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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 04.03.2004
Aktenzeichen: 2Z BR 232/03
Rechtsgebiete: BGB, FGG, WEG, ZVG


Vorschriften:

BGB § 242
FGG § 12
WEG § 21 Abs. 4
WEG § 21 Abs. 5 Satz 2
ZVG § 90 Abs. 1
1. Wer ein Wohnungseigentum im Weg der Zwangsversteigerung erwirbt, muss sich nicht entgegenhalten lassen, der vorherige Wohnungseigentümer habe auf Ansprüche gegen die übrigen Wohnungseigentümer auf erstmalige Herstellung eines dem Aufteilungsplan entsprechenden Zustands verzichtet oder ein entsprechendes Recht verwirkt.

2. Wer beim Erwerb von Wohnungseigentum die Abweichung der Bauausführung von der Teilungserklärung nicht (positiv) kannte, aber hätte erkennen können, handelt in der Regel nicht rechtsmissbräuchlich, wenn er gegen die übrigen Wohnungseigentümer einen Anspruch auf erstmalige Herstellung eines der Teilungserklärung entsprechenden Zustands geltend macht.

3. Die Gefahr erheblicher Bauschäden kann nach Treu und Glauben der Durchsetzung eines Anspruchs auf erstmalige Herstellung eines der Teilungserklärung entsprechenden Zustands entgegenstehen (hier: Versetzung einer tragenden Kellerinnenwand).


Gründe:

I.

Die Antragstellerin und die Antragsgegner sind die Wohnungseigentümer einer Wohnanlage. Die Antragstellerin erwarb die ihr gehörende Wohnung Nr. 3 im Weg der Zwangsversteigerung durch Zuschlag vom 29.9.1999. Der Voreigentümer, dem ebenfalls noch Wohnungseigentum in der Anlage gehört, hatte als Bauträger die Wohnanlage errichtet. Sie war Ende 1995 bezugsfertig.

Nach dem Aufteilungsplan vom 28.11.1991, der Inhalt des Wohnungsgrundbuchs geworden ist, gehören zur Wohnung Nr. 3 im Kellergeschoß ein Abstellraum mit 3,5 m² und ein Hobbyraum mit 53,1 m². Tatsächlich ist der Abstellraum nicht vorhanden; der Hobbyraum soll nach den Angaben der Antragstellerin knapp 10 m² kleiner als ausgewiesen sein.

In ihrer Versammlung vom 8.8.2002 lehnten die Wohnungseigentümer Anträge der Antragstellerin ab, den neben dem Hobbyraum befindlichen gemeinschaftlichen Wasch-/Trockenraum auf ihre Kosten durch Einziehen einer Wand zu unterteilen und den an den Hobbyraum angrenzenden neuen Raum ihr zuzuweisen.

Die Antragstellerin hat am 11.12.2002 beim Wohnungseigentumsgericht beantragt, die Antragsgegner samtverbindlich zu verpflichten, die zwischen dem zur Wohnung Nr. 3 gehörenden Hobbyraum und dem Wasch-/Trockenraum gelegene Kellerinnenwand so zu versetzen, dass der Hobbyraum die Fläche von 53,10 m² sowie den ausgewiesenen Zuschnitt erhält, hilfsweise, sofern statische Gründe der Maßnahme entgegenstehen, den Wasch-/ Trockenraum in seinem jetzigen Zustand durch eine zusätzliche Mauer zu unterteilen und den dadurch neu geschaffenen an den zur Wohnung Nr. 3 gehörenden Hobbyraum angrenzenden Raum der Antragstellerin zuzuweisen, schließlich die Antragsgegner samtverbindlich zu verpflichten, den Abstellraum Nr. 3 einzurichten. Das Amtsgericht hat die Anträge am 3.7.2003 abgewiesen, das Landgericht die sofortige Beschwerde der Antragstellerin am 28.10.2003 zurückgewiesen. Gegen den Beschluss des Landgerichts richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin.

II.

Das Rechtsmittel ist im Ergebnis unbegründet, soweit der Antrag auf Einrichtung des Abstellraums Nr. 3 und dessen Überweisung an die Antragstellerin abgewiesen wurde. Im Übrigen führt die sofortige weitere Beschwerde zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Grundsätzlich könne jeder Wohnungseigentümer von den übrigen Wohnungseigentümern die Mitwirkung bei der Herstellung eines erstmaligen ordnungsmäßigen Zustands der Wohnanlage entsprechend dem Aufteilungsplan und den Bauplänen verlangen. Dies gelte jedoch nicht für einen Wohnungseigentümer, dessen Rechtsvorgänger, wie der der Antragstellerin, wirksam auf die Herstellung eines solchen Zustands verzichtet habe. Der Voreigentümer der Wohnung habe als Bauträger den jetzigen Zustand selbst herbeigeführt und damit zum Ausdruck gebracht, auf die Herstellung der Kellerräume gemäß dem der Teilungserklärung beigefügten Plan zu verzichten. Selbst wenn er keine Kenntnis von der tatsächlichen Bauausführung besessen hätte, sei in der Duldung der Bauausführung die entsprechende Verzichtserklärung zu erblicken. Im Übrigen sei die Kenntnis des Voreigentümers und Bauträgers, dass er vom Aufteilungsplan abweichend gebaut habe, durch eine schriftliche Äußerung bewiesen.

Der Anspruch auf eine plangemäße Herstellung der Kellerräume wäre überdies verwirkt, weil die übrigen Wohnungseigentümer darauf vertrauen durften, dass er nicht mehr geltend gemacht würde. Der Zuschnitt des Hobbyraums sei über mehrere Jahre hinweg ebenso wenig beanstandet worden wie das Fehlen des Abstellraums. Der Rechtsvorgänger sei auch erster Verwalter der Anlage gewesen und habe nichts unternommen, um etwaige Gewährleistungsansprüche hinsichtlich des Gemeinschaftseigentums durchzusetzen.

Schließlich sei auch das Verhalten der Antragstellerin selbst treuwidrig. Sie habe im Weg der Zwangsversteigerung eine Wohnung erworben, ohne deren genauen Zuschnitt zu kennen. Das im Versteigerungsverfahren erholte Verkehrswertgutachten weise aus, dass eine Besichtigung der Wohnung durch den Sachverständigen nicht stattgefunden habe. Die Antragstellerin habe das Risiko auf sich genommen, dass ihr Sondereigentum einen anderen Zuschnitt als im Plan verlautbart aufweisen könnte. Sie könne nun nicht den festgestellten Mangel auf die Gemeinschaft abwälzen.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung überwiegend nicht stand.

a) Jedem Wohnungseigentümer steht ein Anspruch auf ordnungsmäßige Verwaltung des Gemeinschaftseigentums nach § 21 Abs. 4 WEG zu. Der Anspruch beinhaltet insbesondere eine ordnungsmäßige Instandhaltung und Instandsetzung (§ 21 Abs. 5 Nr. 2 WEG) und umfasst auch die erstmalige Herstellung eines dem Aufteilungsplan und den Bauplänen entsprechenden Zustands von Sondereigentum und Gemeinschaftseigentum (BayObLG ZMR 1989, 102; WE 1997, 93; Staudinger/Bub WEG § 21 Rn. 184/186; Niedenführ/Schulze WEG 6. Aufl. § 21 Rn. 66). Wie die Eigentumsverhältnisse in dem fertiggestellten Keller sachenrechtlich zu beurteilen sind (vgl. BayObLG WE 1997, 93, und jüngst BGH Urteil vom 5.12.2003, V ZR 447/01 = NZM 2004, 103), kann dabei offen bleiben.

b) Soweit die Antragstellerin die Einrichtung eines Abstellraums im Keller verlangt, steht dem Begehren bereits der bestandskräftig gewordene Eigentümerbeschluss vom 8.8.2002 entgegen. Das Landgericht geht zwar auf den unter Tagesordnungspunkt 6.2 gefassten Beschluss nicht ein. Der Senat kann jedoch die vorgelegte Niederschrift über die Versammlung urkundlich verwerten und ist auch nicht gehindert, den dazu gebrachten und unbestritten gebliebenen Vortrag zu verwenden (BayObLG NZM 1998, 1010/1011; Meyer-Holz in Keidel/Kuntze/ Winkler FGG 15. Aufl. § 27 Rn. 45). Aus der Niederschrift ergibt sich, dass der Antrag auf Einrichtung des Abstellraums mehrheitlich abgelehnt wurde. Die Ablehnung des Antrags hat Beschlussqualität. Ein solcher Beschluss ist kein Nichtbeschluss (BGHZ 148, 335). Dem nun gestellten Verpflichtungsantrag steht dieser bestandskräftig gewordene und nicht nichtige Negativbeschluss entgegen. Er hat nämlich den gleichen Inhalt wie wenn die Wohnungseigentümer positiv entschieden hätten, den Kellerraum nicht einzurichten (vgl. BayObLGZ 2002, 247; BayObLG Beschluss vom 26.2.2004, 2Z BR 273/03).

c) Dem (Haupt-)Antrag auf Versetzung der Mauer zwischen Hobbyraum und Wasch-/Trockenkeller steht hingegen der unter Tagesordnungspunkt 6.1 gefasste Eigentümerbeschluss vom 8.8.2002 nicht entgegen. Aus dem Protokoll ergibt sich, dass die Wohnungseigentümer nicht über diesen abgestimmt haben, die Antragstellerin ihn vielmehr zurückgezogen hat und an dessen Stelle über den hier verfahrensgegenständlichen Hilfsantrag mit negativem Ausgang entscheiden ließ.

Der Hauptantrag auf Versetzung der Kellerinnenwand kann nicht mit der vom Landgericht gegebenen Begründung abgewiesen werden.

(1) An der Durchsetzung ihres Anspruchs ist die Antragstellerin nicht durch einen etwaigen Verzicht des früheren Wohnungseigentümers (§ 397 BGB) oder durch eine in seinem Verhalten begründete Verwirkung (§ 242 BGB) gehindert.

Die Antragstellerin hat im Weg der Zwangsversteigerung durch Zuschlag (§ 90 Abs. 1 ZVG) ihr Wohnungseigentum erworben. Mit dem Zuschlag tritt der Ersteher in die Wohnungseigentümergemeinschaft ein (Weitnauer WEG 8. Aufl. § 3 Rn. 126). Der Zuschlag ist ein konstitutiv wirkender staatlicher Hoheitsakt, der Eigentum nicht überträgt, sondern frei von nicht ausdrücklich bestehen bleibenden Rechten begründet. Der Ersteher erwirbt das Eigentum originär, nicht als Rechtsnachfolger des Schuldners; der rechtsgestaltende Hoheitsakt nach § 81 ZVG schafft Eigentum in der Person des Erstehers, das nicht vom Schuldner abgeleitet ist (BGH NJW-RR 1986, 1115/1116; RGZ 89, 77/79 f.). Deshalb steht der Antragstellerin hier ein eigenständiger Herstellungsanspruch zu, der sich nicht aus einem solchen des früheren Eigentümers ableitet. Ob der frühere Wohnungseigentümer als Bauträger den Anspruch gegen die Gemeinschaft hätte durchsetzen können, spielt somit für den Anspruch der Antragstellerin von vornherein keine Rolle.

(2) Auch das Verhalten der Antragstellerin selbst hindert sie grundsätzlich nicht, ihren Anspruch auf erstmalige Herstellung eines dem Aufteilungsplan entsprechenden Zustands gegen die übrigen Wohnungseigentümer geltend zu machen. Nach der Rechtsprechung des Senats (BayObLG ZMR 1989, 102; auch Müller Praktische Fragen des Wohnungseigentums 3. Aufl. Rn. 238) handelt ein Wohnungseigentümer, der beim Erwerb seines Wohnungseigentums einen von Anfang an vorhandenen Baumangel nicht kannte und auf alle Gewährleistungssprüche verzichtete, nicht treuwidrig; dies gilt jedenfalls dann, wenn er sein Wohnungseigentum nicht vom Bauträger erworben hat. Nichts anderes gilt bei einer planwidrigen Herstellung der Wohnanlage, wenn dies der Erwerber nicht wusste. Dass die Antragstellerin bei einer vorangehenden Wohnungsbesichtigung die abweichende Bauausführung hätte erkennen können, genügt zu einem Ausschluss ihres Anspruchs aus § 21 Abs. 4, Abs. 5 Nr. 2 WEG unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nicht. Im Allgemeinen wird es auch keine Rolle spielen, ob der Ersteher im Zwangsversteigerungsverfahren das Objekt zum Verkehrswert oder aber zu wesentlich günstigeren Bedingungen ersteigert hat, soweit nicht gerade die Ungewissheit über die abweichende Ausführung ein maßgebliches Motiv für das niedrige Gebot bildete.

(3) Der Anspruch der Antragstellerin kann jedoch, ebenfalls auf der Grundlage von § 242 BGB, ausgeschlossen sein, wenn dessen Erfüllung den Antragsgegnern bei Berücksichtigung aller Umstände nach Treu und Glauben nicht zuzumuten ist (BayObLG ZMR 2002, 954 f.; ZMR 1999, 846 f.; BayObLGZ 1989, 470/473). Insbesondere kann die Gefahr erheblicher Bauschäden den Einwand von Treu und Glauben begründen (BayObLG ZMR 2002, 854 f.: Enfernung eines Stützpfeilers). Dabei sind Wahrscheinlichkeit und etwaiger Umfang solcher Schäden vom Tatrichter nachprüfbar festzustellen.

Die Antragsgegner haben unter Beweisantritt vorgetragen, eine Versetzung der Mauer sei technisch nicht möglich, weil dadurch die Statik verändert werde. In der Eigentümerversammlung war davon die Rede, dass ein Versetzen der Wand den Einsturz des Hauses zur Folge haben könnte. Das Landgericht wird die somit gestellte Frage, ob es sich um eine tragende Kellerwand handelt, nach § 12 FGG aufzuklären haben.

(4) Sollten statische Gesichtspunkte der beantragten Mauerversetzung entgegenstehen, wäre auch zu erörtern, ob zugunsten der Antragstellerin ein finanzieller Ausgleich in Betracht kommt, weil sie sich mit dem planwidrigen Zustand abfinden muss (BayObLGZ 1989, 470/473 f.). Hierbei kann indes eine Rolle spielen, dass die Antragstellerin die Wohnung ohne eigene Kenntnis und im Wissen ersteigert hat, dass das Verkehrswertgutachten nur nach dem äußeren Eindruck erstellt wurde. Zudem kann erheblich sein, ob ihr Gebot den tatsächlichen Wertverhältnissen entsprach.

d) Auf den Hilfsantrag zur Einziehung einer zusätzlichen Trennwand ist an dieser Stelle nicht einzugehen, weil vom Landgericht darüber erst entschieden werden kann, falls der Hauptantrag auf Versetzung der Trennwand abgewiesen wird. Der Senat weist zum Hilfsantrag jedoch auf den bestandskräftigen Eigentümerbeschluss vom 8.8.2002 zu Tagesordnungspunkt 6.1 hin, der den Einzug einer zusätzlichen Wand entsprechend dem hier gestellten Verlangen zum Gegenstand haben dürfte.

3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst; das Landgericht wird auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Die Geschäftswertfestsetzung beruht auf § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG.

Ende der Entscheidung

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