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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 06.12.2000
Aktenzeichen: 2Z BR 103/00
Rechtsgebiete: WEG, KostO, FGG


Vorschriften:

WEG § 21
WEG § 23 Abs. 4
WEG § 43 Abs. 1 Nr. 4
KostO § 8 Abs. 2
FGG § 12
Ist kurz vor Ablauf der Anfechtungsfrist die Niederschrift über die Versammlung immer noch nicht zugegangen, dürfen vorsorglich alle Eigentümerbeschlüsse angefochten werden.

Im Beschlußanfechtungsverfahren darfdie Fortführung des Verfahrens nicht davon abhängen, daß die Kostenvorschüsse bezahlt werden.

Wegen der Amtsermittlungspflicht darf der Antrag, einen Eigentümerbeschluß für ungültig zu erklären nicht schon deshalb abgewiesen werden, weil er nicht begründet wurde.


BayObLG Beschluß

LG München II - 8 T 4022/99, AG Fürstenfeldbruck UR II 47/98

2Z BR 103/00

06.12.00

BayObLGZ 2000 Nr. 73

Der 2. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Reichold sowie der Richter Demharter und Lorbacher am 6. Dezember 2000 in der Wohnungseigentumssache wegen Ungültigerklärung von Eigentümerbeschlüssen,

beschlossen:

Tenor:

I. Auf die sofortige weitere Beschwerde des Antragstellers werden die Beschlüsse des Landgerichts München II vom 16. August 2000 und des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck vom 21. Juni 1999 aufgehoben.

II. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückverwiesen.

III. Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 20000 DM festgesetzt.

Gründe

I.

Von zwei Nachbargrundstücken ist das eine in Wohnungseigentum, das Erbbaurecht an dem anderen Grundstück in Wohnungserbbaurechte unterteilt.

Dem Antragsteller gehört eine Wohnung in der aus Wohnungseigentumsrechten bestehenden Wohnanlage. Die Antragsgegner sind die übrigen Wohnungseigentümer dieser Wohnanlage und die Wohnungserbbauberechtigten der Wohnanlage auf dem Nachbargrundstück. Die weitere Beteiligte ist die Verwalterin sowohl der Wohnungseigentümer- als auch der Wohnungserbbauberechtigtengemeinschaft.

In der Teilungserklärung der beiden Gemeinschaften ist jeweils übereinstimmend geregelt, dass für bestimmte Abrechnungsposten eine gemeinsame Kostentragungspflicht beider Gemeinschaften besteht.

Am 14.7.1998 fand eine gemeinsame Versammlung sowohl der Wohnungseigentümer als auch der Wohnungserbbauberechtigten statt. In dieser Versammlung wurden verschiedene Beschlüsse gefaßt, unter anderem ein Beschluss über die Genehmigung der Jahresabrechnung 1997. Abgestimmt wurde von den anwesenden oder vertretenen Wohnungseigentümern und Wohnungserbbauberechtigten gemeinsam.

Der Antragsteller hat mit Schreiben vom 5.8.1998 unter Hinweis darauf, dass er noch keine Niederschrift über die Eigentümerversammlung erhalten habe, "Vorab-Einspruch gegen die Beschlüsse der Eigentümerversammlung vom 14.7.1998" eingelegt. Das Amtsgericht hat am 21.6.1999 den Antrag abgewiesen. Das Landgericht hat durch Beschluss vom 16.8.2000 die sofortige Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen. Dagegen richtet sich dessen sofortige weitere Beschwerde.

II.

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der Entscheidungen des Amtsgerichts und des Landgerichts und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.

1. Das Landgericht hat ausgeführt: Ein wirksamer, innerhalb der Monatsfrist eingegangener Antrag auf Ungültigerklärung der erstmals in der Beschwerdeinstanz genannten Eigentümerbeschlüsse liege nicht vor. Dem Antrag könne nach Wortlaut und Sinn nicht zweifelsfrei entnommen werden, dass er sich gegen sämtliche Beschlüsse der Eigentümerversammlung einer bestimmten Wohnungseigentümergemeinschaft richte. Einerseits sollten nach dem Antrag Beschlüsse einer Wohnungseigentümergemeinschaft angefochten werden; andererseits sei aber die Rede von zwei Gemeinschaften, nämlich einer von Wohnungseigentümern und einer von Wohnungserbbauberechtigten. Welcher Gemeinschaft der Antragsteller angehöre, ergebe sich aus dem Antrag nicht. Erst auf Anfrage der Beschwerdekammer habe sich ergeben, dass die Unzulässigkeit gemeinsamer Beschlußfassung von zwei rechtlich eigenständigen Gemeinschaften geltend gemacht werde. Es könne auch nicht angenommen werden, dass der Antragsteller alle gefaßten Beschlüsse habe anfechten wollen; denn er habe verschiedenen Beschlüssen zugestimmt.

2. Die Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Der Antragsteller hat in seinem Antrag vom 5.8.1998 darauf hingewiesen, dass er kurz vor Ablauf der Monatsfrist für die Anfechtung von Eigentümerbeschlüssen (vgl. § 23 Abs. 4 WEG) noch keine Niederschrift über die Versammlung vom 14.7.1998 erhalten habe. Im Hinblick darauf kann kein Zweifel daran bestehen, dass er - vorsorglich - alle in der Versammlung gefaßten Eigentümerbeschlüsse anfechten wollte. Dem steht auch nicht entgegen, dass er einzelnen Beschlüssen zugestimmt hatte. Denn auch für die Anfechtung von Eigentümerbeschlüssen, denen der Anfechtende in der Eigentümerversammlung zugestimmt hat, fehlt nach allgemeiner Meinung das Rechtsschutzbedürfnis nicht (BayObLG NJW-RR 1988, 1168; Bärmann/Pick/Merle WEG 8. Aufl. § 43 Rn. 102). Abgesehen davon ergibt sich aus dem Anfechtungsschreiben nicht, dass der Antragsteller einzelnen Eigentümerbeschlüssen zugestimmt hatte. Dies ergab sich erst im weiteren Verfahren.

Gegen die vorsorgliche Anfechtung aller in einer Eigentümerversammlung gefaßten Beschlüsse bestehen grundsätzlich keine Bedenken, wenn der Grund dafür ist, dass die Niederschrift vom Verwalter nicht rechtzeitig vorgelegt wird (BayObLG NJW-RR 1995, 1167). Aus der Bezeichnung des Anfechtungsschreibens als "Vorab-Einspruch" ergab sich auch, dass zunächst sämtliche Eigentümerbeschlüsse angefochten werden sollten, die Anfechtung aber unter dem Vorbehalt stand, sie nach Eingang der Niederschrift über die Eigentümerversammlung auf bestimmte Beschlüsse zu beschränken. Schließlich hat der Antragsteller alles Erforderliche getan, um bei der gegebenen besonderen Sachlage die betroffene Gemeinschaft hinreichend bestimmt zu bezeichnen. Er hat die Eigentümergemeinschaft unter Angabe der Straßenbezeichnung samt Hausnummern gekennzeichnet und, da es sich um die gemeinsame Beschlußfassung durch zwei rechtlich selbständige Gemeinschaften in einer gemeinsamen Versammlung handelte, beide Gemeinschaften grundbuchmäßig bezeichnet.

Die Entscheidung des Landgerichts kann damit keinen Bestand haben.

b) Dasselbe gilt aber auch für die Entscheidung des Amtsgerichts. Dieses hat die Antragsabweisung damit begründet, dass der Antragsteller trotz förmlicher Aufforderung vom 8.3.1999 und erneuter Aufforderung am 18.5.1999 weder einen Gerichtskostenvorschuß eingezahlt noch seinen Beschlußanfechtungsantrag begründet habe. Dies rechtfertigt die Antragsabweisung nicht.

(1) Nach § 8 Abs. 2 Satz 1 KostO soll das Gericht bei Geschäften, die auf Antrag vorzunehmen sind, die Vornahme des Geschäfts davon abhängig machen, dass der Vorschuß gezahlt oder sichergestellt ist. Dies gilt jedoch unter anderem dann nicht, wenn das Verlangen nach vorheriger Zahlung oder Sicherstellung des Kostenvorschusses "nicht angebracht erscheint" (§ 8 Abs. 2 Satz 2 KostO). § 8 Abs. 2 KostO kommt bei wohnungseigentumsrechtlichen Verfahren zur Anwendung, weil diese einen Antrag voraussetzen (§ 43 Abs. 1 WEG). Wird der eingeforderte Kostenvorschuß nicht gezahlt, rechtfertigt dies grundsätzlich nicht die Zurückweisung des Antrags; vielmehr führt es nur zum Ruhen des Verfahrens (BayObLGZ 1971, 289/292; KG NJW-RR 1998, 370 f.; OLG Düsseldorf NJW-RR 1998, 588; Staudinger/Wenzel § 48 WEG Rn. 7; Bärmann/Pick/Merle WEG 8. Aufl. § 48 Rn. 74; Niedenführ/Schulze WEG 5. Aufl. vor §§ 43 ff. Rn. 128). Eine andere Frage ist im Übrigen, ob bei Nichtzahlung des Kostenvorschusses auch die Zustellung des Antrags an die übrigen Wohnungseigentümer und den Verwalter unterbleiben kann (zweifelnd BayObLG aaO S. 292).

(2) Umstritten ist, ob im Beschlußanfechtungsverfahren andere Grundsätze gelten. Dort besteht nämlich die Besonderheit, dass es bei einem Ruhen des Verfahrens wegen Nichtzahlung des Kostenvorschusses in der Hand des Anfechtenden läge, durch Nichtzahlung die Bestandskraft eines Eigentümerbeschlusses beliebig lang in der Schwebe zu halten. Dies wäre mit dem schützenswerten Interesse der übrigen Wohnungseigentümer, alsbald Klarheit darüber zu erhalten, ob ein Eigentümerbeschluss wirksam bleibt (vgl. BayObLG, OLG Düsseldorf, je aaO), nicht zu vereinbaren. Für das Beschlussanfechtungsverfahren wird daher die Meinung vertreten, dass wegen dieser Besonderheit eine Zurückweisung des Anfechtungsantrags möglich ist, jedenfalls dann, wenn der Antragsteller auf diese Rechtsfolge hingewiesen wurde (Bärmann/Pick/Merle § 48 Rn. 74). Von Niedenführ/Schulze (vor § 43 ff. Rn. 129) wird die Antragsabweisung mit einer "verfahrensrechtlichen Verwirkung des Anfechtungsrechts" für den Fall der Nichtzahlung des geforderten Kostenvorschusses begründet. Nach einer anderen Meinung darf im Beschlußanfechtungsverfahren der Verfahrensfortgang überhaupt nicht von der Einzahlung eines Kostenvorschusses abhängig gemacht werden (Staudinger/Wenzel § 48 Rn. 6, 7). Das Kammergericht hat entschieden, dass dann, wenn die Beschlußanfechtung von dem Anfechtenden über viele Jahre hinweg nicht weiterbetrieben wird, eine Verwirkung des Anfechtungsrechts eintritt, die die Zurückweisung des Antrags rechtfertigt (KG aaO; ebenso OLG Düsseldorf aaO; Niedenführ/Schulze vor §§ 43 ff. Rn. 130).

(3) Der Senat hat in der vorerwähnten Entscheidung, die ein Beschlußanfechtungsverfahren zum Gegenstand hatte, die Möglichkeit einer Antragsabweisung wegen unterbliebener Zahlung des eingeforderten Kostenvorschusses grundsätzlich verneint, weil dafür eine gesetzliche Grundlage erforderlich wäre, die nicht vorhanden ist (BayObLGZ aaO S. 293). Daran hält der Senat fest. Den Besonderheiten des Beschlußanfechtungsverfahrens ist dadurch Rechnung zu tragen, dass dessen Fortgang gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 KostO nicht von der Einzahlung eines Kostenvorschusses abhängig gemacht wird (Staudinger/Wenzel aaO).

Die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Zurückweisung des Anfechtungsantrags mit der Begründung, der Antragsteller habe das Verfahren "über viele Jahre hinweg" nicht weiterbetrieben (vgl. KG, OLG Düsseldorf, je aaO), liegen hier nicht vor. Auch wurde der Antragsteller nicht vorher darauf hingewiesen, dass im Fall der Nichtzahlung des Kostenvorschusses der Antrag abgewiesen werde. Wenn eine Antragsabweisung wegen Nichtzahlung des Kostenvorschusses überhaupt in Erwägung gezogen werden sollte, wäre es wegen der weitreichenden Folgen einer Antragsabweisung jedenfalls unverzichtbar, dass der Antragsteller vorher auf diese Rechtsfolge hingewiesen wird (vgl. Bärmann/Pick/Merle aaO). Einen solchen Hinweis hält auch das Kammergericht (aaO S. 371) für den Fall einer Antragsabweisung wegen Verwirkung des Antragsrechts für erforderlich (vgl. dazu auch BayObLG aaO S. 293).

(4) Die Antragsabweisung durch das Amtsgericht ist auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil der Antragsteller seinen Anfechtungsantrag nicht begründet hat. Denn das Gesetz schreibt eine Begründung nicht vor. Unterbleibt eine solche, dann hat das Gericht aufgrund der geltenden Amtsermittlungspflicht (§ 43 Abs. 1 WEG, § 12 FGG) eine Überprüfung des angefochtenen Eigentümerbeschlusses von Amts wegen vorzunehmen. Im Hinblick auf die bestehenden Mitwirkungspflichten der Beteiligten (vgl. BayObLG NJW-RR 1988, 1170 f.) schwächt sich im Falle einer unterbliebenen Begründung des Antrags die Amtsermittlungspflicht jedoch ab (Weitnauer/Hauger WEG 8. Aufl. Anh. zu § 43 Rn. 21); sie hat sich nicht auf die für den Antragsteller günstigen Tatsachen zu erstrecken, sofern angenommen werden kann, dass diese im Fall einer Begründung von ihm vorgetragen worden wären.

3. Da bisher weder vom Amtsgericht noch vom Landgericht in eine Sachprüfung der angefochtenen Eigentümerbeschlüsse eingetreten wurde, erscheint es dem Senat geboten, die Sache unter Aufhebung der Entscheidungen des Amtsgerichts und des Landgerichts an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird auch über die Kosten des Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird gemäß § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG auf 20000 DM festgesetzt. Dabei legt der Senat der Geschäftswertfestsetzung die angefochtenen Eigentümerbeschlüsse zugrunde. Im wesentlichen handelt es sich dabei um die Genehmigung der Jahresabrechnung 1997 mit Gesamtausgaben von etwa 150000 DM.

4. Für das weitere Verfahren wird darauf hingewiesen, dass eine gemeinsame Abstimmung und Beschlußfassung von zwei rechtlich selbständigen Gemeinschaften in einer Versammlung grundsätzlich nicht ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht (BayObLG ZMR 2000, 780). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass nach der Teilungserklärung beider Gemeinschaften hinsichtlich einzelner Abrechnungsposten eine gemeinsame Kostentragungspflicht der Wohnungseigentümer und Wohnungserbbauberechtigten der beiden Gemeinschaften besteht.

Sofern die Bestimmungen des Gesetzes oder der Teilungserklärung über die Umlegung von Kosten durch einen Eigentümerbeschluss abgeändert worden sein sollten, wäre ein solcher Eigentümerbeschluss nach der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nichtig (NJW 2000, 3500).

Ende der Entscheidung

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