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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 28.02.2002
Aktenzeichen: 2Z BR 141/01
Rechtsgebiete: WEG


Vorschriften:

WEG § 14 Nr. 1
WEG § 15
Sieht die Gemeinschaftsordnung die Nutzung von Wohnungs- und Teileigentum ohne Beschränkung zu, so kann berufsbedingtes Musizieren nicht per Hausordnung untersagt werden.
Beschluss 2Z BR 141/01 28.02.02

Gründe:

I.

Die Antragsteller und die Antragsgegner sind die Wohnungs- und Teileigentümer einer großstädtischen Wohnanlage, die aus mehr als 200 Einheiten besteht. Sie wird von der weiteren Beteiligten verwaltet. In § 6 (2) Gemeinschaftsordnung (GO) ist bestimmt, dass Wohnungs- und Teileigentumseinheiten nicht zum Zwecke der Unzucht genutzt werden dürfen, sonstige Nutzungsbeschränkungen nicht bestehen, auch künftig keine weiteren Benutzungsbeschränkungen beschlossen und die Wohnungen sowohl beliebig gewerblich als auch zur Ausübung eines freien Berufs (z.B. Arzt, Anwalt) genutzt werden können. Die Hausordnung legt eine allgemeine Hausruhe von 13.00 bis 15.00 Uhr und von 22.00 bis 7.00 Uhr fest. Bohren und Hämmern ist werktags nach 20.00 Uhr und an Sonn- und Feiertagen generell verboten; die allgemeine Sonn- und Feiertagsruhe ist zu beachten. Bei Radio und Fernsehen ist stets die Zimmerlautstärke zu beachten.

Unter Tagesordnungspunkt (TOP) II. 3. wurde in der als Zweitversammlung abgehaltenen Wohnungseigentümerversammlung vom 28.7.1999 über die Ergänzung der Hausordnung in drei Punkten, so über folgenden die Hausruhe betreffenden Zusatz abgestimmt:

Musizieren ist nicht länger als eine Stunde vor- und eine Stunde nachmittags bis abends 20.00 Uhr gestattet.

Im Protokoll ist unter Aufführung der nach Miteigentumsanteilen berechneten Nein- und Ja-Stimmen festgehalten, dass der Antrag mehrheitlich angenommen wurde.

Der Antragsteller hat beantragt, verschiedene Beschlüsse der Eigentümerversammlung (Wohngeldabrechnung 1998, Entlastung der Verwaltung für das Wirtschaftsjahr 1998, Wirtschaftsplan 1999, Ergänzung der Hausordnung) für ungültig zu erklären. Das Amtsgericht hat dem Antrag am 11.9.2000 nur hinsichtlich des Beschlusses zur Hausordnung entsprochen. Auf die sofortigen Beschwerden des Antragstellers und der Antragsgegner hat das Landgericht am 6.8.2001 den Beschluss des Amtsgerichts aufgehoben, die Eigentümerbeschlüsse zur Jahresabrechnung 1998 und zur Verwalterentlastung für das Wirtschaftsjahr 1998 für ungültig erklärt sowie im übrigen die Anträge und die sofortigen Beschwerden zurückgewiesen. Wegen Erledigung nicht mehr streitgegenständlich ist der Beschluss über den Wirtschaftsplan 1999. Die Gerichtskosten beider Instanzen hat das Landgericht den Antragsgegnern auferlegt und von einer Erstattung außergerichtlicher Kosten abgesehen. Mit der sofortigen weiteren Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Ziel, den Beschluss der Eigentümerversammlung vom 28.7.1999 zur Ergänzung der Hausordnung für ungültig zu erklären, weiter.

II.

Das Rechtsmittel hat, soweit die Hausordnung um eine Regelung über die Zulässigkeit des Musizierens ergänzt wurde, Erfolg.

1. Das Landgericht hat, soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Bedeutung, ausgeführt:

Der Beschluss über die Ergänzung der Hausordnung hinsichtlich des Musizierens sei formell wirksam zustande gekommen. Aus dem Protokoll ergebe sich eine Mehrheit für den Beschluss. Fehler bei der Protokollierung oder bei der Durchführung der Abstimmung seien nicht ersichtlich. Die Versammlung sei als Eventualversammlung auch Beschlussfähig gewesen. Von einer ordnungsgemäßen Einladung sei auszugehen. Inhaltlich entspreche der angegriffene Beschluss ordnungsmäßiger Verwaltung; er bewege sich innerhalb des der Eigentümergemeinschaft zustehenden Gestaltungsspielraums. Die Eigentümergemeinschaft dürfe das musizieren einer zeitlichen Beschränkung unterwerfen; es sei auch möglich, bestimmte Ruhezeiten für das Musizieren festzulegen. Die Grenze sei dort zu ziehen, wo der Beschluss entweder ein völliges Musizierverbot oder eine dem praktisch, gleichzusetzende Reglementierung enthalte. Denn das Musizieren innerhalb der eigenen Wohnung sei Bestandteil eines sozialtypischen Verhaltens und Element der Zweckbestimmung der Wohnanlage. Der Beschluss beachte diese Grenze. Die Regelung sei auch bestimmt genug. Musizieren in Zimmerlautstärke erfasse die Regelung gar nicht. Sie betreffe nur Geräusche, die aus einer Wohnung nach außen dringen, also ein Musizieren über Zimmerlautstärke hinaus. Die Zeit, in der solchermaßen musiziert werden könne, ergebe sich aus dem Gesamtzusammenhang der Regelung. Diese komme insgesamt einem Musizierverbot nicht gleich und beachte angesichts der festgelegten Hausruhezeiten auch die Belange von Berufstätigen.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung letztlich nicht stand. Dabei bedarf es keines Eingehens auf die auch in der Beschwerdeschrift angeschnittene Frage, ob der Beschluss zur Änderung der Hausordnung formell ordnungsgemäß zustande gekommen ist, insbesondere die im Protokoll vermerkte Mehrheit tatsächlich gefunden hat. Die fragliche Bestimmung der Hausordnung ist nämlich inhaltlich unzulässig, weil sie dem durch die Gemeinschaftsordnung als vorrangige Regelung (siehe § 10 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 15 Abs. 1 und 2 WEG) geprägten Charakter der Wohnanlage nicht Rechnung trägt.

a) Der Senat kann den angefochtenen Eigentümerbeschluss selbst auslegen, ohne auf eine begrenzte Nachprüfung der Auslegung durch den Tatrichter verwiesen zu sein. Denn der Beschluss enthält als Teil der Hausordnung Regelungen, die auch für einen Sondernachfolger im Wohnungseigentum gelten sollen. Der Beschluss wirkt für einen Sondernachfolger auch ohne Eintragung in das Grundbuch wie Grundbucherklärungen für und gegen ihn (§ 10 Abs. 3 und 4 WEG). Der Beschluss ist deshalb "aus sich, heraus" objektiv und normativ auszulegen. Umstände außerhalb des protokollierten Beschlusses dürfen nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles für jedermann ohne weiteres erkennbar sind, z.B. weil sie sich aus dem - übrigen - Versammlungsprotokoll ergeben (BGHZ 139, 288/291 ff.; BayObLG WE 1991, 50; Beschluss vom 13.12.2001, 2Z BR 156/01).

b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 139, 288) wie des Senats (BayObLGZ 1985, 104; 2001, 232) liegt es grundsätzlich im Ermessensspielraum der Wohnungseigentümer, allgemeine Ruhezeiten durch Beschluss festzulegen (§ 21 Abs. 3, § 23 Abs. 1 WEG). Die Grenze ist nach Treu und Glauben dort zu ziehen, wo der Beschluss entweder ein völliges Musizierverbot oder eine dem praktisch gleichzusetzende Reglementierung enthält. Denn das musizieren innerhalb der eigenen vier Wände ist Bestandteil eines sozialüblichen Verhaltens und Element der Zweckbestimmung einer Wohnanlage. Es darf auf bestimmte Zeiten und einen bestimmten Umfang beschränkt, jedoch nicht insgesamt verboten werden (BGHZ 139, 288/293 f. m. w. N.).

c) Die beschlossene Fassung der Hausordnung mag dem zwar im Ansatz Rechnung tragen. So verbietet sie nach ihrer nächstliegenden Bedeutung nicht ein Musizieren in Zimmerlautstärke (siehe BGHZ 139, 288/294 f.; BayObLGZ 2001, 232/234). Sie erlaubt ein Musizieren, das mit darüber hinausgehender Geräuschentwicklung verbunden ist, vormittags zwischen 7.00 und 13.00 Uhr sowie nachmittags zwischen 15.00 und 20.00 Uhr. Dies folgt aus der generellen Ruhezeitregelung sowie der speziellen zeitlichen Beschränkung abendlichen Musizierens. Musizieren an Sonn- und Feiertagen (siehe dazu BayObLG NJWE Mietrecht 1996, 12) ist, anders als Bohren und Hämmern, keinen weitergehenden Beschränkungen unterworfen.

d) Die Regelung ist aber schon deshalb für ungültig zu erklären, weil sie nicht ausreichend den besonderen Gegebenheiten der Wohnanlage Rechnung trägt. Nach § 6 (2) GO bestehen für die Wohnungen keine Benutzungsbeschränkurigen. Vielmehr können sie im Grundsatz beliebig gewerblich und auch zur Ausübung eines freien Berufes genutzt werden. Die in der GO enthaltene Aufzählung erlaubter Berufstätigkeiten ist nicht abschließend und bezweckt nach ihrer nächstliegenden Bedeutung auch nicht eine Beschränkung auf Nutzungen, die ihrer Natur nach nur Geräuschentwicklungen in Zimmerlautstärke verursachen. Öffentlich-rechtliche Beschränkungen, die der freien Umwandlung von Wohn- in Gewerberaum und umgekehrt entgegenstehen, spielen in diesem Zusammenhang keine Rolle (vgl. auch KG WE 1992, 110.). Beim Zuschnitt der aus mehr als 200 Wohn- und Büroeinheiten bestehenden Anlage ist es nicht fernliegend, dass ein Sondereigentum auch von Personen genutzt wird, die professionell musizieren, sei es, dass sie die Räume zu privatem Musikunterricht nutzen, sei es, dass sie als (ausgebildete oder noch studierende) Berufsmusiker in ihrer Wohnung üben. Für diesen Personenkreis kann jedenfalls schon wegen der vorrangigen Regelungen der Gemeinschaftsordnung das Musizieren durch die Hausordnung in der nun beschlossenen Form nicht beschränkt werden. Eine einengende Auslegung der Hausordnung ist aus den unter a) genannten Gründen hier nicht möglich. Insbesondere ist es nicht ohne weiteres für jedermann ersichtlich, dass die Wohnungseigentümer auf der Grundlage der Gemeinschaftsordnung die maßgebliche Regelung in der Hausordnung nur auf eine private Wohnraumnutzung, also auf ein Musizieren als Freizeitbeschäftigung, hätten beschränken wollen. Dem widerspricht im übrigen auch ihr Sachvortrag.

e) Der Senat sieht sich insoweit in Übereinstimmung mit seiner bisherigen Rechtsprechung. In dem Beschluss vom 28.3.1985 (BayObLGZ 1985, 104/109) hat er ausgeführt, dass der Rahmen ordnungsmäßigen Gebrauchs (§ 15 Abs. 2 WEG) nicht von den wechselnden Bedürfnissen der jeweiligen Bewohner der Wohnungen abhängig gemacht werden könne, weil dies die Sicherheit und Vorausberechenbarkeit in den Rechtsbeziehungen der Wohnungseigentümer untereinander in nicht hinnehmbarer Weise beeinträchtigen würde. Gleichzeitig hat der Senat aber auch klargestellt, dass anderes gilt, wenn die Wohnungseigentümer durch Vereinbarung einen besonderen Gebrauch der Wohnung, etwa für die Ausübung des Berufs eines Musiklehrers, gestattet hätten (§ 15 Abs. 1 WEG). Eine solche Vereinbarung ist hier in § 6 (2) GO zu sehen. Diese Nutzungsregelung erlaubt insbesondere auch nicht eine Unterscheidung in störende und nicht störende berufliche Betätigungen innerhalb der Wohnanlage. In seinem Beschluss vom 2.5.1985 (WÜM 1985, 233; siehe auch Müller Praktische Fragen des Wohnungseigentums 3. Aufl. Rn. 214 bei Fn. 411) hat der Senat eine Hausordnung für unwirksam erachtet, die keine differenzierende Regelung für Teileigentümer enthielt, die zulässigerweise ein zwangsläufig mit Lärm verbundenes Gewerbe in der Wohnanlage betreiben. Umgekehrt kann es der in der Teilungserklärung festgelegte besondere Zweck der Wohnanlage, z.B. als Seniorenwohnanlage bei Ausschluss größeren Publikumsverkehrs, mit sich bringen, dass die Hausordnung dem gesteigerten Ruhebedürfnis der Bewohner etwa durch ein Verbot stationärer, ortsgebundener Klimageräte Rechnung trägt (siehe BayObLG WuM 2001, 403). ob angesichts der hier generell eröffneten Möglichkeit, Wohnungseigentum beliebig gewerblich und freiberuflich zu nutzen, eine Beschränkung ausschließlich privaten Musizierens im getroffenen Ausmaß ordnungsmäßiger Verwaltung (§ 15 Abs. 2 WEG) entspräche, braucht der Senat nicht zu entscheiden.

f) Bei Teilunwirksamkeit eines Eigentümerbeschlusses findet § 139 BGB entsprechend Anwendung (BGHZ 139, 297 f.; BayObLGZ 1985, 171/176). Soweit die Wohnungseigentümer mit der Regelung zum Musizieren die Bestimmungen zur Hausruhe ergänzt haben, kann sicher davon ausgegangen werden, dass die übrigen Bestimmungen, etwa die zur allgemeinen Hausruhe während der Nachtzeit, welche schon bisher galten, auch ohne die zusätzliche neue Regelung Bestand behalten sollen. Ebenso spricht nichts dafür, dass mit der Ungültigerklärung der Regelung zum Musizieren auch weitere im gleichen Eigentümerbeschluss getroffene Ergänzungen der Hausordnung in anderen Punkten (Halten von Tieren, Geruchsbelästigung durch Grillen) hinfällig sein sollen. Insoweit bleibt der Beschluss zu TOP II. 3. wirksam. Weil der Anfechtungsantrag auch die weiteren im gleichen Eigentümerbeschluss getroffenen Ergänzungen umfasst, hat der Senat die insoweit unbeschränkte Rechtsbeschwerde im übrigen zurückgewiesen. Es fehlt dazu nämlich jeglicher vom Beschwerdeführer im Rahmen seiner Darlegungslast (siehe BGH NJW 2001, 1212/1214) zu liefernde Anhaltspunkt, weshalb jene weiteren Ergänzungen der Hausordnung inhaltlich ebenfalls unzulässig sein sollen.

3. Es erscheint nach § 47 WEG angemessen, den unterlegenen Antragsgegnern als Gesamtschuldnern die Gerichtskosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens aufzuerlegen, von einer Erstattung außergerichtlicher Kosten jedoch mit Rücksicht auf die unterschiedlichen Instanzentscheidungen abzusehen.

Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren ist gemäß § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG mit 2500 EUR angemessen zu bewerten.

Ende der Entscheidung

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