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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 09.10.2002
Aktenzeichen: 2Z BR 146/02
Rechtsgebiete: BGB, SGB XI


Vorschriften:

BGB § 1835 Abs. 1 Satz 1
BGB § 1835 Abs. 4 Satz 1
BGB § 1836 Abs. 1 Satz 2
BGB § 1836 Abs. 2 Satz 1
BGB § 1836a
SGB XI § 75 Abs. 2
Der Betreuer muß den Betreuten nicht zu Terminen bei Fachärzten und Optikern begleiten, wenn das Pflegeheim Begleitpersonal für Arztbesuche stellt.
Gründe:

I.

Für den mittellosen und in einem Pflegeheim lebenden Betroffenen besteht seit Jahren eine umfassende Betreuung. Anlässlich eines Betreuerwechsels bestellte das Amtsgericht am 5.2.2001 einen Berufsbetreuer für ihn mit den Aufgabenkreisen Aufenthaltsbestimmung, Entscheidung über Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen, Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge sowie Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern. Mit Beschluss vom 13.2.2002 setzte das Amtsgericht für den Zeitraum 22.6.2001 bis 20.12.2001 die dem Betreuer aus der Staatskasse zu erstattende Vergütung und den Aufwendungsersatz in Höhe von 1527,62 EUR fest. In dieser Summe waren Beträge für die Begleitung des Betroffenen zu Fachärzten und zu einem Optiker enthalten.

Das Landgericht hat auf die sofortige Beschwerde der Staatskasse den amtsgerichtlichen Beschluss dahingehend abgeändert, dass der Erstattungsbetrag unter Abzug dieser Beträge auf 1337,02 EUR festgesetzt wird, und hat die sofortige weitere Beschwerde gegen diesen Beschluss zugelassen.

Der Betreuer wendet sich gegen den landgerichtlichen Beschluss mit seinem Rechtsmittel, mit welchem er eine Festsetzung von Vergütung und Aufwendungsersatz entsprechend dem amtsgerichtlichen Beschluss erreichen will.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig, insbesondere vom Landgericht zugelassen (vgl. § 56g Abs. 5 Satz 2 FGG) und form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass tatsächliche Hilfeleistungen des Betreuers für den Betreuten, wie die Begleitung zu Ärzten und Optikern, grundsätzlich nicht zu dessen Aufgabenkreis gehörten. Die Betreuertätigkeit sei eine rechtsfürsorgerische Tätigkeit, die zwar die Organisation notwendiger Hilfsmaßnahmen umfasse, nicht aber die rein tatsächliche Hilfeleistung, welche zu den allgemeinen Aufgaben der Lebensführung des Betroffenen gehöre und damit grundsätzlich nicht vergütungsfähig sei. Ein Ausnahmefall sei nur dann gegeben, wenn die notwendigen Hilfeleistungen durch Dritte nicht zu erlangen seien und nicht von einem anderen Kostenträger übernommen werden müssten. Das Pflegeheim, in welchem der Betroffene untergebracht sei, sei nach den Regelungen des Rahmenvertrages gemäß § 75 Abs. 2 SGB XI dazu verpflichtet, Personal für die Begleitung des Betroffenen zu den Ärzten und zum Optiker abzustellen. Zwar sei das Heim- und Pflegepersonal zu einer zwangsweisen Vorführung des Betroffenen nicht berechtigt, doch gelte dies auch für den Betreuer. Zu ersetzen seien aber ein fiktiver Zeitaufwand und fiktive Telefonauslagen für fernmündliche Rücksprachen mit den behandelnden Ärzten.

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) stand.

a) Wird ein Berufsbetreuer zum Zweck der Führung der Betreuung, das heißt mit dem Ziel der Erfüllung seiner Aufgaben, im Interesse des Betroffenen tätig, setzt sein Anspruch auf Vergütung (§ 1908i Abs. 1 Satz 1, § 1836 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 und 2, § 1836a BGB, § 1 BVormVG) bzw. Aufwendungsersatz (§ 1835 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 BGB) grundsätzlich voraus, dass die fragliche Tätigkeit in den ihm übertragenen Aufgabenkreis fällt und er die Tätigkeit aus seiner Sicht nach den Umständen des Einzelfalles für erforderlich halten durfte (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 BVormVG, § 670 BGB; st. Rspr., vgl. BayObLGZ 2001, 324/325 m. w. N.). Die Betreuung ist, wie schon die Überschrift "Rechtliche Betreuung" des Zweiten Titels des Vierten Buches des BGB zeigt, rechtsfürsorgerische Tätigkeit; sie ist ihrem Wesen nach bürgerlich-rechtlich geregelte gesetzliche Vertretung, nicht persönliche Pflegeleistung und Hilfe (vgl. BayObLGZ 1998, 44/45). Sie umfasst alle Tätigkeiten, die erforderlich sind, um die Angelegenheiten des Betreuten rechtlich zu besorgen (§ 1901 Abs. 1 BGB).

Rein tatsächliche Hilfe- oder Pflegeleistungen sind keine rechtsfürsorgerische Tätigkeit. Der Betreuer hat sie demnach grundsätzlich nicht zu erbringen, er ist lediglich für die Organisation dieser tatsächlichen Hilfsmaßnahmen verantwortlich, soweit sie erforderlich sind. Daraus folgt, dass in der Regel rein tatsächliche Hilfeleistungen nicht zum Aufgabenkreis des Betreuers gehören und damit auch nicht vergütungsfähig sind (vgl. LG Koblenz FamRZ 1998, 495/496 und FamRZ 2002, 845/846; Jürgens BtR 2. Aufl. § 1836 BGB Rn. 10; Palandt/Diederichsen BGB 61. Aufl. § 1901 Rn. 1). So hat die Rechtsprechung eine Vergütung für die Begleitung bei Einkäufen (vgl. BayObLG FamRZ 1999, 463; LG Koblenz FamRZ 1998, 495/496; LG Mainz JurBüro 1999, 603) oder bei Arztbesuchen (vgl. LG Koblenz aaO; LG Mainz-aaO), für die Teilnahme an Elternabenden (vgl. LG Mainz aaO) oder Ausflügen (vgl. BayobLG FamRZ 1999, 463/464), für das Wegbringen von Überweisungen sowie für das Abholen von Kontoauszügen (vgl. AG Betzdorf FamRZ 2001, 1242) versagt.

Die Betreuung soll aber auch unter Schaffung eines Vertrauensverhältnisses zwischen Betroffenem und Betreuer geführt werden; dies setzt, wie der Wortlaut des § 1897 Abs. 1 BGB zeigt, im vorgegebenen Rahmen eine gewisse persönliche Betreuung voraus, die auf die Wünsche und Vorstellungen des Betreuten Rücksicht nimmt. Deshalb kommt eine Ausnahme von dem genannten Grundsatz in Betracht, wenn der Betreute auf tatsächliche Hilfe angewiesen ist und entweder staatliche oder private Organisationen die notwendigen Hilfsmaßnahmen nicht anbieten oder die Hilfeleistung durch den Betreuer mit wesentlich geringerem Aufwand erledigt werden kann. Dann kann die Herstellung und Pflege des persönlichen Vertrauensverhältnisses zwischen Betreutem und Betreuer im Einzelfall die Vornahme tatsächlicher Hilfeleistungen im Rahmen des dem Betreuer übertragenen Aufgabenkreises rechtfertigen oder gebieten mit der Folge, dass der Betreuer eine Vergütung für derartige Handlungen verlangen kann (vgl. OLG Zweibrücken BtPrax 2000, 86/87 für die Hilfe beim Umzug des Betreuten).

Ist dem Betreuer auch der Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge übertragen, gehört zu seinen Aufgaben die Sicherstellung und Kontrolle der ärztlichen Behandlung sowie der Befolgung der ärztlichen Anweisungen und Ratschläge. In diesem Bereich kommt der gesetzlichen Nebenpflicht des § 1901 Abs. 4 BGB besondere Bedeutung zu. Nach dieser Vorschrift hat der Betreuer innerhalb des ihm übertragenen Aufgabenkreises dazu beizutragen, dass Möglichkeiten genutzt werden, die Krankheit oder Behinderung des Betreuten zu beseitigen, zu bessern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern. Dies kann im Einzelfall auch die Teilnahme des Betreuers an für die Diagnose und Entscheidung über die weitere Behandlung wichtigen Arztbesuchen rechtfertigen.

b) Hier kann dahinstehen, ob die Begleitung des Betreuten zu Ärzten und zum Optiker ausnahmsweise zu den Aufgaben des Betreuers zählte oder nicht. Denn der Betreuer durfte die Begleitung im Zeitpunkt ihrer Vornahme (vgl. LG Mainz JurBüro 1999, 603/604) nicht für erforderlich halten.

Nach den Regelungen des Rahmenvertrages gemäß § 75 Abs. 2 SGB XI, der auch für das Heim gilt, in welchem der Betreute lebt, gehört die Begleitung von Pflegebedürftigen zu Optikern, Ärzten, Sanitätshäusern oder Bekleidungs- und Schuhgeschäften zu den Regelleistungen des Heimes, die mit dem allgemeinen Vergütungssatz abgegolten und vom Heim zu erbringen sind. Von einem Berufsbetreuer kann eine rationelle und professionelle Besorgung (vgl. AG Betzdorf FamRZ 2001, 1242; LG Koblenz FamRZ 2002, 845) der ihm übertragenen Aufgaben erwartet werden. Es war daher zunächst seine Aufgabe, organisatorisch darauf hinzuwirken, dass die Hilfe dieses kostengünstigeren Heimpersonals in Anspruch genommen wurde (vgl. LG Koblenz FamRZ 1998, 495/496 und FamRZ 2002, 845/846). Erst wenn ein derartiger Versuch aufgrund des Verhaltens des Betreuten fehlgeschlagen wäre, hätte der Betreuer möglicherweise eine eigene Begleitung für erforderlich halten dürfen (vgl. hierzu BayObLG FamRZ 1999, 463). Der Betreuer hat zwar ausgeführt, dass der Betreute bisher in starrköpfiger Weise Arztbesuche generell abgelehnt habe, bei auftretenden Problemen während der Termine durch den Betreuer keine Entscheidung getroffen werden könne und eine Besprechung der weiteren Vorgehensweise bei der Behandlung nicht möglich sei. Diese allgemeinen Angaben ohne konkreten Bezug zur Behandlungssituation genügen aber nicht, um für den Einzelfall ein Abweichen von der Regel zu rechtfertigen. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Betreute im übrigen zu einer Röntgenuntersuchung mit dem Pflegepersonal ohne weiteres mitgegangen. Es ist daher nicht ersichtlich, warum er etwa einen Besuch beim Optiker hätte ablehnen sollen.

Es ist in diesem Zusammenhang unerheblich, dass dem Betreuer in einem früheren Abrechnungszeitraum eine Fahrt mit dem Betreuten zu einem Kieferchirurgen ersetzt worden ist. Einen Vertrauensschutz in die generelle Erstattungsfähigkeit von bestimmten Betreuungsgeschäften kann es - schon wegen der unterschiedlichen Gestaltung des Einzelfalles - nicht geben (a. A. LG Mainz JurBüro 1990, 603/604).

Ende der Entscheidung

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