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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 23.08.2001
Aktenzeichen: 2Z BR 96/01
Rechtsgebiete: WEG


Vorschriften:

WEG § 14 Nr. 1
WEG § 15
1. Eine vom Hausverwalter aufgrund der in der Gemeinschaftsordnung enthaltenen Ermächtigung aufgestellte Hausordnung ist so lange verbindlich, wie sie nicht durch die Eigentümer oder das Gericht geändert wird.

2. Die Beschränkung des Musizierens in der Hausordnung auf Zimmerlautstärke, so daß es in anderen Wohnungen nicht gehört wird, ist jedenfalls dann nicht zulässig, wenn sie nicht in einer Vereinbarung enthalten ist.


Der 2. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Reichold sowie der Richter Demharter und Werdich

am 23. August 2001

in der Wohnungseigentumssache

wegen Unterlassung des Klavierspiels,

beschlossen:

Tenor:

I. Auf die sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin werden die Beschlüsse des Amtsgerichts Regensburg vom 22. Februar 2001 und des Landgerichts Regensburg vom 23. Mai 2001 aufgehoben.

II. Der Antragsgegnerin wird untersagt, in ihrer Wohnung Klavier über Zimmerlautstärke, also so zu spielen, dass das Klavierspiel in der Wohnung der Antragstellerin zu hören ist.

Für jeden Fall der Zuwiderhandlung wird der Antragsgegnerin ein Ordnungsgeld bis zu 800 DM, ersatzweise je 200 DM ein Tag Ordnungshaft, angedroht.

III. Die Antragsgegnerin hat die Gerichtskosten des gesamten Verfahrens zu tragen. Außergerichtliche Kosten sind in keinem Rechtszug zu erstatten.

IV. Der Geschäftswert wird für alle Rechtszüge auf 5000 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin, die Antragsgegnerin und die weiteren Beteiligten sind die Wohnungseigentümer einer Wohnanlage. Der Antragsgegnerin und ihrem Ehemann gehört die über der Wohnung der Antragstellerin liegende Wohnung. Die Antragsgegnerin spielt gelegentlich in ihrer Wohnung Klavier. Das Klavierspiel ist in der Wohnung der Antragstellerin deutlich zu hören.

§ 5a der Gemeinschaftsordnung (GO) lautet auszugsweise wie folgt:

Die Benutzung des Sondereigentums und des gemeinschaftlichen Eigentums kann durch eine vom Verwalter aufgestellte Hausordnung geregelt werden. Änderungen der Hausordnung werden vom Verwalter vorgenommen. Die Bestimmungen der Hausordnung können durch die Versammlung der Wohnungseigentümer mit einfacher Stimmenmehrheit geändert werden.

Nr. 10 der vom Verwalter aufgestellten Hausordnung lautet wie folgt:

Jeder ruhestörende Lärm ist zu unterlassen. Die Mittagsruhe von 12.00 Uhr bis 15.00 Uhr muss gewahrt bleiben. Besondere Rücksicht ist beim Musizieren und beim Betrieb von Plattenspielern, Rundfunk- und Fernsehgeräten sowie Elektrogeräten (Staubsauger) zu üben. Zimmerlautstärke darf auf keinen Fall überschritten werden. Insbesondere ist darauf in der Zeit von 12.00 Uhr bis 15.00 Uhr zu achten. Ebenso von 22.00 Uhr bis 7.00 Uhr.

Die Benutzung von Lautsprechern und Musikinstrumenten auf den Balkonen oder an offenen Fenstern ist untersagt.

Die Antragstellerin hat beantragt, die Antragsgegnerin zur Unterlassung des Klavierspiels über Zimmerlautstärke in ihrer Wohnung zu verpflichten und ihr für jeden Fall der Zuwiderhandlung Ordnungsmittel anzudrohen. Das Amtsgericht hat den Antrag am 22.2.2001 abgewiesen. Das Landgericht hat durch Beschluss vom 23.5.2001 die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen. Dagegen richtet sich deren sofortige weitere Beschwerde.

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Das Landgericht hat ausgeführt: Klavierspielen in Zimmerlautstärke sei sinnvoll nicht möglich, so dass die Hausordnung ein faktisches Musizierverbot enthalte. Musizieren in der eigenen Wohnung zähle zum Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und sei zugleich Ausfluss des Sondereigentums. Dieses Recht finde aber seine Grenze dort, wo das gleiche Recht anderer berührt werde. Eine Gebrauchsregelung durch Vereinbarung liege mit der Hausordnung nicht vor. Diese habe vielmehr die Rechtsqualität einer Gebrauchsregelung durch Eigentümerbeschluss. Eine solche könne die Musikausübung nicht grundsätzlich untersagen, wohl aber auf bestimmte Zeiten beschränken. Der faktisch völlige Ausschluss einer Musikausübung in der Hausordnung sei wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig.

2. Die Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Zu einer ordnungsmäßigen, dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen entsprechenden Verwaltung, die jeder Wohnungseigentümer verlangen kann (§ 21 Abs. 4 WEG), gehört auch die Aufstellung einer Hausordnung (§ 21 Abs. 5 Nr. 1 WEG). Die Gemeinschaftsordnung kann vorsehen, dass die Hausordnung vom Verwalter aufgestellt wird. In diesem Fall ist die vom Verwalter aufgestellte Hausordnung für alle Wohnungseigentümer in gleicher Weise verbindlich, wie eine von den Wohnungseigentümern durch Mehrheitsbeschluss getroffene Regelung. Wie eine solche steht auch die vom Verwalter aufgestellte Hausordnung unter dem Vorbehalt einer Änderung durch Mehrheitsbeschluss der Wohnungseigentümer oder gerichtliche Entscheidung (BayObLGZ 1991, 421/422 f. m.w.N.; Bärmann/Pick/Merle WEG 8. Aufl. § 21 Rn. 94).

b) Die nach diesen Grundsätzen in zulässiger weise vom Verwalter aufgestellte Hausordnung bestimmt, dass beim Musizieren Zimmerlautstärke auf keinen Fall überschritten werden darf und zwar auch nicht außerhalb der in der Hausordnung festgelegten allgemeinen Ruhezeiten. Unter Musizieren über Zimmerlautstärke ist ein Musizieren zu verstehen, das in anderen Wohnungen zu hören ist, also zu einer Beeinträchtigung anderer Wohnungseigentümer führen kann. In welchem Umfang Beeinträchtigungen hinzunehmen sind, bestimmt § 14 Nr. 1 WEG. Danach ist jeder Wohnungseigentümer verpflichtet, von den in seinem Sondereigentum stehenden Räumen nur in einer solchen Weise Gebrauch zu machen, dass dadurch keinem anderen Wohnungseigentümer über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil erwächst. In diesem Rahmen hat sich grundsätzlich auch eine Gebrauchsregelung in der Hausordnung zu halten (BayObLGZ 1985, 104/108); im übrigen muss sie unter Berücksichtigung der Beschaffenheit des Sondereigentums den Interessen der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen entsprechen (vgl. § 15 Abs. 2, 3 WEG).

Musizieren, das außerhalb der eigenen Wohnung nicht zu hören ist, kann grundsätzlich nicht durch Gebrauchsregelungen beschränkt werden, weil durch ein solches musizieren kein anderer Wohnungseigentümer beeinträchtigt wird (BGHZ 139, 288/294; BayObLGZ 1985, 104/109). Jeder Wohnungseigentümer kann nämlich sein Sondereigentum nach Belieben nutzen, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen (§ 13 Abs. 1 WEG). Klavierspielen ist aber in aller Regel nicht möglich, ohne dass dies in anderen Wohnungen gehört wird.

c) Nach allgemeiner Meinung kann durch eine Hausordnung, jedenfalls dann, wenn diese nicht in einer Vereinbarung der Wohnungseigentümer gemäß § 15 Abs. 1 WEG enthalten ist, Musizieren in der eigenen Wohnung nicht völlig untersagt werden. Die dadurch für andere Wohnungseigentümer gegebene Beeinträchtigung ist grundsätzlich als im Sinne des § l4 Nr. 1 WEG bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidlich anzusehen (BGHZ 139, 288/293 f. = NJW 1998, 3713; OLG Hamm NJW 1981, 465; Bärmann/Pick/Merle § 21 Rn. 106; Weitnauer/Lüke WEG 8. Aufl. § 15 Rn. 17 f.; Staudinger/Bub WEG § 21 Rn. 130). Das Verbot, über Zimmerlautstärke zu musizieren, ist danach, weil es im Ergebnis ein Musizieren völlig ausschließt, nicht als zulässig anzusehen (a.M. Bärmann/Pick/Merle 9 15 Rn. 9). Andererseits sind die vom musizieren ausgehenden Beeinträchtigungen anderer Wohnungseigentümer nach dem Maßstab des § 14 Nr. 1 WEG nur dann als unvermeidlich hinzunehmen, wenn sie sich in engen zeitlichen Grenzen halten. Denn die Beeinträchtigung anderer Wohnungseigentümer durch das musizieren schränkt diese in dem Gebrauch ihres Sondereigentums ein (BayObLGZ 1985, 104/108).

d) Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass die in der Hausordnung aufgestellte Beschränkung des Musizierens auf Zimmerlautstärke im Ergebnis einem Verbot des Klavierspiels gleichkommt. Gleichwohl ist die Hausordnung verbindlich, weil die Regelung jedenfalls nicht nichtig ist (Bärmann/Pick/Merle § 21 Rn. 106; Weitnauer/Hauger § 15 Rn. 17). Der Senat setzt sich damit nicht in Widerspruch zu der Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 10.11.1980 (NJW 1981, 461), weil die Antragsgegnerin ihr Wohnungseigentum erst erworben hat, als die Hausordnung bereits aufgestellt war. Die Antragstellerin kann damit, gestützt auf die Hausordnung, von der Antragsgegnerin verlangen, dass diese Klavierspielen über Zimmerlautstärke unterlässt. Eine andere Frage ist, ob die Antragsgegnerin im Hinblick auf ihren Anspruch auf ordnungsmäßige Verwaltung (§ 21 Abs. 4 WEG) eine Änderung der Hausordnung dahin verlangen kann, dass das Klavierspiel jedenfalls in dem von ihr gepflogenen Umfang erlaubt ist. Diese Frage ist zu bejahen.

Die Antragstellerin hat vorgetragen, die Antragsgegnerin spiele öfter in ihrer Wohnung Klavier; z.B. habe sie am 23. und 24.11.2000 von 17.15 Uhr bis 18.00 Uhr und am 3.12.2000 von 11.30 Uhr bis 12.00 Uhr gespielt. Die Antragstellerin ist dem Sachvortrag der Antragsgegnerin, sie spiele höchstens jeweils eine Stunde an einigen Tagen in der Woche außerhalb der üblichen Ruhezeiten Klavier, nicht entgegengetreten. In dem damit abgesteckten Rahmen kann das mit einer Beeinträchtigung der Antragstellerin verbundene Musizieren der Antragsgegnerin in der Hausordnung nicht untersagt werden. Hinzu kommt, dass die Antragsgegnerin wiederholt angeboten hat, sich mit der Antragstellerin auf bestimmte Zeiten zu verständigen, in denen sie spielt. Die Antragstellerin hat in der mündlichen Verhandlung beim Amtsgericht jedoch jede irgendwie geartete Einigung ausgeschlossen.

Der damit gegebene Anspruch der Antragsgegnerin auf Änderung der Hausordnung kann dem Unterlassungsanspruch der Antragstellerin allerdings nicht entgegengehalten werden (BayObLG WuM 1996, 297; NZM 1998, 813). Solange die Hausordnung nicht geändert wurde, ist sie verbindlich und muss von der Antragsgegnerin eingehalten werden. Ohne Bedeutung ist im übrigen, dass die Hausordnung bereits bestand, als die Antragsgegnerin ihre Wohnung erwarb (vgl. dazu OLG Hamm NJW 1981, 465). Jedenfalls dann, wenn die uneingeschränkte Untersagung des Musizierens oder eine unangemessene Einschränkung in der Hausordnung nicht auf einer Vereinbarung beruht, ist es einem in die Eigentümergemeinschaft eintretenden neuen Wohnungseigentümer nicht untersagt, eine Änderung der Hausordnung zu verlangen und seinen Anspruch auf ein Musizieren in angemessenem Umfang geltend zu machen.

Der Anspruch auf eine Änderung der Hausordnung ist zunächst gegen den Verwalter gerichtet, der nach der Gemeinschaftsordnung zur Abänderung befugt ist, im übrigen richtet er sich gegen die Wohnungseigentümer; schließlich kann auch das Gericht angerufen werden, wenn Verwalter und Wohnungseigentümer sich weigern sollten, eine Änderung vorzunehmen.

3. Die Androhung von Ordnungsmitteln beruht auf § 45 Abs. 3 WEG i.V.m. § 890 Abs. 1, 2 ZPO.

Es erscheint angemessen, der unterlegenen Antragsgegnerin die Gerichtskosten des gesamten Verfahrens aufzuerlegen, von der Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten aber abzusehen (§ 47 WEG).

Der Geschäftswert wird für alle Rechtszüge auf 5000 DM festgesetzt (§ 48 Abs. 3 Satz 1 WEG).

Ende der Entscheidung

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