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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 15.12.2004
Aktenzeichen: 2Z BR 183/04
Rechtsgebiete: BGB, WEG


Vorschriften:

BGB § 242
WEG § 22 Abs. 1
WEG § 23 Abs. 1
WEG § 23 Abs. 4
Im Einzelfall kann das für die Verwirkung eines Beseitungsanspruchs erforderliche Umstandsmoment darin zu sehen sein, dass ein Wohnungseigentümer trotz eines die Beseitigung der baulichen Veränderung ablehnenden Beschlusses der Wohnungseigentümer erst mehr als 3 1/2 Jahre später die Beseitigung gerichtlich durchzusetzen versucht. Inhalt und Reichweite des Negativbeschlusses (Sperrwirkung) können in diesem Fall dahinstehen.
Gründe:

I.

Die Antragsteller, die Antragsgegner und die weiteren Beteiligten sind die Wohnungseigentümer einer aus sechs Wohnungen bestehenden Anlage. Die Antragsgegner versahen vor einigen Jahren die Balkone ihrer Wohnungen Nr. 3 und Nr. 4 mit einer Komplettverglasung (so genannte Einhausung), ohne dass der Verwalter die nach der Gemeinschaftsordnung (§ 7 Abs. 1) erforderliche Zustimmung erteilt hatte oder Genehmigungsbeschlüsse der Eigentümerversammlung vorlagen.

In der Eigentümerversammlung vom 30.10.1998 wurde ein Antrag, die Balkonverglasungen der Wohnungen Nr. 3 und 4 umgehend zu entfernen, mehrheitlich abgelehnt. Der Beschluss blieb unangefochten.

Die Antragsteller haben am 12.7.2002, soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch bedeutsam, beantragt, die Antragsgegner zu verpflichten, die angebrachten Balkonverglasungen zu entfernen. Das Amtsgericht hat dem Antrag in seinem Beschluss von 31.3.2003 entsprochen und die Gerichtskosten den Antragsgegnern und den weiteren Beteiligten auferlegt. Das Landgericht hat auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegner am 18.3.2004 den Beschluss des Amtsgerichts in der Sache aufgehoben und den Beseitigungsantrag abgewiesen. Die Kostenentscheidung des Amtsgerichts hat es nicht abgeändert. Gegen den Beschluss des Landgerichts richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragsteller.

II.

Das Rechtsmittel hat in der Hauptsache keinen Erfolg. Lediglich der Kostenausspruch des Amtsgerichts ist hinsichtlich der gerichtlichen Kosten dem Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten anzupassen.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Die Beseitigungsanträge seien verwirkt. Die Verglasungen seien zwar ohne die notwendige Zustimmung des Verwalters vorgenommen worden. Sie seien auch nicht nachträglich durch die Eigentümergemeinschaft genehmigt worden. Jedenfalls beinhalte der Beschluss der Eigentümerversammlung vom 30.10.1998 keine konkludente Genehmigung. Gleichwohl könnten die Antragsgegner aufgrund des langen Zeitablaufs und besonderer Gegebenheiten darauf vertrauen, dass es bei der Verglasung verbleiben dürfe. Die bauliche Maßnahme sei 1991 vorgenommen worden. Bis zum gerichtlichen Antrag seien ca. 11 Jahre vergangen. 1998 sei der Antrag auf Beseitigung abgelehnt worden, was die Antragsteller widerspruchslos hingenommen hätten. Dies habe einen Vertrauenstatbestand geschaffen, auf den sich die Antragsgegner verlassen könnten. Jener nicht nichtige Beschluss aus dem Jahr 1998 sei auch geeignet gewesen, ein entsprechendes Vertrauen zu erzeugen. Verstärkt werde das Vertrauen noch insofern, als es den Antragstellern weniger um die Beseitigung der Verglasung als um die Veränderung des Abrechnungsschlüssels bei den Heizkosten gegangen sei. Dies folge aus der Beweisaufnahme zum Ablauf der Eigentümerversammlung im Jahr 1998.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

a) Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Balkonverglasungen als bauliche Veränderungen (siehe BayObLG WE 1998, 276; BayObLG NJW-RR 1993, 337; Niedenführ/Schulze WEG 7. Aufl. § 22 Rn. 9 Stichwort "Balkon") nach § 7 Abs. 1 der Gemeinschaftsordnung nur mit schriftlicher Zustimmung des Verwalters hätten angebracht werden dürfen. Das Erfordernis der Verwalterzustimmung bedeutet gegenüber § 22 Abs. 1 WEG eine Erschwerung (vgl. Niedenführ/Schulze § 22 Rn. 33). Weil die Zustimmung des Verwalters fehlt und auch ein Mehrheitsbeschluss über die Genehmigung der baulichen Veränderung nicht herbeigeführt ist, hat grundsätzlich jeder einzelne Wohnungseigentümer, auch die Antragsteller, aus § 1004 Abs. 1 BGB, § 15 Abs. 3 WEG einen individuellen Beseitigungsanspruch gegen jeden anderen Wohnungseigentümer, der durch die Errichtung eines nicht genehmigten Anbaus gegen die Gemeinschaftsordnung verstößt.

b) Das Landgericht hat den die Beseitigung der Verglasung ablehnenden Beschluss vom 30.12.1998 nicht dahin ausgelegt, dass er zugleich auch erlaubt, die Verglasungen auf Dauer angebracht zu lassen. Dies deckt sich mit der älteren Rechtsprechung des Senats (BayObLG WuM 1995, 504/505; NJW-RR 1994, 658), die einen derartigen Beschluss grundsätzlich nicht als Genehmigung der baulichen Veränderung, sondern als Nichtbeschluss interpretierte.

Diese Rechtsprechung ist durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23.8.2001 überholt (BGHZ 148, 335). Danach kommt der Ablehnung eines Beschlussantrags durch die Wohnungseigentümer Beschlussqualität zu; es liegt kein Nichtbeschluss vor. Im Einzelfall kann die Auslegung aber ergeben, dass der Negativbeschluss sich in der konkreten Ablehnung eines bestimmten Antrags erschöpft und darüber hinaus keine Wirkung entfaltet (BayObLG ZMR 2004, 133). Allerdings hat der Senat auch schon einem Eigentümerbeschluss, durch den ein Beschlussantrag auf Vornahme einer bestimmten Handlung abgelehnt wurde, denselben Inhalt beigemessen wie einem Beschluss, durch den ein Beschlussantrag, diese Handlung nicht vorzunehmen, angenommen wird (BayObLGZ 2002, 247/249). Einem gerichtlichen Antrag auf Beseitigung einer baulichen Veränderung steht deshalb grundsätzlich ein Eigentümerbeschluss entgegen, durch den der Antrag auf Verpflichtung dieses Wohnungseigentümers zur Beseitigung abgelehnt wurde (BayObLG FGPrax 2004, 60). Die Grundsätze von Treu und Glauben können es aber verbieten, dass dem Wohnungseigentümer, der die Beseitigung verlangt, die Bestandskraft eines solchen Eigentümerbeschlusses entgegengehalten wird, wenn dieser vor dem Bekanntwerden der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23.8.2001 gefasst wurde (BayObLG FGPrax 2004, 60).

c) Der Senat braucht die mit Inhalt und Reichweite der Sperrwirkung negativer Eigentümerbeschlüsse verbundenen Fragen hier nicht abschließend zu klären. Denn das Landgericht hat davon unabhängig rechtsfehlerfrei eine Verwirkung der Beseitigungsansprüche gegen die Antragsgegner bejaht.

Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht hat und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und sich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten auch darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde (st. Rspr.; z.B. BGH NJW-RR 2003, 727; siehe Palandt/Heinrichs BGB 63. Aufl. § 242 Rn. 87). Die Feststellungen zur Verwirkung, insbesondere zum Zeit- und Umstandsmoment (Palandt/Heinrichs § 242 Rn. 93 und 95), beruhen im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet. Sie binden den Senat als Rechtsbeschwerdegericht, soweit sie rechtsfehlerfrei zustande gekommen sind (§ 27 Abs. 1 Satz 2 FGG, § 559 Abs. 2 ZPO).

Das Landgericht hat das Verhalten der Antragsteller während der Eigentümerversammlung vom 30.10.1998 und ihre anschließende Untätigkeit maßgeblich herangezogen. Unabhängig von der Rechtsfrage, ob einem negativen Eigentümerbeschluss eine eigene Beschlussqualität zukommt, konnte es das Gericht als inkonsequentes Verhalten werten, dass die Antragsteller nicht in einem zeitlich nahen Abstand zur Eigentümerversammlung einen Verpflichtungsantrag auf Beseitigung der Anbauten stellten, wozu es der Mitwirkung des Verwalters oder anderer Wohnungseigentümer nicht bedurfte. Gleichermaßen konnte das Landgericht in seine Erwägungen mit einbeziehen, dass es den Antragstellern weniger um die bauliche Veränderung als solche als vielmehr darum ging, diese zum Anlass für eine geänderte Kostenverteilung zu nehmen. Wer aber aus Anlass von baulichen Veränderungen auf eine Abänderung des Kostenverteilungsschlüssels hinarbeitet, nimmt die baulichen Veränderungen gerade hin und will sie nicht rückgängig machen.

Hinzufügen lässt sich noch, dass die Eigentümergemeinschaft mit sechs Parteien verhältnismäßig klein ist und es sich nach der unstreitigen Aktenlage bei sämtlichen Beteiligten um Angehörige einer "Großfamilie" handelt. In einer solchen Gemeinschaft können die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Verwirkung leichter erfüllt sein als bei einer großen Eigentümergemeinschaft, die aus nicht weiter miteinander verbundenen Wohnungseigentümern besteht.

e) Die Angriffe gegen die landgerichtliche Beweisaufnahme und Beweiswürdigung bleiben erfolglos. Insbesondere sind die vom Landgericht gezogenen Rückschlüsse auf die Kenntnis der Antragsteller vom Versammlungsverlauf und zur Beschlussfassung ebenso möglich wie die Wertung, dass die Antragsteller nun allen Anlass gehabt hätten, möglichst umgehend ihre Beseitigungsansprüche gerichtlich geltend zu machen. Dass die tatsächlichen Folgerungen des Tatrichters nicht die einzig möglichen, d.h. nicht zwingend sind, oder dass eine andere Schlussfolgerung ebenso nahe oder noch näher gelegen hätte, kann mit der Rechtsbeschwerde nicht erfolgreich geltend gemacht werden (Meyer-Holz in Keidel/Kuntze/Winkler FGG 15. Aufl. § 27 Rn. 42 m.w.N.).

Zu einer ergänzenden Beweisaufnahme war das Landgericht nach § 12 FGG nicht verpflichtet. Auf die Beweggründe, weshalb im Anschluss an die Versammlung vom 30.10.1998 kein Beseitigungsantrag gestellt wurde, kommt es nicht maßgeblich an. Insbesondere muss das Untätigsein des Berechtigten nicht auf einem vorwerfbaren Verhalten beruhen (Palandt/Heinrichs § 242 Rn. 94).

f) Die Antragsteller tragen noch vor, die Eigentümer hätten am 2.7.2003 beschlossen, dass die Einhausungen nicht entfernt werden müssten. Schließlich sei am 26.11.2003 beschlossen worden, die Einhausungen zu genehmigen. Über ihre Anträge auf Ungültigerklärung dieser Beschlüsse hätten die Gerichte noch nicht entschieden. Der erste Beschluss aus dem Jahr 1998 habe dadurch seine Bestandskraft verloren; auf ihn könne zur Frage der Verwirkung nicht abgestellt werden.

Der Senat teilt diese Rechtsauffassung nicht. Die nachträglich gefassten Eigentümerbeschlüsse spielen, unabhängig von der Frage, ob sie hier vom Rechtsbeschwerdegericht überhaupt berücksichtigt werden könnten, für die bereits zuvor eingetretene Verwirkung keine Rolle. Die Verwirkung begrenzt das betroffene Recht inhaltlich und stellt eine rechtsvernichtende oder zumindest rechtshemmende Einwendung dar (BGHZ 67, 56/68; MünchKomm/Roth BGB 3. Aufl. § 242 Rn. 478). Sie ist grundsätzlich von Dauer (MünchKomm/Roth § 242 Rn. 480). Die spätere Beschlussfassung der Wohnungseigentümer zu dem gleichen Gegenstand mit dem Ergebnis, den vorhandenen tatsächlichen Zustand zu belassen, führt jedenfalls nicht dazu, dass zugunsten der Antragsteller die eingetretene Rechtsfolge wieder entfallen wäre. Ebenso wenig kann das gerichtliche Vorgehen der Antragsteller gegen die beiden Beschlüsse das Rechtshindernis wieder beseitigen.

g) Die auf § 47 WEG gestützte Kostenentscheidung des Landgerichts für das Beschwerdeverfahren ist als tatrichterliche Ermessensentscheidung nicht zu beanstanden.

h) Hingegen hat das Landgericht offensichtlich übersehen, den amtsgerichtlichen Kostenbeschluss der eigenen Sachentscheidung anzupassen. Der Senat holt dies nach. Er hält es nach § 47 WEG angesichts des teilweisen Obsiegens und Unterliegens der Antragsteller wie der Antragsgegner und der übrigen Wohnungseigentümer im ersten Rechtszug für angemessen, die Gerichtskosten hälftig aufzuteilen. Hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten kann es, wie es auch das Landgericht gesehen hat, bei der Grundregel des § 47 Satz 2 WEG verbleiben, dass jeder Beteiligte seine Kosten selbst trägt.

3. Für das Rechtsbeschwerdeverfahren erscheint es nach § 47 Satz 1 WEG angemessen, die Gerichtskosten den unterlegenen Antragstellern samtverbindlich aufzuerlegen. Im Hinblick auf die unterschiedlichen Instanzentscheidungen hat der Senat von einer Erstattungsanordnung nach § 47 Satz 2 WEG abgesehen.

Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG und entspricht den unbeanstandet gebliebenen Ansätzen von Amts- und Landgericht.

Ende der Entscheidung

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