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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Urteil verkündet am 30.03.2000
Aktenzeichen: 2Z RR 10/99
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 839 Abs. 2
BGB § 839 Abs. 3
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 91 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
2Z RR 10/99 OLG München 1 U 5686/98 LG München I - 9 O 1305/98

Verkündet am 30. März 2000

Die Urkundsbeamtin: Brunner Justizangestellte

Bayerisches Oberstes Landesgericht

IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Der 2. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Präsidenten Dr. Tilch sowie der Richter Lehr, Demharter, Werdich und Dr. Delius

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30. März 2000

in dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatzes,

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Revision des Klägers wird das Endurteil des Oberlandesgerichts München vom 20. Mai 1999 aufgehoben.

II. Die Berufung der Beklagten gegen das Grundurteil des Landgerichts München I vom 7. September 1998 wird zurückgewiesen.

III. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

Der Kläger verlangt in gewillkürter Prozeßstandschaft für die aus ihm und einem weiteren Gesellschafter bestehende offene Handelsgesellschaft (künftig: OHG) von der Landeshauptstadt München Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung. Die Beklagte habe die Erteilung der von der seinerzeit noch in Gründung befindlichen OHG beantragten Genehmigung zur Notfallrettung und zum Krankentransport mit Kraftfahrzeugen zunächst verweigert und die Genehmigung erst nach Verurteilung dazu erteilt.

Die beiden Gesellschafter der damals in Gründung befindlichen OHG beantragten am 28.10.1993 bei der Beklagten die Genehmigung zur Ausübung von Notfallrettung und Krankentransporten mit Krankenkraftwagen. Am 8.11.1993 wurde von der Beklagten das Anhörungsverfahren eingeleitet und am 27.12.1993 die Lokalbaukommission um Stellungnahme zur Zulässigkeit der gewerblichen Nutzung des Betriebsgrundstücks der OHG gebeten. Mit Schreiben vom 1.2.1994 teilte die Beklagte der OHG mit, die Prüfung der subjektiven Genehmigungsvoraussetzungen sei noch nicht ganz abgeschlossen. Es stehe noch eine Antwort der Lokalbaukommission auf die Anfrage über die Zulässigkeit der gewerblichen Nutzung des Betriebsgrundstücks durch das Krankentransportunternehmen aus. Am 13.5.1994 genehmigte die Lokalbaukommission die Nutzungsänderung hinsichtlich des Betriebsgrundstücks und teilte dies mit Schreiben vom 7.6.1994 der für die Genehmigung zuständigen Kreisverwaltungsbehörde der Beklagten mit. Am 8.6.1993 hatte die Beklagte das Ergebnis der von der Arbeitsgemeinschaft der Bayerischen Krankenkassenverbände in Auftrag gegebenen Wirtschaftlichkeitsprüfung des Rettungsdienstes in Bayern erhalten.

Bereits am 4.3.1994 erhob die OHG Untätigkeitsklage zum Verwaltungsgericht. In ihrer Klageerwiderung vom 8.6.1994 vertrat die Beklagte die Ansicht, die Genehmigung sei zu versagen, weil zwar die subjektiven Voraussetzungen vorlägen, jedoch im Fall einer Genehmigung eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Rettungsdienstes zu befürchten sei; ein Bedarf an zusätzlichen Fahrzeugen bestehe im Rettungsdienstbereich München nicht. Durch Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 12.10.1994 wurde die Beklagte verpflichtet, der OHG die beantragte Genehmigung zu erteilen. Dagegen legte die Landesanwaltschaft Bayern Berufung ein. Durch einstweilige Anordnung vom 9.12.1994 verpflichtete das Verwaltungsgericht die Beklagte, der OHG die beantragte Genehmigung vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu erteilen. Die Beschwerde der Landesanwaltschaft gegen diesen Beschluß wurde am 12.4.1995 vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen. Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 12.10.1994 wurde am 25.10.1995 zurückgenommen.

Durch Bescheid vom 28.3.1995 erteilte die Beklagte die beantragte Genehmigung vorläufig und hob nach Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils vom 12.10.1994 den Vorbehalt der nur vorläufigen Genehmigung auf.

Der Kläger macht einen Teil des Schadens geltend, der der OHG durch die rechtswidrige Verzögerung der Genehmigung entstanden sei. Die Genehmigung hätte spätestens am 1.2.1994 erteilt werden müssen.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn und den weiteren Gesellschafter "als Gesellschafter" der OHG 150.000 DM nebst 6,5% Zinsen hieraus seit 6.6.1996 zu zahlen. Das Landgericht hat den Klageanspruch durch Urteil vom 7.9.1998 dem Grunde nach wegen des Schadens für gerechtfertigt erklärt, der der OHG dadurch entstanden ist, daß ihr die beantragte Genehmigung am 15.6.1994 von der Beklagten noch nicht erteilt worden sei. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht dieses Grundurteil am 20.5.1999 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers, der die Beklagte entgegentritt.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung des Grundurteils des Landgerichts.

I.

Der Kläger macht in zulässiger gewillkürter Prozeßstandschaft (vgl. Thomas/Putzo ZPO 22. Aufl. § 51 Rn. 31 ff.) für die OHG Schadensersatzansprüche der OHG geltend. Er hat beantragt, die Beklagte zur Schadensersatzzahlung "an den Kläger sowie Herrn... als Gesellschafter" der OHG zu verurteilen. Dieser Antrag läßt die Auslegung zu, daß Zahlung an die OHG zu Händen der beiden Gesellschafter verlangt wird, zumal der Kläger zu keiner Zeit etwas dazu vorgetragen hat, daß der Schadensersatzanspruch nicht der OHG, sondern den Gesellschaftern zustehen sollte. Der Kläger hat nunmehr klargestellt, daß Zahlung an die OHG verlangt wird. So wurde sein Antrag ersichtlich sowohl von den Vorinstanzen als auch bisher von der Beklagten verstanden. Auch der Senat legt ihn so aus. Eine Klageänderung liegt damit nicht vor.

II.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seines Urteils ausgeführt: Aufgrund des rechtskräftigen Urteils des Verwaltungsgerichts vom 12.10.1994 stehe für den Amtshaftungsprozeß bindend fest, daß die unterlassene Erteilung der beantragten Genehmigung objektiv rechtswidrig gewesen sei. Ob die Amtspflichtverletzung auch auf einem Verschulden beruhe, sei dagegen im Schadensersatzprozeß zu prüfen und zu verneinen.

Die sich aus Art. 7 des Bayerischen Rettungsdienstgesetzes vom 10.8.1990 ergebenden Zweifelsfragen seien noch keineswegs geklärt gewesen; eine höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Genehmigungsproblematik habe noch nicht bestanden. Wenn bei so unsicherer Rechtslage die nach sorgfältiger Prüfung gewonnene Rechtsansicht als vertretbar angesehen werden könne, lasse sich allein aus ihrer späteren Mißbilligung durch die Gerichte ein Schuldvorwurf nicht herleiten. Der für die Beklagte handelnde Amtsträger habe seine Entscheidung in ruhiger Abwägung aller Umstände und unter Benutzung des gesamten einschlägigen Materials treffen können. Bei der Prüfung der Schuldfrage sei auf die Klageerwiderung vom 8.6.1994 in dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren abzustellen. Darin habe die Beklagte die maßgebende Rechtsfrage unter Berücksichtigung aller Umstände gelöst und sei dabei zu dem vertretbaren Ergebnis gelangt, daß die Genehmigung zu versagen sei; die Rechtslage sei keineswegs eindeutig und zwingend in dem vom Verwaltungsgericht entschiedenen Sinn gewesen.

Vorrangig habe die Beklagte zu prüfen gehabt, wie die "Verträglichkeitsgrenze", nämlich die Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem funktionsfähigen Rettungsdienst, zu bestimmen sei. Zutreffend sei die Beklagte davon ausgegangen, daß bis zum Erreichen dieser Grenze jeder Unternehmer einen Anspruch auf Genehmigung habe. Vertretbar sei es, daß die Beklagte auch Bedürfnisgesichtspunkte berücksichtigt habe. Nach den der Beklagten für den Rettungsdienstbereich München vorliegenden Zahlen sei die Vorhaltung flächendeckend und die Anzahl der Krankentransportfahrzeuge ausreichend gewesen; auch seien die Rettungsfahrzeuge nicht überlastet gewesen. Schließlich habe für den maßgebenden Rettungsdienstbereich im Hinblick auf die vorliegenden Zahlen auch nicht von einer defizitären Entwicklungstendenz gesprochen werden können. Verwaltungsgericht und Bayerischer Verwaltungsgerichtshof hätten in ihren Entscheidungen im vorliegenden Fall aus den vorliegenden Zahlen den Schluß gezogen, daß im Hinblick auf den positiven Saldo für den Rettungsdienstbereich München durch die Zulassung einiger Fahrzeuge privater Unternehmer die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Rettungsdienstes im maßgebenden Rettungsdienstbereich nicht beeinträchtigt würde; aber auch aus der Sicht eines landesweiten Ausgleichs ergäben sich im Hinblick auf die Entwicklung des Saldos seit 1991 keine Gesichtspunkte, die gegen eine Zulassung weiterer Fahrzeuge sprechen könnten. Diese Auslegung der Verwaltungsgerichte sei keineswegs zwingend. Es sei mindestens vertretbar, auch die Entwicklung der Jahre 1989 bis 1991 heranzuziehen, in denen die Ertragsteigerung weit hinter der Kostensteigerung zurückgeblieben sei. Die Annahme, daß die Ertragsteigerung im Rettungsdienstbereich München lediglich eine nominale Verbesserung darstelle, sei eine durchaus zulässige Auslegung.

Nicht zwingend sei auch die Auslegung des Verwaltungsgerichts, von einer stagnierenden Rückläufigkeit der Zahl von Einsätzen von 1991 bis 1993 könne nicht auf das Vorliegen von Gründen für die Versagung der Genehmigung geschlossen werden. Die Beklagte habe aus der bei Erteilung der Genehmigung drohenden Schaffung von Überkapazitäten eine erhebliche Gefährdung des öffentlichen Rettungsdienstes, verstanden als flächendeckende Sicherstellung, vorausgesehen. Eine reine Bedürfnisprüfung habe die Beklagte nicht vorgenommen. Lediglich die im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung anzustellende Bedürfnisprüfung habe die Genehmigung nach vertretbarer Rechtsauffassung ausgeschlossen. Einer über den Maßstab der einzelnen Bestimmungen des Rettungsdienstgesetzes hinausgehenden Abwägung unter dem Gesichtspunkt des Grundrechts auf Berufsfreiheit habe es nicht bedurft. Schließlich sei eine schuldhafte Amtspflichtverletzung auch nicht darin zu erkennen, daß die Beklagte nach dem Erlaß des verwaltungsgerichtlichen Urteils nicht sofort die Genehmigung erteilt habe.

III.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Voraussetzung für den geltend gemachten Schadensersatzanspruch ist, daß der für die Beklagte handelnde Amtsträger im Zusammenhang mit der Verweigerung der beantragten Genehmigung den Gesellschaftern der OHG gegenüber bestehende Amtspflichten in schuldhafter Weise verletzt hat (Art. 34 GG, § 839 Abs. 1 BGB).

Aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 12.10.1994 steht fest, daß die Beklagte verpflichtet war, die beantragte Genehmigung zu erteilen. Damit ist von einer rechtswidrigen Verweigerung der Genehmigung und einer darin liegenden objektiven Amtspflichtverletzung auszugehen (allg. Meinung; BGHZ 119, 365/368; 139, 200/202). Ein Schadensersatzanspruch setzt darüber hinaus aber die Feststellung eines schuldhaften Handelns des Amtsträgers der Beklagten voraus. Die Amtspflicht muß entweder vorsätzlich oder fahrlässig verletzt worden sein. Fahrlässig handelt der Amtsträger dabei, wenn er bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt unter Berücksichtigung der für die Führung seines Amtes erforderlichen Rechtskenntnisse hätte erkennen müssen, daß die Genehmigung nach den maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften nicht verweigert werden durfte. Kein Schuldvorwurf ist dem Amtsträger zu machen, wenn er bei der Auslegung neuer und nicht völlig eindeutiger Gesetzesbestimmungen, zu denen noch keine Rechtsprechung vorhanden ist, nach gewissenhafter Prüfung der zu Gebote stehenden Hilfsmittel zu einem auf vernünftige Überlegungen gestützten Ergebnis kommt, mag dieses auch nach der Meinung später befaßter Gerichte unrichtig sein (allg. Meinung; BGHZ 119, 365/369; Palandt/Thomas BGB 59. Aufl. § 839 Rn. 53 m.w. Rechtsprechungsnachweisen).

2. Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 6 des Bayerischen Gesetzes zur Regelung von Notfallrettung, Krankentransport und Rettungsdienst (Bayerisches Rettungsdienstgesetz - BayRDG) vom 10.8.1990 (GVBl S. 282) - im folgenden: BayRDG a.F. - bedarf, wer Notfallrettung oder Krankentransport betreibt (Unternehmer), der Genehmigung der Kreisverwaltungsbehörde. Maßgebend sind die Vorschriften des am 1.1.1991 in Kraft getretenen Rettungsdienstgesetzes vom 10.8.1990; die erst ab 1.1.1998 geltende Neufassung des Gesetzes (GVBl 1998 S. 9) hat für die Behandlung des Antrags vom 28.10.1993 außer Betracht zu bleiben.

Nach Art. 7 Abs. 1 BayRDG a.F. darf die Genehmigung nur erteilt werden, wenn der Unternehmer bestimmte persönliche Voraussetzungen erfüllt, nämlich Zuverlässigkeit, fachliche Eignung und Gewährleistung der Sicherheit und Leistungsfähigkeit des Betriebs. Zu versagen ist die Genehmigung nach Art. 7 Abs. 2 Satz 1 und 2 BayRDG a.F., wenn zu erwarten ist, daß durch ihren Gebrauch das öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen Rettungsdienst im Sinn des Zweiten Teils des Gesetzes beeinträchtigt wird; dabei sind die flächendeckende Vorhaltung und die Auslastung innerhalb des Rettungsdienstbereiches, insbesondere die Einsatzzahlen, die Einsatzdauer und die Entwicklung der Kosten- und Ertragslage zu berücksichtigen. Während die Beklagte die persönlichen Voraussetzungen der Gesellschafter der OHG im Sinn von Art. 7 Abs. 1 BayRDG a.F. nicht in Frage stellte, sah sie im Fall einer Genehmigung das öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen Rettungsdienst als beeinträchtigt an. Entscheidend kommt es damit darauf an, ob die objektiv rechtswidrige Verweigerung der Genehmigung mit der gegebenen Begründung auf einem Verschulden des für die Beklagte handelnden Amtsträgers beruht. Dies hat das Oberlandesgericht in rechtsfehlerhafter Weise verneint.

3. Nach der insoweit maßgebenden Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts, wie sie in dessen Urteil vom 12.10.1994 zum Ausdruck kommt, sind im Rahmen der Prüfung nach Art. 7 Abs. 2 Satz 2 BayRDG a.F. bei der Kosten- und Ertragslage nur die in dem jeweiligen Rettungsdienstbereich anfallenden Kosten und erwirtschafteten Erträge zu berücksichtigen; der landesweite Ausgleich darf insoweit keine Beachtung finden, wohl aber die Erstattung der in dem jeweiligen Rettungsdienstbereich entstandenen Investitionskosten durch den Staat; außerdem darf nur die bisherige Entwicklungstendenz der Kosten und Erträge berücksichtigt werden; angesichts der Kostenexplosion aufgrund der Novellierung des Rettungsdienstgesetzes im Jahr 1991 und der dieser Rechnung tragenden Anpassung der Benutzungsentgelte sind nur die für die Zeit nach 1991 anfallenden Zahlen vergleichbar. Diese Rechtsansicht wurde in dem Beschluß des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in der vorliegenden Sache vom 12.4.1995 im wesentlichen geteilt; allerdings hält der Bayerische Verwaltungsgerichtshof eine Mitberücksichtigung des landesweiten Finanzausgleichs für geboten. Entscheidend wird jedoch darauf abgestellt, daß maßgebend für die Versagung der Genehmigung nicht eine vorhandene Bedarfssättigung sein kann, sondern erst das Überschreiten der Verträglichkeitsgrenze. Private Unternehmer sind danach über den Bedarf hinaus bis zur Grenze der Verträglichkeit zuzulassen. Diese Rechtsansicht wird auch in weiteren Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 4.3. und 8.11.1995 (BayVBl 1995, 470; 1996, 176) vertreten, die in anderen Verfahren ergangen sind.

Demgegenüber stellte die Beklagte, wie sich aus ihrer Klageerwiderung vom 8.6.1994 in dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergibt, entscheidend darauf ab, daß als Folge einer Auswertung des vorliegenden Wirtschaftlichkeitsgutachtens ein Bedarf an zusätzlichen Fahrzeugen im Rettungsdienstbereich München nicht bestehe; durch die Schaffung von Überkapazitäten jenseits des Bedarfs würde die Finanzierung und damit die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Rettungsdienstes gefährdet.

4. Dadurch, daß die Beklagte entscheidend auf den Bedarf abhob, stelle sie sich in Widerspruch zu den gesetzlichen Vorschriften sowie zu den Ausführungen in der amtlichen Begründung und zu der in der Literatur geäußerten Meinung. Bei sorgfältiger Prüfung dieser Erkenntnisquellen hätte der für die Beklagte handelnde Amtsträger erkennen müssen, daß die Genehmigung nicht versagt werden durfte, weil ein Bedarf nicht bestehe.

a) Art. 7 Abs. 2 Satz 1 BayRDG a.F. stellt ausdrücklich auf das öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen Rettungsdienst im Sinne des Zweiten Teils des Gesetzes ab. Nach den Vorschriften des Zweiten Teils haben die Landkreise und die kreisfreien Gemeinden als Angelegenheit des übertragenen Wirkungskreises die Aufgabe, Notfallrettung und Krankentransport flächendeckend sicherzustellen (Art. 18 Abs. 1 BayRDG a.F.). Zutreffend weist daher der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung darauf hin, daß im Hinblick auf den danach geforderten, den Bedarf abdeckenden öffentlichen Rettungsdienst für die Tätigkeit privater Unternehmer an sich kein Bedarf mehr bestehen kann, das Gesetz in Art. 3 ff. aber gleichwohl von der Zulassung privater Unternehmer zur Notfallrettung und zum Krankentransport ausgeht (BayVBl 1996, 176). Schon im Hinblick auf diese Ausgestaltung der gesetzlichen Vorschriften mußte sich die Erkenntnis aufdrängen, daß allein wegen fehlenden Bedarfs eine Genehmigung nicht versagt werden kann. Der Gesetzgeber nimmt es damit hin, daß über den Bedarf hinaus private Unternehmer zur Notfallrettung und zum Krankentransport zugelassen werden. Dies schließt es nicht aus, daß bei einer weit über den Bedarf hinausgehenden Zulassung privater Unternehmer irgendwann die Grenze erreicht wird, bei deren Überschreiten, insbesondere wegen der mit hohen Überkapazitäten verbundenen Kosten, ein flächendeckender, funktionsfähiger Rettungsdienst nicht mehr sichergestellt ist. Maßgebend ist nach der gesetzlichen Regelung allein das Erreichen und Überschreiten dieser Grenze, der sogenannten Verträglichkeitsgrenze. Festzustellen, wo diese Grenze im einzelnen liegt, ist Aufgabe der Genehmigungsbehörde. Dabei ist nicht auf Gesichtspunkte des Bedarfs abzustellen. Die Beklagte hat keine Feststellungen dazu getroffen, wo im vorliegenden Fall die Verträglichkeitsgrenze liegt, insbesondere nicht dargetan, daß sie durch die Zulassung der OHG erreicht und überschritten würde.

b) Die amtliche Begründung zu dem Gesetzentwurf (LT-Drucks. 11/16437) läßt keinen Zweifel daran aufkommen, daß der Bedarf kein geeignetes Kriterium für die Versagung einer Genehmigung für den privaten Unternehmer sein kann. Schon im Allgemeinen Teil der Begründung ist ausgeführt, daß der öffentliche Rettungsdienst weiterhin die rettungsdienstliche Versorgung ganz Bayerns flächendeckend sicherstellt, dennoch aber private Unternehmer die Möglichkeit haben, ihre Dienstleistungen neben den öffentlichen Rettungsdiensten anzubieten und ihre Zulassung sich an dem Interesse des öffentlichen Rettungsdienstes, einen flächendeckenden Rettungsdienst zu gewährleisten, zu orientieren habe (Nr. II 2, 3). In gleicher Weise wird in der Einzelbegründung zu Art. 7 darauf hingewiesen, daß der öffentliche Rettungsdienst in Erfüllung des gesetzlichen Sicherstellungsauftrags landesweit, flächendeckend und rund um die Uhr die gleichmäßige rettungsdienstliche Versorgung der Bevölkerung gewährleistet (Nr. 3.1). In Nr. 3.2 wird sodann ausgeführt, daß bei einer unbeschränkten Zulassung privater Unternehmer zu Notfallrettung und Krankentransport die Funktionsfähigkeit eines flächendeckenden Versorgungssystems konkret gefährdet werde. Dabei wird vorrangig darauf hingewiesen, daß ab einer gewissen Größenordnung an Kapazitäten der Finanzausgleich und damit die Finanzierbarkeit des Rettungsdienstes insgesamt gefährdet wäre. In Nr. 3.3 und 3.5 wird schließlich auf die Notwendigkeit einer Verträglichkeitsprüfung durch die Genehmigungsbehörde hingewiesen. Auch aus der Amtlichen Begründung läßt sich damit unschwer ableiten, daß allein im Hinblick auf die Bedarfsdeckung, die durch den öffentlichen Rettungsdienst jederzeit gewährleistet ist, private Unternehmer nicht von Notfallrettung und Krankentransport ferngehalten werden können, ihre Zulassung allerdings nicht ohne jede zahlenmäßige Beschränkung in Betracht kommen kann.

c) Schließlich ist auch in der Kommentarliteratur zum Bayerischen Rettungsdienstgesetz vom 10.8.1990 darauf hingewiesen, daß Art. 7 Abs. 2 seinem Wortlaut nach keine Bedürfnisprüfung, sondern nur eine Prüfung der Systemverträglichkeit verlangt (Oehler/Schulz Rettungsdienst in Bayern Art. 7 Anm. 3). Allerdings wird dort die Auffassung vertreten, daß das Kriterium der Kosten- und Ertragslage letztlich wieder zur Frage des Bedarfs zurückführe (Anm. 3.1 am Ende). Dabei bleibt aber der darin bestehende Widerspruch offensichtlich, daß bei einem Abstellen auf den Bedarf, der vom öffentlichen Rettungsdienst sichergestellt sein muß, für die Zulassung privater Unternehmer von vorneherein kein Raum wäre, das Gesetz aber gleichwohl eine solche vorsieht.

5. Zusammenfassend beruht es auf einem Rechtsfehler, daß das Berufungsgericht die von der Beklagten vertretene Auffassung, ein fehlender Bedarf rechtfertige die Versagung der Genehmigung, als vertretbar und damit die Verweigerung der Genehmigung nicht als schuldhafte Amtspflichtverletzung angesehen hat. Die Entscheidung des Berufungsgerichts kann daher keinen Bestand haben. Sie ist aufzuheben. Da die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO), ist das Grundurteil des Landgerichts wiederherzustellen. Der dort zugrundegelegte Zeitpunkt, bis zu dem die Genehmigung hätte erteilt werden müssen, wurde vom Kläger nicht beanstandet. Die Voraussetzungen eines Haftungsausschlusses nach § 839 Abs. 2 und 3 BGB liegen nicht vor.

III.

Die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO und für das Revisionsverfahren auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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