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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 19.01.2005
Aktenzeichen: 2Z BR 205/04
Rechtsgebiete: WEG


Vorschriften:

WEG § 15 Abs. 1
WEG § 15 Abs. 2
WEG § 25 Abs. 5
1. Bei der Beschlussfassung darüber, zu welchen gewerblichen Zwecken eine Teileigentumseinheit genutzt werden darf, ist der jeweilige Teileigentümer nicht von der Abstimmung ausgeschlossen.

2. Die nähere Bezeichnung von Teileigentum als Laden in der Teilungserklärung hat nicht die Bedeutung einer Nutzungsbeschränkung, wenn in der Gemeinschaftsordnung ausdrücklich geregelt ist, dass es auf die Bezeichnung in der Teilungserklärung nicht ankommt.


Gründe:

I.

Die Antragstellerinnen und die Antragsgegner sind Wohnungs- und Teileigentümer einer Wohnanlage, die von der weiteren Beteiligten verwaltet wird. Der Antragsgegner zu 1 ist Teileigentümer der Einheit Nr. 44, der Antragsgegner zu 2 zusammen mit seiner Ehefrau Teileigentümer der Einheit Nr. 45. Im Aufteilungsplan der Teilungserklärung vom 30.9.1982 werden beide Einheiten als "Laden" ausgewiesen. Der Antragsgegner zu 1 betreibt in Einheit Nr. 44 seit mindestens 15 Jahren einen Sex- und Erotikshop, dessen Schwerpunkt im Verkauf von Videos und DVDs liegt. Im zugehörigen Keller sind mit Baugenehmigung der Stadt M. seit 1995 Videokabinen installiert, in denen Kunden gegen Gebühr Videofilme ansehen können. Zum Jahreswechsel 2002/2003 wurde der Erotikshop durch einen Mauerdurchbruch zur Teileigentumseinheit Nr. 45 erweitert und wird nun in beiden Läden als einheitliches Geschäft betrieben.

Unter Nr. VII der Urkunde zur Begründung von Wohnungs- und Teileigentum vom 30.9.1982 ist die Gemeinschaftsordnung der Wohnanlage festgelegt. Sie enthält zur Nutzung des Sondereigentums in § 4 Nr. 1 und Nr. 2 auszugsweise folgende Regelungen:

"Jeder Miteigentümer kann sein Sondereigentum ungehindert nutzen, soweit nicht das Gesetz, die GO oder Rechte Dritter entgegenstehen. Er ist verpflichtet, sein Eigentum so auszuüben, dass niemand über das unvermeidliche Maß hinaus belästigt wird. Der Bestand, die Sicherheit und das architektonische und ästhetische Bild der Gebäude dürfen nicht beeinträchtigt werden."

...

"Durch die Bezeichnung der Teileigentumseinheiten als Laden, Büro, Lagerraum ist - vorbehaltlich öffentlich rechtlicher Genehmigungen - deren zulässige Nutzung nicht beschränkt.

Diese Teileigentumseinheiten sind vielmehr im Verhältnis der Wohnungseigentümer zueinander zu jedem gewerblichen Zweck nutzbar."

In der Eigentümerversammlung vom 3.6.2003 wurde unter Tagesordnungspunkt (TOP) 4.2 folgender Beschlussantrag zur Abstimmung gestellt:

"Die Eigentümergemeinschaft beschließt die Duldung der Nutzung der Ladeneinheit, derzeit Eigentümer P., in der derzeitigen Form als Laden bei Bewerbung der Ladenfläche in erotikfreier Form durch den Betreiber."

Der Antrag wurde mit 252,04 Fürstimmen, 150,34 Gegenstimmen und 129,38 Enthaltungen angenommen, wobei die Antragsgegner zu 1 und 2 an der Abstimmung teilnahmen.

Die Antragstellerinnen haben, soweit es für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Bedeutung ist, beantragt, den Eigentümerbeschluss vom 3.6.2003 zu TOP 4.2 für ungültig zu erklären. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 11.2.2004 dem Antrag stattgegeben. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegner zu 1 und 2 hat das Landgericht mit Beschluss vom 5.10.2004 den Beschluss des Amtsgerichts aufgehoben und den Antrag als unbegründet abgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerinnen.

II.

Das zulässige Rechtsmittel ist nicht begründet.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Der Eigentümerbeschluss vom 3.6.2003 zu TOP 4.2 sei formell ordnungsgemäß zustande gekommen und entspreche auch inhaltlich ordnungsmäßiger Verwaltung. Ein Verstoß gegen § 25 Abs. 5 WEG liege nicht vor, da die Antragsgegner zu 1 und 2 nicht gehindert gewesen seien, an einer Beschlussfassung über die Nutzung ihres Sondereigentums teilzunehmen. Durch die Zulassung des Erotikgeschäfts werde auch nicht gegen eine Zweckbestimmung in der Teilungserklärung verstoßen.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

a) Die Antragsgegner zu 1 und 2 waren von der Beschlussfassung zu TOP 4.2 nicht ausgeschlossen, da ein Fall des § 25 Abs. 5 WEG nicht vorlag. Aus der Regelung des § 25 Abs. 5 WEG folgt kein allgemeines Stimmverbot bei Vorliegen einer Interessenkollision. Ein Wohnungseigentümer hat lediglich dann kein Stimmrecht, wenn die Beschlussfassung die Vornahme eines auf die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums bezüglichen Rechtsgeschäfts mit ihm oder die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits der anderen Wohnungseigentümer gegen ihn betrifft oder wenn er nach § 18 WEG rechtskräftig verurteilt ist (BayObLG ZMR 1999, 186/187). In allen anderen Fällen bleibt seine Stimmberechtigung durch § 25 Abs. 5 WEG unangetastet, auch wenn er erhebliche private Sonderinteressen bei der Beschlussfassung hat (vgl. BayObLG ZMR 1998, 173/174).

Bei einem Eigentümerbeschluss über die Nutzung von Sondereigentum zu gewerblichen Zwecken ist daher der jeweilige Eigentümer stimmberechtigt. Es kann folglich in diesem Zusammenhang offen bleiben, ob durch den Beschluss zu TOP 4.2 nur eine oder beide Teileigentumseinheiten Nr. 44 und Nr. 45 betroffen waren, da jedenfalls keiner der beiden Antragsgegner zu 1 und 2 von der Abstimmung ausgeschlossen war.

b) Der Eigentümerbeschluss vom 3.6.2003 ist nicht nichtig.

Nichtig ist ein Beschluss nach herrschender Meinung, wenn es ihm an der erforderlichen Klarheit und Bestimmtheit mangelt, sich also auch durch Auslegung kein Sinn ermitteln lässt (BayObLG NZM 2002, 875; BayObLG WuM 2004, 425). Da es sich bei der Gebrauchsregelung um einen Beschluss mit Dauerwirkung handelt, an die auch ein Sonderrechtsnachfolger gebunden ist, hat der Senat den Beschluss selbständig auszulegen (BGH NJW 1998, 3713). Beschlüsse der Wohnungseigentümer sind aus sich heraus objektiv und normativ auszulegen, ohne dass es auf die subjektiven Vorstellungen der Beteiligten bei der Beschlussfassung ankommt. Umstände außerhalb des protokollierten Beschlusses dürfen nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Umständen des Einzelfalls ohne weiteres für jedermann erkennbar sind (BGH NJW a.a.O.).

Nach dem Beschlusstext wird die Nutzung derjenigen Ladeneinheit, die im Eigentum des Antragstellers zu 1 steht, in der "derzeitigen Form" genehmigt. Diese Form der Nutzung ist zwar nicht, etwa durch Beinahme einer Fotografie, im Protokoll näher festgelegt worden. Die Bezugnahme auf die bestehende Form des Geschäftsbetriebes ist aber ausreichend, da diese mit genügender Bestimmtheit feststellbar ist (BayObLG WuM 1993, 707). Der Eigentümerbeschluss vom 3.6.2003 ist damit hinreichend bestimmt und klar.

c) Die zu TOP 4.2 beschlossene Gebrauchsregelung entspricht auch einem ordnungsmäßigen Gebrauch (§ 15 Abs. 2 WEG).

aa) Dem Eigentümerbeschluss vom 3.6.2003 steht keine Vereinbarung der Wohnungseigentümer über den Gebrauch des Sondereigentums entgegen. Für die betroffene Wohnanlage wurde die Nutzung des Sondereigentums durch § 4 der Gemeinschaftsordnung geregelt, die einer Vereinbarung nach § 15 Abs. 1 WEG gleichsteht. In der Urkunde vom 30.9.1982 zur Begründung von Wohnungs- und Teileigentum sind die Einheiten Nr. 44 und Nr. 45 zwar jeweils in der Teilungserklärung als "Laden" bezeichnet. Die notarielle Urkunde enthält jedoch neben der rein sachenrechtlichen Teilungserklärung in Nr. VII eine in sich abgeschlossene schuldrechtliche Gemeinschaftsordnung. In dieser ist unter § 4 Nr. 2 klargestellt, dass die Bezeichnung der Teileigentumseinheiten als "Laden" in der Teilungserklärung deren zulässige Nutzung nicht beschränkt, diese Einheiten vielmehr zu jedem gewerblichen Zweck nutzbar sind.

Bei der Auslegung von Teilungserklärung und Gemeinschaftsordnung, die vom Rechtsbeschwerdegericht selbständig vorzunehmen ist, kommt es nicht auf den Willen des Verfassers an, sondern, wie bei allen Grundbucheintragungen, allein auf den Wortlaut und Sinn, wie sich dieser für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung ergibt (BayObLGZ 1983, 73/78). Im vorliegenden Fall ist durch die Gemeinschaftsordnung eindeutig und unmissverständlich geregelt, dass der jeweiligen Bezeichnung einer Teileigentumseinheit in der Teilungserklärung nicht die Bedeutung einer Nutzungsbeschränkung zukommt. Auf die allgemeine Vermutung, dass Gebrauchsregelungen in der Gemeinschaftsordnung enthalten seien und Funktionsbezeichnungen für Räume des Teileigentums in der Teilungserklärung eher der Abgrenzung zum Wohnungseigentum als einer Festlegung des Verwendungszwecks dienten (BayObLGZ 1988, 238/242), braucht daher nicht zurückgegriffen zu werden. Es gilt die weitgefasste Zweckbestimmung für Teileigentumseinheiten in § 4 Nr. 2 der Gemeinschaftsordnung, die der Nutzung einer Einheit als Erotikshop mit Videokabinen grundsätzlich nicht entgegensteht.

bb) Die Gebrauchsregelung durch Eigentümerbeschluss vom 3.6.2003 verstößt auch nicht gegen die allgemeinen Vorgaben zur Nutzung des Sondereigentums in § 4 Nr. 1 der Gemeinschaftsordnung. In einer Wohnanlage, die zu einem nicht unerheblichen Teil aus Läden und Büros besteht, werden die übrigen Eigentümer durch den Betrieb eines Erotikgeschäfts mit Videokabinen nicht über das unvermeidliche Maß hinaus gestört oder beeinträchtigt. Aus heutiger Sicht wird das Betreiben eines Erotikshops keineswegs mehr allgemein als anstößig betrachtet (vgl. zur Ausübung der Prostitution BayObLG FGPrax 2004, 280). Von einer Wertminderung der übrigen Wohneinheiten allein durch den Betrieb eines derartigen Geschäfts kann daher nicht ausgegangen werden. Soweit die ungewollte Konfrontation von Hausbewohnern und Besuchern mit erotischen Darstellungen in den Auslagen möglicherweise nachteilig für die übrigen Wohnungs- und Teileigentümer sein könnte, wird durch den Eigentümerbeschluss ausdrücklich geregelt, dass die Bewerbung der Ladenfläche in erotikfreier Form zu erfolgen habe. Eine Störung hierdurch ist somit ausgeschlossen.

3. Es entspricht der Billigkeit, den Antragstellerinnen samtverbindlich die Gerichtskosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens aufzuerlegen (§ 47 Satz 1 WEG). Von der Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten sieht der Senat ab, da die Rechtsverfolgung auf Grund der abweichenden Entscheidung des Erstgerichts nicht mutwillig erscheint (§ 47 Satz 2 WEG).

Die Geschäftswertfestsetzung beruht auf § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG. In Übereinstimmung mit den nicht angegriffenen Festsetzungen der Vorinstanzen hält der Senat einen Geschäftswert von 20.000 EUR für angemessen.

Ende der Entscheidung

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