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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 24.08.2000
Aktenzeichen: 2Z BR 58/00
Rechtsgebiete: WEG


Vorschriften:

WEG § 15 Abs. 1
WEG § 10 Abs. 1 Satz 2
Das Verbot, einen Hund zu halten, darf gegenüber einem schwer gesundheitsgeschädigten (contergangeschädigten) Wohnungseigentümer dann nicht durchgesetzt werden, wenn der Hund zur Stabilisierung des seelischen Zustand erforderlich ist.
BayObLG Beschluss

LG Regensburg 7 T 332/99 AG Regensburg 13 UR II 5/99

2Z BR 58/00

24.08.00

Der 2. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Reichold und der Richter Werdich und Dr. Delius am 24. August 2000 in der Wohnungseigentumssache wegen Hundehaltungsverbotes,

beschlossen:

Tenor:

I. Der Antragsgegnerin zu 1 wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren Prozeßkostenhilfe bewilligt; ihr wird Rechtsanwalt R als Verfahrensbevollmächtigter beigeordnet.

II. Auf die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegnerin zu 1 wird der Beschluss des Landgerichts Regensburg vom 8. Mai 2000 aufgehoben.

III. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht Regensburg zurückverwiesen.

IV. Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 3000 DM festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragsteller und die Antragsgegner sind die Wohnungseigentümer einer größeren Wohnanlage.

In der Teilungserklärung ist bestimmt:

Die Benutzung des Sondereigentums und des gemeinschaftlichen Eigentums kann durch eine vom Verwalter aufgestellte Hausordnung geregelt werden. Änderungen der Hausordnung werden vom Verwalter vorgenommen. Die Bestimmungen der Hausordnung können durch die Versammlung der Wohnungseigentümer mit einfacher Stimmenmehrheit geändert werden.

Die Hausordnung enthält folgende Regelung:

Hunde, Katzen und andere Tiere dürfen nur mit ausdrücklicher, jederzeit widerruflicher Genehmigung des Verwalters gehalten werden. Es ist darauf zu achten, dass die übrigen Hausbewohner dadurch nicht belästigt werden. Ebenso ist die Verunreinigung zum gemeinschaftlichen Eigentum gehörender Räume und Grundstücksanlagen durch Haustiere zu vermeiden.

Am 23.9.1983 beschlossen die Wohnungseigentümer, dass in der Wohnanlage keine Hunde, Katzen und Hasen gehalten werden dürfen. Dieser Beschluss ist bestandskräftig.

Die Antragsgegnerin zu 1, die im Jahr 1986 Wohnungseigentum erwarb, schaffte sich im Jahr 1998 ohne Genehmigung des Verwalters einen Hund an. Die Antragsteller tragen vor, bei der Hausverwaltung seien Beschwerden eingegangen, dass der Hund bis 23.00 Uhr belle und dass vor dem Hauseingang Hundekot liege.

Die Antragsgegnerin zu 1 trägt vor, dass sie schwer contergangeschädigt und aufgrund ihrer Behinderung ohne Arbeit sei. Sie sei an ihre Wohnung gebunden und unterhalte kaum Kontakt zu anderen Menschen. Der Hund sei, wie ärztlicherseits bestätigt worden sei, zur Stabilisierung ihres seelischen Zustands wichtig.

Die Antragsteller haben beantragt, die Antragsgegnerin zu 1 zu verpflichten, die Hundehaltung zu unterlassen und ihren Hund aus der Anlage zu entfernen. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 6.5.1999 dem Antrag stattgegeben. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 8.5.2000 die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin zu 1 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich deren sofortige weitere Beschwerde. Außerdem hat sie beantragt, ihr für das Rechtsbeschwerdeverfahren Prozeßkostenhilfe zu bewilligen.

II.

Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor, § 14 FGG, §§ 114, 115 ZPO. Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der Entscheidung des Landgerichts und zur Zurückverweisung der Sache an dieses. Die Antragsgegnerin zu 1 verfügt weder über Einnahmen noch über einsetzbares Vermögen im Sinn des § 115 Abs. 2 ZPO, § 88 BSHG. Gemäss § 121 Abs. 2 ZPO ist ihr ein Rechtsanwalt als Verfahrensbevollmächtigter beizuordnen.

III.

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Das Verbot der Hundehaltung sei aufgrund des bestandskräftigen Eigentümerbeschlusses vom 23.9.1983 für alle Wohnungseigentümer verbindlich. Die Antragsteller müßten die Hundehaltung durch die Antragsgegnerin zu 1 auch nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben hinnehmen. Eine Duldung durch die übrigen Wohnungseigentümer sei nicht deshalb veranlaßt, weil die Antragsgegnerin zu 1 behindert und zur Erhaltung ihrer Lebensqualität auf einen Hund angewiesen sei. Vor Abschluß des Kaufvertrages habe sich die Antragsgegnerin zu 1 ohne weiteres bei der Hausverwaltung erkundigen können, inwieweit eine Hundehaltung zulässig sei. Die berechtigten Interessen der übrigen Wohnungseigentümer dürften nicht außer Betracht gelassen werden.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Das Landgericht geht zwar in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 129, 329) und des Senats (BayObLGZ 1995, 42) zutreffend davon aus, dass aufgrund des unangefochtenen Mehrheitsbeschlusses vom 23.9.1983 die Hundehaltung in der Wohnanlage generell verboten ist. Auch hat das Landgericht, wie vom Bundesgerichtshof ausgesprochen, beachtet, dass die Durchsetzung des Verbots unter dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben im Rechtsverkehr (§ 242 BGB) steht und daher im Einzelfall unzulässig sein kann. Rechtsfehlerhaft kommt das Landgericht aber zum Ergebnis, dass hier ein Verstoß gegen Treu und Glauben nicht vorliege. Das Landgericht räumt zwar ein, dass die Antragsgegnerin zu 1 zur Erhaltung ihrer Lebensqualität auf das Halten eines Hundes angewiesen sei. Es wird aber nicht näher ausgeführt, was unter Erhaltung der Lebensqualität zu verstehen ist; insbesondere hätte in diesem Zusammenhang der unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung von der Antragsgegnerin zu 1 vorgetragene Sachverhalt Berücksichtigung finden müssen, die Haltung des Hundes sei zur Stabilisierung ihres seelischen Zustandes wichtig. Auch der Vortrag der Antragsgegnerin zu 1, sie sei aufgrund ihrer Behinderung seit Verlust ihres Arbeitsplatzes praktisch ohne Sozialkontakt und deshalb in besonderer Weise auf das Halten des Hundes angewiesen, findet in den Ausführungen des Landgerichts keine Berücksichtigung. Es ist somit nicht nachvollziehbar begründet, weshalb in dem hier vorliegenden Ausnahmefall die Durchsetzung des Verbots nicht gegen Treu und Glauben verstößt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Landgericht hervorgehobenen Erwägung, die Antragsgegnerin zu 1 hätte sich vor Abschluß ihres Kaufvertrages bei der Hausverwaltung erkundigen müssen, ob eine Hundehaltung zulässig sei. Es ist schon nicht ersichtlich, ob bereits im Jahr 1986 die von der Antragsgegnerin zu 1 nunmehr behauptete Störung des seelischen Gleichgewichts und das Nichtvorliegen von Sozialkontakten gegeben war. In dieser Hinsicht hat das Landgericht seiner Amtsermittlungspflicht nicht genügt. Im übrigen kann im Einzelfall eine Verbotsdurchsetzung auch dann gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn erforderliche Erkundigungen nicht eingezogen wurden und dies dem Hundehalter zum Vorwurf zu machen ist.

Da die Entscheidung, ob ein Verstoß gegen Treu und Glauben vorliegt, in erster Linie Sache der tatrichterlichen Würdigung ist und hier noch weitere Ermittlungen durchzuführen sind, ist eine eigene Sachentscheidung durch den Senat nicht möglich. Auf jeden Fall wird das Landgericht die Antragsgegnerin zu 1 persönlich anzuhören haben. Gegebenenfalls wird auch der behandelnde Arzt oder ein Gutachter zu hören sein.

3. Die Geschäftswertfestsetzung für das Rechtsbeschwerdeverfahren beruht auf § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG.

Ende der Entscheidung

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