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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 16.03.2000
Aktenzeichen: 3 ObOWi 5/2000
Rechtsgebiete: StPO, OWiG, RBerG, GKG


Vorschriften:

StPO § 345 Abs. 2
StPO § 344 Abs. 2 Satz 1
StPO § 338 Nr. 3
StPO § 28 Abs. 2 Satz 2
StPO § 22 Nr. 5
StPO § 473 Abs. 1 Satz 1
StPO § 473 Abs. 7
OWiG § 79 Abs. 3 Satz 1
OWiG § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
OWiG § 79 Abs. 2
OWiG § 80 Abs. 2 Nr. 1
OWiG § 46 Abs. 1
OWiG § 16
OWiG § 80 Abs. 4 Satz 1
OWiG § 80 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
RBerG Art. 1 § 8 Abs. 1 Nr. 1
GKG § 8 Abs. 1 Satz 1
GKG § 8 Abs. 2 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
3 ObOWi 5/2000

Bayerisches Oberstes Landesgericht

BESCHLUSS

Der 3. Senat für Bußgeldsachen des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat durch den Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht Dr. Vitzthum

am 16. März 2000

in dem Bußgeldverfahren

gegen

wegen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz

nach Anhörung der Staatsanwaltschaft

beschlossen:

Tenor:

I. Dem Betroffenen wird Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Straubing vom 28. Juni 1999 gewährt.

II. Der Antrag des Betroffenen, die Rechtsbeschwerde gegen das vorbezeichnete Urteil zuzulassen, wird als unbegründet verworfen.

III. Der Betroffene trägt die Kosten seines Rechtsmittels sowie der Wiedereinsetzung; für letztere werden Gerichtskosten nicht erhoben.

Gründe

I.

Der Betroffene betätigte sich als Strafgefangener in der Justizvollzugsanstalt Straubing in der Zeit vom 16.6.1996 bis 7.4.1997 für sechs Mitgefangene als Verfasser, Formulierungshelfer, Ghostwriter bzw. Berater bei Verfassungsbeschwerden, Anträgen auf Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung bzw. Rechtsbehelfen gegen deren Ablehnung und bei Anträgen auf gerichtliche Überprüfung der Versagung von Ausführung, der Verlegung in andere Justizvollzugsanstalten und der Versagung des Absehens von Vollstreckung bei Auslieferung bzw. Ausweisung.

Das Amtsgericht Straubing verurteilte den Betroffenen am 28.6.1999 wegen unerlaubter Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten in elf Fällen zu einer. "Geldbuße von 11 x 50,00 DM".

Hiergegen richten sich Zulassungsantrag und Rechtsbeschwerde des Betroffenen, hinsichtlich derer er Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist beantragt und die er mit der Verletzung von Verfahrensrecht und sachlichem Recht begründet.

II.

1. Dem Betroffenen war Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren.

Die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist endete am 13.9.1999 (§ 345 Abs. 1, § 43 Abs. 2 StPO, § 46 Abs. 1, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG). Die Urteilszustellung am 11.8.1999 war wirksam, da das Protokoll, laut dienstlicher Äußerung des Richters vom 8.2.2000 am 28.6.1999 fertiggestellt wurde (vgl. BGHSt 23, 115/118). Die zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärte Rechtsbeschwerdebegründung vom 15.9.1999 war somit verspätet.

Der Wiedereinsetzungsantrag des Betroffenen ist zulässig, insbesondere fristgerecht, und holt die versäumte Handlung nach (§ 45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG). Der Antrag ist auch begründet, da der Betroffene durch die dienstliche Stellungnahme des Rechtspflegers glaubhaft gemacht hat, daß ihn an der Versäumung der Frist kein Verschulden trifft (§ 45 Abs. 2 Satz 1, § 44 Satz 1 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG). Der Betroffene konnte zur Begründung seiner Rechtsbeschwerde die hierfür vom Gesetz eingeräumte Frist ausschöpfen. Hätte der Rechtspfleger am letzten Tag der Frist (13.9.1999) zur Niederschrift gemäß § 345 Abs. 2 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG zur Verfügung gestanden, so hätte sich die Rechtsbeschwerdebegründung mit der Aufnahme zu Protokoll der Geschäftsstelle bereits im Verfügungsbereich des zuständigen Gerichts befunden. Einer Übermittlung der Rechtsbeschwerdebegründung an das zuständige Gericht hätte es daher nicht mehr bedurft. Insofern unterscheidet sich der vorliegende Fall von den Vorgängen, auf welche die Staatsanwaltschaft bei dem Rechtsbeschwerdegericht abstellt. Dort wird (zu Recht) ein Verschulden angenommen, wenn der Antragsteller die Frist soweit ausschöpft, daß eine Übermittlung des Schriftstücks an den Adressaten nicht mehr rechtzeitig möglich ist. Ein Verschulden würde es allerdings auch dann darstellen, wenn der Strafgefangene sein Begehren, die Rechtsbeschwerde zu Protokoll der Geschäftsstelle zu begründen, so spät kundtut, daß eine Niederschrift innerhalb der Dienstzeiten am letzten Tag der Frist nicht mehr bewerkstelligt werden kann. Dies ist hier jedoch ersichtlich nicht der Fall.

2. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen bedarf der Zulassung (§ 79 Abs. 1 Satz 2 OWiG), da die Wertgrenze des § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG nicht überschritten ist. Grundsätzlich ist auf die einzelne Geldbuße abzustellen, die sich hier jeweils auf 50 DM beläuft (§ 79 Abs. 2 OWiG). Zwar würde die Summe der Geldbußen die Wertgrenze von 500 DM überschreiten. Eine Addition ist aber nur dann möglich, wenn es sich bei dem den einzelnen Geldbußen zugrunde liegenden Sachverhalt um eine einheitliche prozessuale Tat handeln würde. Die Besorgung von Rechtsangelegenheiten verschiedener Personen kann aber weder als natürliche Handlungseinheit noch als tatbestandliche Bewertungseinheit zusammengefaßt werden (vgl. BayObLGSt 1994, 108/110 f. = NJW 1994, 2303). Im vorliegenden Fall entfallen aber fünf Einzelakte (à 50 DM = 250 DM) auf den Antragsteller S, zwei Einzelakte (à 50 DM = 100 DM) auf den Antragsteller E und die restlichen vier Einzelakte auf verschiedene Personen, so daß in keinem Fall die Wertgrenze von 500 DM überschritten ist.

3. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen darf aber darüber hinaus im vorliegenden Fall nur dann zugelassen werden, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des materiellen Rechts zu ermöglichen oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 OWiG). Die Wertgrenze von 200 DM für eine uneingeschränkte Zulassung könnte nur hinsichtlich der Beratung des Mitgefangenen S überschritten sein (250 DM), wenn es sich bei dieser Beratung um eine einheitliche prozessuale Tat handeln würde. Auch insoweit gelten die Grundsätze gemäß § 79 Abs. 2 OWiG entsprechend (vgl. Göhler OWiG 12. Aufl. § 80 Rn. 16 g). Verschiedene Teilakte zur Verfolgung einer Rechtsangelegenheit stellen sich zwar als ein Besorgen im Sinne der tatbestandlichen Fassung des Art. 1 § 8 Abs. 1 Nr. 1 RBerG dar und sind daher wegen des unmittelbaren Zusammenhangs der Einzelakte als ein einheitlich zusammengefaßtes Tun zu würdigen (vgl. BayObLGSt aaO mit weiterem Nachweis). In Anwendung dieses Grundsatzes können aber im Fall S allenfalls die Anträge vom 16.6., 29.6. und 5. bzw. 11.11.1996 einerseits und die Anträge vom 29.11. und 5.12.1996 andererseits als jeweilige Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten im Sinne einer prozessualen Tat angesehen werden. Die ersteren drei Anträge befaßten sich mit der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung bzw. mit dessen Vorbereitung, die letzteren beiden Anträge mit der Abwehr einer Verlegungsmaßnahme bzw. der hieraus resultierenden Maßnahmen. Demnach können aber auch im Fall S allenfalls zwei Taten im Sinne des § 79 Abs. 2 OWiG angenommen werden, die mit den hierfür zusammengerechneten Geldbußen (dreimal 50 DM und zweimal 50 DM) aber ebenfalls jeweils unter der Wertgrenze des § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG verbleiben.

Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist sonach ebensowenig möglich wie wegen der Anwendung von Rechtsnormen über das Verfahren wie Aussetzungsanträge, Ablehnung von Beweisanträgen, so daß es auf den Protokollergänzungsantrag des Betroffenen (S. 80 der Rechtsbeschwerdebegründung) nicht ankommt. Hierzu zählt insbesondere die mit der Rechtsbeschwerde in der Form des § 344 Abs. 2 Satz 1 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 Satz 1, § 80 Abs. 3 OWiG zu erhebende Rüge der Fehlerhaftigkeit des ein Ablehnungsgesuch ablehnenden Beschlusses (vgl. Göhler vor § 67 Rn. 8), die im Falle ihrer Begründetheit zum absoluten Rechtsbtschwerdegrund nach § 338 Nr. 3 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG führen würde. Der gegen die Zurückweisung der Richterablehnung eingeräumte Rechtsbehelf ist zwar inhaltlich eine sofortige Beschwerde, kann aber über § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG nur unter den formellen Voraussetzungen erhoben werden, die für das Rechtsmittel gegen das Urteil gelten (Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 28 Rn. 8).

Auch der Ausschließungsgrund nach § 22 Nr. 5 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG fällt unter die Rechtsnormen über das Verfahren.

4. Die beiden noch verbleibenden Zulassungsgründe sind im vorliegenden Verfahren nicht gegeben.

4.1. Weder das angefochtene Urteil noch die Rechtsbeschwerdebegründung geben Anlaß zur materiellen Rechtsfortbildung (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG). Die allgemein anerkannten Grundsätze der Beweiswürdigung, die allein vom Beschwerdeführer sachlich-rechtlich angegriffen wird, bedürfen keiner Ergänzung.

4.2. Es ist auch nicht geboten, das angefochtene Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG). Der Beschwerdeführer trägt zu dieser Rüge vor, daß ihm die Justizvollzugsanstalt am 23.2.1999 mehrere hundert Blatt Verteidigungsunterlagen (darunter auch für das gegenständliche Verfahren) weggenommen habe. Er habe deshalb in der Hauptverhandlung vom 18.6.1999 einen Antrag auf Aussetzung und auf Erlaß eines "Beweismittelbeschlagnahmebeschlusses" gestellt.

Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs, die ebenfalls in der Gestalt einer Verfahrensrüge nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG zu erheben ist, entspricht diesen Anforderungen nicht. Der Betroffene hätte nämlich bereits im Zulassungsverfahren (vgl. BayObLG vom 9.7.1998 - 1 ObOWi 309/98; OLG Köln NZV 1998, 476, 477) darlegen müssen, was er im Fall seiner Anhörung geltend gemacht hätte. Er weist zwar darauf hin, daß es gerade wegen der Wegnahme seiner Verteidigungsunterlagen ein unzumutbares Ansinnen sei, dies näher auszuführen. Auch kann das Schweigen des Betroffenen zum Ordnungswidrigkeitenvorwurf insoweit verfahrensrechtlich nicht gegen ihn herangezogen werden, da die Nichteinlassung gerade auf den fehlenden Unterlagen beruhen kann. Wenn das Rechtsbeschwerdegericht aber im Vorfeld des Verfassungsgerichts einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs feststellen soll, dann muß der Beschwerdeführer zumindest dartun, unter welchem rechtlichen Gesichtspunkt er diese Unterlagen zu seiner Verteidigung benötigt hätte und welchen konkreten Zusammenhang sie mit den ihm im Bußgeldverfahren zur Last gelegten Einzelfällen haben sollen. Hierzu hat der Betroffene nur ausgeführt, daß durch die Unterlagen eine Notstandssituation hätte bewiesen werden sollen. Abgesehen davon, daß die (nach der Behauptung des Beschwerdeführers unvollständig aufgeführten) Unterlagen gemäß dem Vermerk der Strafvollstreckungskammer vom 8.6.1999 (Bl. 914 ff. d. A.) nur eine Anfrage wegen einer sofortigen Beschwerde im Zusammenhang mit dem Mitgefangenen S und eine Verfassungsbeschwerde des Mitgefangenen Ke aufführen, ist auch nach den Urteilsgründen nicht nachvollziehbar, inwieweit eine Notstandssituation (§ 16 OWiG) für den Betroffenen oder seine Mitgefangenen vorgelegen haben könnte. Im Fall S ging es um eine Verfassungsbeschwerde gegen die Versagung der Reststrafenaussetzung, einen nochmaligen Antrag auf Aussetzung der Reststrafe, einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Ablehnung der Ausführung, einen Antrag auf Nichtverlegung in eine andere Justizvollzugsanstalt und den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gegen den Vollzug einer Arreststrafe. In den Fällen Ke, Kö und N ging es um die Versagung der Reststrafenaussetzung, im Fall E um die Versagung der Ausführung sowie eine Verfassungsbeschwerde gegen die gerichtliche Entscheidung hierüber. Aus diesen Umständen läßt sich weder eine gegenwärtige Gefahr im Sinne des § 16 OWiG für diese Mitgefangenen ableiten, noch legt der Beschwerdeführer dar, daß nur (seine?) rechtsberatende Tätigkeit eine solche Gefahr hätte abwenden können.

4.3. Sonstige behauptete Grundrechtsverletzungen kann das Rechtsbeschwerdegericht im Rahmen des § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG nicht überprüfen (vgl. BayObLGSt 1995, 158/160 f. = NZV 1996, 44). Diese Überprüfung bleibt dem Verfassungsgericht vorbehalten (zur Anstaltskleidung vgl. BVerfG NStZ 2000, 166). Im übrigen ist nicht ersichtlich, welchen kausalen Einfluß das Auftreten des Betroffenen während der Hauptverhandlung in Anstaltskleidung auf den Inhalt des angegriffenen Urteils hätte haben sollen.

III.

Die Entscheidung über die Wiedereinsetzung ergeht durch Beschluß gemäß § 46 Abs. 1 StPO, § 46 Abs. 1, S 80 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 OWiG (vgl. OLG Hamm MDR 2000, 226).

Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wird durch Beschluß gemäß § 80 Abs. 4 Satz 1, § 80 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 OWiG als unbegründet verworfen. Damit gilt die Rechtsbeschwerde als zurückgenommen (§ 80 Abs. 4 Satz 4 OWiG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 7 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG, die Entscheidung über die Nichterhebung von Kosten auf § 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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