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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 16.06.2004
Aktenzeichen: 2Z BR 253/03
Rechtsgebiete: BRAO, ZPO


Vorschriften:

BRAO § 55
ZPO § 172
ZPO § 189
1. Der bestellte Kanzleiabwickler tritt als Verfahrensbevollmächtigter vollständig an die Stelle des verstorbenen oder aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschiedenen Rechtsanwalts. Folglich sind ihm allein gerichtliche Entscheidungen zuzustellen.

2. Die Heilung einer unterbliebenen oder fehlerhaften Zustellung setzt voraus, dass das betreffende Schriftstück mit Zustellungswillen des Gerichts dem betreffenden Verfahrensbeteiligten oder seinem Bevollmächtigten zugeht. Die bloße Kenntnisnahme bei Gelegenheit einer Akteneinsicht reicht nicht aus.


Gründe:

I. Der Antragsgegner ist Wohnungseigentümer in einer Wohnanlage, die von der Antragstellerin verwaltet wird. Diese erwirkte gegen den Antragsgegner einen Vollstreckungsbescheid über eine Hauptsachesumme von insgesamt 5.926,18 EURO. Dieser Betrag setzte sich aus Wohngeldforderungen vom 1.1. bis 31.12.2001 und vom 1.1. bis 31.12.2002, jeweils gemäß Wirtschaftsplan, zusammen.

Da in der nach zulässigem Einspruch des Antragsgegners durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht der damalige Verfahrensbevollmächtigte A der Antragstellerin nicht erschienen und auch keine Antragsbegründung eingegangen war, hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 19.12.2002 den Vollstreckungsbescheid aufgehoben, den Antrag abgewiesen und den Geschäftswert auf 6.625,50 EURO festgesetzt. Hiergegen hat die Antragstellerin sofortige Beschwerde eingelegt.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Beschwerdegericht am 7.5.2003 erschien zwar der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin nicht, aber deren Geschäftsführer. Der Antragstellerin wurde aufgegeben, u.a. die Eigentümerbeschlüsse zu den Wirtschaftsplänen 2001 und 2002 sowie über die Jahresabrechnungen 1999, 2000 und 2001 vorzulegen. Mit Schriftsatz vom 21.5.2003 meldete sich ein Rechtsanwalt B als Kanzleiabwickler des bisherigen Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin und beantragte Verlängerung der Frist zur Vorlage der angeforderten Unterlagen um zwei Wochen. Einen Teil der Unterlagen übersandte die Antragstellerin dem Beschwerdegericht mit Schreiben vom 20.5.2003.

Mit Beschluss vom 21.8.2003 hat das Landgericht die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen. Der Beschluss wurde gemäß Vermerk der Geschäftsstelle "an Kl. Vertr." gemäß § 174 ZPO am 28.8.2003 zur Zustellung gegeben. Ein Empfangsbekenntnis des früheren Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin oder dessen Kanzleiabwicklers befindet sich nicht bei den Akten.

Mit Schriftsatz vom 16.9.2003 haben sich die derzeitigen Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin für die "Eigentümergemeinschaft ..." bestellt und um Aktenübersendung zur Einsichtnahme gebeten. Mit Schreiben vom 1.10.2003 haben sie die Akten an das Amtsgericht zurückgeschickt. Mit Schriftsatz vom 5.11.2003, eingegangen am 6.11.2003, an das Landgericht haben die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin sich für diese bestellt und zugleich unter Beantragung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sofortige weitere Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts vom 21.8.2003 eingelegt.

II. Das zulässige Rechtsmittel ist nicht begründet.

1. Die sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, insbesondere rechtzeitig eingelegt (§ 45 Abs. 1 WEG, § 29 Abs. 4, § 22 Abs. 1 FGG).

a) Die Rechtsmittelfrist beginnt im Fall der Bekanntmachung durch Zustellung eines Beschlusses nach § 16 Abs. 2 FGG mit dem Zeitpunkt der wirksamen Zustellung. Im vorliegenden Fall lässt sich weder die Tatsache noch der Zeitpunkt einer wirksamen Zustellung nachweisen, weil eine Zustellungsurkunde oder ein Empfangsbekenntnis fehlt. Es ist nach dem Akteninhalt bereits zweifelhaft, ob ein Zustellversuch überhaupt an die richtige Person durchgeführt worden ist. Im Beschluss des Landgerichts ist als Verfahrenbevollmächtigter der Antragstellerin Rechtsanwalt A genannt. Dieser war aber zu diesem Zeitpunkt nicht mehr Verfahrensbevollmächtigter; an seine Stelle war sein Kanzleiabwickler Rechtsanwalt B getreten, wie sich aus dessen Schriftsatz vom 21.5.2003 ergab. Nach § 55 Abs. 5, Abs. 2 Satz 3 BRAO hat der Abwickler die gleichen Befugnisse wie der Rechtsanwalt, dessen schwebende Angelegenheiten er abzuwickeln hat. Er wird an dessen Stelle Verfahrensbevollmächtigter des Mandanten des verstorbenen oder aus der Anwaltschaft ausgeschiedenen Rechtsanwalts (Kleine-Cosack BRAO 3. Aufl. § 55 Rn. 4; Feuerich/Weyland BRAO 6. Aufl. § 55 Rn. 17, 18). Folglich muss auch ihm nach § 172 ZPO eine gerichtliche Entscheidung zugestellt werden.

b) Der Zustellungsmangel ist nicht nach § 189 ZPO geheilt worden. Denn der Beschluss des Landgerichts ist weder der Antragstellerin noch ihren derzeitigen Verfahrensbevollmächtigten zu einem späteren, nachweisbaren Zeitpunkt tatsächlich zugegangen. Dazu wäre erforderlich gewesen, dass der Beschluss mit Zustellungswillen des Landgerichts in die Hände der jetzigen Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin (§ 172 ZPO) gelangt ist. Dies ist jedoch bis heute nicht geschehen. Dass die Verfahrensbevollmächtigten durch Akteneinsicht Kenntnis vom Beschluss des Landgerichts erlangt haben, reicht als Zugang im Sinn von § 189 ZPO nicht aus (Zöller/Stöber, ZPO 24. Aufl. § 189 Rn. 3; Wenzel in MünchKomm ZPO Aktualisierungsband § 189 Rn. 8).

c) Da somit der Beschluss des Landgerichts der Antragstellerin bis heute nicht rechtswirksam bekannt gemacht worden ist, hat auch der Lauf für die Einlegung der sofortigen weiteren Beschwerde nicht begonnen, so dass die Einlegung am 6.11.2003 rechtzeitig war.

2. Die sofortige weitere Beschwerde ist aber unbegründet.

a) Das Landgericht hat ausgeführt: Die Antragstellerin habe nicht nachgewiesen, dass die geltend gemachten Ansprüche tatsächlich bestehen. Es fehle an ordnungsmäßigen Beschlüssen der Wohnungseigentümer. Der Eigentümerbeschluss vom 15.11.2000 betreffe ausschließlich den Wirtschaftsplan 2000. Vorliegend gehe es aber um Zahlungspflichten für die Jahre 2001 und 2002. Für diese Jahre lägen Beschlüsse über die Geltung von Wirtschaftsplänen nicht vor. Auch Jahresabrechnungen lägen nicht vor. Anschreiben der Antragstellerin an den Antragsgegner vom Dezember 2000 und vom Juni 2002 seien keine ausreichende Grundlage, um Zahlungsverpflichtungen zu begründen. Eine Fortwirkung der Zahlungsverpflichtungen aus dem Wirtschaftsplan von 2000 für die Jahre 2001 und 2002 könne nicht angenommen werden. Entsprechende Eigentümerbeschlüsse lägen nicht vor.

b) Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Das Landgericht hat zutreffend entschieden, dass eine Pflicht des einzelnen Wohnungseigentümers, Vorschüsse auf die voraussichtlichen Ausgaben bei der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums (Wohngeld) zu zahlen, erst dann entsteht, wenn die Wohnungseigentümer mit Mehrheit den vom Verwalter aufgestellten Wirtschaftplan samt Einzelwirtschaftsplänen beschließen (vgl. § 28 Abs. 2, Abs. 1 WEG; BayObLG NZM 2002, 874). Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 WEG hat der Verwalter den Wirtschaftsplan jeweils für ein Kalenderjahr aufzustellen. Der Wirtschaftsplan muss dann auch für jedes Jahr von den Wohnungseigentümern beschlossen werden, § 28 Abs. 2 WEG. Wohngeldvorschüsse können nur dann auf Grund eines Wirtschaftsplans für ein vergangenes Kalenderjahr verlangt werden, wenn entweder die Gemeinschaftsordnung vorsieht, dass ein beschlossener Wirtschaftsplan weiter gilt, bis ein neuer beschlossen wird, oder wenn im Einzelfall die Fortgeltung des Wirtschaftsplans über den Jahreswechsel hinaus beschlossen wurde (vgl. zum Ganzen Jennißen Die Verwalterabrechnung nach dem WEG 5. Aufl. VI. Rn. 19 und 27). Keine dieser Ausnahmen liegt hier vor, so dass der Antragsgegner auf Grund des beschlossenen Wirtschaftsplans für 2000 in den Jahren 2001 und 2002 kein Wohngeld schuldet. Eigentümerbeschlüsse, die Wirtschaftspläne für 2001 und 2002 billigen, sind nicht vorgelegt worden, obwohl das Landgericht deren Vorlage aufgegeben hat.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 47 WEG, die Festsetzung des Geschäftswerts auf § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG. Der Geschäftswert für das Verfahren vor dem Amtsgericht wird gemäß § 31 Abs. 1 Satz 2 KostO von Amts wegen abgeändert. Maßgebend für den Geschäftswert ist nur der Hauptsachebetrag der geltend gemachten Forderung. Zinsen und Kosten bleiben unberücksichtigt.



Ende der Entscheidung

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