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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 15.04.2004
Aktenzeichen: 2Z BR 221/03
Rechtsgebiete: BGB, GBO, BayObLGZ 2004


Vorschriften:

BGB § 1018;
GBO § 53 Abs. 1 Satz 2
BayObLGZ 2004 Nr. 23
Eine Grunddienstbarkeit, nach der der jeweilige Eigentümer des dienenden Grundstücks entschädigungslos alle Einwirkungen aus dem Betrieb der auf dem herrschenden Grundstück errichteten und betriebenen baulichen und sonstigen, insbesondere immissionsrechtlich genehmigungspflichtigen Anlagen duldet, auch wenn sich diese Einwirkungen künftig ihrem Umfang nach oder durch eine Änderung des Betriebs und der hierbei angewandten Verfahren ändern, kann zulässiger Inhalt einer Eintragung im Grundbuch sein. Ein umfassender Verzicht auf die Ausübung von Rechten wahrt den Bestimmtheitsgrundsatz.
Gründe:

I.

Der Beteiligte zu 1 ist Eigentümer eines Grundstücks. In der zweiten Abteilung ist für den jeweiligen Eigentümer von Grundstücken, die der Beteiligten zu 2 gehören, die darauf ein Chemiewerk unterhält, eine Grunddienstbarkeit eingetragen. In den notariellen Bewilligungsurkunden vom 2.3. und 17.5.2001, die durch Bezugnahme zum Inhalt des Grundbuchs wurden, wird der Inhalt des Rechts wie folgt beschrieben:

Der jeweilige Eigentümer des dienenden Grundstückes duldet entschädigungslos alle Einwirkungen aus dem Betrieb der auf den herrschenden Grundstücken errichteten und betriebenen baulichen und sonstigen, insbesondere immissionsrechtlich genehmigungspflichtigen Anlagen, insbesondere durch Lärm, Staub, Erschütterungen, auch wenn sich diese Einwirkungen künftig ihrem Umfang nach oder durch eine Änderung des Betriebs und der hierbei angewandten Verfahren ändern, umfassend auch den Verzicht auf Ersatzansprüche wegen der durch die Grunddienstbarkeit auferlegten Duldung.

Der Beteiligte zu 1 hat verlangt, die eingetragene Grunddienstbarkeit wegen nicht hinreichender Bestimmtheit von Amts wegen zu löschen. Das Amtsgericht - Grundbuchamt - hat dem am 27.3.2003 nicht entsprochen. Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1 hat das Landgericht mit Beschluss vom 1.10.2003 das Grundbuchamt angewiesen, die Grunddienstbarkeit im Grundbuch zu löschen. Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2.

II.

Das zulässige Rechtsmittel ist erfolgreich; es führt zur Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts, weil sich die Eintragung des Rechts nach ihrem Inhalt nicht als unzulässig erweist und die Voraussetzungen einer Löschung von Amts wegen nach § 53 Abs. 1 Satz 2 GBO somit nicht vorliegen.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Die Beschwerde sei begründet, weil die Eintragung unzulässig sei. Grundsätzlich bildeten Immissionsdienstbarkeiten ein inhaltlich eintragungsfähiges Recht, weil die daraus bestehende Verpflichtung den Ausschluss bestimmter aus dem Eigentum fließender Rechte im Sinn von § 1118 BGB beinhalte. Die eingetragene Grunddienstbarkeit sei jedoch deswegen unzulässig, weil sie nicht genügend bestimmt sei und der Publizität des Grundbuchs nicht gerecht werde. Eintragungen müssten so klar und eindeutig sein, dass sich jedermann rasch und zuverlässig über den Inhaber, die Art, den Umfang und die Wirkungen eines eingetragenen Rechts unterrichten könne.

Nach der Eintragung sollten alle Einwirkungen zu dulden sein, die von den Anlagen auf den herrschenden Grundstücken ausgingen. Dies sei zwar hinreichend bestimmt. Darüber hinaus sei es aber auch notwendig, dass jedermann eine konkrete Vorstellung von Inhalt und Bedeutung des eingetragenen Rechts entwickeln könne. Hinsichtlich der Art der Einwirkungen bestehe keine Einschränkung, ebenso wenig sei die Art des emittierenden Objekts konkret beschrieben. Es seien auch zukünftig zu errichtende Anlagen beliebiger Art erfasst. Schließlich sei die Art der zu erwartenden Einwirkungen nicht näher umrissen. Der Umfang des Rechts lasse sich auch nicht durch eine Auslegung der Eintragungsbewilligung ermitteln. Offensichtliche Umstände für die Annahme, die Beteiligten wollten lediglich eine Duldungsverpflichtung hinsichtlich immissionsrechtlich genehmigter Anlagen vereinbaren, beständen nicht. Ein Störfall, wie ihn die Beteiligten schuldrechtlich ausgenommen hätten, liege nicht schon dann vor, wenn die Anlage im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften betrieben werde. Eine Beschränkung der Duldung auf genehmigte oder genehmigungsfähige Anlagen lasse sich der Regelung nicht hinreichend entnehmen. Schließlich sei die Regelung auch deswegen nicht ausreichend bestimmt, weil sie ohne weitere Konkretisierung eine Duldungsverpflichtung bei jeder Änderung des Betriebs und der hierbei angewandten Verfahren vorsehe. Schließlich komme auch eine Umdeutung auf einen noch zulässigen Inhalt entsprechend § 140 BGB nicht in Betracht.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Inhaltlich unzulässige Eintragungen im Grundbuch sind unwirksam. Sie bringen weder das Recht zum Entstehen, noch wahren sie den Rang, noch genießen sie öffentlichen Glauben (Demharter GBO 24. Aufl. § 53 Rn. 52 m.w.N.). Eine inhaltlich unzulässige Eintragung liegt auch dann vor, wenn der Inhalt des eingetragenen Rechts nicht ausreichend bestimmt ist (Demharter § 53 Rn. 49). Steht die inhaltliche Unzulässigkeit der Eintragung fest, ist die Löschung von Amts wegen gemäß § 53 Abs. 1 Satz 2 GBO vorzunehmen. Ein entsprechender Antrag eines Beteiligten hat nur die Bedeutung einer Anregung.

Grundsätzlich kann eine so genannte Immissionsduldungsverpflichtung, auch verbunden mit einem Schadensverzicht wegen Industrieimmissionen (siehe Schöner/Stöber Grundbuchrecht 12. Aufl. Rn. 1136), zulässiger Inhalt einer Dienstbarkeit und somit einer Grundbucheintragung sein, wenn die vertraglichen Bindungen über die sich aus dem Gesetz nicht ohnehin ergebenden Verpflichtungen und Beschränkungen hinausgehen (OLG Köln Rpfleger 1982, 463; Schöner/Stöber Rn. 1137). Es handelt sich dann um eine Grunddienstbarkeit des Inhalts, "dass die Ausübung eines Rechts ausgeschlossen ist, das sich aus dem Eigentum an dem belasteten Grundstück dem anderen Grundstück gegenüber ergibt" (§ 1018 BGB Fall 3). Damit sind nämlich in erster Linie Rechte und Ansprüche gemeint, die sich aus dem Nachbarrecht ergeben (BayObLG MittBayNot 1990, 107 m.w.N.).

Gegenstand und Inhalt der Grunddienstbarkeit sind aus der Eintragung im Grundbuch zu entnehmen, die nach § 874 BGB zulässigerweise auf die Bewilligungsurkunde Bezug nimmt. Dabei hat das Rechtsbeschwerdegericht den Inhalt des Grundbuchs selbständig und ohne Bindung an die Auffassung des Tatrichters auszulegen. Abzustellen ist grundsätzlich auf den Wortlaut und den Sinn der Bewilligung, wie er sich für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung des Eingetragenen ergibt. Umstände außerhalb des Grundbuchs dürfen zur Ermittlung von Inhalt und Umfang eines Grundstücksrechts nur herangezogen werden, als sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (st. Rspr.; vgl. BGHZ 113, 374/378; BGH NJW-RR 2003, 1235).

b) Die gegenständliche Grunddienstbarkeit umfasst neben Duldungsansprüchen im gleichen Ausmaß auch den Verzicht auf die Geltendmachung von Ersatzansprüchen, die zum Inhalt des Eigentums gehören (vgl. BayObLG Rpfleger 1990, 54). Dagegen bestehen keine Bedenken (Demharter Anh. zu § 44 Rn. 19).

c) Der aus dem Zweck des Grundbuchs, auf sicherer Grundlage bestimmte und sichere Rechtsverhältnisse an unbeweglichen Sachen zu schaffen und zu erhalten (BayObLGZ 1990, 191), abgeleitete Bestimmtheitsgrundsatz (Demharter Anh. zu § 13 Rn.5) ist durch die vorgenommene Eintragung nicht verletzt. Er verlangt, dass der Anspruch nach Inhalt oder Gegenstand genügend bestimmt oder bestimmbar ist (vgl. BGH NJW 2002, 2461; Demharter Anh. zu § 44 Rn. 87; Anh. zu § 13 Rn. 5). Hierfür ist jedoch ausreichend, dass der Umfang des Rechts aufgrund objektiver Umstände bestimmbar ist, die auch außerhalb des Grundbuchs liegen können, sofern sie nachprüfbar und wenigstens in der Eintragungsbewilligung angedeutet sind (BGHZ 130, 342/345 ff.; OLG Düsseldorf RNotZ 2004, 94 jeweils für Reallast; BGH NJW 2002, 2461 f. für durch Vormerkung zu sicherndes bedingtes Recht). Die Bestimmbarkeit des Rechtsinhalts wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass darüber möglicherweise erst ein Rechtsstreit geführt werden muss ( BayObLGZ 1997, 246 f.; BayObLG NJW-RR 1990, 1169 f.). Sofern die höchstmögliche Belastung für einen Dritten erkennbar ist, lässt es die Rechtsprechung im Allgemeinen genügen, dass der Umfang eines Rechts durch einen objektiv bestimmbaren Bedeutungsinhalt umrissen wird (BayObLGZ 1999, 198/200; 2000, 60/63). Unsicherheiten im Einzelfall stehen dem Bestimmtheitserfordernis nicht entgegen. Die Frage der Bestimmtheit stellt sich erst, nachdem der Inhalt des dinglichen Rechts durch Auslegung ermittelt ist. Erst wenn die Auslegung ergibt, dass der Inhalt der Grunddienstbarkeit mehrdeutig oder nicht vollständig geregelt ist, liegt eine Verletzung des Bestimmtheitsgrundsatzes vor (Falckenberg in MünchKomm 3. Aufl. § 1018 Rn. 11).

d) Die Grunddienstbarkeit erweist sich ihrem Inhalt nach als ausreichend bestimmt.

(1) Zu dulden sind Einwirkungen aus Anlagen. Anlagen sind nach dem Sprachgebrauch des Sachenrechts von Menschen geschaffene, der Grundstücksnutzung dienende Einrichtungen von gewisser Selbständigkeit und Dauer (BGH NJW 2002, 678). Die Klausel erwähnt zwar beispielhaft auch immissionsrechtlich genehmigungspflichtige Anlagen (siehe §§ 4 ff. BImSchG); damit wird aber kein umfassenderer Anlagenbegriff (vgl. etwa § 3 Abs. 5 Nr. 3 BImSchG) eingeführt; angeknüpft wird vielmehr an die vorhandene Fabrikationsanlage. Erfasst werden errichtete und bereits betriebene Anlagen, also solche, die ein Produkt menschlicher Tätigkeit sind.

(2) Unter dem im zivilen Nachbarrecht gebräuchlichen Begriff der Einwirkungen (vgl. § 906 BGB) fallen ohne Beschränkung auf unwägbare Stoffe alle grenzüberschreitenden Immissionen, die in ihrer Ausbreitung weitgehend unkontrollierbar und unbeherrschbar sind (BGHZ 117, 110) und denen gesundheits- oder sachschädigende Wirkung zukommen kann (Palandt/Bassenge BGB 63. Aufl. § 906 Rn. 5; siehe auch § 3 Abs. 2 BImSchG). Durch die Rechtsprechung ist geklärt, dass dazu nicht Grobimmissionen (BGHZ 111, 158), negative Einwirkungen (Palandt/Bassenge § 903 Rn. 9 und § 906 Rn. 4) und immaterielle Einwirkungen (Palandt/Bassenge § 903 Rn. 10 und § 906 Rn. 4) zählen. Die Beschränkung des Ausschlusses auf Einwirkungen im Sinn von § 906 BGB ist nicht nur der Begriffswahl, sondern vor allem den aufgeführten Regelbeispielen ("durch Lärm, Staub, Erschütterungen") und dem Umstand zu entnehmen, dass er sich auf den Betrieb einer Anlage bezieht.

(3) Der im Sprachgebrauch in mehrfachem Sinn verwandte Begriff "Betrieb" lässt sich nach seiner nächstliegenden Bedeutung, wie er in der Klausel zum Ausdruck kommt, als "Betriebsweise" verstehen (siehe Kutscheidt in Landmann/Rohmer BImSchG § 3 Rn. 28j), nämlich die Art und Weise der Produktion.

(4) Zudem enthält die Klausel eine vertragliche Regelung für zukünftige Änderungen in der Nutzung der herrschenden Grundstücke. Davon erfasst sind Einwirkungen, die von den gegenwärtigen in quantitativer wie in qualitativer Hinsicht abweichen. Ohne die Regelung lägen Inhalt und Umfang bei einer zeitlich unbegrenzten Dienstbarkeit zwar ebenfalls nicht in jeder Beziehung von vornherein fest, sondern wären Veränderungen unterworfen, die sich aus der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung ergeben (BGH NJW-RR 2003, 1235 und 1237). Den Beteiligten ist es jedoch unbenommen, im Rahmen der Zwecksetzung zum Inhalt der Dienstbarkeit auch Duldungspflichten für Einwirkungen zu bestimmen, die aus einer über den Rahmen vorhersehbarer wirtschaftlicher Entwicklung hinaus gehenden Grundstücksnutzung oder auch aus einer willkürlichen Betriebsänderung hervorgehen (siehe Ricken WM 2001, 979/984; Soergel/Stürner BGB 13. Aufl. § 1018 Rn. 37). Ohne eine derartige Vereinbarung müsste sich der Eigentümer des herrschenden Grundstücks nämlich in den Grenzen einer der Art nach gleich bleibenden, nur im Rahmen vorhersehbarer wirtschaftlicher Entwicklung gesteigerten Benutzung des Grundstücks halten und dürfte insbesondere keine willkürliche Benutzungsänderung oder -erweiterung vornehmen (BGH NJW-RR 2003, 1235 und 1237).

Gegen die Zulässigkeit einer solchen Erweiterung der Duldungsverpflichtung bestehen auch unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit keine Bedenken. Die Duldungspflicht erfasst alle Einwirkungen im Sinn von § 906 BGB, die von jedem beliebigen, im Rahmen der Rechtsordnung erlaubten oder erlaubnisfähigen Betrieb von Anlagen auf dem herrschenden Grundstück ausgehen. Ein Totalausschluss wahrt gerade die Bestimmtheit (Soergel/Stürner § 1018 Rn. 37). Daneben bleibt es den Beteiligten unbenommen, außerhalb des Grundbuchs schuldrechtlich Ausnahmen von der dinglich umfassenden Duldungspflicht, etwa für vom Regelbetrieb abweichende Störfälle, zu vereinbaren (BayObLG Rpfleger 1983, 391).

e) Der Senat kann über das Rechtsmittel selbst entscheiden. Eine Vorlage an den Bundesgerichtshof nach § 28 Abs. 2 FGG im Hinblick auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 27.6.1986 (15 W 10/86 = DNotZ 1986, 626) kommt nicht in Betracht.

Im Gegensatz zur erwähnten Entscheidung sieht sich der Senat durch eine Auslegung gemäß § 133 BGB in der Lage, den Inhalt des dinglichen Rechts zu ermitteln. Zudem ist durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mittlerweile geklärt, dass die Verwendung unbestimmter, aber der Gesetzessprache entnommener Rechtsbegriffe in notariellen Urkunden, etwa zur Beschreibung von Anspruchsvoraussetzungen, im Allgemeinen dem Bestimmtheitsgrundsatz genügen (BGHZ 130, 345; BGH NJW 2002, 2461). Insbesondere die letztgenannte Entscheidung, die auf Vorlage des Senats wegen Abweichung von der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamm (FGPrax 2000, 176) ergangen ist, stellt klar, dass die Bestimmbarkeit des Rechts nicht in Frage steht, sofern dessen Inhalt und Grenzen sich im konkreten Streitfall erst durch eine richterliche Entscheidung feststellen lassen.

3. Die Kostenentscheidung für das Beschwerde- wie für das Rechtsbeschwerdeverfahren beruht auf § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG.

Ende der Entscheidung

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