich an seiner ursprünglichen Erklärung festhalten lassen, sofern nicht das Angebot von August 1994 auf anderen Voraussetzungen beruhte als die ursprüngliche Planung. Der Antragsteller hat die fragliche Besprechung im Sommer 1994 anders geschildert und unter Beweis gestellt, die Antragsgegner hätten die Balkonerweiterung ausdrücklich abgelehnt und ihn - den Antragsteller - an seinen Rechtsanwalt verwiesen. Dem wird das Landgericht nachzugehen haben. Überdies können auch vorhandene Baupläne, zur Aufklärung beitragen, ob das ursprüngliche Vorhaben und der behauptete Vorschlag der Antragsgegner im Sommer 1994 noch als gleichwertig zu erachten sind.

b) Beseitigung des Schuppens

aa) Die Errichtung des massiven Schuppens im Jahre 1994 in einer Größe von rund 95,5 m² auf der Gemeinschaftsfläche ist unabhängig von der Frage optischer Beeinträchtigung eine bauliche Veränderung (§ 22 Abs. 1 Satz 1 WEG; Palandt/Bassenge § 22 WEG Rn. 2), die der Zustimmung sämtlicher Wohnungseigentümer bedarf, weil diese im Mitgebrauch des Gemeinschaftseigentums nicht ganz unerheblich beeinträchtigt werden (BGH NJW 1992, 978/979). Ob die Errichtung des Gebäudes auch von § 4 GO erfaßt wird, kann offen bleiben.

bb) Ein Beschluß der Wohnungseigentümerversammlung über die bauliche Veränderung ist weder erforderlich noch in jedem Falle ausreichend (siehe unter a bb). Vielmehr hängt der Erfolg des Beseitigungsverlangens auch hier davon ab, ob der Antragsteller der Errichtung des Schuppens, ausdrücklich oder konkludent (§ 133 BGB), zugestimmt hat. § 14 GO, der für die Änderung der Teilungserklärung ausdrücklich einen Beschluß aller Eigentümer verlangt, wäre allenfalls dann in Betracht zu ziehen, wenn der Gebrauch der durch den Schuppen beanspruchten Gemeinschaftsfläche sich als Sondernutzung durch die Antragsgegner darstellen würde, die nur in Form einer Vereinbarung geregelt werden kann (Palandt/Bassenge § 15 WEG Rn. 8, 18 und 20). Gerade dies ist aber bislang nicht aufgeklärt; denn die Antragsgegner behaupten, der Antragsteller wie die weiteren Beteiligten hätten zum Schuppen Zugang und würden ihn zum Abstellen von Fahrrädern und sonstigen Gerätschaften mitbenutzen.

cc) Zu der nach dem Eigentümerwechsel vorgenommenen Baumaßnahme haben die Antragsgegner vorgetragen, im Frühjahr 1994 habe neben den weiteren Beteiligten auch der Antragsteller für das Vorhaben mündlich seine Zustimmung erklärt. Sollte eine solche Zustimmung nicht feststellbar sein, wären die Nutzungsverhältnisse an dem Gebäude und insbesondere zu klären, ob der Antragsteller im Besitz eines Schlüssels ist und in diesem eigene Gegenstände unterstellt. Dann könnte § 242 BGB unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens (Palandt/Heinrichs § 242 BGB Rn. 55 ff.) eingreifen.

c) Das Landgericht wird bei seiner Entscheidung auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu befinden haben.

3. Der Geschäftswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird gemäß § 48 Abs. 1 Satz 3 WEG übereinstimmend mit der Wertfestsetzung der Vorinstanzen auf 20.000 DM festgesetzt.

Ende der Entscheidung

Zurück