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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 18.09.2002
Aktenzeichen: 2Z BR 39/02
Rechtsgebiete: WEG, FGG, BGB
Vorschriften:
WEG § 21 Abs. 4 | |
WEG § 21 Abs. 5 Nr. 2 | |
FGG § 12 | |
FGG § 271 | |
BGB § 242 |
Gründe:
I.
Die Antragsteller und die Antragsgegner sind die Wohnungseigentümer einer Wohnanlage.
Die Antragsteller erwarben ihre Wohnung vom Bauträger, als die Anlage noch im Bau war. Mit dem Eigentum an der Wohnung der Antragsteller ist das Sondernutzungsrecht an einem Kfz-Stellplatz in der Tiefgarage verbunden.
Der den Antragstellern zustehende Stellplatz ist jedoch nicht nutzbar, weil im Rahmen der Baufertigstellung mittig in der Einfahrt ein Stützpfeiler aus Stahlbeton angebracht wurde.
Der Verkäufer und Bauträger ist insolvent. Die Antragsteller verlangen von den Antragsgegnern die Herstellung eines den Bauplänen und der Teilungserklärung entsprechenden Zustands des Stellplatzes.
Die Hausverwaltung wandte sich deshalb an einen Architekten. Dieser teilte mit Schreiben vom 28.2.2001 mit, dass der Pfeiler entfernt werden müsse, um eine ungehinderte Zufahrt zum Stellplatz zu ermöglichen. Hierzu müssten neue Stützen und eine Unterfangung hergestellt werden. Eine überschlägige Kostenermittlung, die unter anderem eine statische Berechnung beinhalte, ergäbe einen Aufwand in Höhe von ca. 30000 DM zuzüglich MWSt. Das Schreiben des Architekten an die Hausverwaltung endet mit folgendem Satz: "Es handelt sich bei dieser Maßnahme um einen erheblichen Eingriff in das Tragsystem des Gebäudes, so dass mit Setzungen gerechnet werden muss, die zu Rissen im Bereich der gesamten Wohnungstrennwand und der angrenzenden Wände führen."
Die Antragsteller haben beim Amtsgericht beantragt, die Antragsgegner zu verpflichten, den Stellplatz nutzbar zu machen und den Antragstellern als Sondernutzungsberechtigten zu übergeben. Mit Beschluss vom 5.11.2001 hat das Amtsgericht den Antrag zurückgewiesen. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 8.3.2002 zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragsteller.
II.
Das zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung an das Landgericht.
1. Das Landgericht hat ausgeführt:
Der Anspruch der Antragsteller gegen die Antragsgegner auf Mitwirkung bei der Herstellung eines erstmaligen ordnungsgemäßen Zustands der Wohnanlage sei im vorliegenden Fall durch Treu und Glauben ausgeschlossen. Dabei bedürfe es keiner abschließenden Würdigung, ob der Wert des durch die Säule beeinträchtigten Stellplatzes in der Größenordnung des seinerzeit angesetzten Kaufpreisanteils von 19500 DM anzusiedeln sei oder deutlich darüber liege. Nach dem Schreiben des Architekten sei mit Kosten inklusive Mehrwertsteuer in Höhe von 34880 DM zu rechnen. Dabei handle es sich jedoch nur um den Primäraufwand. Nach dem Schreiben des Architekten müsse von vorneherein mit Setzungen gerechnet werden, die zu Rissen im Bereich der gesamten Wohnungstrennwand und der angrenzenden Wände führen würden. Diese für die Gemeinschaft unabsehbaren Folgen der begehrten Leistungen gäben letztlich den Ausschlag, die von den Antragstellern begehrten Maßnahmen für die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer für unzumutbar zu halten. Das sei auch der Grund, weshalb sich die Antragsteller nicht darauf berufen könnten, dass die Gemeinschaft Sonderumlagen zur Finanzierung anderweitiger Fertigstellungsmaßnahmen beschlossen habe. Die Antragsteller würden selbst nicht behaupten, dass die mittels der Sonderumlage in Angriff zu nehmenden Fertigstellungsmaßnahmen mit ähnlich unabsehbaren und kostenträchtigen Risiken belastet wären wie die von den Antragstellern begehrte Säulenbeseitigung.
2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Grundsätzlich kann jeder Wohnungseigentümer von den übrigen Wohnungseigentümern gemäß § 21 Abs. 4, Abs. 5 Nr. 2 WEG die Mitwirkung bei der Herstellung eines erstmaligen ordnungsgemäßen Zustands der Wohnanlage entsprechend dem Aufteilungsplan und den Bauplänen verlangen (vgl. BayObLGZ 1989, 470/473 = NJW-RR 1990, 332; BayObLG ZMR 1999, 846/847). Dieser Anspruch kann jedoch, wie der Senat in den vorzitierten Entscheidungen ebenfalls ausgeführt hat, durch § 242 BGB ausgeschlossen sein, wenn die Erfüllung des Anspruchs den Anspruchsgegnern bei Berücksichtigung aller Umstände nach Treu und Glauben nicht zuzumuten ist.
Die Tatsachen, auf die das Landgericht den Ausschluss des Anspruchs nach Treu und Glauben gestützt hat, hat es unzureichend festgestellt.
Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 FGG ist der Senat auf die rechtliche Überprüfung der Entscheidung beschränkt. Die Tatsachenwürdigung des Landgerichts ist jedoch daraufhin zu überprüfen, ob der Tatrichter den maßgebenden Sachverhalt ausreichend erforscht, bei der Erörterung des Beweisstoffes alle wesentlichen Umstände berücksichtigt und hierbei nicht gegen gesetzliche Beweisregeln und Verfahrensvorschriften sowie gegen Denkgesetze und feststehende Erfahrungssätze und den allgemeinen Sprachgebrauch verstoßen hat (vgl. statt aller Keidel/ Kahl FGG 14. Aufl. § 27 Rn. 42 m. w. N.). Das Landgericht hat das Schreiben des Architekten vom 28.2.2001 fehlerhaft gewürdigt und vor allem den Sachverhalt nicht ausreichend erforscht.
b) Die angegriffene Entscheidung ist bereits deshalb aufzuheben, weil das Landgericht dem Schreiben des Architekten Umstände entnommen hat, die in diesem nicht festgehalten sind (BayObLG NJW 2002, 1506).
Das Landgericht hat unterstellt, dass nach dem Schreiben des Architekten "von vorneherein" mit Setzungen gerechnet werden müsse. Die Worte "von vorneherein" sind jedoch im Schreiben des Architekten nicht enthalten. Der Architekt führt lediglich aus, dass mit Setzungen gerechnet werden müsse. Der Wahrscheinlichkeitsgrad wird vom Architekten nicht genannt, durch die Annahme, dass dies "von vorneherein" der Fall sei, wird jedoch ein höherer Wahrscheinlichkeitsgrad unterstellt, als dies dem Gutachten zu entnehmen ist. Davon beeinflusst ist auch die weitere Folgerung des Landgerichts, dass die begehrte Leistung für die Gemeinschaft unabsehbare Folgen habe. Auch von unabsehbaren Folgen ist im Schreiben des Architekten nicht die Rede. Dieser führt lediglich aus, dass mit Setzungen gerechnet werden müsse, die zu Rissen im Bereich der gesamten Wohnungstrennwand und der angrenzenden Wände führen würden. Der Architekt macht weder dazu Ausführungen, welche Folgen bereits absehbar sind und welche nicht, noch macht er dazu Ausführungen, welcher Art die möglicherweise zu erwartenden Risse sein würden. Die vom Landgericht gezogene Schlussfolgerung findet deshalb im Schreiben des Architekten keine hinreichende Grundlage. Eine eigene Sachkunde hat das Landgericht nicht dargelegt.
c) Wie sich aus dem Vorstehenden bereits ergibt, hat das Landgericht auch gegen § 12 FGG verstoßen, da es den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt hat. Bei dem Schreiben des Architekten handelt es sich nicht um ein Gutachten, sondern lediglich um eine kurze Stellungnahme zu einer Anfrage der Hausverwaltung.
Der Senat folgt zwar in der rechtlichen Beurteilung dem Landgericht darin, dass eine Beseitigung des Stützpfeilers für die Antragsgegner unzumutbar wäre, wenn dadurch mit unabsehbaren Folgen und gravierenden Rissebildungen gerechnet werden müsste, diese Folgeschäden einen gewissen Grad von Wahrscheinlichkeit hätten und durch andere zumutbare technische Maßnahmen nicht ausgeräumt werden könnten.
Hierzu hat aber das Landgericht keine hinreichenden tatsächlichen Feststellungen getroffen. Der Architekt führt in seinem Schreiben selbst aus, dass zu den erforderlichen Arbeiten noch statische Berechnungen gehören würden. Dass der Architekt selbst, jedenfalls ansatzweise, solche Berechnungen vorgenommen hat, ist nicht ersichtlich. Das Landgericht hat auch keine tatsächlichen Feststellungen dazu getroffen, ob es zu den vom Architekten genannten Maßnahmen Alternativen gibt. Weiter 'ist auch offen, in welchem Umfang Setzungen eintreten werden und ob es sich bei den gegebenenfalls zu erwartenden Rissen lediglich um kleinere Risse handelt, die durch einfache Verspachtelungen beseitigt werden können, oder ob schwerwiegendere Beeinträchtigungen zu erwarten sind, die zu dauerhaften Schäden des Gebäudes führen können. Dass der Architekt in seinem Schreiben ohne nähere Darstellung ausführt, dass es sich um einen erheblichen Eingriff in das Tragesystem des Gebäudes handele, ist eine Wertung, die in dieser Allgemeinheit weder aussagekräftig noch nachvollziehbar ist. Sie reicht jedenfalls nicht aus, um die Unzumutbarkeit der Maßnahmen für die Antragsgegner zu begründen.
d) Die Entscheidung des Landgerichts kann auch nicht mit der Begründung gestand haben, dass die Aufwendungen der Antragsgegner im Vergleich zum Vorteil für die Antragsteller unzumutbar hoch sind. Das Landgericht hat sich hierzu einerseits die Ausführungen des Amtsgerichts zu eigen gemacht, dass der Aufwand in keinem Verhältnis zum Wert des Stellplatzes stehe, andererseits aber zum Wert des Stellplatzes ausdrücklich keine abschließende Würdigung vorgenommen.
Da vom Landgericht zur Höhe des finanziellen Nachteils der Antragsteller ausdrücklich keine abschließenden Feststellungen getroffen wurden, kann der Senat ohne weitere Sachaufklärung nicht beurteilen, ob im konkreten Einzelfall bereits ein Missverhältnis zwischen Aufwand und Nutzen einen Verstoß gegen Treu und Glauben begründen würde.
Dabei geht der Senat davon aus, dass hinsichtlich des finanziellen Nachteils der Antragsteller nicht allein auf den fiktiven Kaufpreisanteil von 19500 DM abgestellt werden kann. Eine Wohnung, zu der ein Tiefgaragenstellplatz gehört, kann sich durchaus größerer Wertschätzung erfreuen als eine Wohnung ohne solchen Stellplatz. Dies kann Gründe in der Notwendigkeit des Vorhandenseins eines Stellplatzes haben, z.B. bei einem behinderten Bewohner, oder auch nur in reiner Bequemlichkeit. Eine Rolle spielt es dabei auch, ob nach den örtlichen Gegebenheiten dem Vorhandensein eines Stellplatzes eine allgemeine Wertschätzung zukommt. Es ist deshalb durchaus möglich, dass allein der Umstand, dass kein Tiefgaragenstellplatz vorhanden ist, für die Wohnung selbst einen geringeren Verkehrswert begründet. Entsprechendes gilt für den Fall der Vermietung einer Wohnung. Abgesehen von der für den Stellplatz möglicherweise gesondert ausgewiesenen Miete, ist es je nach den örtlichen Verhältnissen durchaus nicht fernliegend, dass auch für die Wohnung selbst eine geringere Miete erzielt wird als für eine Wohnung, der ein Tiefgaragenstellplatz im Hause zugeordnet ist. Die vom Landgericht als "wundersame Schadensvermehrung" gewerteten Ausführungen der Antragsteller sind zwar nicht in jeder Weise überzeugend, hätten aber Veranlassung gegeben, den tatsächlichen Nachteil der Antragsteller, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme sachverständiger Beratung, näher aufzuklären (§ 12 FGG).
e) Lediglich vorsorglich und ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der Einwand von Treu und Glauben regelmäßig nicht nur einen rechnerischen Vergleich von Aufwand und finanziellem Nutzen erfordert, sondern eine umfassende Abwägung aller Umstände verlangt (BayObLG ZMR 1999, 846/847; Beschluss vom 5.9.2002 - 2Z BR 130/01). Ein rein mathematischer Vergleich ist deshalb nicht unbedingt ausreichend. Erst wenn der Aufwand den Nutzen deutlich übersteigt, ist die Durchsetzung des an sich gegebenen Anspruchs rechtsmissbräuchlich. Dabei ist in die Wertung auch einzubeziehen, dass im Fall der Nichtdurchführung der Maßnahme den Antragstellern ein Ausgleichsanspruch zustehen kann (BayObLGZ 1989, 470/473 = NJW-RR 1990, 332/333). Auch wird zu prüfen sein, ob die Antragsteller den auf den Stellplatz entfallenden Kaufpreisteil, sofern er noch nicht bezahlt wurde, zur erstmaligen Herstellung eines ordnungsmäßigen Zustands aufwenden müssen, so dass der auf alle Wohnungseigentümer entfallende Anteil entsprechend geringer ausfiele.
3. Die Kostenentscheidung war dem Landgericht vorzubehalten.
Die in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen getroffene Geschäftswertfestsetzung beruht auf § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG.
Ende der Entscheidung
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