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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 26.08.2004
Aktenzeichen: 2Z BR 88/04
Rechtsgebiete: BGB, WEG


Vorschriften:

BGB § 1004
WEG § 14
WEG § 15
WEG § 22
WEG § 23
1. Ein Eigentümerbeschluss, der die Zulässigkeit baulicher Veränderungen abweichend von § 22 Abs. 1 WEG generell und mit Dauerwirkung regelt, ist mangels Beschlusskompetenz nichtig.

2. Das Fehlen einer Baugenehmigung für eine bauliche Veränderung begründet nicht stets einen unvermeidbaren Nachteil im Sinn des § 14 Nr. 1 WEG.

3. Die Feststellung, ob eine bauliche Maßnahme für die übrigen Wohnungseigentümer einen unvermeidbaren Nachteil darstellt, obliegt in erster Linie dem Tatrichter und kann vom Rechtsbeschwerdegericht nur auf Rechtsfehler überprüft werden.


Gründe:

I.

Die Antragstellerinnen, der Antragsgegner und die weiteren Beteiligten sind die Wohnungseigentümer einer Wohnanlage, die aus Blockhäusern besteht.

Nach der Teilungserklärung bestehen Sondernutzungsrechte. Unter anderem steht dem Antragsgegner ein Sondernutzungsrecht an einer Fläche vor seiner Wohnung zu. Es handelt sich dabei um eine stark abfallende Hangfläche.

Die Teilungserklärung enthält zum Umfang der zulässigen Nutzung der Sondernutzungsflächen keine Regelung. In der Eigentümerversammlung vom 27.4.1991 beschlossen die Wohnungseigentümer eine Gemeinschaftsordnung (GO). In deren § 8 sind Regelungen über bauliche Veränderungen getroffen. Unter anderem ist dort vorgesehen, dass bauliche Veränderungen jedenfalls der Zustimmung des anderen Miteigentümers eines Blockhauses bedürfen. Die Zustimmung zu baulichen Veränderungen sollte nur bei berechtigtem Grund versagt werden. Erforderliche behördliche Genehmigungen seien vom Eigentümer einzuholen und zusammen mit der Zustimmung des Miteigentümers am gemeinsamen Blockhaus dem Verwalter vorzulegen. Bei Fehlen der Zustimmungen sei der Miteigentümer bei Einspruch zur Wiederherstellung des alten Zustands auf seine Kosten verpflichtet.

Der Antragsgegner errichtete auf der seinem Sondernutzungsrecht unterliegenden Fläche ohne Baugenehmigung und ohne Zustimmung der übrigen Miteigentümer eine Terrasse. Diese Terrasse ist so konstruiert, dass auf Stahlstützen und Stahlträgern Bretter verlegt sind. Die Terrasse ist ca. 18 m lang und ca. 4,50 m breit.

Die Antragstellerinnen haben beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, diese Terrasse zu entfernen und den früheren Zustand wieder herzustellen. Das Amtsgericht hat am 12.9.2003 beschlossen, den Antragsgegner zu verpflichten, die Terrasse zu entfernen, soweit sie breiter als 3 m ist, berechnet von der Außenkante der Fenster an der Ostseite des Wintergartens des Antragsgegners und der gedachten Verlängerung dieser Fensterfront nach Norden. Im Übrigen hat es den Antrag zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss haben die Antragstellerinnen sofortige Beschwerde und der Antragsgegner sofortige Anschlussbeschwerde eingelegt. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 12.3.2004 die Anschlussbeschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen und auf die Beschwerde der Antragstellerinnen den Beschluss des Amtsgerichts teilweise aufgehoben und den Antragsgegner verpflichtet, die Terrasse zu entfernen und den früheren Zustand wieder herzustellen. Gegen diesen Beschluss hat der Antragsgegner sofortige weitere Beschwerde eingelegt und erstmals im Rechtsbeschwerdeverfahren hilfsweise beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, die vor seinem Sondereigentum befindliche Terrasse, belegt mit Holzbrettern, zu entfernen, soweit sie über die in dem Eingabeplan vom 24.6.2004 dargestellten Maße hinausgehe.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet. Der Hilfsantrag ist unzulässig.

1. Die Entscheidung des Landgerichts leidet an einem Verfahrensfehler. Es liegt eine Streitigkeit der Wohnungseigentümer über die sich aus der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ergebenden Rechte und Pflichten nach § 43 Abs. 1 Nr. 1 WEG vor. An diesem Verfahren sind deshalb nach § 43 Abs. 4 Nr. 1 WEG sämtliche Wohnungseigentümer zu beteiligen. Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht nicht die übrigen Wohnungseigentümer, sondern den Verwalter als weiteren Beteiligten hinzugezogen. Der Senat konnte jedoch die Beteiligung der übrigen Wohnungseigentümer nachholen, da diesen das rechtliche Gehör gewährt wird und ausgeschlossen werden kann, dass eine Beteiligung der übrigen Wohnungseigentümer in den Tatsacheninstanzen eine weitere entscheidungserhebliche Sachaufklärung gebracht hätte (vgl. BayObLGZ 2004, 1/2).

2. In der Sache hat das Landgericht ausgeführt:

Die Errichtung der Terrasse verstoße sowohl gegen § 8 GO als auch gegen § 22 Abs. 1 i.V.m. § 14 Nr. 1 WEG. Bereits die fehlende behördliche Genehmigung stelle einen Nachteil im Sinne von § 14 Nr. 1 WEG dar. Darüber hinaus beeinträchtige die Terrasse das Erscheinungsbild der Wohnanlage. Außerdem ermögliche die Terrasse eine intensivere Nutzung.

3. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.

a) Das Beseitigungsverlangen kann nicht auf § 8 GO gestützt werden, da der Beschluss über die Aufstellung der Gemeinschaftsordnung, jedenfalls soweit er § 8 GO betrifft, nichtig ist. Den Wohnungseigentümern fehlt es hierfür an der Beschlusskompetenz. Zwar ist ein Beschluss über eine bauliche Veränderung nach der Rechtsprechung des BGH NJW 2000, 3500 nicht nichtig. Dies bezieht sich jedoch nur auf den Beschluss über eine konkrete Baumaßnahme. § 8 GO setzt jedoch in Abweichung von § 22 Abs. 1 WEG besondere Bedingungen und besondere Rechtsfolgen für bauliche Veränderungen generell und mit Dauerwirkung fest. Es handelt sich deshalb nicht um einen Beschluss für einen Einzelfall, sondern um eine gesetzesändernde Regelung. Der Beschuss der Wohnungseigentümer erschöpft sich nicht in sich selbst, sondern dient der Legitimierung weiterer Maßnahmen (vgl. Wenzel NZM 2004, 543).

b) Der Beseitigungsanspruch ergibt sich auch nicht daraus, dass eine möglicherweise erforderliche Baugenehmigung fehlt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NZM 2001, 196 ff.) und des Senats (NZM 2003, 114 ff.) begründet nicht jeder Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften einen über das unvermeidliche Maß hinausgehenden Nachteil im Sinn des § 14 Nr. 1 WEG. Dass den übrigen Wohnungseigentümern konkrete Nachteile entstehen, insbesondere dass eine naheliegende Gefahr besteht, dass sie von der Baubehörde in Anspruch genommen werden, hat das Landgericht nicht festgestellt.

c) Der Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB, § 15 Abs. 3, § 22 Abs. 1, § 14 Nr. 1 WEG ergibt sich jedoch daraus, dass das Erscheinungsbild der Wohnanlage durch die Terrasse beeinträchtigt und durch sie ein intensiverer Gebrauch ermöglicht wird. Die Beurteilung, ob ein unvermeidbarer Nachteil vorliegt, obliegt in erster Linie dem Tatrichter. Der Senat ist an diese Würdigung gebunden, wenn sie nicht von Rechtsfehlern beeinflusst ist (BayObLG NZM 2000, 392; Beschluss des Senats vom 28.7.2004 - 2Z BR 090/04).

Das Landgericht ist rechtsfehlerfrei zu der Erkenntnis gelangt, dass das optische Erscheinungsbild beeinträchtigt wird. Insbesondere hat das Landgericht nicht dadurch gegen § 12 FGG verstoßen, dass es keinen Augenschein eingenommen hat, weil die Lichtbilder einen hinreichenden Aufschluss über die Situation geben und das Landgericht zudem auf das Ergebnis des Augenscheins durch das Amtsgericht Bezug genommen hat. Auch liegt es auf der Hand, dass eine Terrasse gegenüber einem stark abfallenden Hang eine erheblich größere Nutzungsmöglichkeit bietet, durch die eine Beeinträchtigung der Nachbarn erfolgen kann.

d) Das Landgericht hat sich nicht mit der Frage befasst, ob der vom Amtsgericht angeordnete nur teilweise Rückbau der Terrasse rechtserhebliche Nachteile für die übrigen Wohnungseigentümer ausgeräumt hätte. Einer Zurückverweisung bedarf es gleichwohl nicht, da der Senat aufgrund der Lichtbilder ohne weitere tatsächliche Feststellungen endgültig entscheiden kann. Der vom Amtsgericht angeordnete Rückbau wäre nicht geeignet, Nachteile für die übrigen Wohnungseigentümer, insbesondere die Nachbarn auszuschließen. Dies ergibt sich bereits aus dem äußeren Erscheinungsbild. Auch eine Verschmälerung der Terrasse auf 3 m würde bei einer Länge von 18 m immer noch eine optisch nachteile Veränderung bewirken. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil durch das stark abfallende Gelände und die Stützpfeiler unterhalb der Terrassenbretter unansehnliche Leerräume entstehen, die von unten und von der Seite aus sichtbar sind. Auch besteht bei einer Verkleinerung der Terrasse gegenüber dem steil abfallenden Gelände immer noch die Möglichkeit einer erheblich intensiveren Nutzung, die zu Nachteilen für die Nachbarn führen kann.

4. Der Hilfsantrag ist als solcher unzulässig, da er erstmals im Rechtsbeschwerdeverfahren gestellt wurde.

Soweit der Antrag dahin auszulegen ist, dass gegenüber der Verpflichtung in zweiter Instanz ein Weniger ausgesprochen werden soll, ergibt sich aus dem vorstehenden, dass die Antragstellerinnen auch eine nur eingeschränkte Größe der Terrasse nicht hinnehmen müssen. Darüber hinaus wird zur Begründung des Hilfsantrags von der Rechtsbeschwerde neues tatsächliches Vorbringen gebracht, das im Rechtsbeschwerdeverfahren keine Berücksichtigung finden kann (§ 27 Abs. 1 FGG, § 559 ZPO).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 47 WEG. Es entspricht der Billigkeit, dass der Antragsgegner als Unterlegener die Gerichtskosten trägt. Der Senat hält es außerdem für angemessen, dass der Antragsgegner den Antragstellerinnen die Hälfte der außergerichtlichen Kosten im Rechtsbeschwerdeverfahren erstattet, da er aufgrund der Ausführungen des Amtsgerichts und des Landgerichts unschwer hätte erkennen können, dass ein völliger Verbleib der Terrasse nicht in Betracht kommen kann.

Die Festsetzung des Geschäftswerts folgt aus § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG.



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