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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 10.11.2004
Aktenzeichen: 2Z BR 109/04
Rechtsgebiete: WEG


Vorschriften:

WEG § 25
Soweit durch Gemeinschaftsordnung oder Eigentümerbeschluss nichts anderes geregelt ist, kann der Leiter einer Wohnungseigentümerversammlung das tatsächliche Ergebnis einer Abstimmung grundsätzlich auch dadurch feststellen, dass er bereits nach der Abstimmung über zwei von drei - auf Zustimmung, Ablehnung oder Enthaltung gerichteten - Abstimmungsfragen die Zahl der noch nicht abgegebenen Stimmen als Ergebnis der dritten Abstimmungsfrage wertet. Besonderer organisatorischer Maßnahmen zur exakten Feststellung des Mehrheitswillens, also Feststellung der anwesenden und vertretenen Wohnungseigentümer und deren Stimmkraft sowie der genauen Zahl der abgegebenen Ja- und Nein-Stimmen und der Enthaltungen, bedarf es nur dann nicht, wenn eindeutige Verhältnisse und klare Mehrheiten vorliegen.
Gründe:

I.

Der Antragsteller und die Antragsgegner sind die Wohnungseigentümer einer Wohnanlage, die jedenfalls bis 7.6.2002 vom Beteiligten zu 1 verwaltet wurde.

In der Eigentümerversammlung vom 7.6.2002 wurde über die Jahresabrechnung 2001 (Tagesordnungspunkt = TOP 3), den Wirtschaftsplan 2001 (TOP 4), die Bestätigung der in der vorhergehenden Eigentümerversammlung zu den Jahresabrechnungen 1995 bis 2000 gefassten Eigentümerbeschlüsse (TOP 8) und die Bestellung mit sofortiger Wirkung der weiteren Beteiligten zu 2 zur Verwalterin anstelle des weiteren Beteiligten zu 1 (TOP 9) abgestimmt. Über das Abstimmungsergebnis enthält das Protokoll hinsichtlich der Eigentümerbeschlüsse, die für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Bedeutung sind, den Vermerk:

TOP 4: einstimmig angenommen

TOP 9: mehrheitlich angenommen.

Der Antragsteller hat beim Amtsgericht beantragt, die genannten Eigentümerbeschlüsse für ungültig zu erklären. Mit Beschluss vom 6.5.2003 hat das Amtsgericht die Eigentümerbeschlüsse zu TOP 3 und TOP 8 für ungültig erklärt; im Übrigen hat es die Anträge abgewiesen. Gegen diesen Beschluss haben der Antragsteller und die Antragsgegner zu 1 sofortige Beschwerde eingelegt und zunächst beantragt, die Eigentümerbeschlüsse zu TOP 4 und TOP 9 für ungültig zu erklären und die Verfahrenskosten dem Beteiligten zu 1 aufzuerlegen. In der mündlichen Verhandlung vom 23.3.2004 erklärten die Beteiligten im Hinblick auf die zwischenzeitlich beschlossene Jahresabrechnung für 2002 den Antrag auf Ungültigerklärung des Eigentümerbeschlusses zu TOP 4 übereinstimmend für erledigt. Das Landgericht hat am 1.4.2004 den Beschluss des Amtsgerichts dahingehend abgeändert, dass auch der Eigentümerbeschluss zu TOP 9 für ungültig erklärt wurde. Von den Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens hat es 45 % dem Antragsteller und 55 % den Antragsgegnern zu 2 auferlegt; von der Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten hat es abgesehen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegner zu 1, mit der sie beantragen, dem weiteren Beteiligten zu 1 die Gerichtskosten und ihre außergerichtlichen Verfahrenskosten aufzuerlegen. Auch die Antragsgegner zu 2 haben sofortige weitere Beschwerde eingelegt; sie beantragen, den Beschluss des Landgerichts dahin abzuändern, dass der Antrag auf Ungültigerklärung des Eigentümerbeschlusses zu TOP 9 abgewiesen wird. Der Antragsteller beantragt, die gerichtlichen und außergerichtlichen Verfahrenskosten der weiteren Beteiligten zu 2 aufzuerlegen.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegner zu 2 ist unbegründet; in dem Kostenausspruch ist die Entscheidung des Landgerichts aber abzuändern.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

a) Der Eigentümerbeschluss zu TOP 9 sei für ungültig zu erklären, weil das Abstimmungsergebnis zu diesem Tagesordnungspunkt vom Versammlungsleiter nicht fehlerfrei ermittelt worden sei. Das Amtsgericht habe über den Abstimmungsvorgang mehrere Zeugen vernommen; deren Aussagen über die Mehrheitsverhältnisse bei der Abstimmung widersprächen sich zum Teil erheblich. Nach Sachlage hätten deshalb die abgegebenen Ja- und Nein-Stimmen sowie die Stimmenthaltungen genau ausgezählt werden müssen. Die Feststellung, der Beschluss sei mehrheitlich angenommen worden, habe nicht genügt.

b) Die Kostenentscheidung beruhe auf § 47 WEG. Soweit die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt worden sei, seien die Gerichtskosten hälftig zu teilen. Maßgeblich hierfür sei, dass die Frage, ob der Wirtschaftsplan ordnungsmäßiger Verwaltung entspreche, nicht habe geklärt werden können. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten werde nicht angeordnet. Insbesondere sei der Verwalter nicht mit solchen Kosten zu belasten. Nur beim Vorliegen besonderer Umstände komme eine derartige Kostenverteilung in Frage. Regelmäßig sei dafür ein besonders grober Verstoß des Verwalters gegen seine Pflichten erforderlich. Hier habe es der Verwalter zwar unterlassen, ein exaktes Beschlussergebnis zu ermitteln, weil von einer eindeutigen Mehrheit der Stimmen für die Annahme des Beschlussantrags zu TOP 4 nicht ausgegangen werden könne. Anhaltspunkte für ein vorsätzliches Verhalten des Verwalters lägen aber nicht vor.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung zum Teil stand.

a) Der Eigentümerbeschluss zu TOP 9 ist vom Landgericht zu Recht für ungültig erklärt worden, weil das Abstimmungsergebnis über den zugrunde liegenden Beschlussantrag nicht fehlerfrei ermittelt worden ist.

Die Ermittlung der Zahl der zu einem Beschlussantrag von den Wohnungseigentümern abgegebenen Ja- und Nein-Stimmen sowie der Stimmenthaltungen ist Aufgabe des Leiters der Eigentümerversammlung; sie ist Grundlage der ihm ebenfalls - nach Prüfung der Gültigkeit der Stimmen - obliegenden Feststellung des Abstimmungsergebnisses, das wiederum nach rechtlicher Beurteilung durch den Versammlungsleiter zur Feststellung und Verkündung des Beschlussergebnisses führt (BGH NZM 2002, 992 ff.). Fehlt es, wie im vorliegenden Fall, an Regeln zur Ermittlung des tatsächlichen Ergebnisses der Abstimmung, wie sie sich aus der Gemeinschaftsordnung oder einem Eigentümerbeschluss ergeben können, bedarf es nur dann organisatorischer Maßnahmen zur exakten Feststellung des Mehrheitswillens, also Feststellung der anwesenden und vertretenen Wohnungseigentümer und deren Stimmkraft sowie der genauen Zahl der abgegebenen Ja- und Nein-Stimmen sowie der Enthaltungen nicht, wenn eindeutige Verhältnisse und klare Mehrheiten vorliegen. Nach der Rechtsprechung (BGH NZM 2002, 992 ff.; BayObLGZ 2002, 221 ff.) kann sich der Versammlungsleiter beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen insbesondere der Subtraktionsmethode bedienen, also bereits nach der Abstimmung über zwei von drei - auf Zustimmung, Ablehnung oder Enthaltung gerichteten - Abstimmungsfragen die Zahl der noch nicht abgegebenen Stimmen als Ergebnis der dritten Abstimmungsfrage werten.

Hier wurden vom weiteren Beteiligten zu 1 weder die Ja- noch die Nein-Stimmen noch die Enthaltungen ausgezählt. Das Landgericht kommt unter Würdigung der vom Amtsgericht vernommenen Zeugen zu dem Ergebnis, dass zweifelhaft ist, wie die Mehrheitsverhältnisse bei der Abstimmung zu TOP 9 waren. Das Landgericht hat diese Feststellungen rechtsfehlerfrei getroffen; sie sind damit für das Rechtsbeschwerdegericht bindend (§ 27 Abs. 1 Satz 2 FGG, § 559 ZPO). Da vom Vorliegen objektiver Zweifel auszugehen ist, ist unerheblich, dass die Abstimmungsverhältnisse, wie die Antragsgegner zu 2 mit der Rechtsbeschwerde vortragen, aus der Sicht des Versammlungsleiters "völlig eindeutig und klar" waren. Auch ist bezüglich der vom weiteren Beteiligten zu 1 im Rechtsbeschwerdeverfahren vorgelegten Berechnungen hinsichtlich der abgegebenen Stimmen zu bemerken, dass es nicht Sinn des Beschlussanfechtungsverfahrens sein kann, durch eine unverhältnismäßige Beweisaufnahme im Nachhinein eine Klärung der Frage zu versuchen, ob ein Beschlussantrag eine Stimmenmehrheit gefunden hat, wenn der Versammlungsleiter - wie hier - von einer hinreichend verlässlichen Ermittlung des tatsächlichen Abstimmungsergebnisses abgesehen hat.

Bei Zweifeln an den Mehrheitsverhältnissen ist davon auszugehen, dass der Versammlungsleiter zu Unrecht festgestellt hat: "mehrheitlich angenommen" (vgl. BGH NZM 2002, 992/995).

b) Die Kostenentscheidung hinsichtlich des übereinstimmend für erledigt erklärten Verfahrensgegenstands (TOP 4) hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

(1) Nach übereinstimmender Erledigterklärung des Antrags auf Ungültigerklärung des Eigentümerbeschlusses zu TOP 4 hatte das Gericht noch über die gesamten Kosten des Verfahrens hinsichtlich dieses Verfahrensgegenstands gemäß § 47 WEG zu entscheiden. Bei der zu treffenden Ermessensentscheidung wird in der Regel der voraussichtliche Ausgang des Verfahrens ohne Hauptsacheerledigung zu berücksichtigen sein. Eine Beweisaufnahme zur weiteren Sachverhaltsaufklärung ist ausgeschlossen (BayObLG WE 1993, 284).

(2) Bei der in Wohnungseigentumssachen nach billigem Ermessen zu treffenden Kostenentscheidung ist grundsätzlich auch ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch eines Beteiligten zu berücksichtigen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die materielle Rechtslage hinsichtlich eines Kostenerstattungsanspruchs nicht abschließend beurteilt werden kann und deshalb die Berücksichtigung eines etwaigen Kostenerstattungsanspruchs bei der Kostenentscheidung ausdrücklich abgelehnt wird (BayObLG NJW-RR 2003, 80 f.). Hier entspricht es hinsichtlich des Verfahrensgegenstands zu TOP 4 billigem Ermessen, die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten der Verfahren beim Amtsgericht und beim Landgericht dem weiteren Beteiligten zu 1 aufzuerlegen. Er hat als Verwalter das Anfechtungsverfahren bezüglich dieses Tagesordnungspunktes schuldhaft veranlasst. Nach den das Rechtsbeschwerdegericht bindenden Feststellungen des Landgerichts steht nämlich fest, dass TOP 4 nicht, wie protokolliert, einstimmig angenommen worden ist. Es wäre Sache des Verwalters gewesen, durch eine exakte Ermittlung des Abstimmungsergebnisses Zweifel über das Ergebnis der Abstimmung gar nicht erst aufkommen zu lassen und das Risiko einer Anfechtung zu vermeiden. Es wäre unbillig, die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten, die wegen Verletzung seiner Vertragspflichten durch den Verwalter gemäß §§ 675, 276 BGB schuldhaft entstanden sind, dem Antragsteller oder den Antragsgegnern aufzubürden (vgl. BGH NJW 1998, 755 f.).

c) Die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten der Verfahren beim Amtsgericht und beim Landgericht hinsichtlich des Antrags auf Ungültigerklärung des Eigentümerbeschlusses zu TOP 9 sind aus den gleichen Gründen dem weiteren Beteiligten zu 1 aufzuerlegen.

3. Die Kostenentscheidung für das Rechtsbeschwerdeverfahren beruht auf § 47 WEG.

Die Geschäftswertfestsetzung beruht auf § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG.

Der Einzelgeschäftswert für die Anfechtung von TOP 9 beträgt 15.000 EURO. Maßgebend ist die Vergütung des Verwalters während der Amtszeit (vgl. Palandt/Bassenge BGB 63. Aufl. § 48 Rn. 14).

Für die Geschäftswertfestsetzung im Rechtsbeschwerdeverfahren hinsichtlich des übereinstimmend erklärten Verfahrensgegenstands (TOP 4) sind die gesamten bis zur Hauptsacheerledigung angefallenen Kosten maßgebend.

Ende der Entscheidung

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