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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 16.06.2004
Aktenzeichen: 2Z BR 65/04
Rechtsgebiete: WEG


Vorschriften:

WEG § 14 Nr. 1
WEG § 22 Abs. 1
1. Das Erfordernis der Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer zu einer baulichen Veränderung ist abdingbar.

2. Der Umfang einer baulichen Veränderung rechtfertigt als solcher nicht zwingend den Schluss, die Maßnahme bedürfe der Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer.

3. Im Einzelfall kann es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden sein, wenn der Tatrichter nach Einnahme eines Augenscheins den Anbau eines unterkellerten Wintergartens in einer aus zwei Wohngebäuden bestehenden Wohnanlage als für einen anderen Wohnungseigentümer nicht zustimmungsbedürftig beurteilt.


Gründe:

Die Antragstellerin und ihr Ehemann sowie die Antragsgegnerin sind die Wohnungseigentümer einer Wohnanlage. Diese besteht aus drei Wohnungen in zwei Wohngebäuden. Die Wohngebäude sind durch zwei dazwischen liegende Garagen miteinander verbunden. Der Antragsgegnerin gehört das Wohnungseigentum im südöstlich gelegenen Gebäude mit der anschließenden Garage; der Antragstellerin gehört die Wohnung im Erdgeschoss des nordwestlichen Gebäudes mit der angebauten Garage. Den jeweiligen Gebäuden vorgelagert sind Sondernutzungsrechte an gärtnerisch oder als Terrasse genutzten Grundstücksflächen. Das Sondernutzungsrecht der Antragstellerin erstreckt sich auf die gesamte Breite des von ihr bewohnten Gebäudes einschließlich der beiden Garagen; hieran schließt sich die Sondernutzungsfläche der Antragsgegnerin an.

§ 8 der als Inhalt des Sondereigentums im Grundbuch eingetragenen Gemeinschaftsordnung lautet:

"Teile des gemeinschaftlichen Eigentums, die einzelnen Sondereigentümern zur ausschließlichen Nutzung zugewiesen wurden, können vom jeweiligen Eigentümer ohne Zustimmung der übrigen Sondereigentümer verändert werden."

Die Antragsgegnerin begann im Sommer 2002 auf der Grundlage einer Baugenehmigung vom 14.11.2001 mit den Fundamentarbeiten zur Errichtung eines unterkellerten Wintergartens auf der ihr zugewiesenen Sondernutzungsfläche. Geplant ist ein Bauwerk im Wesentlichen in Aluminium-Holz-Glas-Konstruktion, das von der Gebäudewand aus eine Tiefe von etwa 5 m in den Garten aufweist und bis knapp 3 m hoch ist.

Die Antragstellerin hat erstinstanzlich beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Bauarbeiten an dem Wintergarten zu unterlassen und ihn, soweit er bereits errichtet ist, zu beseitigen. Das Amtsgericht hat dem Antrag am 12.9.2002 stattgegeben. Das Landgericht hat auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin mit Beschluss vom 5.2.2003 die Entscheidung des Amtsgerichts aufgehoben und den Antrag der Antragstellerin abgewiesen. Auf die sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin hat der Senat den Beschluss des Landgerichts am 3.7.2003 (2Z BR 34/03) aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen. Das Landgericht hat nach durchgeführtem Augenschein mit Beschluss vom 27.2.2004 wiederum der sofortigen Beschwerde stattgegeben und den Antrag der Antragstellerin auf Unterlassung weiterer und Beseitigung schon durchgeführter Baumaßnahmen abgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin.

II. Das zulässige Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Der im Schriftsatz vom 9.6.2004 formulierte Antrag auf Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands hat nur klarstellende Bedeutung.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Nach dem Ergebnis des durchgeführten Augenscheins werde die Antragstellerin durch die Errichtung des Wintergartens nicht über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus beeinträchtigt. Maßstab sei, ob sich nach der Verkehrsanschauung ein Wohnungseigentümer in der betreffenden Situation verständlicherweise beeinträchtigt fühlen könne. Unerhebliche Beeinträchtigungen genügten nicht. Notwendig sei eine objektivierte Betrachtungsweise. Hiernach könne keine relevante Beeinträchtigung der Antragstellerin durch den Anbau festgestellt werden. Optisch wirke der geplante Wintergarten jedenfalls nicht störend. Er füge sich nach Konstruktion und Materialien architektonisch-ästhetisch gut in die vorhandene Bebauung ein und harmoniere mit dem auch ansonsten sehr gepflegten Zustand des Anwesens. Auf die geplante Größe des Wintergartens komme es für die Frage der Zustimmungspflicht nicht an.

Ein Nachteil sei auch deshalb zu verneinen, weil das Bauwerk nicht sichtbar sei. Zwar sei die ursprünglich dichte Fichtenbepflanzung in diesem Maß nicht mehr vorhanden. An dem Zaun befinde sich jedoch eine Bastmattenverkleidung, die die Sicht vom Grundstück der Antragstellerin aus auf den Wintergarten verdecke. Maßgeblich sei der gegebene Ist-Zustand.

Auf die Wahrung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen komme es nicht an. Zwar könne ein Wohnungseigentümer die Einhaltung drittschützender Normen und die materielle Baurechtswidrigkeit eines genehmigten Bauvorhabens im Wohnungseigentumsverfahren geltend machen. Dazu komme es jedoch nur, wenn § 22 WEG wirksam abbedungen sei. Die sei hier nicht der Fall.

Die Kammer verneine auch Benachteiligungen der Antragstellerin in Belichtung, Besonnung und Belüftung ihres Grundstücks. Im Verhältnis zum gegenwärtigen Zustand müsse die Antragstellerin auch nicht mit einer stärkeren Lärmbelastung rechnen. Vorgesehen sei ein geschlossener Glasbau. An der Grenze der Sondernutzungsflächen schließe sich nicht der Wohnbereich der Antragstellerin, sondern der Garagenbereich an. Eine Verlagerung des Lebensmittelpunkts der Antragsgegnerin von der bisherigen Wohnung in den Anbau müsse die Antragstellerin grundsätzlich und auch nach den Vorgaben in der Gemeinschaftsordnung hinnehmen.

Schließlich erscheine es angemessen, der Antragstellerin, da sie unterlegen sei, die Gerichtskosten sämtlicher Rechtszüge aufzuerlegen. Für die außergerichtlichen Kosten könne es hingegen beim Grundsatz verbleiben, dass jeder der Beteiligten diese selbst trägt.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

a) Bei dem geplanten Wintergarten handelt es sich um eine bauliche Veränderung des gemeinschaftlichen Eigentums, die über eine ordnungsmäßige Instandhaltung und Instandsetzung hinausgeht (§ 22 Abs. 1 WEG).

b) Die Zustimmung der anderen Wohnungseigentümer ist durch die Gemeinschaftsordnung nicht abbedungen. § 8 der Gemeinschaftsordnung erfasst nämlich nur Eingriffe in bestehendes Gemeinschaftseigentum, nicht jedoch die Schaffung neuen Gemeinschaftseigentums durch Errichtung zusätzlicher Bauwerke (vgl. Beschluss des Senats vom 3.7.2003, 2Z BR 34/03). Davon ist auch das Landgericht rechtsfehlerfrei ausgegangen.

c) Die Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer ist deshalb nur entbehrlich, wenn die Veränderung deren Rechte nicht über das in § 14 Nr. 1 WEG bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt (§ 22 Abs. 1 Satz 2 WEG). Unter einem Nachteil im Sinn von § 14 Nr. 1 WEG ist jede nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung zu verstehen, die auch in einer nicht ganz unbedeutenden Verschlechterung des optischen Gesamteindrucks der Wohnanlage liegen kann. Aber nicht jede Veränderung, etwa des optisch-architektonischen Erscheinungsbilds, stellt bereits eine das Maß des § 14 Nr. 1 WEG übersteigende Beeinträchtigung dar. Entscheidend ist, ob sich nach der Verkehrsanschauung ein Wohnungseigentümer in einer entsprechenden Lage verständlicherweise beeinträchtigt fühlen kann (siehe BGHZ 116, 392/396; BayObLG ZMR 2003, 514; Beschluss des Senats vom 3.7.2003, 2Z BR 34/03).

Ob eine derartige Beeinträchtigung vorliegt, ist weitgehend eine Frage der tatrichterlichen Würdigung, die vom Rechtsbeschwerdegericht nur beschränkt, nämlich auf Rechtsfehler, überprüft werden kann (§ 27 Abs. 1 Satz 2 FGG, § 559 Abs. 2 ZPO; Meyer-Holz in Keidel/Kuntze/Winkler FGG 15. Aufl. § 27 Rn. 42). Solche Fehler lässt die angegriffene Entscheidung nicht erkennen; die Feststellungen des Landgerichts, insbesondere im Rahmen des von der Kammer durchgeführten Augenscheins auf dem Grundstück der Beteiligten, sind deshalb für den Senat bindend. Auch wenn der Anbau eines Wintergartens im Regelfall das optische Gesamtbild (negativ) beeinträchtigt (Merle in Bärmann/Pick/Merle WEG 9. Aufl. § 22, Rn. 212 m.w.N.), schließt dies nicht aus, dass der Tatrichter im Einzelfall zu einer anderen Würdigung kommt (vgl. OLG Zweibrücken FGPrax 1999, 220/221).

(1) Das Landgericht hat an Ort und Stelle anhand der in 3-D-Version vorliegenden Planzeichnung und der schon vorhandenen Fundamente eine optisch nachteilige Veränderung des Gesamteindrucks der Wohnanlage verneint. Es hat hierbei die vorhandene Bebauung und den Zustand der Wohnanlage ebenso berücksichtigt wie den geplanten Anbau in Konstruktion, Material und Ausmaßen. Der überwiegenden Rechtsprechung folgend geht das Landgericht zutreffend davon aus, dass eine Veränderung des optischen Gesamteindrucks nur dann zustimmungsbedürftig ist, wenn die Veränderung auch nachteilig ist (BGHZ 116, 392/396; BayObLG WuM 1995, 449; NJW-RR 2003, 952; OLG Schleswig NJW-RR 1999, 666; OLG Zweibrücken FGPrax 1999, 220; Niedenführ/Schulze WEG 6. Aufl. § 22 Rn. 19).

(2) Das Landgericht hat zudem auch die Sichtbarkeit des geplanten Bauwerks verneint. Dazu hat es die Feststellung getroffen, dass die Sicht von der Sondernutzungsfläche der Antragstellerin auf den Wintergarten durch eine an der Grenze befindliche Bastmattenverkleidung verdeckt sei. Ob dies ausreicht oder ob die Wahrnehmbarkeit aus anderen Positionen ebenso ausgeschlossen werden muss (vgl. BayObLG ZMR 1999, 118; NJW-RR 2002, 445), kann dahinstehen. Denn das Landgericht hat bereits eine nachteilige Veränderung des optischen Erscheinungsbilds nicht feststellen können (1). Auf die Sichtbarkeit des Wintergartens von der Sondernutzungsfläche der Antragstellerin aus wie auch von außerhalb der Anlage kommt es demnach nicht entscheidend an.

(3) Das Landgericht geht ferner im Ergebnis zutreffend davon aus, dass es auf die Wahrung der Abstandsflächen gemäß Art. 6 ff. BayBO nicht ankommt. Für das Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander gelten in erster Linie die Regelungen im Wohnungseigentumsgesetz (§ 10 Abs. 1 Satz 1 WEG). Die Wohnungseigentümer können gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 WEG von den gesetzlichen Vorgaben abweichende Vereinbarungen treffen, soweit nicht etwas anderes ausdrücklich bestimmt ist. Jedenfalls für die Schaffung neuen Gemeinschaftseigentums durch die Errichtung zusätzlicher Bauwerke verbleibt es mangels abweichender Vereinbarung der Wohnungseigentümer nach den vorstehenden Ausführungen bei der Regelung des § 22 Abs. 1 WEG. Insbesondere haben die Wohnungseigentümer untereinander auch nichts anderes zur Einhaltung von Abstandsflächen für Anbauten im Grenzbereich der Sondernutzungsflächen vereinbart. Vorschriften über Abstandsflächen, seien es solche, die für Gebäude auf unterschiedlichen Grundstücken gelten, seien es solche für mehrere Gebäude auf demselben Grundstück wie etwa Art. 7 Abs. 3 BayBO sind demnach nicht anzuwenden. Es kommt deshalb auch nicht darauf an, ob für den Wintergartenanbau weitergehend Abstandsflächen eingehalten werden müssten, wenn die Wohnungseigentümer ein Verhältnis zueinander wie real geteilte Nachbarn vereinbart hätten (vgl. dazu BayObLG ZMR 2001, 362; ZMR 2001, 472; BayObLGZ 2001, 41/45 f.).

(4) Das Landgericht hat schließlich auch über das unvermeidliche Maß hinausgehende Beeinträchtigungen in Belichtung, Besonnung, Belüftung sowie Lärmentwicklung durch den Anbau ausgeschlossen. Dies hat es rechtsfehlerfrei aus der Konstruktionsart des Wintergartens und seiner örtlichen Lage im Verhältnis zum Nutzungsbereich der Antragstellerin hergeleitet.

Soweit bereits die intensivere Nutzungsmöglichkeit einer Freifläche durch eine Überbauung imAllgemeinen einen Nachteil bedingt (BayObLG NZM 2003, 242; Beschluss vom 9.3.2004, 2Z BR 213/03), der nicht hingenommen werden muss, stehen dem die hier vom Landgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen einer abweichenden Beurteilung aus Rechtsgründen nicht entgegen. Das Landgericht hat dazu wiederum im Wesentlichen auf die geplante Konstruktion wie auf die Lage des Anbaus abgestellt. Ergänzend lässt sich noch anfügen, dass der den baulichen Verhältnissen nach am intensivsten nutzbare Terrassenbereich der Antragstellerin vor deren Wohnzimmer durch die dazwischen befindlichen beiden Garagen nicht unmittelbar an das Nachbargebäude der Antragsgegnerin angrenzt und zudem um einige Meter zurückversetzt ist. Dass die Antragstellerin tatsächlich den Teil ihrer Terrasse vor den Garagen mittlerweile stärker nutzt, steht dem nicht entgegen.

(5) Die von der Antragstellerin nur unspezifisch behauptete erhebliche Wertminderung ihres Wohnungseigentums durch den Wintergartenanbau ist auf Grund der vom Landgericht getroffenen Feststellungen auszuschließen.

b) Schließlich ist auch die landgerichtliche Kostenverteilung als Ermessensentscheidung nicht zu beanstanden. Die Mitteilung der Antragsgegnerin vom 14.6.2002, dass im Wohnhaus Umbauarbeiten stattfänden, brauchte nicht als bewusste Irreführung der Antragstellerin über ein weitergehendes Vorhaben auf der freien Grundstücksfläche verstanden zu werden.

3. Der Senat hält es nach § 47 WEG für angemessen, der unterlegenen Antragstellerin neben den gerichtlichen auch die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens aufzuerlegen. Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG.



Ende der Entscheidung

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