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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 08.06.2005
Aktenzeichen: 2Z BR 157/04
Rechtsgebiete: GVG, WEG, ZPO


Vorschriften:

GVG § 17a
WEG § 43
ZPO § 579
1. Hat anstelle des an sich zuständigen Prozessgerichts das Wohnungseigentumsgericht als Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit entschieden, ist die Entscheidung anfechtbar, aber nicht nichtig.

2. Gleiches gilt, wenn im Wohnungseigentumsverfahren eine Entscheidung gegen einen Beteiligten ergangen ist, der nicht verfahrensfähig ist.


Gründe:

I.

Der Antragsteller ist Eigentümer eines Reihenhauses, das über die Antragsgegner, die Wohnungs- und Teileigentümer einer Wohnanlage sind, mit Heizenergie und Warmwasser versorgt wird. Im vorausgehenden Verfahren machten die Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller Rückstände aus den Jahresabrechnungen 1998 bis 2000 geltend. Mit Beschluss des Amtsgerichts - Wohnungseigentumsgericht - vom 15.4.2002 wurde der Antragsteller verpflichtet, an die Antragsgegner 1.312,38 EUR nebst Zinsen ab Zustellung zu zahlen. Ferner wurde beschlossen, dass der jetzige Antragsteller und damalige Antragsgegner die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten zu tragen hat. Durch Kostenfestsetzungsbeschluss vom 12.6.2002 wurden die aufgrund der Entscheidung vom 15.4.2002 zu erstattenden Kosten auf 414,85 EUR festgesetzt. Gegen keine der beiden Entscheidungen wurde ein Rechtsmittel eingelegt.

Der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers hält den Beschluss des Amtsgerichts - Wohnungseigentumsgericht - vom 15.4.2002 für nichtig, da anstelle des an sich zuständigen Prozessgerichts das Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit entschieden habe. Darüber hinaus sei der jetzige Antragsteller bereits damals geschäfts- und prozessunfähig gewesen. Das Gericht im vorausgehenden Verfahren hätte aufgrund der vom damals anwaltlich nicht vertretenden Antragsteller eingereichten Schriftsätze Anlass gehabt, dies zu überprüfen. Zudem hätte der Antragsteller nachgewiesen, dass er zu 100 % schwerbehindert sei.

Der Antragsteller hat beim Amtsgericht beantragt, festzustellen, dass die Beschlüsse vom 15.4.2002 und vom 12.6.2002 "wirkungslos" sind. Er hat ferner beantragt, den Antragsgegnern gesamtverbindlich die Kosten dieses Verfahrens, die Kosten des vorangegangenen Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Zwangsvollstreckung und der Abwehr hiergegen aufzuerlegen. Das Amtsgericht - Wohnungseigentumsgericht -hat den Antrag durch Beschluss vom 26.3.2004 als unzulässig zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung hat der Antragsteller sofortige Beschwerde eingelegt, mit der er in erster Linie eine Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und die Verweisung an das Amtsgericht - Prozessgericht - begehrt hat, hilfsweise eine Entscheidung gemäß den früher gestellten Anträgen. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde insgesamt zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Antragstellers.

Während des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Antragsteller den Hauptsachebetrag von 1.312,38 EUR bezahlt.

II.

Das Rechtsmittel ist nicht begründet.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Die im Hauptsacheantrag begehrte Verweisung an das Prozessgericht könne in der Beschwerdeinstanz entsprechend § 17a Abs.5 GVG nicht mehr erfolgen. Durch die Entscheidung über den Feststellungsantrag habe das Amtsgericht stillschweigend seine Zuständigkeit als Wohnungseigentumsgericht bejaht. Der Antragsteller habe trotz der Bezeichnung der Beteiligten als "Kläger" und "Beklagte" die Verfahrenszuständigkeit des Erstgerichts nicht gerügt. Die lediglich "vorsorgliche" Stellung eines Verweisungsantrags stelle keine Rüge dar.

Der hilfsweise gestellte Feststellungsantrag sei zwar entgegen der Auffassung des Erstgerichts zulässig. Er sei aber letztlich nicht begründet. Der Beschluss des Amtsgerichts vom 15.4.2002 sowie der Kostenfestsetzungsbeschluss seien nicht wirkungslos. Das Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit habe hier zwar trotz Zuständigkeit des Prozessgerichts zur Sache entschieden. Diese Entscheidung sei aber in Rechtskraft erwachsen und nicht nichtig. Das Verfahren in Wohnungseigentumssachen sei ohnehin ein sog. echtes Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit und dem Verfahren nach der Zivilprozessordnung vielfach angenähert. Auch wenn der Feststellungsantrag entgegen der Auffassung des Amtsgerichts nicht unzulässig, sondern unbegründet sei, müsse es wegen des Verbots der Schlechterstellung bei der erstgerichtlichen Entscheidung bleiben.

2. Das zulässige Rechtsmittel hat im Ergebnis keinen Erfolg.

a) Der Senat behandelt die Rechtsbeschwerde als zulässig.

aa) Das Rechtsmittel ist nicht deswegen als unzulässig zu verwerfen, weil der Antragsteller möglicherweise nicht verfahrensfähig ist. Zwar ist die Verfahrens- bzw. Prozessfähigkeit Voraussetzung für die Wirksamkeit von Prozesshandlungen (Zimmermann in Keidel/Kuntze/Winkler FGG 15. Aufl. § 13 Rn. 44), zu denen auch die Einlegung von Rechtsmitteln gehört. Die Rechtsbeschwerde kann aber deswegen als zulässig behandelt werden, weil jedenfalls in Antragsverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ebenso wie im Zivilprozess der Grundsatz gilt, dass eine prozessunfähige Partei als prozessfähig gilt, bis ihre Prozessunfähigkeit festgestellt ist (BayObLGZ 1966, 261/263). Einem verfahrensunfähigen Beteiligten ist es daher möglich, eine zulässige Rechtsbeschwerde mit der Behauptung einzulegen, die Vorinstanzen hätten seine fehlende Verfahrensfähigkeit übersehen. Der Senat hat insoweit daher keinen Anlass, im gegebenen Zusammenhang Erhebungen zur Frage der Geschäfts- bzw. Verfahrensfähigkeit des Antragstellers durchzuführen.

bb) Die Rechtsbeschwerde ist nicht nachträglich durch die Zahlung des Hauptsachebetrages unzulässig geworden. Als allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzung für jedes Rechtsmittel muss zwar die Beschwer noch zum Zeitpunkt der Entscheidung gegeben sein; ihr Wegfall macht das Rechtsmittel unzulässig (BGH NJW-RR 2004, 1365; Meyer-Holz in Keidel/Kuntze/Winkler § 27 Rn.51). Die Zahlung des Hauptsachebetrags stellt aber hier kein erledigendes Ereignis dar. Das Interesse des Rechtsbeschwerdeführers besteht schon deswegen fort, da nach wie vor die Nebenforderungen sowie die Kosten des Verfahrens, einschließlich der Vollstreckungskosten offen sind. Der Senat geht insoweit davon aus, dass der Beschwerdewert von 750 EUR (§ 45 Abs. 1 WEG) erreicht ist.

b) Die Vorinstanzen haben es unterlassen, zu prüfen, ob der Feststellungsantrag bereits deswegen unzulässig ist, weil der Antragsteller nicht verfahrensfähig ist.

Entsprechend der Prozessfähigkeit im Zivilprozess ist im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit die Verfahrensfähigkeit die Fähigkeit, Verfahrenshandlungen selbst oder durch einen selbst bestellten Vertreter wirksam vor- oder entgegenzunehmen (Bassenge/Herbst/Roth FGG 10. Aufl. Einl. Rn. 34). Soweit eine formelle Antragsstellung an das Gericht in Frage kommt, müssen geschäftsunfähige und in der Geschäftsfähigkeit beschränkte Personen durch ihre gesetzlichen Vertreter vertreten sein (Zimmermann in Keidel/Kuntze/Winkler § 13 Rn. 33).

Solange die gesetzliche Vertretung eines verfahrensunfähigen Beteiligten nicht sichergestellt ist, sind von ihm gestellte Anträge in Wohnungseigentumssachen ebenso unzulässig wie im allgemeinen Zivilverfahren. Der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers hat nunmehr zwar ausdrücklich behauptet, dieser sei nicht geschäftsfähig. Weshalb bei dem volljährigen Antragsteller tatsächlich eine die freie Willensbestimmung auch nur partiell ausschließende krankhafte Störung der Geistestätigkeit (vgl. § 104 Nr. 2 BGB) vorliegen soll, hat er aber nicht näher dargelegt. Die Tatsache einer Schwerbehinderung rechtfertigt für sich allein genommen jedenfalls die Annahme der Geschäftsunfähigkeit nicht.

Die Tatsacheninstanzen hätten zwar aufgrund des Vorbringens, bereits im vorausgehenden Verfahren sei die fehlende Verfahrensfähigkeit des Antragstellers übersehen worden, Anlass gehabt, von Amts wegen im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung Feststellungen zur Geschäfts- und Verfahrensfähigkeit des Antragstellers zu treffen. Der Senat kann hier aber ausnahmsweise davon absehen, die Frage der Verfahrensfähigkeit des Antragstellers einer Klärung zuzuführen, da es darauf letztlich nicht ankommt. Denn bereits das Amtsgericht hat den Antrag, wenn auch mit anderer Begründung, als unzulässig abgewiesen. Das Landgericht sah sich wegen des Verbots der Schlechterstellung an einer Abänderung dieser Entscheidung im Sinne einer Abweisung des Antrags als unbegründet gehindert. Auch wenn der Antragsteller tatsächlich nicht verfahrensfähig sein sollte, käme eine Aufhebung der Beschwerdeentscheidung also nicht in Betracht, da sich am Ergebnis nichts ändern würde.

c) Auch inhaltlich kommt eine Abänderung der getroffenen Entscheidung nicht in Betracht. Soweit das Landgericht Ausführungen macht, halten diese einer rechtlichen Nachprüfung stand. Auch im Übrigen muss es letztlich bei der getroffenen Entscheidung sein Bewenden haben.

aa) Zutreffend hat das Landgericht die im Beschwerdeverfahren beantragte Verweisung der Sache an das Prozessgericht abgelehnt. § 17a GVG gilt entsprechend für das Verhältnis von Prozessgericht zu Wohnungseigentumsgericht. Wegen § 17a Abs.5 GVG hatte das Beschwerdegericht nicht zu prüfen, ob der Rechtsweg zu den Gerichten der freiwilligen Gerichtsbarkeit eröffnet ist (BayObLGZ 2002, 82/84 f.; BayObLG WE 2004, 494). Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht auch einen Verstoß des Erstgerichts gegen § 17a Abs.3 Satz 2 GVG verneint (vgl. Hüßtege in Thomas/Putzo ZPO 26.Aufl. § 17a GVG Rn.24). Der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers hat beim Amtsgericht lediglich "vorsorglich" Verweisung an das Prozessgericht beantragt. Dies stellt keine Rüge nach § 17a Abs.3 Satz 2 GVG dar.

bb) Zu Recht geht das Landgericht auch davon aus, dass der Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses des Amtsgerichts vom 15.4.2002 sowie des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 12.6.2002 unbegründet ist.

Zwar war das Amtsgericht - Wohnungseigentumsgericht - zur Entscheidung über den ursprünglich von den Antragsgegnern gestellten Antrag nicht zuständig, da die Voraussetzungen des § 43 Abs.1 WEG nicht vorlagen. Insbesondere war nicht einmal behauptet worden, der Antragsteller sei Mitglied der Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses führt aber nicht zur Nichtigkeit. Entscheidungen, die unter Verletzung von Vorschriften zustande gekommen sind, können zwar angefochten werden, sie erwachsen aber, sofern kein zulässiges Rechtsmittel eingelegt wird, als staatliche Hoheitsakte grundsätzlich in Rechtskraft. Ausnahmen gelten nur für sog. Nichturteile oder nichtige Urteile (vgl. Reichold in Thomas/Putzo vor § 300 Rn.11 ff.). Ein solches ist hier jedoch nicht gegeben. Entscheidet anstelle des an sich zuständigen Prozessgerichts ein Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist die Entscheidung anfechtbar, aber nicht nichtig (Zöller/Vollkommer ZPO 25.Aufl. Vor § 300 Rn.15; Zimmermann in Keidel/Kuntze/Winkler § 7 Rn.24 a f.; Bassenge/Herbst/Roth § 1 Rn.9; Niedenführ/Schulze WEG 7.Aufl. vor §§ 43 ff. Rn.7).

Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 26.1.1959 (II ZR 119/57 - BGHZ 29, 223), der für einen Fall, in dem der Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit über ein streitiges Rechtsverhältnis entschieden hatte, zur Nichtigkeit dieser Entscheidung gelangt, bezieht sich ausdrücklich auf das Dispacheverfahren (§§ 149 ff. FGG) und ist insbesondere auf das Verfahren in Wohnungseigentumssachen als sog. streitigen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht übertragbar. Nach der Neufassung der §§ 17 ff. GVG durch das Vierte Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 17.12.1990, BGBl. I 2809, deren Rechtsgrundsätze nach allgemeiner Meinung auch für die Abgrenzung zwischen ordentlicher streitiger Gerichtsbarkeit und freiwilliger Gerichtsbarkeit gelten (vgl. Zöller/Gummer Vor §§ 17- 17b GVG Rn.11), kann eine Nichtigkeit einer durch das unzuständige Gericht erlassenen Entscheidung nicht mehr angenommen werden.

cc) Soweit der Antragsteller sich auch für das Vorverfahren auf seine angeblich fehlende Geschäfts- und Verfahrensfähigkeit beruft, vermag dieses Vorbringen seinen Antrag ebenfalls nicht zu begründen. Denn eine etwaige Verfahrensunfähigkeit des Antragstellers würde nicht zur Nichtigkeit der Entscheidungen vom 15.4.2002 bzw. 12.6.2002 führen. Vielmehr wäre allenfalls ein Wiederaufnahmeantrag in Form eines Nichtigkeitsantrags nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO denkbar (vgl. Zöller/Vollkommer § 56 Rn. 15). § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO entspricht § 547 Nr. 4 ZPO (vgl. Reichold in Thomas/Putzo ZPO 26. Aufl. § 579 Rn. 2) und betrifft insbesondere auch Fälle, in denen eine nicht prozessfähige Partei nicht vertreten war (Zöller/Greger § 579 Rn. 6). Einen derartigen Antrag hat der Antragsteller, wie er im Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten an das Amtsgericht vom 2.4.2004 und erneut im Rechtsbeschwerdeverfahren klargestellt hat, aber gerade nicht gestellt. Für eine anderweitige Auslegung bleibt daher kein Raum. Dies gilt umso mehr, als Gegenstand der weiteren Beschwerde nur ein Verfahrensgegenstand sein kann, über den die Vorinstanz entschieden hat. Ein neuer, den Verfahrensgegenstand ändernder Sachantrag ist ebenso unzulässig wie eine Erweiterung des Verfahrensgegenstands (Meyer-Holz in Keidel/Kuntze/Winkler § 28 Rn. 3).

Ob der Antragsteller in einem gesonderten Verfahren mit Aussicht auf Erfolg einen Nichtigkeitsantrag stellen kann, braucht hier nicht entschieden zu werden.

3. Es entspricht der Billigkeit, dem in allen Rechtszügen unterlegenen Antragssteller nicht nur die gerichtlichen, sondern auch die außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen (§ 47 WEG). Eine etwaige Verfahrensunfähigkeit würde insoweit nichts ändern.

Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 48 Abs.3 Satz 1 WEG.

Ende der Entscheidung

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