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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 10.04.2002
Aktenzeichen: 2Z BR 97/01
Rechtsgebiete: WEG


Vorschriften:

WEG § 23 Abs. 1
WEG § 24 Abs. 6
Die in einer Eigentümerversammlung gefassten Beschlüsse sind wegen unrechtmäßigen Ausschlusses von Wohnungseigentümern an der Teilnahme ungültig, es sei denn, dass die Beschlüsse auch bei Anwesenheit der ausgeschlossenen Wohnungseigentümer gefasst worden wären.
Beschluss 2Z BR 97/01 10.04.02

Gründe:

I.

Die Antragsteller und die Antragsgegner sind die Teil- und Wohnungseigentümer eines Gebäudes, das ein Restaurant, eine Kellerbar, zehn Appartements und neun Stellplätze, teils oberirdisch, teils in einer Tiefgarage, umfasst. Fünf Appartements müssen nach der Gemeinschaftsordnung einer touristischen Nutzung zur Verfügung gestellt werden; sie dürfen von den Eigentümern im Jahr höchstens acht Wochen selbst genutzt werden.

Das Restaurant ist von seinen Eigentümern an einen Betreiber verpachtet, dem auch von den meisten Eigentümern die Vermietung der Appartements an Urlaubsgäste übertragen wurde. Lediglich die Antragsteller vermieten die drei ihnen gehörenden Appartements selbst. Nach einiger Zeit, in der das Restaurant nicht verpachtet war und die Anlage überwiegend leer stand, wurde die weitere Beteiligte durch Beschluss des Amtsgerichts vom 15.12.1999 zum Notverwalter bestellt. In der Eigentümerversammlung vom 29.1.2000 wurde die weitere Beteiligte einstimmig bis 31.12.2001 zum Verwalter bestellt und beauftragt, nachträglich die Jahresabrechnungen für 1997, 1998 und 1999 zu einem Pauschalpreis von je 600 DM zuzüglich Mehrwertsteuer aufzustellen.

In der folgenden Eigentümerversammlung vom 18.5.2000 entstand zu Beginn ein Streit über die Teilnahme eines von den Antragstellern zu 1 und zu 3 zugezogenen Rechtsanwalts, der dann durch Mehrheitsbeschluss von der Teilnahme ausgeschlossen wurde. Die zunächst anwesenden Antragsteller zu 1 und zu 3 entfernten sich vor Behandlung der vorgesehenen Tagesordnungspunkte, wobei die Begleitumstände zwischen den Verfahrensbeteiligten streitig sind. Anschließend wurden zu Tagesordnungspunkt (TOP) 3 der Antrag der Antragsteller zu 1 und zu 3 auf Abberufung der weiteren Beteiligten als Verwalter abgelehnt, unter TOP 4 die Jahresabrechnungen für 1998 und 1999 genehmigt, zu TOP 5 dem Verwalter für die Jahresabrechnungen 1998 und 1999 je eine Vergütung von 600 DM zuzüglich Mehrwertsteuer bewilligt, zu TOP 6 der Abschluss zusätzlicher Versicherungen nachträglich genehmigt; zu TOP 8a wurde die Sanierung einer Umfassungsmauer am Hauseingang, zu TOP 8b die Erneuerung des Farbanstrichs an Balkonbrettern und Schirmbrettern und zu TOP 8c der Einbau eines Wärmemessers an der Heizung beschlossen; zu TOP 9 schließlich wurde der Wirtschaftsplan für 2000 genehmigt. Die Beschlüsse zu TOP 5 und 8c wurden einstimmig, die übrigen Beschlüsse gegen die Stimmen der Antragsteller zu 2 beschlossen.

Die Antragsteller haben beim Amtsgericht beantragt, sämtliche Beschlüsse der Eigentümerversammlung vom 18.5.2000 für ungültig zu erklären. Sie rügten vor allem, die Antragsteller zu 1 und zu 3 sowie der von ihnen beauftragte Rechtsanwalt seien zu Unrecht von der Eigentümerversammlung ausgeschlossen worden. Den Antragstellern zu 1 und zu 3 sei nach dem beschlossenen Ausschluss des Rechtsanwalts nicht gesagt worden, dass sie jetzt wieder an der Versammlung teilnehmen dürften. Die damaligen Vorgänge seien im Versammlungsprotokoll des Verwalters unrichtig dargestellt. Außerdem trugen sie inhaltliche Beanstandungen vor.

Mit Beschluss vom 4.12.2000 hat das Amtsgericht den Eigentümerbeschluss zu TOP 8c (Einbau eines Wärmemessers) für ungültig erklärt und im übrigen die Anträge zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Antragsteller hat das Landgericht mit Beschluss vom 15.5.2001 zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde, mit der die Antragsteller ihre ursprünglichen Anträge weiterverfolgen.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat vorerst Erfolg und führt unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

Das Landgericht hat ausgeführt:

Der zunächst in der Eigentümerversammlung anwesende Rechtsanwalt sei nicht als Rechtsbeistand, sondern als bevollmächtigter Vertreter der Antragsteller zu 1 und zu 3 ausgeschlossen worden. Da die Wohnungseigentümer selbst anwesend gewesen seien, habe ein Vertretungsfall nicht vorgelegen. Der Mehrheitsbeschluss, dass der Rechtsanwalt für die Antragsteller zu 1 und zu 3 als Vertreter nicht auftreten dürfe, sei deshalb nicht zu beanstanden. Ein Antrag, dass der Rechtsanwalt darüber hinaus die Antragsteller zu 1 und zu 3 als Rechtsbeistand während der Versammlung begleiten dürfe, sei nicht gestellt worden. Die weitere Versammlung sei ordnungsgemäß durchgeführt worden, da die Wohnungseigentümer nach dem Ausschluss des Rechtsanwalts ausdrücklich klargestellt hätten, dass der Ausschluss die Antragsteller zu 1 und zu 3 selbst nicht betreffe.

Die mehrheitliche Ablehnung des Antrags, die Verwalterin abzuberufen, sei nicht zu beanstanden, da Gründe für eine vorzeitige Abberufung nicht ersichtlich seien. Der pauschale Vortrag, der Verwalter sei nicht in der Lage, ordnungsmäßige Abrechnungen zu erstellen, genüge hierzu nicht. Die beanstandete Berechnung der Müllpauschalen habe die weitere Beteiligte in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar erklärt. Auch der Eigentümerbeschluss über die Jahresabrechnung 1999 sei nicht für ungültig zu erklären. Über die Ausgaben für Versicherungen habe die Verwalterin in der mündlichen Verhandlung Buchungsbelege vorgelegt; daraus seien Unregelmäßigkeiten nicht zu erkennen. Dass die in der Jahresabrechnung genannten Beträge nicht mit den Jahresprämien der Versicherungsverträge übereinstimmten, erklär e sich durch Nachzahlungen für vorangegangene Jahre. Die Antragsteller könnten sich auch nicht darauf berufen, die Verwalterin habe aus den vorangegangenen Jahresabrechnungen falsche Zahlen in die Jahresabrechnung für 1999 übernommen; denn die Jahresabrechnungen für 1997 und 1998 seien in der Versammlung vom 19.11.1999 von den Wohnungseigentümern genehmigt worden. Auch die allgemeinen Stromkosten hätten verbucht werden müssen, da das Elektrizitätswerk diese Kosten in Rechnung gestellt habe. Ob der Stromverbrauch richtig ermittelt sei, müsse anderweitig festgestellt werden, betreffe aber nicht die Richtigkeit der Jahresabrechnung.

Unter TOP 5 hätten die Wohnungseigentümer der Verwalterin zu Recht eine zusätzliche Vergütung für die Jahresabrechnungen 1998 und 1999 zugebilligt. Das sei nämlich bereits in der Versammlung vom 29.1.2000 beschlossen worden und auch gerechtfertigt, weil diese Abrechnungen in die Amtszeit des vorigen Verwalters fielen.

Der Eigentümerbeschluss zu TOP 6 über den Abschluss zusätzlicher Versicherungen für das gemeinschaftliche Eigentum sei nicht zu beanstanden, da die Wohnungseigentümer insoweit ein Ermessen hätten. Auch die unter TOP 8a und 8b beschlossenen Sanierungsmaßnahmen seien wirksam beschlossen worden. Die Stützmauer der Terrasse sei als konstruktives Teil zwingend gemeinschaftliches Eigentum ebenso die Außenseiten der Balkon- und Schirmbretter.

Eine Ungültigerklärung des Beschlusses über den Wirtschaftsplan für 2000 komme nicht in Betracht~, weil die Verteilung der erwarteten Kosten richtig nach Miteigentumsanteilen vorgenommen worden sei. Diejenigen Wohnungseigentümer, die ihr Appartement selbst vermieten, würden im übrigen zu Recht mit Müllpauschalen belastet, weil für sie der Pächter des Restaurants diese Kosten nicht übernommen habe.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Das Landgericht ist - offenbar wie das Amtsgericht aufgrund des Protokolls über die Eigentümerversammlung - davon ausgegangen, dass die Antragsteller zu 1 und zu 3 nach dem Streit über die Anwesenheit des Rechtsanwalts freiwillig der Eigentümerversammlung ferngeblieben sind. Diese Annahme beruht auf einer unzureichenden Tatsachenermittlung. Die Antragsteller haben vor dem Amtsgericht unter Angebot von Zeugen behauptet, das von der Verwalterin verfasste Protokoll gebe unter TOP 1 die Vorgänge zu Beginn der Eigentümerversammlung unrichtig wieder. Entgegen den dortigen Feststellungen seien die Antragsteller zu 1 und zu 3 von der Teilnahme an der Versammlung ausgeschlossen worden. Nach dem Ausschluss des Rechtsanwalts sei ihnen nicht gesagt worden, jetzt könnten sie wieder an der Versammlung teilnehmen. Dieser Sachvortrag ist in dem Schriftsatz "14 Argumente zu Az. 4 T 2757/00" im Beschwerdeverfahren wiederholt worden. Dem hätte das Landgericht durch Vernehmung von Zeugen nachgehen müssen. Denn die nach § 24 Abs. 6 WEG angefertigte Niederschrift über die Eigentümerversammlung ist eine Privaturkunde i.S. von § 416 ZPO, der für die Richtigkeit ihres Inhalts keine gesetzliche Beweiskraft zukommt (BayObLG NJW-RR 1990, 210). Abgesehen davon gilt § 416 ZPO im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht (BayObLGZ 2002 Nr. 14).

b) Die Behauptungen der Antragsteller über die Vorgänge zu Beginn der Eigentümerversammlung sind entscheidungserheblich. Zu einer Eigentümerversammlung sind alle im Grundbuch eingetragenen Wohnungseigentümer zu laden. Sie haben auch das Recht zur Teilnahme an der Versammlung, selbst wenn sie im Einzelfall vom Stimmrecht ausgeschlossen sind (Merle in Bärmann Pick/Merle WEG 8. Aufl. § 24 Rn. 38; Staudinger/Bub WEG § 24 WEG Rn. 57). Denn die Teilnahme des einzelnen Wohnungseigentümers an der Eigentümerversammlung dient nicht allein der Stimmabgabe, sondern vor allem auch der Aussprache und Diskussion. Deshalb leiden Beschlüsse in einer Eigentümerversammlung, an der einzelne Wohnungseigentümer wegen eines Ladungsmangels oder deshalb nicht teilgenommen haben, weil sie zu Unrecht ausgeschlossen wurden, grundsätzlich an einem Mangel, der auf Anfechtung zur Ungültigerklärung führt. Der Senat hat mehrfach entschieden, dass eine Ungültigerklärung ausnahmsweise dann ausscheidet, wenn eindeutig feststeht, dass bei Anwesenheit der nicht geladenen Wohnungseigentümer die Beschlüsse ebenso gefasst worden wären (BayObLG NJW-RR 1990, 784/785; WE 1998, 157; WE 1999, 27/28). Ob die Voraussetzungen für diese Ausnahme vorliegen, ist im wesentlichen vom Tatrichter zu entscheiden (BayObLG NJW-RR 1990, 784/785).

c) Das Landgericht ist bisher der Behauptung der Antragsteller, sie seien zu Unrecht von der Eigentümerversammlung ausgeschlossen worden, nicht nachgegangen. Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung der Entscheidung und zur Zurückverweisung an das Landgericht. Falls sich die Behauptungen der Antragsteller als richtig erweisen sollten, wird das Landgericht zu entscheiden haben, ob als feststehend davon auszugehen ist, dass die Beschlüsse auch bei einer Teilnahme der Antragsteller zu 1 und zu 3 ebenso gefasst worden wären.

(1) Diese Frage bedarf besonderer Prüfung hinsichtlich des Eigentümerbeschlusses zu TOP 6. Denn es ist weitgehend Ermessenssache der Wohnungseigentümer, welche Versicherungen über § 21 Abs. 5 Nr. 3 WEG und § 8 Gemeinschaftsordnung (GO) hinaus für das gemeinschaftliche Eigentum abgeschlossen werden sollen.

(2) Hinsichtlich des Eigentümerbeschlusses zu TOP 4 über die Jahresabrechnung 1999 wird das Landgericht dem neuen Sachvortrag der Antragsteller nachzugehen haben, die Verwalterkosten seien entgegen § 9 Nr. 1 Buchst. i GO nicht nach Miteigentumsanteilen, sondern nach der Zahl der Wohnungen und Garagen umgelegt worden. Anders als das Rechtsbeschwerdegericht kann das Landgericht diesen neuen Sachvortrag berücksichtigen. Dabei spielt der Eigentümerbeschluss vom 29.1.2000 zu TOP 3 keine Rolle; denn dieser Beschluss, wonach der Verwalter eine Verwaltergebühr von 28 DM zuzüglich Mehrwertsteuer pro Wohnung erhalten soll, betrifft nur das Vertragsverhältnis der Wohnungseigentümer zum Verwalter, nicht aber das Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander. Gegebenenfalls wären freilich nur die Einzelabrechnungen in diesem einen Abrechnungsposten und nicht die Jahresgesamtabrechnung für ungültig zu erklären.

(3) Schwer vorzustellen ist, dass die übrigen Eigentümerbeschlüsse bei Anwesenheit der Antragsteller zu 1 und zu 3 anders gefasst worden wären. Dafür, dass sie ebenso gefasst worden wären, könnte sprechen, dass die Beanstandungen der Antragsteller nicht begründet erscheinen und die Beschlüsse jeweils mit großer Mehrheit gegen die Gruppe der selbstvermietenden Wohnungseigentümer gefasst wurden.

3. Eine Kostenentscheidung für das Rechtsbeschwerdeverfahren kann derzeit nicht ergehen, weil der endgültige Ausgang des Verfahrens noch nicht feststeht.

Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 48 Abs. 3 WEG.

Ende der Entscheidung

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