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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 17.01.2003
Aktenzeichen: 2Z BR 130/02
Rechtsgebiete: FGG, WEG


Vorschriften:

FGG § 22 Abs. 2
WEG § 23 Abs. 4
WEG § 24 Abs. 6
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Anfechtungsfrist des § 23 Abs. 4 WEG ist zu gewähren, sofern innerhalb der Anfechtungsfrist das Protokoll über die Eigentümerversammlung noch aussteht.
Gründe:

I.

Die Beteiligten sind die Wohnungseigentümer einer Wohnanlage, die von dem Antragsgegner zu 2 verwaltet wird.

Am 14.12.2001 fand eine Eigentümerversammlung statt. Die Eigentümer fassten zu TOP 8.4 folgenden Beschluss:

"Es bedarf keiner weiteren Vorlage der schon abgerechneten Jahre 1999 bis 2001, da die Unterlagen für in Ordnung befunden worden waren und die Hausverwaltung entlastet wurde."

Die Antragstellerin hatte die Eigentümerversammlung bereits vor der Beschlussfassung über diesen Tagesordnungspunkt verlassen.

Mit Einschreiben/Rückschein vom 12.1.2002 an den Verwalter legte die Antragstellerin gegen sämtliche in der Eigentümerversammlung vom 14.12.2001 gefassten Beschlüsse "Widerspruch" ein. Der Einschreibebrief kam mit dem Vermerk "nicht abgeholt" an die Antragstellerin zurück. In der Folgezeit wandte sich der Sohn der Antragstellerin mehrfach an den Verwalter, um eine Protokollabschrift zu erhalten. Unter anderem monierte er auf einem Überweisungsträger vom 29.1.2002, dass das Protokoll über die Versammlung nicht vorliege. Außerdem sprach er den Verwalter zwei- oder dreimal persönlich darauf an, wann die Antragstellerin das vollständige Protokoll erhalte. Das Protokoll ging der Antragstellerin am 10.6.2002 zu.

Mit Schriftsatz vom 20.6.2002, beim Amtsgericht eingegangen am 21.6.2002, hat die Antragstellerin beantragt, den Beschluss der Eigentümerversammlung vom 14.12.2001 zu TOP 8.4 für ungültig zu erklären. Gleichzeitig hat sie unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung ihres Sohnes Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 13.8.2002 der Antragstellerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 30.10.2002 zurückgewiesen. Mit ihrer sofortigen weiteren Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren Antrag auf Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand weiter.

II.

Das zulässige Rechtsmittel ist begründet.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Die Antragstellerin treffe an der Fristversäumung zumindest ein Mitverschulden. Es bestehe keine Verpflichtung des Verwalters, ein Versammlungsprotokoll zu übersenden. Die Antragstellerin hätte sich deshalb nach den gefassten Beschlüssen erkundigen müssen.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Grundsätzlich kann der verspätete Zugang einer Niederschrift über eine Wohnungseigentümerversammlung die Versäumung der Frist des § 23 Abs. 4 Satz 2 WEG nicht entschuldigen, weil der Verwalter vorbehaltlich einer anderweitigen Regelung zur Übersendung einer Niederschrift nicht verpflichtet ist.

Es ist vielmehr Sache des anfechtungswilligen Wohnungseigentümers, sich durch Einsicht in die Niederschrift gemäß § 24 Abs. 6 WEG Kenntnis über die gefassten Beschlüsse zu verschaffen (ständige Rechtsprechung des Senats, z.B. NJW-RR 1991, 976; Beschluss des Senats vom 7.11.2002 - 2Z BR 97/02). Ein zu vertretendes Verschulden der Antragstellerin stellt es außerdem dar, dass sie ihren "Widerspruch" vom 12.1.2002 nicht an das Amtsgericht, sondern an den Verwalter gerichtet hat.

b) Im vorliegenden Fall besteht jedoch die Besonderheit, dass die Antragstellerin aus objektiven Gründen an einer Wahrung der Anfechtungsfrist gehindert war. Liegt ein Verschulden im Sinne des § 22 Abs. 2 FGG, § 233 ZPO vor, so kann Wiedereinsetzung gleichwohl gewährt werden, wenn glaubhaft gemacht ist, dass sich das Verschulden nicht auf die Fristversäumung ausgewirkt haben kann (BGH NJW 2000, 3649/3650; KG ZMR 2002, 548 ff.; Thomas/Putzo ZPO 24. Aufl. § 233 Rn. 14).

Die Antragstellerin war hier aus objektiven Gründen gehindert, den Antrag auf Ungültigerklärung innerhalb der Frist des § 23 Abs. 4 Satz 2 WEG zu stellen.

Ein objektives Hindernis für die Fristwahrung stellt es dar, wenn die Niederschrift innerhalb der Frist des § 23 Abs. 4 Satz 2 WEG noch gar nicht vorliegt (KG ZMR 2002, 548), da die Niederschrift auch der Information über Inhalt und Zustandekommen von Beschlüssen und damit der Vorbereitung einer etwaigen Beschlussanfechtung dient (BayObLGZ 1974, 86/89). Auf mündliche Auskünfte, insbesondere solche von anderen Versammlungsteilnehmern, muss sich der Wohnungseigentümer nicht verlassen (KG ZMR 2002, 548/549). Wann das Protokoll tatsächlich fertiggestellt wurde, lässt sich dem Akteninhalt nicht entnehmen. Die Niederschrift trägt nur das Versammlungsdatum, nicht aber das Fertigstellungsdatum. Die Antragsgegner einschließlich des Verwalters haben sich hierzu in den Tatsacheninstanzen nicht erklärt. Erst im Rechtsbeschwerdeverfahren behaupten die Antragsgegner, bei entsprechenden Bemühungen der Antragstellerin wäre auch während des Krankenhausaufenthalts des Verwalters eine Einsicht in die Niederschrift möglich gewesen, ohne jedoch das Fertigstellungsdatum zu nennen. Von der Antragstellerin kann eine entsprechende Erklärung nicht erwartet werden, da sie hiervon keine Kenntnis haben kann. Da die Antragsgegner jedoch selbst vorgetragen haben, dass der Verwalter schwer krank ist und sich zu Anfang des Jahres 2002 ins Krankenhaus begeben musste, ist es naheliegend, dass das Protokoll bei Ablauf der Anfechtungsfrist noch nicht vorlag. Hierfür spricht auch, dass sich nach der glaubhaften eidesstattlichen Versicherung des Sohnes der Antragstellerin der Verwalter nie darauf berufen hat, er müsse keine Niederschrift übersenden, und auch nie Einsicht in das Protokoll angeboten hat, sondern das Protokoll dann letztlich doch der Antragstellerin zugesandt hat.

Selbst wenn das Protokoll noch innerhalb der Anfechtungsfrist fertig gestellt worden sein sollte, träfe die Antragstellerin aus objektiver Sicht an der Fristversäumung kein Verschulden. Die Antragstellerin hätte nämlich selbst bei entsprechenden Bemühungen den Verwalter zur Einsichtnahme in die Niederschrift nicht erreichen können. Dies ergibt sich aus dem Vortrag der Antragsgegner, dass sich der Verwalter im Krankenhaus befunden habe sowie aus dem Vermerk der Post, dass das Einschreiben/Rückschein am 24.1.2002 noch nicht abgeholt war. Die Antragstellerin hat sich auch nach der glaubhaften eidesstattlichen Versicherung ihres Sohnes durch diesen weiterhin bemüht, Kenntnis vom Protokoll zu erhalten. Dass der Sohn der Antragstellerin dabei die Übersendung eines Protokolls angefordert hat und nicht Einsichtnahme in dasselbe begehrt hat, ist unschädlich. Hätte nämlich das Protokoll vorgelegen und der Sohn der Antragstellerin die Übersendung moniert, so wäre vom Verwalter nach Treu und Glauben zu erwarten gewesen, dass er die Versendung abgelehnt und auf die Möglichkeit der Einsichtnahme hingewiesen hätte. Wenn der Verwalter stattdessen dem Sohn der Antragstellerin keine Antwort gibt oder ihn vertröstet, so kann daraus, dass Übersendung statt Einsicht begehrt wird, kein Verschulden abgeleitet werden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Verwalter am 7.6.2002 die Übersendung des Protokolls zugesagt und dann auch vorgenommen hat.

Eine Anfechtung von Beschlüssen ins Blaue hinein, ohne zuverlässige Kenntnis von deren Inhalt, ist dem Wohnungseigentümer nicht zuzumuten (KG ZMR 2002, 548/549).

3. Gerichtskosten fallen für das Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahren nach § 131 Abs. 1 KostO nicht an, so dass hierüber nicht zu entscheiden ist (BayObLG WE 1994, 244). Die außergerichtlichen Kosten für das Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahren hat der weitere Beteiligte zu erstatten (§ 47 Satz 2 WEG). Die Wohnungseigentümer haben ihm gegenüber einen materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruch, weil er es unter schuldhafter Verletzung des Verwaltervertrages jedenfalls unterlassen hat, der Antragstellerin auf ihre wiederholten Anfragen Auskunft über die gefassten Eigentümerbeschlüsse zu erteilen. Dieser Anspruch ist bei der Kostenentscheidung zu berücksichtigen (BayObLG NZM 2003, 30 f.). Über die Kosten erster Instanz ist zusammen mit der Hauptsache zu entscheiden (Staudinger/ Wenzel WEG 12. Aufl. § 47 Rn. 3).

Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG.

Ende der Entscheidung

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